von Heiner Busch
aus telegraph #118/119
Ende November 2008 schien sich Unmögliches zu ereignen. Die SPD-(mit-)regierten Bundesländer ließen sich von den sächsischen Jusos mitreißen. Das neue BKA-Gesetz, das der Bundestag zuvor mit den Stimmen der Union und der SPD – von ein paar AbweichlerInnen einmal abgesehen – angenommen hatte, fiel im Bundesrat durch. Dass gerade die SPD ein solches Gesetz auf den letzten Metern aus der Bahn warf, war um so erstaunlicher, als es doch ein Bundesinnenminister aus der SPD – nämlich Otto Schily – gewesen war, der seit Anfang des Jahrzehnts konsequent für einen Ausbau der Befugnisse des BKA und seiner Stellung im Gesamtgefüge der bundesdeutschen Polizei- und «Sicherheits-»behörden geweibelt hatte.
Die Wogen des Sturms im parlamentarischen Wasserglas hatten sich vor Weihnachten schon wieder geglättet. Das Gesetz ging mit minimalen Retouchen über die Bühne. Online-Durchsuchungen, das heimliche Wühlen in den Festplatten privater Computer, brauchen jetzt immer – auch wenn’s angeblich eilt – eine richterliche Anordnung. Und die wird ausgestellt vom Ermittlungsrichter am Amtsgericht Wiesbaden, einer machtvollen gerichtlichen Instanz, die das Grundrecht auf «Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme», welches das Bundesverfassungsgericht im Februar 2008 aus der Taufe gehoben hat, sicherlich mit Zähnen und Krallen verteidigen wird. (Lacht da jemand?)
Detailansicht eines Gesetzes
Zahnlos war das BKA mit seinen derzeit rund 4 800 Stellen (ca. 5 500 Beschäftigten) und seinem Haushalt von 362 Mio. Euro auch bisher nicht. Sein seit Ende der 60er Jahre in zum Teil rasanten Schritten erfolgter Aufstieg zur mächtigsten Polizeibehörde der BRD stützte sich insbesondere auf drei Pfeiler: erstens seine Rolle als Zentralstelle – und das hieß seit Anfang der 70er Jahre als zentraler Knotenpunkt des informationstechnischen Verbundes der deutschen Polizei; zweitens seine Funktion als Schaltstelle für die internationale Zusammenarbeit, die mit dem Ausbau der Polizeikooperation im Rahmen der EU kontinuierlich an Bedeutung zugenommen hat; und drittens seine seit Ende der 60er Jahre im BKA-Gesetz festgeschriebenen und erweiterten Ermittlungskompetenzen.
Originäre Zuständigkeiten hatte das Amt bisher insbesondere in Fällen «international organisierten» Drogenhandels und anderen Bereichen, die gemeinhin als «organisierte Kriminalität» bezeichnet werden. Darüber hinaus konnte die Bundesanwaltschaft das BKA mit Ermittlungen beauftragen, in denen sie das Verfahren führt – und das tut sie insbesondere im politischen Strafrecht. Seit den 70er Jahren ermittelt das Amt insbesondere gegen «terroristische Vereinigungen» nach § 129a StGB. Sein Kompetenzbereich erstreckt sich damit nicht nur hier, sondern auch bei der «organisierten Kriminalität» typischerweise auf Delikte, die eine Strafbarkeit im Vorfeld konkreter strafbarer Handlungen betreffen. Bei deren Ermittlung kann es faktisch auf sämtliche in der Strafprozessordnung vorhandenen Befugnisse zurückgreifen und dazu gehören insbesondere die verdeckten – sprich: geheimen – Ermittlungsmethoden: von der Telekommunikationsüberwachung über den Einsatz von Verdeckten Ermittlern und die länger andauernde Observation bis hin zum Großen Lauschangriff. Nicht umsonst hat das BKA bei der Professionalisierung dieser Methoden seit den 80er Jahren eine bedeutende Rolle gespielt. Im Rahmen seiner Aufgabe der Strafverfolgung in spezifischen Bereichen übte das Amt damit längstens quasi-präventive Tätigkeiten aus. Was das bedeutet, haben die Beschuldigten der 129a-Verfahren der letzten Jahre – einschließlich ihres persönlichen und politischen Umfeldes – hautnah erleben dürfen.
