CHIAPAS – RADIO INSURGENTE

von Gloria Munoz Ramirez
aus telegraph #111

„Guten Tag. Du hörst Radio Insurgente, die Stimme der Stimmlosen.
Offizielle Stimme der Zapatistischen Armee der Nationalen Befreiung [EZLN].
Es ist 4 Uhr morgens, nach der Zeit des Kampfes des Südostens“.

Wenn die Sonne noch nicht aufgegangen ist, rösten die Frauen bereits die ersten tortillas auf der comal [Metallpfanne] und die Männer bereiten sich darauf vor, auf die Felder zu gehen, während die Kinder noch in einer Reihe von drei, fünf oder zehn in einem engen Raum schlafen, der ein Blechdach und einen Erdboden hat.

Das einzige Licht in diesem zapatistischen Dorf ist das, welches den gerade gezündeten Herdfeuern entspringt. Die Stille ist nahezu total.

Die Frauen entfernen sich für eine Minute von der comal und stellen ihre alten Radios ein. „Schon sieht man am Horizont kämpfende Zapatistas, der Weg reicht bis zu denen, die nachfolgen werden…“, ist im Radio zu hören. Und sofort danach ertönt die klare und deutliche Stimme einer aufständischen Indígena-Frau: „Guten Tag. Sie hören Radio Insurgente… wir hoffen, dass es den Compañeros und Compañeras im Widerstand gut geht, wo auch immer sie sind. Den Unterstützungsbasen der EZLN sagen wir, dass sie in Ruhe ihre Arbeit tun können. Denjenigen, die keine Zapatistas sind, senden wir ebenfalls einen Gruß. Dies ist die Stimme der Stimmlosen“.

Die aufständische Sprecherin, die das Gewehr mit dem Mikrofon kombiniert, eröffnet die weiteren Programmpunkte des Tages: „Heute machen wir ein Programm mit unserem Wort von der EZLN. Wir haben außerdem die Begleitung durch Eure Lieblingsmusik und die Grüße, die Ihr schickt. Wir werden auch Informationen über Gesundheit senden, damit wir nicht krank werden und auf uns aufpassen, darüber hinaus Programme über die Arbeit und die Rechte der Frauen und viele weitere Sachen… Erinnern Sie sich, dass Sie Radio Insurgente hören, und dass wir ein freies Radio sind, das für die Bevölkerung gemacht wird, damit alle diesen Kampf kennenlernen“.

Die Frau an der Pfanne hört nicht damit auf, Tortillas darauf zu legen und zuzuhören. Ihre Tochter, eine Jugendliche, hört nicht nur zu, man könnte sagen, dass sie von Ungeduld eingeholt wird. Nun kommt die Stunde der Grüße und Wohlgefälligkeiten und das Motiv ihrer Unruhe kommt zur Sprache. Im Radio ist zu hören: „Hier haben wir ein kleine Karte, die unsere Kabine erreicht hat und die wir sehr gerne vorlesen: ‚Grüße an Rosa vom autonomen Landkreis San Pedro de Michoacán, für sie möchte ich Sie um den Song vom Gefängnis bitten, von den Bukis. Ich bitte Sie, dass sie ihn an den Tagen des 8., 9. und 10. dieses Monats spielen, um sechs Uhr morgens, um acht und um zwölf, denn sie wird dann sicher Radio Insurgente hören. Grüße an den Subcomandante Marcos, an alle in der Guerilla und an alle Unterstützungsbasen…‘ Unterzeichnet von Pablo aus dem selben autonomen Landkreis“.

Der Blick der Jugendlichen erhellt sich daraufhin, die Frau an der Pfanne scheint gleichgültig und der Mann des Hauses, den sicherlich keinerlei Gnade des Grußes erreicht hat, nimmt seine Machete und seinen Rucksack und bricht zu seiner täglichen Arbeit auf. Er nimmt ein Radio mit Batterien mit.

Im Hochland von Chiapas, über 10 Stunden vom Urwald der Tzeltales und Tzotziles entfernt, arbeiten in diesen Momenten die Tzotziles aus San Juan Chamula auf ihren Kaffeefeldern. Sie sind alles andere als Zapatistas, aber sie haben einen Lautsprecher auf das Landstück gerichtet und hören, während sie den Kaffee ernten, Radio Insurgente der Hochlandzone [Zona Altos].

