GIPFEL HINTER STACHELDRAHT

von Andrej Holm
aus telegraph #113/114

G8-Gipfel sind auch Großereignisse der globalisierungskritischen Protestbewegungen. Seit einigen Jahren jedenfalls blieb kaum ein größeres Treffen der G8, der Welthandelsorganisation (WTO) oder der Weltbank ungestört. Die Proteste von Seattle 1999 und Genua 2001 stehen für die Höhepunkte der Mobilisierung gegen die neoliberale Globalisierung. Die globalisierungskritischen Bewegungen haben sich über die Gipfelproteste, aber auch über die Sozialforumbewegung zu einem neuen politischen Akteur jenseits der traditionellen Parteien etabliert. Seither versucht die ‚Bewegung der Bewegungen‘ – als amorphe Struktur der spontanen Regelmäßigkeit von Gipfelprotesten – ihre eigenen Erfolge zu kopieren. Auch wenn es nur selten klar benannt wird – jede Gipfelmobilisierung seither misst sich am Erfolg des verhinderten WTO-Auftakttreffens in Seattle und an der eruptiven Widerstandserfahrung von Genua. Beides wurde seither nicht mehr erreicht und eine Spur von enttäuschten Erwartungen und ausgebrannten Aktivist/innen säumt den Wegesrand der vergangenen Gipfel. Erinnert sich noch jemand an die Proteste in Evian 2003? Und wie hieß nochmal der Tagungsort 2005 in den schottischen Bergen? In Genua (2001) aber auch nach Evian (2003) haben die Gruppen, die die Proteste maßgeblich vorbereitet hatten, über Phasen der Enttäuschung, Auflösung und Depression berichtet. Seit der Mobilisierung nach Schottland (20059 nehmen auf den Vorbereitungsveranstaltungen neben der politischen Mobilisierung auch Workshops zum Burn-Out-Syndrom einen festen Platz ein. Je weniger brennende Barrikaden gegen einen Gipfel – so scheint es – desto mehr ausgebrannte Aktivist/innen. In vielen Diskussionen wird längst gefragt, ob dies nur an der mangelnden organisatorischen Verbindlichkeit und Mobilisierungsdefiziten liegt – oder ob nicht die Strategie von Gegen-Gipfel-Protesten selbst zu kurz greift. Ein Blick auf die Mobilisierungskulisse rund um Heiligendamm zeigt, dass es kaum eine regionale Verankerung für die geplanten Proteste gibt. Das allein mag noch kein Mangel sein, deutet aber auf die Schwierigkeiten von linken und globalisierungskritischen Bewegungen über den eigenen Szenerahmen hinaus zu wirken.

Lokales Desinteresse

G8-Gipfel sind immer auch lokale Ereignisse. Seit die Gipfeltreffen aus Gründen der Abschottung und Sicherheit in möglichst rar besiedelten und abgelegenen Gebieten ausgetragen werden, ist der Tross der Welteliten zu Gast an Orten, die sich sonst schon über ganz normalen Tourismus freuen. Entsprechend überfordert gehen die Gastgeber/innen mit dieser Situation um. Für die einen wird das zweitägige Treffen zur Jahrhundertchance der Regionalentwicklung erklärt, andere interpretieren die Gipfeltage als Bewährungsprobe und dritte wiederum scheuen die Verantwortung und wollen mit all dem am liebsten gar nichts zu tun haben. So oder so ähnlich jedenfalls lassen sich die Positionen der politischen Parteien in Rostock und Mecklenburg-Vorpommern beschreiben.

