von Christoph Villinger
telegraph #111
Wir befinden uns im Jahr 2004. Und nicht mehr in den 60er Jahren in der alten Bundesrepublik. Und auch lange nicht mehr im Jahr 1986 in der DDR. Zwischen 1968 und heute liegen inzwischen 36 Jahre, das sind mehr Jahre als zwischen dem Ausbruch des Ersten (!) Weltkriegs und dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Und in diesen 36 Jahren hat sich die Welt weitergedreht und damit auch die Zusammensetzung von Macht und Herrschaft. Besonders gilt dies für den Bereich der Medien und Medienöffentlichkeit.
Natürlich sind die meisten Medien auch heute weiterhin Herrschaftsinstrumente, das ist banal. Aber diese Macht wird anders ausgeübt als früher. Dies gilt es zu analysieren und sich den damit verbundenen Fragen und Problemen zu stellen. Aber es ist völlig außerhalb von Raum und Zeit, sich ausgiebig mit längst überholten Kämpfen gegen den Springer-Konzern zu beschäftigen.
Ich möchte dies am Beispiel des Berliner Zeitungsmarktes ein wenig illustrieren. Längst ist der in Berlin herrschende Konzern im Bereich der Print-Medien nicht mehr der Springer-Verlag, sondern die aus Stuttgart stammende „Verlagsgruppe Georg von Holtzbrinck“. Ihr gehören de facto zur Zeit der „Tagesspiegel“, die „Berliner Zeitung“, der „Kurier“, „Tip“ und „Zitty“. Dazu kommt noch die „Zeit“ und das „Handelsblatt“. Dieser Konzern arbeitet schon lange nicht mehr mit einem Patriarchen an der Spitze, der noch in den letzten Kommentar eingreift. Sondern er versucht, möglichst viel Marktsegmente abzudecken und dabei auch eigene Unternehmen gegeneinander in Konkurrenz antreten zu lassen. Hauptsache die Zahlen und damit die Profite stimmen. So ist es durchaus glaubhaft, wenn der Konzern dem „Tagesspiegel“ redaktionelle Autonomie verspricht und nur die Verwaltung mit der „Berliner Zeitung“ zusammenlegen will.
Dieses Modell praktiziert der Holtzbrinck-Konzern schon lange mit den beiden Verlagen Rowohlt und Fischer. Obwohl der Kunde im Buchladen sie als Konkurrenten im linksliberalen Segment des Büchermarktes wahrnimmt, gehören beide seit über einem Vierteljahrhundert zum gleichen Konzern. Nur die Buchhändlerin kennt die „Fischer-Rowohlt-GmbH“. Nach dem Motto „Einer wird übrigbleiben“ werden nun „Tagesspiegel“ und „Berliner Zeitung“ gegen-einander in Konkurrenz gesetzt. Sicher gibt es dabei Vorgaben von der Konzernleitung, welche „Marktsegmente“ vorrangig zu bedienen sind. So soll zum Beispiel der „Tagesspiegel“ sich seit etwa zwei Jahren vor allem auf sein „Kerngeschäft“, die bildungsbürgerlichen Schichten im Westen der Stadt konzentrieren, dabei aber nicht die „jungen Leute“ aus den Augen verlieren. Seit wenigen Monaten hat der „Tagesspiegel“ eine neue Doppelspitze in der Chefredaktion. Stephan-Andreas Casdorff für das westberliner Bürgertum, sowie an seiner Seite Lorenz Maroldt, gut 40 Jahre jung und immer für ein ganzseitiges Interview mit „Fehlfarben“ zu haben. Selbst das zentrale intellektuelle Werk der Antiglobalisierungsbewegung „Empire“ von Toni Negri und Michael Hardt findet man mit einer ausführlichen Besprechung im Blatt. Am 30. Oktober diesen Jahres ist Negri gar eine ganze Seite gewidmet, unter der Überschrift „Der böse Lehrer“ und mit dem Tenor einer „italienischen Karriere“. Zuerst als Staatsfeind im Gefängnis, im Alter schreibt er Bestseller und wird als Prophet gefeiert. Man spürt den Neid, dass nicht Rowohlt die deutschsprachigen Rechte für „Empire“ erworben hatte.
Festzuhalten ist aber vor allem, dass sich die linken Themen sehr wohl im Blatt befinden, nur auf eine Art und Weise aufbereitet werden, dass sich am Charakter des „Tagesspiegel“ als eher liberal-konservatives Blatt nichts ändert. Selbst dass etwa die Hälfte der Redakteure aus dem alternativen Milieu zu Beginn der 80er Jahre stammt, ändert nichts daran, dass im Ergebnis ein konservatives Blatt herauskommt. Diese strukturellen Prozesse in einer Redaktion, und wie heute Nachrichten und Medien aufbereitet werden, gilt es genauer zu untersuchen. Auf keinen Fall lassen sie sich mit Kategorien wie individuellem „Verrat“ beschreiben. Und deshalb greift eine Kritik, die nur von „unterdrückten Nachrichten“ spricht, viel zu kurz. Es geht um das „Wie“. Deshalb bringt es nichts, schon Anfang der 80er Jahre in Frage gestellte Konzepte von Gegenöffentlichkeit neu aufzulegen. Hier bricht immer wieder der alte idealistische Ansatz vieler Linken durch, man brauche nur die richtige Menge Buchstaben in die richtige Reihenfolge zu bringen, und schon entwickle sich bei der Bevölkerung ein entsprechendes Bewusstsein.
