Politisches Strafrecht in der BRD
von Thomas Klein
aus telegraph #115
Der rigide Antikommunismus in der BRD der Nachkriegszeit prägte das politische Klima des Landes. Angeheizt durch die grotesken Auswüchse des Stalinismus in der SBZ/ DDR, welcher in beiden Teilen Deutschlands unisono als „Kommunismus“ apostrophiert wurde, war dieser Antikommunismus auch und gerade in der immer wieder durch östliche Pressionen tangierten Inselstadt Westberlin stimmungsbildend. Und diese Stimmung schlug sich gravierend auch in der westdeutschen Rechtssetzung auf dem Gebiet politischer Strafverfolgung nieder. Parallel mit der Verwirklichung des Schritts von der Entnazifi zierung zur Renazifi zierung der Justiz in Westdeutschland1 begann 1951 auch die Neukodifi zierung politischer Strafverfolgung. Mit dem im August 1951 in Kraft getretenen 1. Strafrechtsänderungsgesetz wurden die von den Alliierten aufgehobenen bis 1945 im NS-Staat geltenden Normen des politischen Strafrechts für die Bundesrepublik neu geregelt und die Straftatbestände Hochverrat und Landesverrat wieder eingeführt.2 Die mit dem „Blitzgesetz“ 1951 eingerichteten 17 politischen Sonderstrafkammern nebst besonderem obersten politischen Senat beim Bundesgerichtshof in Karlsruhe konnten auch bei dem nun existierenden Straftatbestand Staatsgefährdung sowie bei der Verfolgung von Geheimbündelei ihre Spruchpraxis daran orientieren, dass die Strafrechtsschwelle sehr weit in den Bereich der Vorbereitungshandlungen vorverlegt war. Der § 129 („kriminelle Vereinigung“) versah auch deren „Unterstützung“ durch Nichtmitglieder mit Strafandrohungen. Es handelte sich im Wesentlichen um Organisationsstrafnormen mit starkem Präventionscharakter. Mit anderen Worten: Nicht auf die Ausführung einer Tat oder die subjektive Verfolgung von verfassungsfeindlichen Zielen nach dem Tat- und Schuldstrafrecht, sondern schon auf Äußerungen der Gesinnung kam es an, sofern diese Ähnlichkeiten mit Positionen von nach diesem politischen Strafrecht geächteten politischen Organisationen aufwiesen.3 Die Stoßrichtung dieses Präventivstrafrechts als namentlich gegen Kommunisten und nicht (wie damals viele annahmen) gegen ein Wiederaufflammen von NS-Bestrebungen gerichtet, erschließt sich natürlich nicht nur aus der neuerlichen Indienststellung von früheren NS-Beamten und Naziparteiaktivisten in den Ministerien der Bonner Republik, sondern vor allem vor dem Hintergrund des Kalten Krieges auch der beiden deutschen Staaten gegeneinander.
Bundeskanzler Adenauer beantragte noch im November 1951 die Feststellung der Verfassungswidrigkeit der KPD. Die „Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes“ (VVN) wurde in der BRD als „radikale Organisation“ eingestuft und ihre Mitglieder wurden bereits seit September 1950 von Tätigkeiten im öffentlichen Dienst ausgeschlossen. Im Februar 1951 tauchte im Zusammenhang mit einem Beschluss der Bundesregierung telegraph 115 2007 29 über den Ausschluss KPD-naher wirtschaftlicher Unternehmungen von Aufträgen der öffentlichen Hand erstmals die Qualifi zierung „verfassungsfeindlich“ auf: „Als verfassungsfeindlich sind Organisationen anzusehen, die von der Bundesregierung öffentlich als solche bezeichnet werden.“4 Das FDJ-Verbot und das Verbot des Rates der VVN erfolgten im Sommer 1951. Das in Frankfurt/Main eingerichtete gesamt deutsche Büro des Rates der VVN wurde am 2. August 1951 unter Einsatz von Polizei geschlossen.5 Beide Organisationen blieben gemäß den durch den Berlin-Status geschaffenen Hürden in Westberlin legal. Doch auch die Westberliner VVN-Mitglieder waren ebenso wie dortige Mitglieder der SED nicht selten massiven Diskriminierungen durch die Behörden ausgesetzt. 6 Die Stoßrichtung der Verbotswellen richtete sich auch gegen die damals äußerst populären Ausschüsse zur Volksbefragung gegen die Remilitarisierung, in denen KPD und FDJ eine bedeutende Rolle spielten. In der BRD wurden im April 1954 Organisationsverbote für 35 Gruppierungen rechtswirksam. 7