Auf den Webseiten des Landesverbandes der CDU ist gar keine Position zum Gipfeltreffen in Heilgendamm zu finden. Weltpolitik – das wird bei der CDU in Mecklenburg der Basis überlassen. Und wenigstens die direkt betroffenen Kreisverbände nehmen das Thema richtig ernst: Der CDU-Kreisvorstand im Landkreis Rostock appelliert im Zusammenhang mit den G8-Gipfeltreffen an die Bürgerinnen und Bürger, die zu erwartenden Einschränkungen während des Gipfels als Ausnahmesituation zu erachten und mit Gelassenheit zu sehen. „Der Gipfel bietet für unsere Region viele Chancen, auf sich aufmerksam zu machen. Wir sollten patriotisch sein und allen Beteiligten zeigen, dass wir in der Lage sind, solch ein Großereignis würdig und professionell auszurichten“, so Dr. Henning von Storch, der Kreisvorsitzende. Und wenn es schon um Patriotismus geht, dann darf Politik auch wieder Uniform tragen. Wichtigster Partner der CDU beim professionellen Umgang mit dem Gipfel jedenfalls ist die Polizei. Bereits der Newsletter der CDU Rostock lässt zum bevorstehenden Gipfel in erster Linie den KAVALA-Einsatzleiter Knut Abramowski zu Wort kommen und auch die einzige öffentliche Veranstaltung zum Gipfel wird inhaltlich vom polizeilichen Beauftragten für Öffentlichkeitsarbeit getragen, dem Polizeihauptkommissar Jürgen Kofahl. Die „Besondere Aufbau Organisation KAVALA“ wurde bereits im September 2005 eingerichtet und koordiniert die polizeilichen Maßnahmen zum Schutz des Gipfeltreffens.

Auch die Landes-SPD zeigt sich konsequent von ihrer provinziellen Seite. Unter den seit Sommer 2006 als News veröffentlichten Meldungen auf der zentralen Webseite der Regierungspartei finden sich mehr Beiträge zum Thema „Entschädigungszahlungen bei Kündigung von Garagengrundstücken“ als zum bevorstehenden Gipfel. Der Beitrag zum Gipfel verhandelt dann auch ganz lokalpatriotisch die Kostenverteilung zwischen Mecklenburg-Vorpommern und der Bundesregierung. Von den insgesamt veranschlagten 92 Mio. Euro Gesamtkosten will die Landesregierung maximal 33,6 Mio. Euro übernehmen. Da der Bund bisher nur 24 Mio. Euro mündlich zugesagt hat, bleibt eine Lücke von 34 Mio. Euro. Das sind die Kosten für die zusätzlichen Polizeikräfte aus den anderen Bundesländern. Diese werden von den Bundesländern gerne zur Verfügung gestellt – aber eben nur auf der Basis einer Kostenerstattung. Indes ist nicht damit zu rechnen, dass sich durch die Uneinigkeit des föderalen Söldnertums die Zahl der angekündigte 16.000 Polizist/innen deutlich unterschritten wird. Egal wie der Gipfel von Heiligendamm über die Bühne gebracht wird – er wird der größte Polizeieinsatz in der Geschichte der Bundesrepublik in die Geschichtsbücher eingehen. Dem SPD-Kreisverband in Rostock ist an einem Platz in den Geschichtsbüchern ganz offensichtlich nur wenig gelegen – einen Hinweis auf das bevorstehende Großereignis ist auf der Homepage nicht zu finden.

Die Linkspartei konnte ja nach der letzten Landtagswahl noch gerade rechtzeitig zu den Gipfelprotesten in die Oppositionsrolle schlüpfen um diese von dort aus vorsichtig zu unterstützen. Auf der Startseite ihrer Internetpräsenz gibt es einen Link zur ‚NoG8‘-Kampagne der Bundespartei und die stellvertretende Parteivorsitzende und Landtagsabgeordnete Birgit Schwebs müht sich redlich, die Proteste bei der Organisation von Camp-Plätzen und Demonstrationsanmeldungen zu unterstützen. Doch überall dort, wo die Linkspartei noch in der Regierungsverantwortung steht, ebbt das Interesse an der Unterstützung der Proteste deutlich ab. Rostocks Oberbürgermeister Roland Methling zum Beispiel wird in Interviews nicht müde zu betonen, dass auch Demonstrationen gegen den Gipfel zur Demokratie gehören und in der weltoffenen Stadt Rostock jederzeit herzlich willkommen sind – der Verhandlungsgruppe für die Organisation der Camps jedoch zeigte er die kalte Schulter. Er sehe da gar keine Zuständigkeit und überhaupt würde er auch nicht irgendwohin in den Urlaub fahren, wenn er sich nicht vorher um angemessene Übernachtung gekümmert hätte. Letztendlich hat die Stadt Rostock den Gipfelkritiker/innen eine bereits zum Abriss vorbereitete Schule im Neubaugebiet Evershagen und eine Industriebrache am Fischereihafen zur Nutzung angeboten. Wäre ja auch gelacht, wenn sich das weltoffene Rostock da lumpen lassen würde.

