von Thomas Kupfer
aus telegraph #111
Welche soziologischen Kategorien und Paradigmen auch immer zugrunde gelegt werden: Die Beschreibung gegenwärtiger sozialer Prozesse, insoweit sie mit politischer Öffentlichkeit zu tun haben, fällt selten motivierend aus für alternative politische Medien. Zwar ist ein real existierender Dissens zwischen ‚Herrschenden‘ und ‚Beherrschten‘ weitgehend unbestritten, es ermangelt aber an anknüpfbaren Handlungen und Akteuren. Schlimmer noch: Oft ist die Aversion gegen die herrschende Politik nur die Aversion gegen Politik überhaupt, nicht selten ist der Affront gegen den Staat schlimmer als der Staat selbst. Alternative Medien, die sich noch mit Konzepten linker Gegenöffentlichkeit herumschlagen, werden belächelt, manchmal sogar zu Recht. Aufklärung ist so-wieso out und taugt nicht einmal mehr als philosophischer Gegner.
Der Zerfall der ‚bürgerlichen Öffentlichkeit‘ – in ihrer idealisierenden Beschreibung schon immer eine Fiktion – in disparate Lifestyle-, special interest- und Expertenkulturen, in ‚target groups‘ und neue soziale Schichten allein ist noch zu verschmerzen: Ist doch die politische community darin immerhin eine von vielen, und nicht einmal zwangsläufig eine im Ghetto. Flexible Individuen sind im switching zwischen Diskursen und Sozialräumen inzwischen trainiert. Schwieriger ist da schon die Tatsache zu handhaben, dass dem Alternativmedium sein Pendant, das offizielle oder ‚etablierte‘ Medium auszugehen droht. Die Krise aller (Re-) Integrationsmodelle politischer Öffentlichkeit drückt sich aus in der „Krise“ des Öffentlich-Rechtlichen Rundfunks oder in der „Krise“ der Zeitung. Das Wort Krise taucht schon fast automatisch auf im Zusammenhang mit allem, was sich mit ‚public service‘, ‚Grundversorgung‘ oder ähnlichen Ansprüchen herumzuschlagen hat. Die Reaktion ist in der Regel ein Rückzug aus der selbst mitgenerierten Falle der bürgerlich-demokratischen Öffentlichkeit in die Unverfänglichkeit der Quote, in den lokalen Nahraum und die Anpassung an die medienvermittelten Konsumkulturen. Der Wegfall von Minderheiten- bzw. experimentellen Programmen, der Verzicht auf Hintergrund und Kontroverse, das Ausdünnen von Korrespondentennetzen, die Bevorzugung von Agentur- und PR-Produkten sind u.a. die Folgen.
Aber jenseits der Medien ist auch keine Idylle selbstorganisierter Öffentlichkeiten entstanden. Nicht – medienvermittelte Modelle wie Demonstrationen, selbstverwaltete Projekte oder Foren existieren zwar weiterhin, haben aber neben bescheidenem gesellschaftlichen Erfolg vor allem eine umfangreiche Metakritik ihrer Symbolmanie, ihrer Inhaltsleere und Beliebigkeit oder ihrer informellen Reproduktion von Macht und Herrschaft produziert.
Es scheint also berechtigt und ist auch längst üblich, von einer Krise auch der „Gegenöffentlichkeit“ zu sprechen – ein Begriff, der per definitionem strukturierte Öffentlichkeit voraussetzt. Traditionelle Ansätze tragen nicht mehr: Betroffene kommen – mit Ausnahmen – überall zu Wort und nerven schon mit ihrem Sozialkitsch, das Private ist längst zwar nicht politisch, aber öffentlich, und unterbliebene Nachrichten interessieren genauso wenig wie die meisten nicht unterbliebenen. Alternative Medien haben daraus Schlüsse gezogen – zum Beispiel, indem sie sich selbst zu taktischen oder gar zu souveränen Medien erklärten. Die Frage, was man und frau tun sollte mit einem bewegungsorientierten Medienansatz ohne soziale Bewegungen, wurde beantwortet mit dem Insistieren auf die Eigendynamik des Mediums und der Medienwelt. Alternative Medien laufen seitdem Gefahr, eine zuvor schon vorhandene Tendenz fortzusetzen und die Brechtschen und Enzensbergerschen Modelle politischer Öffentlichkeit (alle sind potentiell Produzierende) zu radikalisieren: Nur noch die Produzierenden rezipieren. Zugleich entsteht ein neuer Samisdat an den Rändern der medienvermittelten Öffentlichkeit, vor allem in der Kunstkommunikation, im Internet und in Mailinglisten: Nicht Ware und Geld strukturieren den ‚flow of information and material‘, sondern es wird getauscht. Eine Mut machende Entwicklung, allerdings auch eine meist auf kleine Zirkel beschränkte, der die zunehmende Verunsicherung von alternativen Medienproduzenten gegenübersteht, die sich – verstärkt durch das Wegbrechen sozialer Sicherungssysteme – größer werdenden Schwierigkeiten bei der Reproduktion ihrer sozialen Existenz ausgesetzt sehen.
Alternative Medien müssen ihre Position (neu) bestimmen, besonders in Bezug auf:
– ein desintegriertes Publikum aus (im wesentlichen) Konsumierenden,
– die publizistische ‚Grundversorgung‘ und den ‚public service‘,
– die real sich konstituierenden, oft prekären, Modelle gesellschaftlich organisierter Öffentlichkeit (nicht – staatlich, nicht – warenmäßig),
– zu neuen nicht – öffentlichen/öffentlichen Verweigerungskulturen, die aus gutem Grund an den Modellen der medienvermittelten politischen Öffentlichkeit nicht teilhaben wollen,
– die Notwendigkeit der Reproduktion der sozialen Existenz der Medienmachenden.