Im August 1956 entschied das Bundesverfassungsgericht (BVerG) auf Verbot der KPD rückwirkend ab 1951 als verfassungswidrig.8 Ihre Mitglieder wurden aber bereits seit 1951 gemäß § 129 strafrechtlich verfolgt – ab 1956 nun also auch rückwirkend wegen der Mitgliedschaft in einer verfassungswidrigen Partei. Erst nach dem KPD-Verbot entschied das BVerG, dass legale Parteien bis zu deren Verbot wegen des Parteienprivilegs keine „kriminelle Vereinigungen“ sein können. Schon vor 1956 und später wurden ca. 1.500 Mitglieder der FDJ zu teilweise hohen Zuchthausstrafen verurteilt.9 Die hauptsächlich gegen Kommunisten, aber auch massenhaft gegen in deren politischer Nähe geargwöhnte Personen angewandte politische Strafverfolgung nahmen in der Bundesrepublik Richter vor, welche sich zu etwa 80% bereits in Staats- und Justizdienst des 3. Reiches betätigten. In schätzungsweise 125.000 bis 250.000 Ermittlungsverfahren wurden von den ca. einer halben Million in sie verwickelten Bundesbürgern bis 1968 etwa 7-10.000 durch die politischen Sonderstrafkammern verurteilt.10 Geäußerte gedankliche Übereinstimmung mit tagespolitischen Nahzielen der KPD reichte bereits für eine Anklage auch gegen Nicht-Mitglieder dieser Partei. Damit hatte der Antikommunismus sowohl politisch als auch hinsichtlich des Umfangs der strafrechtlichen Verfolgung den konstitutiven antinazistischen Konsens der unmittelbaren Nachkriegszeit gründlich abgelöst. Im Ausmaß und in der Härte staatlicher Verfolgung von zu Systemgegnern erklärten Personen wurde die BRD in Deutschland jedoch immer noch von der DDR übertroffen.11 Die grundrechtswidrige sogar rückwirkende Bestrafung der Aktivitäten von KPD-Mitgliedern wurde erst 1961 vom BVerG gestoppt.
Das KPD-Verbot war ein Alleinstellungsmerkmal der BRD im Verbund der westeuropäischen Demokratien, ansonsten nur in den faschistischen Diktaturen Spaniens und Portugals sowie in der Türkei in Kraft. Mitunter wird es erklärt durch das Alleinstellungsmerkmal der Frontlinien des Kalten Krieges in Gestalt deutscher Zweistaatlichkeit mit dem sowjetischen Satelliten DDR und ihrer SED unmittelbar auf der „anderen Seite“ und der KPD als ihrem Stützpunkt inmitten der BRD12 – natürlich eine ganz andere Begründung, als die Einschätzung der Verfassungswidrigkeit der KPD selbst. 30 telegraph 115 2007 Für deren Nachweis war der Beweis ihrer Fremdsteuerung gar nicht erforderlich und wurde auch nicht geführt. Natürlich kam die erwähnte politische Begründung den eigentlichen Antrieben für das Verbot näher als die verfassungsrechtliche.
Abgesehen von der Tatsache, dass der steile Abstieg der KPD in die Bedeutungslosigkeit seit 1951 schon vor ihrem Verbot 1956 auch aus der Sicht der Staatsschützer eine derartige Gesinnungsjustiz eigentlich höchst überfl üssig erscheinen lassen musste und die politische Spruchpraxis sowie das KPDVerbot die demokratische Verfassung sowie die politischen Freiheiten und die Rechtssicherheit in der BRD mehr beschädigten und bedrohten als schützten, kann wohl nicht bestritten werden, dass die enorme Zahl von Verfahren und die so entstehende Glaubwürdigkeit der Drohkulisse ihrem Zweck durchaus gedient hatte. Nicht unterschätzt werden darf jedoch auch der beträchtliche internationale Rufschaden, welcher entstand, weil ehemalige hochrangige NSJuristen sowie Nazi-Blutrichter nun wieder an Aburteilungen von Kommunisten oder des Kommunismus Verdächtigen in der BRD mitwirkten.13 So erfolgte in der Regel auch keine vorzeitige Haftentlassung, da gerade bei schon während der NS-Zeit Inhaftierten und danach wieder wegen kommunistischer Betätigung Verurteilten davon ausgegangen wurde, sie würden neuerlich ihre Tätigkeit auch nach der Haftverbüßung fortsetzen.