Einzig der Tourismusverband und die Handelskammer in Mecklenburg-Vorpommern scheinen mit dem Gipfeltreffen eine Art Jungbrunnen der Regionalentwicklung zu erwarten. Ganz im Gegensatz zur sonst eher zurückhaltenden Art der Küstenbewohner/innen werden in Hochglanzbroschüren und auf Internetseiten die Vorzüge des Landstrichs betont. Die Handwerkskammern haben für die Zeit des Gipfels ein ‚Informationsbüro der Wirtschaft zum G8-Gipfel‘ eingerichtet. Das mehrsprachige Angebot richtet sich an die Gipfelteilnehmer: „Haben Sie Fragen zum Wirtschaftsstandort Mecklenburg-Vorpommern? Möchten Sie Unternehmen aus der Region besuchen? Jede Ihrer Anfragen zur regionalen Wirtschaft wird beantwortet. Wir vermitteln Gesprächspartner aus Industrie, Handel, Handwerk und Wissenschaft sowie wichtige Hintergrundinformationen.“ Fragen zur Wirtschaftsentwicklung hätten sicherlich auch die knapp 285.000 Hartz-IV-Emfänger/ innen oder die 165.000 Arbeitslosen – aber um die geht es im Werbefeldzug der Tourismusbranche weniger. „MV tut gut“ heißt es auf den Werbeplakaten der Landesregierung – nur eben nicht allen.

Linke Kampagnenroutine

Wie kann diese Diskrepanz von politischem Hype auf der einen Seite und regionaler Abstinenz auf der anderen Seite erklärt werden. Oder anders gefragt, wie ist es um die politische Kampagne gegen den Gipfel bestellt, wenn es nicht einmal gelingt, die lokalen Politikakteure aus der Reserve zu locken.

Mit der Mobilisierung gegen den G8-Gipfel verbanden sich für die verschiedenen Spektren der Linken viele Hoffnungen. Globalisierungskritische Bewegungen wie Attac hofften auf eine Popularitätssteigerung der eigenen Organisation, internationalistische Gruppen freuten sich darauf die Themen der Neuen Weltordnung und des neuen Imperialismus endlich wieder auf die Tagesordnung zu heben und die Restverbände der autonomen und linksradikalen Milieus sahen ein Chance auf einen zweiten Frühling und setzten auf Vernetzungsprojekte. Mit der Interventionistischen Linken und dem dissent!-Netzwerk gibt es zwei Strömungen der Organisierung, die eine eigenen Gravitationskraft entwickeln konnten und einen Großteil der organisatorischen Aufgaben der Mobilisierung stemmen. Beide Ansätze haben den Bündnischarakter ihrer Politik, das Streben, über den eigenen Tellerrand hinauszugehen, seit Beginn der G8-Kampagne als Anspruch vor sich her getragen, mit unterschiedlichen Strategien und unterschiedlichen Effekten. Während die Interventionistische Linke als eine Art Kopfgeburt von Zeitungsredaktionen des linken Blätterwaldes und Funktionären der wenigen bundesweit organisierten Strukturen (z.B. libertad!, oder fels) auf eine institutionelle Bündnisarbeit zu NGO, Gewerkschaften und Traditionslinken auf der Kaderebene setzte, orientierte sich das dissent!- Netzwerk an einer hierarchiefreien Unmittelbarkeit gemeinsamer Erfahrungen. In Bezug auf eine lokale und regionale Verankerung führten

beide Ansätze in die Sackgasse. Die Interventionistische Linke fand auf ihrer Suche nach bestehenden Organisationen, politischen Initiativen und Parteien kaum einen lokalen Anlaufpunkt – die wesentlich aus diesem Kreis organisierten Rostock-Konferenzen waren aus Rostocker Perspektive politische Raumschiffe, die sich für jeweils ein Wochenende in der Stadt niederließen. Selbst die für die Rostocker Bevölkerung geplanten Veranstaltungen – extra dafür wurde die Nikolai-Kirche angemietet – wurden fast ausschließlich vom bundesweit angereisten Protestspektrum besucht. Kamerateams der großen Nachrichtensender gaben am Ende der Veranstaltung entnervt die Suche nach Einheimischen auf, die sie eigentlich zu ihren Motiven und Eindrücken befragen wollten.