Mit dem neuen Gesetz wurde diese Beschränkung auf die (quasi-präventive) Strafverfolgung aufgehoben. Erhalten hat das Amt nun zusätzlich eine definitiv präventivpolizeiliche Aufgabe und darauf bezogene Befugnisse: Voraussetzung dafür war die Grundgesetzänderung im Zuge der so genannten Förderalismus-Reform im Jahre 2006, die dem Bund die Gesetzgebungskompetenz einräumte für die «Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus durch das Bundeskriminalpolizeiamt in Fällen, in denen eine Länder übergreifende Gefahr vorliegt …» (Art. 73 Abs. 1 Nr. 9a GG). Das Bundesinnenministerium hat in der Debatte um die BKA-Gesetz-Novelle immer klar gemacht, dass diese neue Aufgabe keineswegs nur die fallbezogene Abwehr konkreter Gefahren im engeren Sinne beinhalten sollte, sondern auch die «Verhütung von Straftaten», oder klarer gesagt: eine weit über die traditionelle Gefahrenabwehr hinaus gehende Tätigkeit im Vorfeld.
Für den Bereich der Terrorismusbekämpfung wiederholt sich damit auf Bundesebene das, was in den Landespolizeigesetzen schon seit den 80er Jahren passiert ist. Die traditionelle Aufgabe der Abwehr konkreter Gefahren, die sich immerhin auf eine bevorstehende und absehbare – daher konkrete – Schädigung eines Rechtsgutes bezog, auf ein Ereignis oder die Handlung einer Person (des so genannten Störers), war durchgehend ergänzt worden um neue Aufgaben, insbesondere die «vorbeugende Bekämpfung» zukünftiger Straftaten. Damit verloren auch die alten liberalen Beschränkungen polizeilichen Eingreifens ihren Sinn. Denn Verhältnismäßigkeit kann es letztlich nur da geben, wo es etwas Drittes gibt, womit die Handlungen der Staatsgewalt «ins Verhältnis gesetzt», woran sie also gemessen werden können. Die «vorbeugende Bekämpfung von Straftaten» oder die «Vorsorge für die künftige Gefahrenabwehr» können aber lediglich beruhen auf einer Prognose der Polizei, dass in der Zukunft diese oder jene Straftaten begangen werden oder noch unbestimmte Gefahren auftreten könnten. Damit geht nicht nur der Maßstab für den Eingriff verloren. Die (nicht mehr ganz so) neue Präventionsaufgabe macht(e) die Polizei letztlich zu einem Informations-Junkie: Sie soll etwas verhindern, ohne dessen Ursachen zu kennen oder sie beeinflussen zu können. Auf der Ebene, auf der sie «präventiv» agieren kann, führt dieser Ansatz notwendigerweise zum Einsatz «verdeckter» Methoden, zur Überwachung suspekter Personen und zur Infiltration verdächtiger sozialer Milieus – kurz gesagt: zu einer Vergeheimdienstlichung der Polizei. Nicht umsonst lagen die neuen Befugnisse, die dazu in den Länderpolizeigesetzen eingebaut wurden, im «informationellen» Bereich, was auch die geheime («verdeckte») Informationsbeschaffung mit einschloss.
Für die neue Aufgabe der «Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus» räumt der Gesetzgeber dem Amt nicht nur diejenigen geheimen polizeilichen Befugnisse ein, die bisher den Länderpolizeien zur Verfügung standen – von der längerfristigen Observation einschließlich des Einsatzes technischer Mittel über den Einsatz von V-Leuten und Verdeckten Ermittlern und den Großen Lausch- (und Späh-) Angriff bis hin zur Rasterfahndung. Hinzu kommen noch einige neue, so zum Beispiel die präventive Telekommunikationsüberwachung, die bisher nur von einigen Ländern verrechtlicht wurde, und die Online-Durchsuchung.