Zudem befindet sich der Springer-Konzern auf dem Berliner Markt im freien Fall. Seine Zeitungen haben die höchsten Auflagenverluste in den letzten Jahren, insbesondere „Bild“ und „BZ“. Dies liegt aber nicht daran, dass vielen Berlinern diese Zeitungen zu blöd geworden sind, sondern dass sie überhaupt nicht mehr lesen. Und der „Morgenpost“ stirbt einfach ihr Klientel, der alte Frontstadt-Berliner, weg. Deshalb ist im Augenblick jedes Nachtreten gegen die Springer-Zeitungen verlorene Zeit.
Vielmehr gilt es, sich im Bereich der Medien eigenen Fragen stellen. Als da wären:
1. Das Konzept „Gegenöffentlichkeit“ funktioniert nur so lange, wie es eine „offizielle Öffentlichkeit“ gibt. Solange das „Neue Deutschland“ der Verkünder der einzigen Wahrheit ist, kann man dagegen unterdrückte Nachrichten in Umlauf bringen und diese entwickeln Sprengkraft. Ebenso im Westen, wenn es nur eine sehr „offizielle“ Berichterstattung oder gar die Hetze eines Konzerns gibt. Aber inzwischen bewirkt die Konkurrenz unter den Medien dass sie alle hinter „unterdrückten Nachrichten“ her sind. Die Zeitungen überschlagen sich mit Berichten über Folterungen der US-Armee im Irak, aber auch Berichte über Folter an Rekruten bei der Bundeswehr findet man in allen Medien. Kein Skandal, der nicht ans Licht der Öffentlichkeit gezerrt werden soll. Gerade weil viele Ex-Linke in den Medien arbeiten, funktioniert dies wunderbar.
Trotzdem muss ich hier eine Einschränkung machen: in vielen Redaktionen waren Geschichten rund um den Berliner Bankenskandal schon Jahre vorher bekannt, trotzdem wurde nicht nachgebohrt. Fehlte wirklich nur der stichhaltige Beweis im Unterschied zu umherschwirrenden Gerüchten? Und Landowsky stolperte deswegen über die Spende von 40.000 Mark, weil hier endlich mal was zu beweisen war? Oder war Landowsky vielmehr ökonomisch angezählt, und in diesem Moment verlor er die Aura der Macht, und dann wurde nachgetreten? Wie funktioniert hier „Macht“? Und wie stehen Redaktionen doch auf einmal „Gewehr bei Fuß“, wenn von staatlicher Seite zum Beispiel zu einer Kriegsmobilisierung geblasen wird?
2. Inzwischen ist fast jedes Medium in seinem Ghetto gefangen. Vom strukturellen Problem her unterscheiden sich die Schwierigkeiten des „telegraph“ und des „Tagesspiegel“ kaum. Beide stecken in ihren Milieus fest und schaffen nicht den Sprung über den Tellerrand. Trotz aller Anstrengungen und Millionen-Investitionen in teure Werbekampagnen ist es dem „Tagesspiegel“ nicht wesentlich gelungen, seine Leserschaft zu verbreitern. Er steckt seit Jahr und Tag bei etwa 135.000 verkauften Exemplaren fest. Nicht anders ergeht es meiner Meinung nach dem „telegraph“, der es nicht schafft, das Milieu der ehemaligen linken Opposition in der DDR zu verlassen. Aber keine Sorge: allen Medien geht es so, niemand schafft mehr eine gemeinsame „Benutzeroberfläche für Alle“, d.h. ein Medium auf das sich alle beziehen. Die Medienlandschaft ist völlig fragmentiert. Einzig Indymedia hat es in den letzten Jahren ansatzwei-se zumindest für einen Teil der Linken geschafft, eine gemeinsame Benutzeroberfläche zu schaffen. Dafür kämpft aber Indymedia mit einem großen Qualitätsproblem, weil gewisse inhaltliche und formale Standards nicht durchsetzbar sind. Zum Beispiel die berühmten sechs „W’s“, wer hat wann wo was warum wie gemacht. Und dass eine Meldung von zwei unabhängigen Quellen bestätigt werden muss, bevor man sie veröffentlicht.
3. Wichtig ist auch die Frage, warum mit den vorhandenen Informationen so wenig passiert. Liegt es nur an der medialen Reizüberflutung? Es steht in fast jeder Zeitung, dass die Einführung von ALG II ein riesiger Skandal ist, und trotzdem stehen selbst die direkt betroffenen Menschen nicht auf und kommen auf die Montagsdemos. Sondern schauen lieber die neue Ausgabe von „Brisant“ und RTL- „Explosiv“.
4. Viel zu gerne sieht sich die Linke immer wieder als Opfer, statt das eigene Unvermögen zu thematisieren. Nicht die Macht der Medienkonzerne verhindert den „Aufstand der Bevölkerung“. Sondern wir als undogmatische Linke scheitern, weil wir wenig bis keine Antworten auf die aktuellen gesellschaftlichen Verhältnisse im Jahr 2004 haben. Zur Zeit sind wenig Ideen vorhanden, wie die Buchstaben neu anzuordnen wären. Abgesehen davon, ob – wenn dies gelänge – überhaupt funktionieren würde. Wie schön war dagegen doch die Welt, als „Axel Springer“ an allem schuld war.
Christoph Villinger lebt seit über 20 Jahren in Berlin und arbeitet(e) als freier Journalist unter anderem für die „Jungle World“, „taz“ und für einige Zeit auch für den „Tagesspiegel“.
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