Doch auch die dissent!-Strategie der direkten Kooperation war nur von geringem Erfolg gekrönt. Bis auf wenige Ausnahmen beteiligt sich die kleinen Politszene in Mecklenburg nicht an der bundesweiten Mobilisierung. Die Rostocker Antifas sorgten mit ihren Auftritten auf dem Vorbereitungscamp CampInski im Sommer 2006 mit ihren latent antideutschen Positionen eher für Verwirrung als für den Beginn einer erfolgreichen Kooperation. Hausprojekte, Landkommunen und auch lokale Initiativen wie das Stadtradio Lohro scheuten aus Angst um ihre langfristige Perspektive den allzu engen Kontakt zu den linksradikalen Gruppen, die für die Proteste mobilisierten. Statt sich mit dem lokalen Wissen in die bundesweiten Strukturen einzubringen setzten sie eher auf eine interne Vernetzung und eigene Projekte. Seltsam entkoppelt von der bundesweiten und auch internationalen Mobilisierung finden in Rostock und Umgebung, Seminare, Veranstaltungen und Diskussionrunden statt. Radio Lohro – organisiert im Zusammenschluss der Freien Radios – beteiligt sich zwar formal an der Medienvernetzung der alternativen Gipfelberichterstattung, hat sich aber von vornherein auf ein inhaltlich anspruchsvolles Projekt (Radio-Forum) versteift und wird letztlich für die Versorgung der tausenden Gipfelgegner/innen mit aktuellen Informationen nur eine eingeschränkte Rolle spielen. Dieses Beispiel steht exemplarisch für die mangelnde lokale Verankerung der Mobilisierung.

Auch die Initiativen der Infotour, bei der international über 300 Veranstaltungen in Vorbereitung auf den G8 in Heiligendamm durchgeführt wurden, konnten eine stärkere Einbindung lokaler Gruppen nicht wirklich erreichen. Stattdessen gründeten Politaktivist/innen aus verschiedenen Städten und Gruppen eine so genannte Polit-WG, um mit einer stärkeren Präsenz vor Ort die organisatorischen Fragen der Protestvorbereitung selbst in die Hand zu nehmen. Der Kontakt zu der Rostocker Politszene war dabei zunächst von einigem Mißtrauen geprägt und auch die von der Polit-WG initiierte Gründung einer Ortsgruppe der Roten Hilfe wurde von den einheimischen Aktiven mit Skepsis betrachtet. So wichtig die Aktivitäten der Polit-WG für die praktische Vorbereitung der Proteste auch waren – mit Blick auf die lokale Verankerung muss der Ansatz einer zeitweiligen Umsiedlung ins Operationsgebiet als Mißerfolg gewertet werden. Dass dies auch daran gelegen haben mag, dass mit einer Ausnahme, keine Ostdeutschen unter den BewohnerInnen der Polit-WG waren, wurde von den Aktiven vehement bestritten. Nur der Vollständigkeit halber sei hier erwähnt, dass auch die sporadischen Aktionstage in der Region – wie Zaunspaziergänge an der Sicherungsanlage rund um Heiligendamm oder die Haustürbesuche der Gipfelgegner (door-knocking genannt) in den Orten rund um die Rote Zone – kaum zu einer Verbreiterung des Protestes beigetragen haben.