Dasselbe passiert in der Militärkaserne von San Quintín, im grenznahen Urwald. Obwohl es ihnen verboten ist, stellen die Soldaten jeden Tag den Sender der Rebellen ein, versteckt vor ihren Befehlshabern, und sie hören nicht damit auf, dies zu tun. An den Straßensperren und in den Garnisonen, die offiziell nicht existieren und nur eine optische Täuschung sein können [Anm.: Anspielung auf den Regierungsdiskurs über angebliche Entmilitarisierung], unterhält sich die Truppe der Bundesarmee, hitzig und in schlechter Stimmung, mit zapatistischer Musik.

Die Hertzwellen von Radio Insurgente schleichen sich ebenfalls zu den schlammigen Fußballplätzen und den Basketballfeldern durch, auf denen priistische Indígenas in voller Lautstärke die Stimme der EZLN hören, ohne zu spielen aufzuhören.

Einer der bemerkenswertesten Effekte der Übertragungen, erläutert der Generalkoordinator der drei Sender von Radio Insurgente, ist „dass bei der Station Petitionen von Hunderten Familien angekommen sind, die zuvor mit paramilitärischen Gruppen gearbeitet haben, und nun um den Eintritt in die EZLN bitten; und es gibt ebenfalls Anträge von Leuten der PRI, die um Material bitten, um mehr zu wissen“.

Radio Insurgente wird bei jeder Sendung mit den Interferenzen der Bundesarmee konfrontiert. Kaum hat das Programm begonnen, mischen sich in vielen Dörfern andere Stationen oder Lieder auf Englisch ein. Die Programme, welche die Regierung offensichtlich am meisten in Rage versetzen, sind die Erzählungen mit der Stimme des Sup Marcos und die Nachrichten.

Ein anderes Problem ist der Mangel an Ressourcen sowie die Bedingungen, unter denen das Radiosignal ausgestrahlt wird. Die prekären Radiostationen befinden sich in den Bergen, wohin sich die Sprecher für jede Sendung mit der kompletten oder einem Teil der Ausrüstung und den Benzinkanistern begeben. Dabei fehlen nicht die Gewitter und die Blitze, die „alles kaputtkriegen“, so wie es einmal mit dem Sender der Region „Selva Fronteriza“ [Grenz-Urwald zu Guatemala] geschah.

Und es ist genau dieser Sender, der sich auf dem höchsten Berg befindet. Der aufständische Radiosprecher (von einer Guerillera und dieser Reporterin begleitet) steigt mit dem kompletten Equipment auf den Hügel. Eine steile Schotterpiste lässt kaum Raum zum Atmen. Der Guerillero geht voraus, denn er muss noch eine andere Wegstrecke mit 20 Litern Benzin bestreiten. Das Geräusch des Motors signalisiert, dass der Gipfel nahe ist. Wir kommen an und unter einem einfachen Dach aus Plastik hat der Sprecher, der gerade Dienst tut, die Übertragung begonnen: „Guten Tag. Es ist 11 Uhr morgens, Zeitrechnung des südöstlichen Kampfes. Sie hören Radio Insurgente, die Stimme der Stimmlosen, das sein Signal aus den Bergen des mexikanischen Südostens überträgt, ein Territorium frei von der Unterdrückung durch den Neoliberalismus“.

Ein kleiner Tisch, gefertigt aus Lianen, ist die gesamte Ausstattung.
Darauf stehen das Mischpult und die Audio-Geräte. Eine Antenne und ein Motor vervollständigen dies. Der Gesang der Vögel, der Grillen und des Wasserfalls sind die natürlichen Klänge, die sich mit den Liedern und Botschaften vermischen. Der Guerillero legt seine Waffe nicht ab. Er sendet mit ihr an seiner Seite, ohne das Mikrophon außer Acht zu lassen.

In dieser Zone machen die Verantwortlichen der Sendungen Interviews mit der Junta der Guten Regierung, mit den Promotorinnen und mit der Zivilgesellschaft, die das Caracol besuchen. Sie haben auch live runde Tische gesendet, mit Themen über den Neoliberalismus und ein Programm, an das sich alle erinnern, über die beleidigenden Löhne der Abgeordneten, Senatoren und Landkreispräsidenten.

Die Übertragung endet. Der Aufständische baut die Ausrüstung ab und steigt mit mehr als 30 Kilo den Berg hinab. Am folgenden Tag wiederholt sich die Geschichte, er steigt wieder auf den Hügel, und wie an allen Wochenenden, wird man seine Stimme bis nach Guatemala hören.