Mit dem neuen Gesetz ist das BKA auch im polizeirechtlichen Bereich nicht mehr nur eine Zentralstelle, bei der die Informationen zusammenlaufen, die die Länder aufgrund ihrer Befugnisse akkumuliert haben. Das Amt hat jetzt nicht nur in der (präventiv-gewendeten) Strafverfolgung, sondern auch in der erweiterten Prävention – zumindest im Bereich «Terrorismusbekämpfung» – selbst praktisch alle denkbaren Mittel an der Hand. Es kann selbst (präventive) Ermittlungen einleiten und muss sich dabei nur mit den Ländern «ins Benehmen» setzen.
Das jetzt verabschiedete Gesetz ist der vorläufige Endpunkt einer Debatte, die im Herbst 2001 begonnen hat. Schon in seinen ersten Anti-Terror-Paketen hatte Bundesinnenminister Schily bereits eine Kompetenz des BKA zu Initiativermittlungen vorgesehen, war damit aber gescheitert. Das im Dezember 2001 verabschiedete «Gesetz zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus» beließ die Kompetenzen bei den Länderpolizeien und erlaubte dem BKA nur, Daten, die es in seiner Funktion als Zentralstelle von den Ländern erhalten hatte, durch das Einholen von Auskünften zu ergänzen. Nach dem Anschlag in Madrid im März 2004 startete Schily einen erneuten Versuch: In einem Brief an seine Kollegin vom Justizressort, der am 18. Juni 2004 wundersamerweise in der «Süddeutschen Zeitung» landete, forderte er, das BKA und das Bundesamt für Verfassungsschutz mit «einem klaren Weisungsrecht gegenüber den bisher autonom arbeitenden Länderbehörden» auszustatten, um «Überschneidungen, Doppelarbeit, Reibungsverluste und Informationsdefizite» in der Terrorismusbekämpfung zu vermeiden. Was folgte, war ein sicherheitspolitisches Jekami (jeder kann mitmachen) quer durch die etablierte Parteienlandschaft, bei der sich die Beteiligten gegenseitig mit Vorschlägen nach mehr «Sicherheit» und mehr Zusammenarbeit zwischen den «Sicherheitsbehörden» überboten. Uneinig war man sich jedoch unter anderem beim Grad der Zentralisierung. Die Länderinnenminister – egal ob aus CDU/CSU oder SPD – verteidigten ihre «Standorte» und die Kompetenzen ihrer Ämter. Anfang Juli zog Schily seine Forderungen zurück, sie seien zurzeit nicht durchsetzbar.
Ein «klares Weisungsrecht», wie es Schily seinerzeit gefordert hatte, enthält das nun verabschiedete Gesetz zwar nicht. Es sieht nach wie vor eine Doppelzuständigkeit von BKA und Landeskriminalämtern vor. Die SPD hätte jedoch allen Grund, diesen «Kompromiss» als das Ergebnis ihrer Arbeit zu bezeichnen.
«Vernetzte Sicherheit»
Der 11. September 2001 ist zwar der Ausgangspunkt des Geredes um die «neue Sicherheitsarchitektur». Der Begriff signalisiert, dass angesichts der neuen Bedrohung des «internationalen Terrorismus», die kurzerhand zum «asymmetrischen Krieg» interpretiert wird, alles «tabulos» neu geplant werden könnte. Unabhängig von ihrer parteipolitischen Couleur – das zeigte das zitierte Jekami im Sommer 2004 – scheint den hiesigen ProtagonistInnen dieser Debatte völlig unstrittig, dass das Nebeneinander von – je nach Zählung – bis zu vierzig «Sicherheitsbehörden» alleine auf bundesdeutscher Ebene zu mangelnder Effizienz der Terrorismusbekämpfung führe. «Vernetzung» lautet deshalb das ständig wiederkehrende Stichwort.