Polizeilicher Notstand

Doch die mangelnde Verankerung des Protestes in der lokalen Bevölkerung ist nicht nur die Folge einer selbstbezogenen Mobilisierung der linken Gruppen sondern auch Produkt einer polizeilichmedialen Isolierungsstrategie. Nahezu prototypisch gelang es, den geplanten Protest als eine naturgewaltähnliche Gefahr für die Region aufzubauschen. Sperrzonen und Versammlungsverbote, eingeschränkter Bahnverkehr und Sperranlagen werden in den Lokalmedien weniger als Zeichen einer demokratiebeschränkenden Repression denn vielmehr als Instrumente einer Notfall- oder Katastrophenschutzübung wahrgenommen. Gewarnt von den Medienverzerrungen und polizeilichen Desinformationen befürchten viele Anwohner/innen Schlimmstes. Die Bauern rund um Kröpelin treiben ihre Rinder auf eine extra von der Polizei bewachte Weide, weil sie Angst haben, die Gipfelgegner könnten die Tiere als Kampfmittel benutzen und gegen die Polizeisperren treiben. Händler und Ladenbesitzer werden aufgefordert, ihre Fensterscheiben zu sichern und die Auslagen aus den Schaufenstern zu entfernen – schließlich würden Plünderungen zu den üblichen Ritualen von Gipfelprotesten gehören.

Die bundesweiten Durchsuchungen bei linken Initiativen und Projekten Anfang Mai hatten über den Hebel der Solidarität und ein widerspenstiges „Jetzt erst recht“ in den Kreisen der Politszenen eine mobilisierende Wirkung – in der Öffentlichkeit ist jedoch zunächst sehr erfolgreich ein Link zwischen Gipfelprotesten und Linksterrorismus gelegt wurden. Der Zeitpunkt war nicht nur als Störmanöver in der Hochphase der Vorbereitungsarbeiten für die einzelnen Protestaktionen gut gewählt. Der weitaus größere Effekt besteht in der öffentlichen Wahrnehmung der Proteste. So ist es sicherlich auch kein Zufall, dass mit den selben – juristisch völlig unhaltbaren – Argumenten der Hausdurchsuchungen kurz vor dem Gipfel eine sogenannte Allgemeinverfügung erlassen wurde, die für die Zeit des Gipfels ein faktisches Versammlungs- und Demonstrationsverbot rund um Heiligendamm durchsetzen soll. So wurden etwa die Demonstrationen auf den Straßen verboten, weil die Einsatz- und Rettungsfahrzeuge sonst keine Wendemöglichkeiten hätten – ganze Gebiete werden zur demonstrationsfreien Zone deklariert, weil dort Sprengstoff und Waffen versteckt werden könnten. Zwar hat es nach 1945 mit Ausnahme der bis heute ungeklärten Schüsse an der Startbahn West keine bewaffneten Handlungen im Kontext von Demonstrationen gegeben, doch als Verbotsargument reicht ja bereits eine Militanzvermutung.

Die Erfahrungen von früheren Gipfeln zeigen, dass polizeiliche Panikmache und öffentliche Hetze im Vorfeld den Legitimationsraum für spätere Polizeigewalt legen. Auch in Genua 2001 wurden im Vorfeld des Gipfels absurde Verschwörungstheorien über geplante Attentate lanciert, um die polizeilichen Gewaltausbrüche zu rechtfertigen. Insbesondere für die seit Wochen in einen Ausnahmezustand versetzten und teilweise kasernierten Polizeikräfte suggerieren die Meldungen von geplanten Anschlägen und Hausdurchsuchungen einen kriegsähnlichen Zustand der Freund-Feindwahrnehmung. Insofern stimmt es für die Gipfeltage von Heiligendamm wie selten zuvor – keine Krawalle ohne Polizei.

Alles wie immer?