Radio Insurgente ist seit dem 14. Februar 2002 eine Realität. Heute operiert es in drei zapatistischen Regionen: Im Hochland [Los Altos], im Tzeltal-Urwald [Selva Tzeltal] und im Grenz-Urwald [Selva Fronteriza].

Es handelt sich um verschiedene Sender, die, gemäß ihrer Lage und ihrem Entwicklungsstand, Nachrichten auf Spanisch, auf Tzotzil, Tzeltal und Tojolabal senden. Das Programm realisiert die jeweilige aufständische Einheit, obwohl auch allgemeine Programme existieren, die alle Sender teilen. Das zeitliche Programm jedes Senders ist außerdem unterschiedlich und wird entsprechend der klimatologischen Bedingungen (Stürme), der ökonomischen Bedingungen (Mittel der Station) und der politischen Bedingungen (Interferenzen) variiert.

Alle Stationen arbeiten auf UKW (FM), da-rüber hinaus gibt es eine, die auf Kurzwelle sendet. Diese hat ihre Antenne auf den Norden des Landes, sowie auf Zentral- und Südame-rika gerichtet: „Radio Insurgente, die offizielle Stimme der Zapatistischen Armee zur nationalen Befreiung, sendet auf der Frequenz von 6.0 Megahertz auf Band 49 Meter Kurzwelle“, hört man jeden Freitag von drei bis vier Uhr nachmittags in Ländern wie Guatemala, El Salvador, Nicaragua und dem Rest von Zentralamerika – noch fehlt eine Bestätigung aus den Ländern Südamerikas.

Zunächst hört man einen Spot auf Japanisch, Türkisch, Deutsch, Französisch, Chinesisch und Italienisch, aufgenommen von Sympathisantinnen und Sympathisanten des Kampfes, die die Gemeinden besucht haben. Eine mit Musik unterlegte Mischung, bei der jemand, der nur Spanisch spricht, lediglich die Worte „Radio Insurgente“ versteht.

Das Programm, „das unser Radio lebendig macht“, umfasst Sendungen zur autonomen Gesundheit und Bildung, zu Rechten und Kollektivarbeit der Frauen, Erzählungen für Kinder, Kampagnen gegen Alkoholismus, Lektüre von EZLN-Kommuniqués, Hörspiele über den Widerstand und die Autonomie, einen Nachrichtenüberblick und die „Hauptmahlzeit“ ist regelmäßig eine Geschichte, produziert und erzählt von Subcomandante Marcos in seiner Rolle als Sprecher und Produzent.

„Wenn die Dörfer die Stimme des Sup hören, denken sie, es ist per se live. Es gibt auch Gelegenheiten, bei denen er live spricht, aber es gibt andere Zeiten, in denen es aufgezeichnete Erzählungen sind. Die Compas verlangen sehr oft, dass sie gesendet und wiederholt werden, denn bei Radio Insurgente senden wir wirklich das, um was man uns bittet“, versichert eine der interviewten Moderatorinnen.

Die Erzählungen „El Chómpiras“, die vom Gemeinschaftssinn handelt, und „La bruja [Hexe] Pánfila y la princesa Panfililla“, die sich auf die Rechte der Frauen bezieht, sind die jüngsten Produktionen von Subcomandante Marcos. In beiden spricht er verschiedene Stimmen, scherzt mit den möglichen Zuhörerinnen und Zuhörern, mit der [Guerilla-]Truppe und mit seinem Produktionsteam, welches die Geschichten mit Musik und Spezialeffekten anreichert.

Der Sendebereich, der den Grüßen und Musikwünschen gewidmet ist, ist der am meisten erwartete in allen Regionen. Die zapa-tistischen Unterstützungsbasen und sogar einige PRIistas [RegierungsanhängerInnen] oder AnhängerInnen anderer Organisationen bitten mittels hunderter Karten, die an die Stationen geschickt werden, um die Ausstrahlung einer unendlichen Reihe von Grüßen und Liedern.

Los Bukis, die Gruppe Brindis, Los Teme-rarios, Los ángeles Negros, Juan Gabriel bis hin zu Julio y Enrique Iglesias (wer hätte das gedacht), teilen sich den rebellischen Raum mit den lokalen Gruppen, die Lieder und revolutionäre Corridos [erzählende Lieder] intonieren, die mehrheitlich neue Kompositionen sind. Gruppen wie Dos vientos de voz y fuego, Nuevo Amanecer, Jacinto mit seiner Gitarre und Los veteranos del Sur stellen die momentanen Erfolge des zapatistischen Hochland- und Dschungelgebiets.