Das KPD-Verbot behinderte natürlich jegliche praktische Entspannung namentlich gegenüber der DDR, deren Politiker, Verbandsfunktionäre, sogar Sportler, bei Westeinreise mit Verhaftungen zu rechnen hatten und umgekehrt Bundesbürgern Kontakte beim Ostbesuch etwa anlässlich von FDGB-Veranstaltungen zum Verhängnis werden konnten. 14 Ebenso erzwangen beispielsweise die geltenden Staatsschutzgesetze 1964 die Ablehnung des von Ulbricht listig vorgeschlagenen „Zeitungsaustauschs“ (Vertrieb westdeutscher Zeitungen in der DDR, wenn im Gegenzug das „Neue Deutschland“ in der BRD vertrieben werden dürfe) durch die Bundesregierung.
Antikommunismus im Zeitalter der Entspannung: Ein Anpassungsproblem
Der Wandel des politischen Klimas während einer sich langsam abzeichnenden ostpolitischen Wende schon in der Zeit der Großen Koalition fand in der Bundesrepublik der 60er Jahre sichtbaren Ausdruck auch in Modifikationen ihres politischen Strafrechts und in der Neugründung der 1956 vom Bundesverfassungsgericht verbotenen KPD. Das Gesinnungsstrafrecht wurde nach 1966 entschärft; ebenso wurde 1968 der Straftatbestand Geheimbündelei abgeschafft. Seit 1966 zogen die Regierungsparteien offensichtlich in Zweifel, ob die damalige KPD-Verbotsentscheidung den ehemals erwarteten politischen Nutzen noch erbrachte. Vor allem der UdSSR sollte signalisiert werden, dass die Bereitschaft vorhanden war, die Schützengräben des Kalten Krieges zu verlassen. Wegen der nach Ansicht der CDU-SPD-Koalition aus Rechtsgründen verschlossenen Aufhebung des KPD-Verbots führte der Weg über die Parteineugründung15 und so zur Bildung der Deutschen Kommunistischen Partei (DKP) im Jahre 1968 – eine Partei, die sich in ihrem Agieren so offensichtlich als Nachfolgeorganisation der KPD kenntlich machte, dass sie eigentlich sofort hätte verboten werden müssen. Die Unterlassung dessen aus telegraph 115 2007 31 politischen Opportunitätsgründen ist (wie zuvor das KPD-Verbot selbst) ein Lehrstück funktionaler Interdependenz regierungs- und rechtspolitischen Handelns. Die sozialliberale Koalition unter Willy Brandt ging seit 1969 in einer innenpolitischen Atmosphäre langsam abflauenden Antikommunismus mit seiner neuen Ostpolitik weitere große Schritte in Richtung Entspannung mit den alten Kalten- Kriegs-Gegnern und insbesondere mit der DDR. Die Beziehungen zur DDR sollten seit der Wende bundesdeutscher Ostpolitik hin zur Entspannung und Normalisierung der Beziehungen zur UdSSR und zu Polen Anfang der 70er Jahre durch den „Grundlagenvertrag“ von 1972 geregelt werden.
Während also außenpolitisch die Zeichen auf Öffnung und Entspannung zum Osten standen, sollte innenpolitisch offenbar der potentiellen Bereitschaft zur gesellschaftlichen Akzeptanz von als links oder kommunistisch apostrophierten Vereinigungen entgegengewirkt werden. Doch das von der CDU im Oktober 1971 unbeirrt geforderte DKP-Verbot kam außenpolitisch äußerst ungelegen. Andererseits gab es inzwischen aber nicht mehr nur die in Westberlin verinselte SEW und den in seiner vermeintlichen Harmlosigkeit zu tolerierenden neuen alten SED-Satelliten DKP: Auch die Anfang der 70er Jahre in K-Splittergruppen versammelten Aktivisten der versandenden APO und Studentenbewegung waren inzwischen ins Bild getreten16 und die links politisierten Universitätsabsolventen drängten in den öffentlichen Dienst. Sowohl ein Kompromiss mit der strikt antikommunistischen CDU ohne Schaden für den ostpolitischen Kurs als auch eine aktive Innenpolitik im Sinne der „Gefahrenabwehr von links“ war gefragt, damit im Schatten der Ostpolitik keine Zweifel am antikommunistischen inneren Konsens aufkommen konnten. Als erste setzten SPD und Gewerkschaften Zeichen: Im November 1970 forderten Unvereinbarkeitsbeschlüsse den Ausschluss von Mitgliedern, die mit Kommunisten zusammenarbeiteten.17