Heiligendamm 2007 scheint die allgemeinen Rituale einer kampagnenartigen Mobilisierung zu einem Großereignis zu wiederholen – insofern gibt die Mobilsierung kaum neue Anreize für eine linke Politik. Doch auf der anderen Seite ist es von politischer Symbolkraft, wenn die Treffen der selbsternannten Welteliten nicht mehr ohne Proteste denkbar sind. Auch die Antifademonstrationen zu Nazitreffen und NPD-Parteitagen sind längst zur Routine geworden – nicht desto trotz bleiben sie notwendige Interventionen in das politische Tagesgeschen. Insofern steht die Gipfelroutine rund um den G8 in Heiligendamm vor allem für einen Verschiebung der politischen Schwerpunktsetzungen in den letzten Jahren. Die Weltwirtschaft und globale Machtverhältnisse sind nicht mehr nur Spezialthemen kleiner Zirkel sondern sind im Kanon des linken Mainstreams angekommen. Anders als bei früheren Gipfelmobilisierungen wurde 2007 stark darauf orientiert, thematische Verbindungen zu auch sonst verfolgten Schwerpunkten zu finden. Flüchtlingsorganisationen und antirassistische Gruppen mobilisieren zu einem Migrationsaktionstag, Antikriegsinitiativen und Teile der Friedensbewegung organisieren einen Antimilitaristischen Aktionstag und auch das Spektrum von gentechnikkritischen Gruppen und international orientierten Landwirtschaftsinitiativen verknüpfen ihre eigenen Themen ganz bewußt mit der diesjährigen G8-Mobilisierung. Damit greift auch der früher oft formulierte Vorwurf der verkürzten Eventpolitik ins Leere. Die inhaltliche und praktische Mobilsierung wird zum größten Teil von Gruppen und Bewegungen getragen, die auch zwischen den Gipfeln für eine kontinuierliche Praxis stehen. Für diese ist der Gipfel eine wirklich gute Gelegenheit, die eigenen Vorstellungen, Positionen und Aktionsformen zu verbreitern und in einen Austausch mit anderen zu treten – die Gipfelmobilisierung als Jahrmarkt linker Möglichleiten. Insofern wird der Gipfel ganz unabhängig von seinem konkreten Verlauf eine bestetigende und organisatorisch stabilisierende Wirkung auf linke und globalisierungskritische Bewegungen in Deutschland haben. Die Fragen einer politischen Organisierung für grundlegende gesellschaftliche Veränderungen jedoch wird auch vom Gipfelsturm auf Heiligendamm nicht beantwortet werden.

Die im Beitrag beschriebene Bündnisse, die strömungsübergreifend den Protest nach Heiligendamm tragen wollten, haben ihre Feuerprobe am 2. Juni nicht ohne Schaden überstanden. Angeheizt von der polizeilich-medialen Panik über die „schlimmste Straßenschlacht seit Jahren“ konnten Organisatoren wie Attac und die Linkspartei die Distanzierungsstimmen in ihren Reihen nicht mehr zurückhalten. Der mühsam errungene Konsens eines gemeinsamen Widerstandes mit unterschiedlichen Aktionsformen war offenbar nie wirklich Teil ihrer Grundüberzeugungen geworden und 40 Minuten Chaos auf der Fläche eines Fussballfeldes am Rostocker Stadthafen haben ausgereicht, um einen zweijährigen Bündnisprozess über Bord zu werfen.

Erst dass beharrliche Ringen und die teilweise unterwürfige Selbstverleugnung von Vertretern der Interventionistischen Linken und der Block-G8 Initiative haben es geschafft zumindest Teile der anderen Spektren wieder auf eine gemeinsame Linie zurückzuholen. Die erfolgreichen Blockaden der Zufahrtsstraßen am Mittwoch und Donnerstag sind der erfreuliche Ausdruck dieser zurückgewonnenen Gemeinsamkeit.

Dennoch zeigen das Verhalten von Attac- Sprecher Peter Wahl und anderen, dass eine wirkliche Zusammenarbeit nicht erwünscht ist. Bündnispolitik – so die Erkenntniss der Tage in Rostock – scheint eine originär linksradikale Angelegenheit geworden zu sein. Wenn es schon nicht gelungen ist, im Zuge der Mobilisierungen die soziale Verankerung der eigenen Politik zu verbreitern, so hat sich zumindest die Positionen linksradikaler Gruppen innerhalb des Protestspektrums gefestigt.

Andrej Holm, promovierter Sozialwissenschaftler an der Humboldt-Universität, lebt und arbeitet in Berlin, steht der autonomen Linken nahe und hat sich aktiv an der Vorbereitung der Proteste gegen den G8-Gipfel in Heiligendamm beteiligt.

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