BRIEF AUS DER JVA BERLIN-MOABIT

von Andrej Holm
aus telegraph #115

HALLO IHR LIEBEN,

jetzt sitze ich hier im so genannten „Haftraum“ – 1,70 x 4,00 Meter groß – und sehe durch einen Spalt im mehrfach vergitterten Fenster den blauen Himmel über Berlin. Der Sommer scheint zurück, doch ich sitze fröstelnd in meiner Zelle.

Die Abläufe hier sind klar geregelt: 6.20 Uhr ist wecken und wenn ich Müll abzugeben habe oder Anträge stellen will, muss ich es genau jetzt tun. Kurz vor 7.00 Uhr kommt das Frühstück. Vier Scheiben Graubrot und eine große Kelle Tee, die in eine Art Suppenschüssel geschüttet wird. Es reicht für etwa vier Tassen, doch leider wird der Tee viel zu schnell kalt. Um nicht mit trockenem Brot allein abgefrühstückt zu werden, gibt es einmal in der Woche Margarine und einen Becher Marmelade. Das Brot schmeckt mir dennoch nicht und ich lasse es meist liegen. Nächste Woche kann ich eine Einkaufsbestellung mit abgeben und werde mir wohl eine Tüte Müsli gönnen. Der Einkauf wird von meinem „Konto“ hier in Moabit abgezogen. Da ich nicht arbeiten darf, kommt nur das Geld darauf, was von Christina eingezahlt wird.

Ich könnte von diesem Konto aus auch einen Fernseher mieten (für etwas über 15 Euro im Monat, die an eine private Firma in Augsburg gehen) – aber dass ist mir zu teuer und ich bin mit meinem Radio im Augenblick ganz zufrieden. Das Radio ist ein so genanntes Sozialradio und ich musste es – wie fast alles hier – beantragen. Dazu gibt es Vordrucke, auf die dann die entsprechende Forderung oder Bitte oder Anfrage geschrieben wird. Die meisten Anträge jedoch kann ich nicht stellen, weil ich einer besonderen Sicherheitsverfügung unterliege und zu anderen Häftlingen keinen Kontakt haben darf. Die einzigen, die ich regelmüßig sehe, sind die beiden Gefangenen, die mir das Essen reinreichen und die Wärter hier auf der Station. Dazu gibt es noch zwei, die offensichtlich auch den Einzelhaftbedingungen unterliegen, die mit mir zusammen Hofgang machen können. Eine Stunde am Tag.

Die Beamten und auch die Gefangenen hier sind meist ziemlich freundlich und versuchen, mir die die Regeln und Routinen im Knast näher zu bringen. So hat mir eine Wärterin ausführlich erklärt, wie das mit den Anträgen funktioniert und auch geraten, soviel wie möglich zu beantragen – weil man sonst hier drinnen nichts bekäme. Auch mein Doktortitel der ja auf allen Unterlagen steht, gibt mir bei den Beamten einen Exotenstatus. Die eine hat mich mit wirklichem Interesse gefragt, was Sozialwissenschaftler eigentlich machen und war dann ein wenig enttäuscht, dass es doch keine Psychologie zu sein scheint. Ein anderer hat mir erzählt, dass er im Radio von mir gehört habe und auch in der Zeitung stehe was…

Ich selbst versuche mir meinen Tag halbwegs sinnvoll einzuteilen und nicht völlig in der Leere zu versinken. Ich bin gerade HALLO IHR LIEBEN, JVA Berlin-Moabit, 09. August 2007 38 telegraph 115 2007 dabei, das Radioprogramm zu erkunden und spannende Sendungen zu fi nden. Dazu gibt es ein Buch von Chomsky, das ich mit meinen Sachen zusammen bekommen habe. Es hat zwar über 400 Seiten, aber die Hälfte habe ich leider schon gelesen. Zeitungsabos sind beantragt und werden hoffentlich bald kommen. Auch eine größere Büchersendung wird auf den Weg gebracht. Da mir hier drinnen die üblichen Wege für die Informationsgewinnung zu Neuerscheinungen fehlen, wäre es klasse, wenn ihr mir schreiben könntet, wenn es was Wichtiges, Spannendes oder unbedingt Lesenswertes gibt. Irgendwann werden ja auch die Akten kommen, aber nur das zu lesen ist sicher keine wirkliche Freude.

Ich habe gehört, dass es schon viele Leute gibt, die von der Geschichte gehört haben, empört sind und mich in irgendeiner Weise unterstützen wollen. Christina hat mir von eurem Treffen erzählt und von den vielen Reaktionen. Nicht, dass ich damit nicht gerechnet hätte, aber das Gefühl, da draußen nicht vergessen zu sein ist großartig. Solidarität ist ja oft eine eher hohle Phrase, hier im Knast spürst du sie fast physisch. Ich hab sogar ein bisschen geheult, als ich mir versucht habe vorzustellen, wie ihr zusammensitzt und Pläne schmiedet, Aufgaben verteilt und überlegt, wie es weitergehen kann. Gern wäre ich dabei, noch lieber, wenn es nicht um die lästige Repression ginge.

Was mich schon jetzt ärgert ist, dass euch der Brief erst in paar Wochen erreichen wird und meine Stimmung dann eine ganz andere sein kann. Ich hab hier nicht nur unglaublich viel Zeit, sondern alles dauert auch noch sehr lange. Die Dialektik von Raum und Zeit kommt hier voll zur Geltung. Wirklich gebunden an einen knapp 7 qm großen Raum bleibt die Zeit fast stehen – langsamer vergeht sie wohl nur, wenn du krank im Bett liegen musst. Ich habe Virilios Dromologie immer für eine abstrakte Theorie gehalten – hier eingesperrt wird sie ganz plastisch. Aber eigentlich wollte ich gar nicht abschweifen.

Für Absprachen zu Öffentlichkeitsarbeit und Unterstützung sollten wir die Besuche und die Haftbetreuung nutzen. Ich freue mich trotzdem über Briefe hier drinnen, die die Sonne beschreiben, den Staub der Straßen und den Stress im Alltagsleben. Ihr fehlt mir schon jetzt ziemlich fürchterlich. Es scheint etwas völlig anderes zu sein, sich auch mal zwei oder drei Monate nicht zu sehen, wenn man es theoretisch tun könnte, als jetzt nach vier oder fünf Tagen, in denen es so gar nicht geht.

Ich freue mich auf euch. Erst mal zum Besuch hinter der Trennscheibe und bald hoffentlich im wirklichen Leben.

Alles Liebe,
Andrej

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