Editorial telegraph #113/114

Vor zwei Jahren erschien der letzte telegraph. Höchste Zeit sich mit einer Printausgabe zurückzumelden. Was sich früher Gegeninformation oder Samisdat, wie die Umweltblätter oder der telegraph, nannte, findet heute überwiegend im World Wide Web statt. Internetplattformen wie
Indymedia, Newsportale und Weblogs bieten Informationen über Informationen, massenhaft. Wir hoffen, dass auch die meisten telegraph- Leserinnen und – Leser inzwischen unsere aktuellen Texte regelmäßig auf www.ostblog.de lesen. Die hohen Besucherzahlen lassen das jedenfalls vermuten. Stellen Weblogs mittlerweile eine kleine Alternative zur Tagespresse oder den meist einseitigen Berichterstattungen in Funk und Fernsehen dar, ersetzen sie doch nicht Zeitschriften und Bücher. Sie eignen sich gut für die schnelle, aktuelle Berichterstattung, aber immer noch weniger gut für Analysen und längere Artikel. Daher sind wir der festen Überzeugung, dass es weiterhin unabhängige Zeitschriften wie den telegraph geben muss. Die Produktion und der Erwerb einer Zeitschrift kostet aber Geld. Der Grund dafür, dass zwei Jahre keine Printausgabe des telegraph erschien, ist genau dort zu suchen, denn entgegen allen Gerüchten über einen wirtschaftlichen „Aufschwung“ befinden sich heute viele Buch- und Infoläden in der Krise. Vor allem, nachdem die Hartz IV-Bestimmungen in Kraft traten, konnten sich viele Menschen so etwas wie ein Zeitschriften-Abonnement nicht mehr leisten, auch viele telegraph-Leser kündigten mit eben der Begründung, „Hartz IV“, ihr Abo.

Es ist an der Zeit Kräfte zu bündeln, um verbliebene Projekte, die weiter als Teil der Opposition gegen die herrschenden Verhältnissen richtig sind, auch in Zukunft zu ermöglichen. Unter anderem mit Hilfe der Initiative Vereinigte Linke, bei der wir uns dafür herzlich bedanken, konnte diese Doppelnummer realisiert werden. Die Artikel der vorliegenden Doppelnummer entstanden in einer Zeit, in der der deutsche Staat zum x.-mal seine Rachegelüste gegen seine politischen Gefangenen aus der RAF manifestierte und ein G8-Gipfel, deren Teilnehmer sich hinter Polizeiketten und Stacheldraht für voraussichtlich 100 Millionen Euro verstecken mussten, in Heiligendamm stattfand. Dazu mehr in diesem Heft. Weiter gibt es unter anderem Texte über die wichtigen Entwicklungen linker Bewegungen in Lateinamerika und über Widerstand und Repression in Italien, über die Waffe des Streiks – gestern und heute, über die Frauen in der Pariser Kommune und darüber, wie sich Teile der DDR-Opposition vor 20 Jahren an globalisierungskritischen Aktionen der radikalen Linken in Westberlin auch in Ostberlin beteiligten.

Es fehlen Texte über 90 Jahre Oktoberrevolution und darüber warum es unwichtig ist, ob der Nationalsozialist Hanns-Martin Schleyer nun von der Roten Armee oder von der Roten Armee Fraktion geholt wurde (30 Jahre Deutscher Herbst). Aber vielleicht sind das ja Themen für die nächste Ausgabe des telegraph – wenn es Eure Solidarität zulässt.

Eure Redaktion telegraph

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