Eine erneute Konjunktur rechtssetzenden Regierungshandelns begann nunmehr im Einvernehmen mit der CDU in Gestalt von Berufsverbotsverfügungen. Sie verdeutlichten die Grenzen des berühmten Slogans „mehr Demokratie wagen“ von Bundeskanzler Willy Brandt am Problemfall der innenpolitischen Auseinandersetzung mit linksgerichteten Herausforderern sowie mit der doktrinären Satellitenpartei DKP und ihren Bündnisorganisationen, zu denen auch die SEW gehörte. Über die infolge von Strafverfahren nach dem KPD-Verbot früher verfügten berufl ichen Einschränkungen hinaus18 erfolgten seit 1971 (zuerst durch den Hamburger SPD-Senat gestartet und gegen ein DKP-Mitglied gerichtet) erste Entlassungen im öffentlichen Dienst und die Ablehnung von Einstellungen, Beförderungen, Verbeamtungen bzw. Berufungen wegen Zweifeln an der Verfassungstreue. Bundeskanzler Brandt und die Ministerpräsidenten der Länder beschlossen dann im Januar 1972 die Einzelfallprüfung der Verfassungstreue von Beamten und Bewerbern für den öffentlichen Dienst („Radikalenerlass“); anfangs durch Regelanfragen beim Verfassungsschutz. Dabei wurde nicht nach verfassungswidrigem Tun, sondern massenhaft (in schätzungsweise bis zu 3-4 Millionen Fällen) nach in diesem Sinne verdächtiger Gesinnung geforscht, wobei „begründete Zweifel“ bereits die Beschäftigung „in der Regel“ verhinderten.19 Diese Atmosphäre von Gesinnungsschnüffelei setzte natürlich 32 telegraph 115 2007 Maßstäbe für den gesellschaftlichen Normalzustand der Zivilcourage. Jene im demokratischen Westeuropa einmalige und hauptsächlich gegen „Linke“ angewandte Praxis führte sogar zur sprachlichen Immigration des Reizwortes, etwa ins Französische: „le Berufsverbot“.20 Willy Brandt bezeichnete schon 1976 die Verfügungen als Irrtum und Peter Glotz 1978 als „größten Fehler“.21 Anhaltende (auch internationale) Proteste führten 1995 zur Ächtung solcher Berufsverbote durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte und zur Verurteilung dieses Vorgehens durch die Internationale Arbeitsorganisation ILO. Inzwischen ist immerhin die Regelanfragepraxis überall beendet und durch die Bedarfsanfrage beim Verfassungsschutz ersetzt worden.
Die Reichweite der nun folgenden Antiterrorgesetzgebung im „deutschen Herbst“ und bestimmter Sondergesetze zur Einschränkung anwaltschaftlicher Rechte führt bis in die Gegenwart. Die Staatsschutzgeschichte des § 129 – Strafdrohung wegen Bildung bzw. des Versuchs der Bildung einer kriminellen Vereinigung, die Mitgliedschaft in ihr oder deren Unterstützung bzw. (seit 1964) auch die Werbung für sie22 – reicht von seiner wichtigen Rolle bei der Kommunistenverfolgung bis in die 60er Jahre hinein über dessen neue Facette in Gestalt des auf terroristische Vereinigungen wie die RAF zugeschnittenen § 129a aus dem Jahr 1976 bis hin zu dessen Anwendung auf zeitgenössische militante politisch-soziale Bewegungen und Gruppierungen (Anti-AKW-Bewegung, Hausbesetzerszene, bestimmte Antifa- und globalisierungskritische Initiativen u. ä.) seit den 80er Jahren sowie rechtsextremistische Formationen. Bereits im Dezember 1974 wurde im Vorfeld des Stammheim-Prozesses gegen die RAF der Verteidigerausschluss erleichtert, die Mehrfachverteidigung verboten und über den „Hungerstreikparagraphen“ die Prozessdurchführung auch ohne den Angeklagten ermöglicht. 