Durch die Lieder vollzieht sich auch ein kultureller Austausch zwischen den Unterstützungsbasen und den pro-zapatistischen Gruppen aus Mexiko und anderen Teilen der Welt. Es ist keine Seltenheit, dass in der Stunde der Wunschlieder Maldita Vecindad, Panteón Rococó, Los de Abajo, Manu Chao oder Amparanoia gefordert werden. Derjenige, der nicht fehlen kann, ist natürlich Pedro Infante [Anm.: berühmter mexikanischer Schnulzensänger und Filmheld, der in der 1950ern umkam] und der Jazz, der – so wird gesagt – „nur dem Sup gefällt“.

In den Altos [Hochland]
„Es ist verboten zu sagen, ich kann nicht. Hier kann man alles, außer sich zu ergeben“, sagt ein Schild, das auf einer Pappe über den Mauern der Kabine von Radio Insurgente / Los Altos geschrieben ist. In einer Ecke der kleinen und sauberen Lokalität erwarten – in strikter Reihenfolge geordnet – Sargento García, Oscar Chávez, Pérez Prado und eine nichtendende Liste von Sängern und lokalen, nationalen und internationalen Gruppen auf ihren Einsatz. Eine Weltkarte, eine Uhr und das Tagesprogramm belegen die anderen Holzwände, die mit Eierkartons tapeziert sind, um Geräusche abzufangen.

Während ein Moderator die Live-Übertragung betreut, vernachlässigt die Guerillera Angélica für einige Momente ihre beiden Waffen – das Gewehr und das Mikrofon – und berichtet La Jornada ihre Erfahrungen als Moderatorin: „Meine Arbeit als Sprecherin dreht sich darum, die Basen zu animieren, das Programm zu machen, Bekanntmachungen herauszugeben und die Musik zu wählen. Morgens spiele ich meine zapatistische Hymne, um Punkt sechs fangen wir an. Nach der Hymne mache ich die Begrüßung und wir spielen die Musik. Um 6:30 Uhr übermittle ich bereits die Grüße und danach, das was von Gesundheit, Bildung, Reden und anderen Dingen handelt, die es geben wird“.

„In diesen Tagen“, erzählt sie, „senden wir über die Präventivmedizin. Wir haben die Hebammen der Dörfer interviewt. Wir haben sie gefragt, wie sie den Compañeras helfen, die schwanger sind.

Sie erklären uns durch das Radio, wie sie Kräuter einnehmen, damit es dem Kind gut geht. Wir machen das alles auf Tzotzil und dann übersetzen wir es auf Spanisch“.

Andere Reportagen, die die Guerilla-Frauen vorbereitet haben, handeln von einem Koopera-tivenladen der Frauen in Polhó, eine andere von einer Bäckerei und eine weitere von einem Webekollektiv. „Wir sind also dabei zu lernen, wie es ist, Reporterin zu sein“, versichert Angélica, die zufrieden und stolz auf ihre neue Arbeit ist.

„All das“, erzählt sie weiter, „ist sehr wichtig, damit die Gemeinden die Fortschritte in allen Landkreisen sehen. Es gibt autonome Landkreise, die sich nicht so organisieren, und wenn wir im Radio bringen, was in anderen Gegenden gemacht wird, motivieren sie sich und fangen an zu arbeiten“.

Die Installationen von Radio Insurgente in dieser Region haben ein weiteres kleines Arbeitszimmer, das mit Dutzenden von Briefen tapeziert ist, die an die Station gesendet wurden, und wo die Schneidekabine ist. Dort, an einem Computer, werden in diesen Momenten Grüße verarbeitet, die aus Frankreich, Griechenland und Spanien geschickt wurden. Rosa, eine andere Insurgenta, führt die Erzählung fort: „Ein-mal kam ein Brief, der uns sagte, dass wir weitermachen sollen und dass sie, die Schreiberin, eines Tages zu uns kommen will. Sie sagte: ‚Ich bin sehr traurig, denn mir geht es nicht gut, ich bin in keiner Partei und ich fühle mich allein. Sagen Sie mir Bescheid, ob ich zu Radio Insurgente kommen kann. Ich möchte mich integrieren und eine Zapatistin werden.’“