So neu das alles scheint, so deutlich wird bei näherer Betrachtung allerdings, dass der zum magischen Datum avancierte 11. September 2001 für die reale Entwicklung der staatlichen Gewaltapparate vor allen Dingen ein ideologischer Verstärker war. Wesentliche Elemente der «neuen Sicherheitsarchitektur» sind als Verlängerung und Zuspitzung von Prozessen zu verstehen, die zum Teil bereits seit Jahrzehnten in Gange sind.
Das gilt insbesondere für die Zentralisierungstendenzen und die präventive Orientierung, die Vergeheimdienstlichung der Polizeien, die in den 70er Jahren bereits als Mittel der Terrorismusbekämpfung propagiert, danach aber als Strategien gegen «organisierte Kriminalität» verkauft wurden. Letztere war der Bezugspunkt für die Verrechtlichung jener geheimen polizeilichen Methoden, die in den Polizeigesetzen unter dem Titel «Besondere Formen der Datenerhebung» firmieren und im geheimdienstlichen Bereich schlicht «nachrichtendienstliche Mittel» heißen.
Das Gegenstück der Vergeheimdienstlichung der Polizeien, nämlich die Verpolizeilichung der Geheimdienste hat ebenfalls einen langen Vorlauf. Bereits Ende der 70er konnte das Bundesamt für Verfassungsschutz dem Bundesgrenzschutz Aufträge für die Grenzkontrollen erteilen, was dem Amt über die fehlenden exekutiven Befugnisse hinweghalf. Im Verfassungsschutzgesetz von 1990 erhielt dies auch eine formelle Rechtsgrundlage. Als Reaktion auf den Verlust des alten antikommunistischen Feindbildes aus dem Kalten Krieg machten sich die Geheimdienste in den 90ern daran, über den Bereich der politischen Überwachung hinaus in die Domänen der Kriminalpolizei vorzudringen: Einige Bundesländer, allen voran Bayern, erlaubten ihren Verfassungsschutzämtern nun die «Beobachtung» der «organisierten Kriminalität». Auch der BND begann in den 90ern zweifelhafte Expertisen zum internationalen Drogenhandel und zu «Sonderformen der organisierten Kriminalität», später auch zu Migrationsfragen, anzufertigen und stürzte sich 1994 mit der Plutoniumschmuggel-Affäre in einen der größten seiner vielen Skandale. In einigen Staaten, in denen das BKA nicht präsent war, übernahmen BND-Leute seit 1992 die Rolle der «Rauschgift-Verbindungsbeamten». Das G-10-Gesetz ermächtigte den Auslandsgeheimdienst 1994, seine «strategische» Überwachung des internationalen Telekommunikationsverkehrs auch auf vermutete OK-Bereiche auszudehnen. Dass die Dienste im Terrorismusbekämpfungsgesetz von Ende 2001 nun auch weitere quasi-polizeiliche Befugnisse zum Abfragen von Daten bei Telekommunikationsprovidern, Banken und Fluggesellschaften erhielten, erscheint vor diesem Hintergrund nicht als ein Bruch, sondern als Fortsetzung eines bereits anhaltenden Prozesses.