1976 wurde gesetzlich die Kontrolle der Verteidigerpost eingeräumt und im September 1977 mit dem „Kontaktsperregesetz“ der Weg zur zeitweiligen Unterbindung jeden Kontakts des Angeklagten mit seinem Verteidiger eröffnet. Diese zweifellos auf die RAF-Prozesse zugeschnittenen Regelungen sind aber heute noch in Kraft. Beide Normen zur kollektivstrafrechtlichen Ahndung von Organisationsdelikten wurden und werden zuweilen extensiv ausgelegt, wobei etwa schon Meinungsäußerungen den Tatbestand der Werbung erfüllen konnte (verbale „Taten“ von „Sympathisanten“)23 und so das Gesinnungsstrafrecht erneut Auftrieb erhielt. Für den § 129a wurde 1987 der Terror-Straftatenkatalog (u. a. auf die Störung öffentlicher Betriebe) ausgeweitet. Und letztlich machen die Ermittlungsermächtigungen des §129a (Überwachung der Brief-, Fernmelde- und anderer Kommunikation, erweiterte Beschlagnahme- und Durchsuchungsbefugnisse, U-Haft ohne weiteren Haftgrund, Sonderhaftbedingungen, Razzien und Schleppnetzfahndung usw.) diesen zu einem Sonderstrafrecht und zu einem „Ermittlungs- und Ausforschungsparagraphen“, wobei die federführende Bundesanwaltschaft sich über das Bundeskriminalamt geheimdienstliche Erkenntnisse namentlich des Verfassungsschutzes zunutze macht. Der politisch gewollte Mehrwert solcher Ermächtigungen zielt auf die (geheimdienstliche) Ausforschung und Verunsicherung des politischen Umfelds von als staatsfeindlich eingeschätzter Vereinigungen – kaum angewandt auf rechtsextremistische, umso mehr gegen linke Gruppierungen. telegraph 115 2007 33 Das Ensemble staatsschutzrechtlicher Ermächtigungen, zu denen auch die damals heftig umstrittenen Notstandsgesetze von 1968 mit ihrer Einsatzoption der Streitkräfte im Inneren gehört, wird heute durch versuchte bzw. vollendete gesetzgeberische Weiterungen wie der Aushöhlung des Trennungsgebots zwischen den verschiedenen Geheimdiensten und der Polizei (z. B. mittels der „Anti-Terror-Datei“) sowie der informationellen Selbstbestimmung („Großer Lauschangriff“, die für 2007 in Aussicht genommene Vorratsdatenspeicherung sowie die noch grundgesetzwidrigen Anstrengungen zur Legalisierung geheimdienstlicher Ausspähung von Computerdaten ohne richterliche Genehmigung) komplettiert.
1 Die Entnazifizierung auf Grundlage des alliierten Kontrollratsgesetzes
Nr. 4 (1945) und der Kontrollratsdirektiven Nr.
24 und 38 (1946) scheiterte 1947/48 in Westdeutschland mit
deren Übertragung an die Behörden der deutschen Länder:
Bis auf wenige Hauptbelastete diffundierten ehemalige Regimestützen
in die Gruppe der „Entlasteten“. Im Mai 1951
eröffnete das Gesetz zur Regelung der Rechtsverhältnisse
ehemals öffentlich bediensteter und nicht als „schuldig“
eingestufter Nationalsozialisten (das „131er Gesetz“) einen
Rechtsanspruch auf Wiedereinstellung. Nunmehr gelangten
in großer Zahl ehemalige NS-Beamte, Nazi-Richter und
–Staatsanwälte, die im Rahmen der Entnazifizierung entlassen
worden waren, wieder in hohe Staatsdienstfunktionen der
neuen Bundesrepublik.
2 Maßgeblich beteiligt an der Ausarbeitung dieser Normen
war der vormalige Regierungsrat im NS-Justizministerium
Dr. Josef Schaffheutle, danach Ministerialdirektor im Bonner
Justizministerium, der im NS-Staat unter anderem an der
„Verordnung über die Bildung von Sondergerichten“ mitwirkte.
Volksgerichtshofpräsident Roland Freisler nannte diese
Sondergerichte 1939 die „Panzertruppe der Rechtspflege“
gegen Regimegegner. Hans Daniel, Tief im Graben des
Kalten Krieges, Junge Welt vom 24.5.2005.
3 Ebenda.
4 Eckehard Lieberam, Vereinigungsverbote vor und nach dem
KPD-Verbot, in: KPD-Verbot oder mit Kommunisten leben?
Historisch-rechtspolitisches Kolloquium des Parteivorstandes
und der Bundestagsgruppe der PDS am 17. August 1996 in
Bonn, Bonn 1996, S. 91.
5 In der DDR wurde 1953 die VVN bezeichnenderweise als aus
der Sicht der SED-Parteiführung politisch unzuverlässig und
schwer kontrollierbar aufgelöst. Thomas Klein, „Für die Einheit
und Reinheit der Partei“. Die innerparteilichen Kontrollorgane
der SED in der Ära Ulbricht, Köln 2002, S. 168ff.