Ein Bereich, der in den Reflexionen über alternative Medien zu Unrecht oft unterbelichtet bleibt, sind alternative bzw. ‚Freie Radios‘ (ich benutze diese Begriffe jetzt aus pragmatischen Gründen synonym für Hörfunkanbieter, die sowohl publizistische Angebote im Sinne von ‚Gegenöffentlichkeit‘ unterbreiten als auch zugangsoffen sind und Partizipation ermöglichen). Sie bewegen sich in einem hochregulierten Raum, dem terrestrisch verbreiteten Hörfunk über UKW-Frequenzen, Domäne der staatlichen Rundfunkpolitik und zunehmend privatisiertes und kommerzialisiertes Gemeingut. Sofern sie legal senden, sind sie konfrontiert mit einer Fülle formalisierter Kommunikationen und Voraussetzungskriterien. Freien Radios wächst aber gerade deswegen ein immenses integratives Potential zu, dem u.a. ihr fast konkurrenzloser Status als zugangsoffener und ‚gegenöffentlicher‘ Hörfunkveranstalter auf UKW zu-grunde liegt. Freie Radios müssen im Innern diskursive Leistungen erbringen und Strukturen entwickeln, die den Zugang zur Ressource Radio regeln und Programmkriterien festlegen. Zugleich verbietet sich eine sektenhafte Ausdifferenzierung entsprechend der zerklüfteten politischen Landschaft der Linken von selbst: Niemand wäre in der Lage, als hermetische Kleinstgruppe publizistisch relevantes Radio zu machen. Freie Radios holen sich also Gesellschaft ins Radio, sind aber umgekehrt deshalb auch potentiell in der Lage, gesellschaftlich funktional zu werden.
In den vergangenen Jahren haben Akteurinnen und Akteure alternativer Radios ganz erstaunliche Ideen entwickelt, wie sie der eigentlich marginalen Rolle linker Gegenöffentlichkeit entgegenwirken können: Modelle internationalen und überregionalen Programmaustauschs (z.B. www.freieradios.net, http://cba.fro.at) und der Programmkooperation (z.B. www.zip-fm.de), die Professionalisierung als Ausbildungsträger im Rundfunkbereich mit eigenen Schwerpunkten und Ausstrahlung über die eigene Szene hinaus (z.B. www.radioworks.de, www.medien-ost.de), die Verkopplung von journalistischer Praxis und politischer Bildung (z.B. www.inter-audio.org), die Entwicklung nichtkommerzieller Korrespondentennetze (z.B. www.fmedia.ecn.cz) oder die themenorientierte radiojournalistische Arbeit zweigleisig für öffentlich-rechtliche und alternative Hörfunkmedien (z.B. www.npla.de). Technologisch möglich sind ganz unterschiedliche Antworten auf die oben formulierten Anforderungen an die eigene Positionsbestimmung:
– die Zielvorgabe einer publizistischen Ergänzungsfunktion im Sinne von Vielfalt einschließlich der Übernahme anderswo vernachlässigter Aspekte von ‚public service‘ und ‚Grundversorgung‘ und der entsprechenden journalistischen Professionalisierung;
– das Streben nach Distinktion im Sinne von ‚Gegenöffentlichkeit‘;
– die Entwicklung und Erprobung gesellschaftlicher Modelle von politischer Öffentlichkeit im Sinne eines selbstreflektierten Forums und Medienexperiments;
– die Herauslösung sozialer Kommunikationen und Interaktionen aus der Verwertungslogik von Ware und Geld (‚Samisdat‘) und aus der Beschreibungslogik von Realität, wie sie uns offiziell vorgesetzt wird.
In der Praxis stehen solche und andere Prioritäten oft innerhalb ein und desselben Radios nebeneinander, manchmal auch gegeneinander. Freie Radios sind aber aufgrund ihrer Exklusivität prädestiniert, soziale, politische und mediale Experimente mit publizistischen Leistungen und Funktionen zu verknüpfen und relativ disparat nebeneinander stehende politische Diskurse zu verflechten.
Heißt das, es gibt Medienkonzepte, die alle vier Funktionen erfüllen können? – Ja und nein. Denn natürlich kollidiert die Forumsfunktion oft mit dem Streben nach publizistischer Wirksamkeit und Professionalisierung ebenso wie mit dem Distinktionsstreben. Der Samisdat widerstrebt einem offenen Zugang und arrangiert sich mit der Exklusivität alternativer sozialer Praxen zuungunsten publizistischer Außenorientierung. Publizistische Zielvorgaben aller Art reproduzieren Leistungskriterien und die Unterordnung handelnder Akteurinnen und Akteure unter abstrakte Inhalte und Wertkriterien. Und alle Konzepte leiden unter der chronischen Knappheit an materiellen und personellen Ressourcen. Die Auseinandersetzung zwischen Zugangsoffenheit, Distinktionsstreben, Professionalisierungsdruck und der Exklusivität von Sprache und Diskursen finden wir in nahezu jedem alternativen Radio. Eine generell gültige Lösung dafür gibt es nicht, aber intelligente Zwischenlösungen.
www.freie-radios.de/
www.freieradios.net/
www.radiocorax.de/
www.perspektiven.radiocorax.de/
www.medienost.de/
www.interaudio.org/
www.npla.de/
http://cba.fro.at/
www.fmedia.ecn.cz/
http://www.freie-radios.at
Thomas Kupfer arbeitet als Geschäftsführer bei Radio CORAX in Halle/Saale.
© telegraph. Vervielfältigung nur mit Genehmigung des telegraph