Dasselbe gilt für die Zusammenarbeit von Polizei und Diensten. Rechtliche Grundlagen für den Informationsaustausch fanden sich schon in den 1990, kurz nach der Vereinigung, verabschiedeten Geheimdienstgesetzen. Die in dieser Phase einsetzende Debatte, ob das aus dem «Polizeibrief» der Westalliierten zum Grundgesetz resultierende «Trennungsgebot» von Polizei (mit exekutiven Befugnissen) und Geheimdiensten (ohne dieselben) noch Verfassungsrang habe, ist mittlerweile ersetzt durch eine neue Interpretation dieses Gebots: Die nur mehr als organisatorisch verstandene Trennung verpflichte umso mehr zur Zusammenarbeit der beiden Seiten der staatsschützerischen Medaille. Diese Zusammenarbeit hat mittlerweile institutionelle Ausprägungen: Neben dem «Gemeinsame Terrorismus-Abwehrzentrum» (GTAZ) sind hier unter anderem das «Gemeinsame Analyse- und Strategiezentrum illegale Migration» (GASIM) sowie diverse Arbeitsgruppen auf Länderebene zu nennen. Da sie nicht als eigenständige Behörden gelten, spart man sich eine eigene Rechtsgrundlage. Verrechtlicht wurde dagegen Ende 2006 die Anti-Terror-Datei, die sowohl von den Geheimdiensten als auch von den Polizeien gefüttert und genutzt wird, sowie die gemeinsamen «Projektdateien», die bei Bedarf entweder beim BKA, beim Bundesamt für Verfassungsschutz oder beim BND angesiedelt werden können. Die Bildung einer gemeinsamen Überwachungszentrale im Bundesverwaltungsamt, die gegenüber der Öffentlichkeit als eine bloß technische Dienstleistungseinheit verharmlost wird, ist ein weiteres Mosaiksteinchen in der neuen polizeilich-geheim¬dienstlichen Gemengelage.
Die wachsende Rolle des Militärs unter den «Sicherheitsbehörden» ist eine der wirklichen Neuerungen der «neuen» Sicherheitsarchitektur. Das Bundesverfassungsgericht hat zwar den im Luftsicherheitsgesetz vorgesehenen Abschuss ziviler Flugzeuge als verfassungswidrig bezeichnet. Die militärisch-polizeiliche Kooperation bei der Kontrolle des Luftraums steht nicht in Frage. Auch nicht der Einsatz von AWACS-Flugzeugen der NATO, sei es bei der Fußball-WM oder anlässlich des G8-Gipfels. Schon bei der Fußball-WM im Jahre 2006 konnte man sehen, wie die «technische Amtshilfe» durch die Bundeswehr eine neue quantitative Dimension erhielt. Die veränderte qualitative Dimension zeigte sich dann ein Jahr später beim G8-Gipfel: Amtshilfe bei der «Aufklärung» in Form von Tornado-Tiefflügen …
Die neue Rolle des Militärs fällt jedoch nicht in das Notstandsschema, das den Bezugspunkt der innerstaatlichen Gewaltapparate insgesamt in den ersten beiden Jahrzehnten der BRD bildete. Seine Realitätsferne wurde in den Konflikten mit der Studentenbewegung offensichtlich. Seit der Verabschiedung der Notstandsgesetze 1968 hat es keinen Einsatz des Militärs gegeben. Die 70er Jahre brachten auch die Entmilitarisierung der Bereitschaftspolizeien und des Bundesgrenzschutzes, der damit überhaupt erst einsetzbar wurde und seitdem zur ständigen Eingriffsreserve in den Auseinandersetzungen mit den sozialen Bewegungen werden konnte.
Die Beteiligung des Militärs an der «neuen Sicherheitsarchitektur» besteht eben nicht darin, dass Soldaten mit Maschinengewehren und Handgranaten gegen Menschenmassen vorrücken. Es geht vielmehr einerseits um eine Hilfspolizeirolle und andererseits um sehr spezifische «Dienstleistungen» des Militärs. Und es geht um die Arbeitsteilung zwischen Militär und Polizei bei Auslandseinsätzen – also um die innere Sicherheit von Gebieten, in denen deutsches Militär im Kontext von EU-, NATO- oder UN-Einsätzen präsent ist.