6 Es wurden beispielsweise Anträge von Bedürftigen aus den
Reihen der VVN oder der SED auf Gewährung zinsloser Darlehen
zur Möbelbeschaffung von Westberliner Bezirksräten
mit folgender Ablehnung beschieden: „Gemäß §2 Absatz 1
Ziffer 3 des zu erwartenden Gesetzes über die Entschädigung
der Opfer des Nationalsozialismus sind Sie als Anhängerin
eines totalitären Systems von jeglicher Entschädigung
ausgeschlossen.“ In einem anderen Brief in der gleichen
Angelegenheit zögerte man nicht, Opfer des Naziregimes,
die der SED angehörten, mit ihren ehemaligen Peinigern
gleichzusetzen: „Aus den hier vorhandenen Unterlagen
geht deutlich hervor, dass Frau S[…] Mitglied der SED sowie
Funktionärin dieser Partei ist … Die politische Einstellung der
Frau S[…] ist somit eindeutig erwiesen. Über die Totalität des
Systems, dessen Anhängerin Frau S[…] ist, dürfte ebenfalls
kein Zweifel herrschen, zumal in jüngster Zeit von der sogenannten
Volksjustiz der Ostzone gefällte Terrorurteile, die
stark an das nationalsozialistische Regime erinnern, einen
deutlichen Beweis hierfür erbracht haben. Wir weisen zudem
darauf hin, dass auf die Gewährung eines Möbeldarlehens
kein Rechtsanspruch besteht.“ Die hier zitierten Briefe des
Bezirksamts Neukölln von Groß-Berlin, Abteilung Sozialwesen,
vom Januar und Februar 1951 sowie weitere Briefe zur
Abwehr von Ansprüchen aus der Umwertung von Wiedergutmachungsforderungen
wegen erlittener Nazihaft bzw. zur
Verweigerung der Arbeitslosenunterstützung aus Gründen
der offensichtlich verfolgungsbedingten Arbeitsunfähigkeit
von Antragstellern wurden im Rahmen einer Untersuchung der
Berliner VVN durch die SED-Parteikontrollorgane übergeben.
Teilbericht der Untersuchung der Berliner VVN am 13.2.1951,
SAPMO-BArch, DY 30, IV 2/4/261, Bl. 60ff.
7 Vgl. dazu: Alexander Brünneck, Politische Justiz gegen
Kommunisten in der Bundesrepublik Deutschland 1949-1968,
Frankfurt a. M. 1978; Dieter Posser, Anwalt im Kalten Krieg.
Ein Stück deutscher Geschichte in politischen Prozessen
1951-1968, München 1991.
8 Die KPD, welche im parlamentarischen Rat an der Ausarbeitung
des Grundgesetzes mitgewirkt hatte, konnte als
parlamentarische Partei kaum als verfassungsfeindlich überführt
werden, auch wenn sie im parlamentarischen Verfahren
letztlich gegen das Grundgesetz stimmte. Da sie sich politisch
im Rahmen des Grundgesetzes bewegte, musste ihr Verbot
also als „verfassungswidrige“ Partei herbeigeführt werden.
Weil der KPD durch das BVerG revolutionäre Absichten
bescheinigt wurden, sei diese nach deren Auffassung selbst
dann „verfassungswidrig … wenn ihr nicht nachzuweisen
wäre, dass die konkreten materiellen Ziele … ihrem Inhalt
nach verfassungswidrig sei“. Wolfgang Gehrke, Zur geschichtlichen
Einordnung des KPD-Verbots, in: KPD-Verbot,
S. 11f. Nicht grundgesetzwidriges Handeln, sondern die
Einschätzung zugemessener politischer Absichten bildete
damit die Grundlage des Verbots. Die KPD selbst hatte
noch nach dem Verbotsantrag mit ihrem Parteiprogramm
34 telegraph 115 2007
und der dort enthaltenen Rhetorik vom „Sturz des Adenauer
-Regimes“ der dann erfolgenden Verbotsentscheidung
Vorschub geleistet.
9 So wurde der NRW-Landtagsabgeordnete und westdeutsche
FDJ-Vorsitzende Josef („Jupp“) Angenfort zu fünf Jahren
Zuchthaus wegen Vorbereitung zum Hochverrat verurteilt
und nach seiner Haftverbüßung erneut wegen Betätigung
für die KPD angeklagt. Bis 1955 wurden im Kontext des
FDJ-Verbots über 35.000 Ermittlungsverfahren eingeleitet,
ca. 6.000 Jugendliche verhaftet und in 425 Prozessen zu
1.029 Jahren Haft verurteilt. Ellen Weber, Kritik der Kommunistenverfolgung,
in: KPD-Verbot, S. 19.
10 Daniel 2005; Christoph Seils, Geist der NS-Zeit, Die Zeit
vom 17.8.2006. Die Gesinnungsjustiz in der DDR führte in
40 Jahren zu etwa 78.000 rein politisch motivierten Verurteilungen
mit weitaus höheren Strafmaßen, als in der BRD.
Jörg Arnold, Strafgesetzgebung und -rechtssprechung als
Mittel der Politik in der DDR, in: ders., Die Normalität des
Strafrechts in der DDR, Freiburg i. B., 1995, S. 11. Die enorme
Zahl politisch motivierter Ermittlungsverfahren in der BRD
und die im Vergleich dazu „geringe“ Zahl von Verurteilungen
illustriert den überwiegend präventiven (auf Einschüchterung
angelegten) und auf Ausforschung orientierenden Charakter
des politischen Strafrechts, während das politische Strafrecht
in der DDR (wo die Verhältnisse ganz anders lagen) lange Zeit
ihren systemstabilisierenden Charakter als abschreckende
Terrorjustiz exekutierte.
