aus telegraph 11/1990
von Dirk Teschner
Zu Pfingsten waren Faschisten-Aktivitäten in Ostberlin
angekündigt. An diesem Wochenende lief das letzte Fussballspiel der
Saison, das Pokalendspiel Schwerin-Dresden.
Es waren Gerüchte im Umlauf, die sich auf zwei bestehende
Häusergruppen bezogen. Natürlich überhaupt kein Grund für die
anderen besetzten Projekte, ruhig abzuwarten. Und dass die Faschisten
nicht nur am Fussball-Samstag losschlagen, sollte sich auch
herumgesprochen haben. Aber scheinbar sind daraus noch keine
Konsequenzen gezogen worden, wie die Vorkommnisse am 1. Juni zeigten.
Die Faschisten hatten keine grosse Mühe, die Cafe-Tür im
Tacheles-Gebäude (ehem. Camera-Kino) aufzubrechen und brutal gegen
die BesetzerInnen vorzugehen. Eine Frau wurde von einem
Molotow-Coktail getroffen und liegt derzeit im Krankenhaus. Die
Gefahr der Erblindung besteht. Offenbar ist es jetzt bei den
Faschisten Doktrin, auch gegen Frauen vorzugehen („feministische
lesbische Frauen aufmischen“ – Zitat der NA-Weitlingstrasse).
Die „undurchsichtige“ Strategie der Polizei wurde vor dem
Tacheles überdeutlich: zwei Tonis warteten, ohne einzugreifen,
während des Faschistenüberfalls auf Verstärkung, die lange auf
sich warten liess, da angeblich niemand zur Verfügung stand (ein
Tag später, Samstag 22.00 Uhr hielt ein voller Polizei-LKW am
Kollwitzplatz, um einer Anzeige wegen Ruhestörung nachzugehen).
Wegen des schlampigen Wachdienstes konnten sich in der gleichen
Nacht in das besetzte Haus in der Kastanienallee 86 offensichtlich
einige Nazis einschleichen, die Gashähne in einer leerstehenden
Wohnung aufdrehen und die Wände mit „Juda verrecke!“ beschmieren.
Am Samstag, den 2. Juni, versuchten die Faschisten und Hooli-
gans, scheinbar ermuntert durch die „Erfolge“ in der Nacht, das
Strassenfest in der Kreuziger Strasse anzugreifen. Als die
BesucherInnen des Strassenfestes die Hooligans in die Flucht
schlugen, ging die Polizei dazwischen und lud einige
Kinder-Hooligans und einige StrassenfestbesucherInnen aus den
besetzten Häusern auf die LKWs und brachte sie zur
Personalienfeststellung in eine Schule (denen könnten auch mal neue
Orte einfallen).
Und das las sich dann in der Tagespresse als Strassenschlacht
zwischen Polizisten und Faschisten.
Am Samstag nachmittag wurde dann eine antifaschistische Demon-
stration durch Lichtenberg, vorbei an der Weitlingsstrasse bis zu den
Wohnheimen der AusländerInnen durchgeführt.
Beim Plenum vor der Demo war es, wie ein Beitrag in der Westber-
liner Zeitschrift „Interim“ kritisiert, teilweise zu „stalinisti-
schen“ Verhaltensformen gekommen, Überbewertung der eigenen
Meinung, daraus folgende Geringschätzung anderer, autoritäres
Führungsprinzip. Vielen war der Charakter der Demo nicht klar,
deshalb gingen auch nicht alle mit nach Lichtenberg.
Die Demonstration war aber als Antwort auf die Faschisten-
überfälle notwendig und wichtig. Die von Nazis besetzten Häuser
in der Weitlingstrasse und die Parteizentrale der Nationalenen
Alternative, stellen als Sympbolik faschistischer Ideologie und deren
Institutionalisierung eine besondere Gefahr dar. Die vielfältigen
Aktionen auf der Weitlingstrasse, Flugblätter, Plakate,
Sprühereien, Buttersäureanschläge, Demonstrationen, machen
klar, dass viele nicht mehr gewillt sind, die faschistischen
Überfälle hinzunehmen. Die NA-Zentrale muss und wird beseitigt
werden. Das Wie und Wann setzt politische Diskussionen unter einem
grösstmöglichen politischen Spektrum voraus. Der Faschismus kann
natürlich nicht militärisch beseitigt, sondern höchstens
können gewalttätige Überfälle zurückgeschlagen und
eingedämmt werden. Neben praktischen Aktivitäten aller Art kann
nur eine breite linke und radikaldemokratische Bewegung etwas
dauerndes entgegensetzen.
d.t.