Europäische «Konvergenz»
Dass Apparate der Inneren Sicherheit über die Staatsgrenzen hinweg zusammenarbeiten, ist nichts wirklich Neues. Neu sind jedoch die Ausmaße und Formen der Zusammenarbeit und die internationale Ausrichtung der Apparate, die sich im Rahmen der EG/EU seit Ende der 80er Jahre entwickelt hat. Die Anfänge dieser ausgeweiteten europäischen Kooperation wurden in den 90er Jahren noch in Form von völkerrechtlichen Verträgen wie dem Schengener Übereinkommen oder der Europol-Konvention gelegt, die erste zentrale Datenbanken und Institutionen ermöglichten. Formell findet die innen- und justizpolitische wie die außen- und militärpolitische Kooperation zwar immer noch (größtenteils) im intergouvernementalen Rahmen statt. Faktisch erweist sich die EU jedoch längstens als ein neuartiges Staatsgebilde, in dem Kommission und Ministerrat weitgehend ohne äußeren Einfluss eine europäische Innenpolitik betreiben, die sich seit dem Tampere-Gipfel von 1999 in Form von Fünfjahresplänen weiterentwickelt. «Vernetzung» ist auch hier das zentrale Muster.
Bereits im Haager Programm von Ende 2004 (für die Jahre 2005-2010) einigten sich die Regierungen auf den «Grundsatz der Verfügbarkeit». Danach sollte die EU nicht mehr (nur) zentrale Datenbanken aufbauen – das tut sie weiterhin, wie die Planungen für das Schengener Informationssystem der zweiten Generation und das Visuminformationssystem zeigen. Ziel sollte nunmehr vor allem sein, den gegenseitigen automatischen Zugriff auf die jeweiligen nationalen Datenbanken der Polizeien zu ermöglichen. Für DNA-Profile, Fingerabdrücke und Daten von Kraftfahrzeugen bzw. deren HalterInnen ist dies bereits mit dem so genannten Prümer Vertrag geschehen. In den nächsten fünf Jahren sollen mindestens zehn weitere Datenkategorien hinzukommen.
Für das neue Fünfjahresprogramm, das Ende des Jahres unter schwedischer Präsidentschaft verabschiedet werden soll, hat die so genannte Zukunftsgruppe, eine «informelle, hochrangige Arbeitsgruppe» der Innenministerien von neun Mitgliedstaaten sowie der Kommission den Blueprint geliefert. Sie propagiert nun den neuen Grundsatz der «Konvergenz». Für die «operative» Kooperation dürfte das neue Prinzip ähnliche Konsequenzen haben wie zuvor jenes der Verfügbarkeit für den Informationsaustausch: Die Zukunftsgruppe will nicht mehr nur die «Vernetzung» zentraler EU-Institutionen, wie dem EU-Polizeiamt Europol, der Vorläuferinstitution einer EU-Staatsanwaltschaft Eurojust und dem geheimdienstlichen Lagezentrum «SitCen» beim Generalsekretariat des Rates – Institutionen, die nebenbei gesagt verschiedenen «Säulen» der EU angehören: Europol und Eurojust der dritten (Inneres und Justiz), SitCen der zweiten (der militarisierten Außenpolitik). Die Zukunftsgruppe fordert darüber hinaus eine «Vernetzung» zwischen den «Sicherheitsbehörden der Mitgliedstaaten: Das beinhaltet unter anderem die erneute Ausweitung der grenzüberschreitenden polizeilichen Einsatzformen: Benachbarte EU-Staaten sollen ihren Polizeien gegenseitig auch die Wahrnehmung exekutiver Befugnisse ermöglichen. Gemeinsame Kommissariate sollen gemischte Observationsgruppen und gemischte Streifen beidseits der angeblich nicht mehr kontrollierten Binnengrenzen koordinieren. Darüber hinaus debattieren die EU-Gremien auch über eine weitere Verrechtlichung grenzüberschreitender «verdeckter» Ermittlungen.