11 Was die westdeutsche KPD betrifft, so wurde, noch bevor
in der BRD ab 1956 massenweise Kommunisten verhaftet
wurden, bereits 1950 der zweite Vorsitzende der KPD, Kurt
Müller, nach Ostberlin gelockt, inhaftiert und von den Sowjets
zu 25 Jahren Zwangsarbeit verurteilt. Auch sein Nachfolger,
Fritz Sperling, wurde ein Jahr später ebenfalls in der DDR
verhaftet und erhielt 1955 sein Urteil von 7 Jahren Zuchthaus.
Beide mit absurden Anklagen überzogen, dienten sie und
andere westdeutsche KPD-Funktionäre lediglich als Schaustücke
revolutionärer Wachsamkeit der stalinistischen SEDParteiführung.
Die gebeutelte KPD-Parteiführung, diesen
Aderlass feige-opportunistisch über sich ergehen lassend,
sah nach dem bundesdeutschen KPD-Verbot, in das sie die
SED-Führung zynisch-berechnend hineinstolpern ließ, ihre
geschwächte, nun illegale und von der bundesdeutschen
Justiz verfolgte Partei dann nur noch als Propagandaobjekt
der SED-Westagitation in Dienst gestellt. Wer also das
KPD-Verbot anklagt, darf nicht zur noch härteren Verfolgung
jeder tatsächlichen oder vermeintlichen Opposition in der
stalinistischen und poststalinistischen DDR schweigen.
12 Der Beschluss des Verbotsantrags der von Adenauer
geführten Koalitionsregierung vom 16.11.1951 sah die KPD
als „im Rahmen eines von den Machthabern in der Sowjetzone
entworfenen und seit Jahr und Tag durchgeführten
Angriffsplanes“ handelnd, die daher „von der weiteren
Beteiligung an der politischen Willensbildung in der Bundesrepublik
ausgeschlossen werden“ müsse. Bulletin des
Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung Nr.
10, 17.11.1951, S.61.
13 So stand der ehemalige Senatsrat am Reichskriegsgericht
und Wehrmachtschefrichter im okkupierten Dänemark
Ernst Kanter nach 1958 an der Spitze ausgerechnet des
3. (politischen) Strafsenats beim Bundesgerichtshof und
war damit in erster und letzter Instanz für alle Hoch- und
Landesverratsdelikte zuständig. Daniel 2005. Der ehemalige
Ankläger in politischen Strafsachen am NS-Sondergericht
Kattowitz, Karl-Heinz Ottersbach, dort Antragsteller für diverse
Todesurteile, und der ehemalige NS-Kriegsgerichtsrat in
Strassburg, Konrad Lenski, beteiligt an Todesurteilen gegen
französische Partisanen, konnten sich wieder als Staatsanwalt
für politische Strafsachen bzw. sogar als Landgerichtsdirektor
am berüchtigten Landgericht Lüneburg betätigen.
Bei diesem Gericht durften sich angeklagte Kommunisten
zuweilen anhören, sie hätten aus ihrer Inhaftierung zwischen
1933 und 1945 „nichts gelernt“. Seils 2006.
14 Vertreter von Organisationen aus der DDR – in der BRD
per se als „kommunistisch“ eingestuft – agierten in Westdeutschland
als Funktionäre einer „Ersatzorganisation“ und
waren zu verfolgen.
15 Die Aufhebung des KPD-Verbots war natürlich aus nahe
liegenden Gründen die Vorzugsoption der KP-Antragsteller im
Kampf um die funktionelle Wiederbelebung ihres Apparats.
Der Kunstgriff einer Neugründung war eine Empfehlung des
sozialdemokratischen Bundesjustizministers Gustav Heinemann
gegenüber den Betreibern der KP-Wiedergeburt.
16 Die K-Gruppen brachten es bereits 1970 auf rund 11,2
Millionen gedruckter Exemplare ihrer Politik- und Theorieorgane.
1971 waren in ihnen angeblich etwa 70.000 Mitglieder
organisiert. Gerd Langguth, Protestbewegung. Entwicklung,
Niedergang, Renaissance – Die neue Linke seit 1968. Köln
1983, S.31, 57. Der Verfassungsschutz zählte Mitte der 70er
Jahre rund 15.000 Mitglieder von K-Gruppen.