„Eine andere Sache, die passiert“, fährt Rosa fort, „ist, dass sie bei den Fiestas in den Dörfern keine Cassetten oder CDs mehr anstellen, sondern die Musik von Radio Insurgente spielen. Vorher haben wir klassische oder instrumentale Musik angemacht, aber mit einem mal haben sie uns gesagt: ‚das gefällt uns nicht, das macht uns müde‘. Jetzt spielen wir fast alles, Cumbias, tropische, revolutionäre und romantische Musik, Bands, Balladen, Trovas, Rock. Die Geschichte der ‚Hexe Pánfila‘, vom Sup Marcos haben wir viele Male gesendet, seitdem sie bei uns ankam. Sie eignet sich sehr gut, um sich mit dem Respekt gegenüber den Frauen zu beschäftigen und nebenbei verschafft sie den Dörfern Unterhaltung“. Außerdem werden Botschaften über Gewalt gegen Frauen gesendet und Programme, um die Frauenpartizipation zu fördern, „damit sie nicht zulassen, dass ihre Männer sie nicht weggehen lassen“. Es gibt auch Programme, die an die Familienväter und -mütter gerichtet sind, „damit sie ihre Kinder nicht schlagen“; es werden auch Spots über Haschisch gebracht, „damit sie es nicht kaufen, weil es illegal ist“, sowie Kampagnen über Hygiene und Krankheitsprävention, „in denen man sagt, wie man Durchfall behandeln soll, wie man der Grippe vorbeugt (in dieser Zone gibt es viel Kälte), oder wie die Frauen auf ihre Gesundheit achten sollen“.

In La Garrucha
Pünktlich um 12 Uhr „südöstlicher Zeit“, beginnen die Sendungen in der Selva-Tzeltal [Tzeltal-Urwald]. Im zapatistischen Laden Smaliyel, angesiedelt im Caracol von La Garrucha, versucht man seit einigen Minuten den Sender einzustellen. Wie in den anderen Regionen beginnen die Akkorde der zapatistischen Hymne die Sendung, zunächst in einer Tzeltal-Version und am Tag danach interpretiert von der spanischen Rockerin Amparanoia.

Es ist Wochenende und mehr Leute passieren die Gemeinde, die auch Sitz der Junta der Guten Regierung „Der Weg der Zukunft“ ist. Nach der Begrüßung beginnt die Sendung mit „Las mañanitas revolucionarias“ [Anm.: leicht umgedichtetes „Happy Birthday to you“], „für alle Compañeros und Compañeras unserer Dörfer, die heute Geburtstag feiern“. Das Signal wird bis zum pro-zapatistischen Taxi- Stand in der Landkreishauptstadt Ocosingo empfangen und durchquert ebenso das Tal von Patiwitz und die autonomen Landkreise San Manuel und Francisco Villa.

Während der ersten Stunde, die dem zapa-tistischen Wort und der zapatistischen Stimme gewidmet ist, sendet man dieses Mal „diskografisches Material, das unserer zapatistischen Sache gewidmet ist“. Die Sprecherin dieser Region erklärt, das Los Nakos „eine Gruppe sind, die eine Platte gemacht hat, die ‚Va por Chiapas‘ heißt, von der wir ein Stück spielen werden“. Es beginnen nun Los Nakos mit dem Stück, das davon handelt, „Für jedes Gewehr eine Schule, und dass die Liebe Deine Sonne sein möge“.

Nach den Jahrestagen folgt ein zapatis-tisches Corrido, intoniert von der Gruppe Los Miserables, das den Hintergrund zu einer Militärpatrouille von mehr als 20 Fahrzeugen bildet, voll mit Soldaten, die mit ihrem Maschinengewehr auf die Gemeinde zielen.

Alltägliche Szenen in dieser Gegend, die seit mehr als 10 Jahren geschehen.
Während die Soldaten noch immer nicht vollständig passiert sind, hört man bereits einen Spot über die Gesundheit im Widerstand. Die zweite Stunde widmet sich den Grüßen und Wünschen, und dies ist der Moment, in dem Clara, eine Jugendliche der Region, zum Radiogerät rennt, und, ohne ihr Lachen zu unterdrücken, den Gruß anhört, den sie an ihre Familie gesendet hat. Mit einem zufriedenen Gesicht zieht sie sich vom Lautsprecher zurück, sobald ihre Botschaft geendet ist.

Das Programm geht weiter und in einem dritten Moment beginnt „die Stunde der Poesie, der Erzählung und der Geschichte“. Es ist der hundertste Geburtstag des chilenischen Dichters Pablo Neruda und dieser geht im zapatistischen Territorium nicht unbemerkt vorbei. Die Spre-cherin, die gerade arbeitet, erklärt: „Neruda kämpfte und schrieb über die Liebe, die Frau, den Krieg und den Frieden… er ist ein Dichter, der dem Kampf der Bevölkerung in Chile unterstützte.