Noch häufiger als bisher soll es nach Willen der Zukunftsgruppe auch die von Europol und/oder Eurojust koordinierten Gemeinsamen Ermittlungsgruppen geben, von denen einige offenbar schon permanent arbeiten.
Die Zukunftsgruppe hat realisiert, dass die Verstärkung der geheimdienstlichen Zusammenarbeit mit Schwierigkeiten verbunden ist. Während der Austausch zwischen den Polizeien immer selbstverständlicher werde, bleibe der zwischen den Diensten eine «große Herausforderung», weil hier eben nicht das Prinzip der Verfügbarkeit gelte, sondern das der «Vertraulichkeit». Um dennoch «Synergien zwischen Polizei und Nachrichtendiensten zu nutzen», schlägt die Gruppe nun vor, «Terrorismus-Abwehrzentren» nach deutschem Vorbild aufzubauen und diese EU-weit zu vernetzen. Dass neben dieser institutionalisierten Zusammenarbeit die inoffizielle «operative» geheime Kooperation der geheimen Dienste weiterläuft, dass sie terroristische Konsequenzen hat – sichtbar am Verschwinden von Personen im Lager auf Guantánamo oder in den Folterkellern «befreundeter» Staaten –, taucht im Papier der Zukunftsgruppe nicht auf.
Ein unvollständiges Fazit
Die «neue Sicherheitsarchitektur» stellt sich dar als eine weitläufige Großbaustelle, auf der die Übersicht verloren gegangen ist. Sie ist nicht das Ergebnis eines nach den Anschlägen in den USA aufgestellten Masterplans, sondern vereint in sich Entwicklungen, die zum Teil bereits an der Wende zu den 70ern, spätestens aber ab den 90er Jahren eingeläutet wurden. Von daher ist auch nicht davon auszugehen, dass der Reigen der Sicherheitsgesetze mit der Verabschiedung desjenigen über das BKA beendet sein wird. Die Rede von der «vernetzten Sicherheit», die sowohl in der BRD als auch auf EU-Ebene zum festen Repertoire der jeweiligen Charaktermasken an der Spitze von Ministerien gehört, verdeckt die etablierten politischen und apparativen Interessen, die hier im Spiel sind, und die Schwierigkeiten bei der Umsetzung der verschiedenen Pläne.
«Vernetzung» bedeutet vor allem, dass keiner der Beteiligten dem anderen wirklich etwas nimmt. Alle erhalten mehr Befugnisse, mehr Geld, mehr Personal. Das Resultat sind Doppelzuständigkeiten, bei denen sich BKA und Länderpolizeien «ins Benehmen» setzen müssen, Datenbanken, die sowohl von Polizei- als auch von Geheimdiensten genutzt werden, Kooperationsgremien und «Zentren», deren Tätigkeit auch nach der x-ten parlamentarischen Anfrage im Dunkeln bleibt etc.
«Vernetzung» bedeutet ferner, dass Grenzen verschwinden, die ihren guten (liberal-) demokratischen Sinn darin hatten, staatliche Machtentfaltung zu verhindern: die Trennung zwischen Militär und Polizei, von Innen- und Außenpolitik, von Polizei und Geheimdiensten … Dort wo diese Entgrenzung überhaupt rechtlich festgeschrieben wird, muss sie notwendigerweise in unbestimmten Rechtsbegriffen, in Rechtsunsicherheit und Willkür gegenüber den Betroffenen enden.
Vor diesem Hintergrund reicht es offensichtlich nicht aus, einzelne Vorhaben einer Detailkritik zu unterziehen, die anschließend im parlamentarischen Papierkübel landet oder sich allenfalls in einer veränderten Kommasetzung niederschlägt. Gerade weil ihr «realpolitischer» Einfluss auf diese Entwicklungen begrenzt ist, kann und muss sich die Linke den Luxus gründlicher Analyse und demokratischer Radikalität leisten.
Heiner Busch ist Publizist und Redakteur der Zeitschrift Bürgerrechte & Polizei/CILIP.
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