17 Beispielsweise büßte der JUSO-Vorsitzende Klaus Uwe
Benneter deshalb 1977 (auf Betreiben Egon Bahrs) zeitweilig
seine SPD- und JUSO-Mitgliedschaft ein, weil er als
Verfechter der Stamokap-Theorie die DKP als potentiellen
Bündnispartner ansah. Parteiausschlüsse wegen „Unvereinbarkeit“
praktizierte die SPD jedoch schon viel früher: Als
in der sozialdemokratischen Studentenorganisation SDS
Mitte der 50er Jahre zunehmend Kritik an der Wiederbewaffnungspolitik
sowie am Godesberger Programm der SPD
geübt wurde, erklärte die SPD 1961 die Unvereinbarkeit der
SDS-Mitgliedschaft einschließlich ihrer Sympathisanten mit
der in der SPD. Von den prominenten SPD-Mitgliedern, die
deshalb aus ihrer Partei entfernt wurden, soll hier Wolfgang
Abendroth genannt werden.
18 Die erste Welle von Berufsverboten in der BRD datierte
allerdings bereits vom September 1950 mit dem „Adenauererlass“,
welcher die Verfassungstreue öffentlich Bediensteter
festschrieb und mit dem Mitglieder von 10 KPD-nahen Organisationen
und der damals noch nicht verbotenen KPD beruflich
diskriminiert wurden. Beatrice Vierneisel, Die Volksbefragung
195, Deutschlandarchiv (DA) 3/2007, S. 440.
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19 Nach den Erhebungen der Initiative „Weg mit den Berufsverboten“
und den Erkenntnissen des Untersuchungsausschusses
der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO)
gab es 35.000 Mitteilungen des Verfassungsschutzes an
Einstellungsbehörden über vorliegende „Erkenntnisse“.
Neben Bewerbungsablehnungen, Entlassungen, Disziplinarverfahren
und Anhörungen führte all dies zu ca 10.000 Berufsverbotsmaßnahmen,
die (bis auf 1.000) unter öffentlichem
Druck wieder zurückgenommen wurden. Klaus Dammann,
Politische Justiz, in: Horst Bethge u. a. (Hg), Gutachten zur
Lage der Demokratie in der Bundesrepublik Deutschland
1989, S. 73. Abgesehen von der hohen Dunkelziffer bleibt
hier ein Anteil von Organisationskadern unberücksichtigt, die
von den Treuepflicht-Regelungen des öffentlichen Dienstes
betroffen waren. Patrick Moreau ermittelte allein bei der DKP,
die anders als diverse K-Gruppen viel weniger von den Berufsverbotsfolgen
betroffen war, etwa 1.500 Mitglieder ihres
„harten Kerns“, die unter den Radikalenerlass fielen. Patrick
Moreau, Der westdeutsche Kommunismus in der Krise, in:
Uwe Backes/Eckhard Jesse (Hg.), Jahrbuch Extremismus
und Demokratie, Bonn 1990, S. 176.
20 Damals engagierten sich auch viele später prominente
Grüne und (Ex-)SPD-Mitglieder wie der aus der SPD ausgeschlossene
Benneter zusammen mit Gerhard Schröder,
Joseph Fischer, Heidemarie Wieczorek-Zeul, Olaf Scholz,
Herta Däubler-Gmelin, Jürgen Trittin und Siegmar Gabriel
in der Initiative „Weg mit den Berufsverboten!“ Der Radikalenerlass
war auch Thema des internationalen Russel-
Tribunals 1978.
21 Horst Bethge, Berufsverbote abschaffen, Junge Welt
vom 12.2.2007.
22 Mit Einführung der „Werbung“ als Straftatbestand wurde
auch der konkrete Nachweis des Erfolgs einer schon zuvor
strafbaren „Unterstützung“ entbehrlich.
23 Angesichts der uferlosen und verschwommenen Qualifizierung
eines Tatbestands der „Werbung“ für eine kriminelle
oder terroristische Vereinigung, welcher bereits kritische Äußerungen
strafbar zu machen drohte und so das Grundrecht
der Meinungs-, Informations- und Pressefreiheit (GG Art.5)
tangierte, grenzte das 34. Strafrechtsänderungsgesetz vom
August 2002 diesen Straftatbestand stärker ein: Nunmehr war
nur das Werben um Mitglieder oder Unterstützer strafbewehrt
und somit die „Sympathiewerbung“ kein terroristischer Straftatbestand
mehr. Mit dem gleichzeitig eingeführten § 129b
wurde nun die deutsche Strafverfolgung gemäß §§ 129 und
129a auch für derartige Vereinigungen im Ausland erweitert
und so eine EG-Richtlinie vom Dezember 1998 umgesetzt.
Thomas Klein ist Zeithistoriker und Mitglied der
Initiative Vereinigte Linke. Er ist Autor des Buches
„Frieden und Gerechtigkeit!“.
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