Deswegen erinnern wir bei Radio Insurgente an ihn:..“. Ein flüssiges Vorlesen von „Crepuscu-lario“ (du warst mein und ich dein…) beendet den Programmpunkt.

Ein weiteres Jubiläum, das des sandinisti-schen Kampfes in Nicaragua, erhält nun Raum. Und ein weiterer Jahrestag bezieht sich auf Pancho Villa. Es wird auch vom Kampf „unserer indigenen Geschwister in Loxichas in Oaxaca“ gesprochen, und, in der Stunde der Wünsche tauchen – unmöglich! – Los Temerarios und Los Bukis auf.

Auf allen Stationen von Radio Insurgente ist eine Botschaft, die Subcomandante Marcos, mit [einem gewissen] Humor, an die Paramilitärs schickt: „Wir senden den Paramilitärs einen Gruß, die umherstreichen und unsere Unterstützungsbasen bedrohen. Ich sage Euch klar, dass es euch nicht wie die anderen Male gehen wird. Wir werden Euren Bosheiten nicht mehr einfach zuschauen, ab jetzt werden wir Euch sehr teuer bezahlen lassen (Geräusch zweier Messer). Hört lieber Radio Insurgente, die Stimme der EZLN, die auch für die Indígenas sendet, die keine Zapatistas sind, und ihnen den Kampf erklärt, damit sie sich ebenfalls organisieren und engagieren“.

Auch Soldaten sind Empfänger von Radio Insurgente. In den Camps und Lagern des Militärs im Urwald und im Hochland hört man die folgende Mitteilung: „Soldat, der Du aus dem Volk stammst, hör zu: Du bist so wie wir, Du bist ebenfalls arm. Wenn Du aufhörst Soldat zu sein, wirst Du Dir ein würdiges Leben verdienen. Hör auf, gegen deine eigenen Leute zu kämpfen… Vereine Dich mit dem Leben in der Rebellion, das ist ein interessantes Leben, frei und würdevoll… Löse dich vom Militär und mach dich frei davon. Es ist Zeit, die Augen zu öffnen“.

Der Generaldirektor von Radio Insurgente erklärt, dass es das Ziel von Radio Insurgente ist, „die Unterstützungsbasen anhaltend über den Kampf zu informieren, ihre politische Formierung zu unterstützen, die autonome Gesundheit und Bildung zu stärken sowie die Gemeinden zu unterhalten und zu erheitern. Das Radio ist eine sehr mächtige Waffe und wir sind dabei, sie kennenzulernen“.

Durch das Radio, erläutert er, „werden auch die Traditionen der Dörfer gestärkt, man spielt die indigene Musik, man führt Kampagnen zur Krankheitsvorbeugung durch und man beschäftigt sich mit wichtigen Aktivitäten wie Festen oder zapatistischen Mobilisierungen – es wird also dafür gesorgt, dass das Radio lebendig ist“.

Zur Zeit wird sich auch darum bemüht, dass die Abdeckung wächst und dass neue Sender eröffnet werden, denn es gibt noch immer Löcher im Widerstandsgebiet, die noch nicht von den aufständischen Wellen erreicht werden. Es gibt keine Ressourcen, aber sie produzieren ihre eigenen Tonträger, durch deren Verkauf Material und Ausrüstung erworben werden. Radio Insurgente hat eigene Aufnahmestudios, wo Musikgruppen wie Nuevo Amanecer [Neuer Tagesanbruch] die CDs produzieren, die sie zum Verkauf herausbringen. Auf diese Weise werden die MusikerInnen unterstützt und ein Gewinn erreicht, der zur Aufrechterhaltung des Senders beiträgt.

Der Generaldirektor erklärt: „Es gibt viel Arbeit und, vor allem, neue Ideen. Die Website des Radios ist kurz vor ihrer Eröffnung. Dort wird man Sendungen live hören können, ältere Programme hören können und es wird erläutert, wie man mit diesem Projekt zusammenarbeiten kann. Das Radio hat viel Potential und es fängt, wie alles, gerade erst einmal an“.
LA JORNADA 19. September 2004
Übersetzung: Gruppe B.A.S.T.A.
Anmerkung d.Ü.: die Homepage von Radio Insurgente ist seit dem 17.11.2004 – dem 21. ‚Geburtstag‘ der EZLN – online:
www.radioinsurgente.org

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