Die Studentenbewegung 1968 – Emanzipationsversuch der radikalen Linken oder operativer Infiltrationserfolg?
von Thomas Klein
aus telegraph #118/119
Die radikale Kampfansage der aufbegehrenden Studenten während der 60er Jahre gegenüber dem „Bonner Staat“, das linke Profil der APO und die Bezugnahme großer Teile der aufbegehrenden akademischen Jugend auf den Marxismus hat zu Zeiten der Konjunktur dieser Revolte gegen den Normalzustand bundesrepublikanischer Gesellschaftlichkeit damals geradezu reflexhaft zu der Einschätzung staatstragender Ideologen geführt, jene Minderheiten besorgten das Geschäft kommunistischer Umstürzlerei im Interesse des sowjetischen Blocks. In den folgenden beiden Jahrzehnten – mit dem Versanden dieses Aufbruchs in sektiererischen K-Gruppen, dem Weg vieler Akteure der APO zurück in die etablierten Parteien (vornehmlich in die SPD) bzw. dem neuerlichen Aufbruch über die entstehenden „Neuen Sozialen Bewegungen“ hin zu den „Grünen“ – wandelte sich diese Einschätzung: Nun goutierte auch der publizistische bundesrepublikanische Mainstream den emanzipatorischen Gehalt vor allem des kulturellen Gegenentwurfs dieser 68´er-Revolte gegen den Konservatismus der Adenauer-Ära, den Beitrag dieser Bewegung zur im Nachkriegs-Westdeutschland verschleppten Auseinandersetzung mit der Nazi-Vergangenheit und die Verdienste der APO bei der nachholenden „inneren Demokratisierung“ des von den Westalliierten auf diesen Weg gezwungenen ersten Nachfolgestaates des „3. Reiches“. Die episodische APO-Revolte schien als im Wesentlichen progressiver soziokultureller Leitimpuls einer sich modernisierenden Bundesrepublik souverän in ihr zeitgeschichtliches Selbstbild und politisches Selbstverständnis integriert. Seit den 90er Jahren ist nun verstärkt eine merkwürdige Rückkehr zu den Paradigmen der ursprünglichen Einordnung dieses Phänomens in das Kalte-Kriegs-Schema kommunistischer Unterwanderung der BRD zu verzeichnen: Der „Mythos“ der Studentenbewegung, welcher ihre Kritik am damaligen Status bundesdeutscher Normalität „bis heute als bedeutendes Verdienst angerechnet“ wird, sei zu revidieren im Lichte der „Wirklichkeit“: Und die wäre zu charakterisieren als „barbarische und gar nicht schöne Infiltration der Studentenbewegung durch die Organe der Staatssicherheit“.1 Plötzlich kam wieder ins Blickfeld, dass insbesondere in Westberlin, dem Zentrum dieser Protestbewegung, ununterbrochen eine „legale Residenz“ der SED in Gestalt der SED-W/SEW agierte, die neben der geheimdienstlichen auch eine politische Infiltration bzw. Unterwanderung verhieß. Hubertus Knabe kommt daher heute zu dem Resümee, jene Bilanz der Infiltration degradiere die bisher Geltung erlangte Einschätzung der gesellschaftlichen Wirkung studentischen Protests tatsächlich zu einem „Mythos“.
Im Dienst solcher Anstrengungen einer Umbewertung linksoppositioneller Aktivisten stehen auch zeitgenössische Versuche, etwa Wolfgang Abendroth nachträglich in den Verdacht der Zusammenarbeit mit der SED zu bringen.2 Es werden also nicht nur die „Antiautoritären“, sondern auch gleich ihre linkssozialistischen Vordenker in Verruf zu bringen versucht. Damit wird an eine alte Tradition angeknüpft, der gemäß etwa aus den Zuchthäusern der DDR in den Westen entlassene oppositionelle antistalinistische Kommunisten wie der Trotzkist Oskar Hippe oder der KPO´ler Alfred Schmidt in der Bundesrepublik bis in die 60er Jahre hinein als mutmaßliche Agenten des SED-Regimes verdächtigt wurden. Eine andere Variante war in Gestalt einer Neubeurteilung der Staats-, Demokratie- und Parlamentarismuskritik des für die APO ehedem richtungsgebenden Johannes Agnoli zu beobachten: Seine Lebensbiographie schien geeignet, diese Kritik mit Denkfiguren des Faschismus kurzzuschließen.3 Den Versuch, gleich die ganze APO als „Linksfaschismus“ zu identifizieren („1968 war ein Spätausläufer des europäischen Totalitarismus“), also in ihrer vermeintlich totalitären Verfasstheit zum Nationalsozialismus parallel zu schalten, unternimmt neuerdings Götz Aly.4
Trotz solcher nicht sehr seriösen Feststellungen wird die Forderung nach einer Entmystifizierung der „68´er Bewegung“ mittels ihrer Historisierung völlig zu Recht erhoben und muss von der Prüfung begleitet sein, ob die Bestandsaufnahme mittels nun zugänglicher Akten insbesondere der SED und des MfS die alten und wieder neuen Mutmaßungen über die erfolgreiche „Unterwanderung“ dieser Bewegung erhärtet und daraufhin eine Neubewertung ihres Charakters angemessen erscheint. Dabei ist unter anderem zu untersuchen, ob über die Identifizierung von für Diensteinheiten des MfS arbeitende IM und die Feststellung der Art ihrer Tätigkeit hinaus5 aus beidem eine erfolgreiche Steuerungsfunktion nachweisbar ist. Obwohl bei manchen Historikern, wie etwa bei Hubertus Knabe, eine interessengeleitete Interpretation der Fakten unübersehbar ist6, darf diese Beobachtung gleichwohl nicht zu einer Vorab-Disqualifizierung solcher Wertungen führen.
Während bei Hubertus Knabe von einer „frühzeitigen Zusammenarbeit“ zwischen SDS und FDJ die Rede ist7, verwiesen Tilman Fichter und Siegward Lönnendonker schon 1977 umgekehrt darauf, dass bereits 1954/55 gescheiterte Versuche des FDJ-Zentralrats, den SDS im Sinne ihrer Vorstellungen „gesamtdeutscher Gespräche“ zu instrumentalisieren, wiederum von SPD-linientreuen SDS-Funktionären ausgenutzt wurden, um unter Hinweis auf einen vermeintlich zu befürchtenden Masseneintritt von FDJ-Sympathisanten in den SDS „jede Kritik am Parteivorstand mit kommunistischer Unterwanderung gleichzusetzen.“ Die damalige Verbandspolitik dieser SDS-Funktionäre stellte nach Fichter/Lönnendonker ein „Schulbeispiel für rechtes Vorgehen gegen linke innerparteiliche Opposition in der SPD dar“.8
In den späten 50er Jahren seien jedoch (so Hubertus Knabe) „DDR-freundliche Kräfte“ im SDS über organisationstaktische Tricks und geschäftsordnungsförmige Manipulationen zu beträchtlichem Einfluss gelangt.9 Entgegen Knabes weiterführenden Deutungen kann jedoch nicht die Rede davon sein, dass dies damals zur Funktionalisierung des SDS im Interesse der SED geführt hätte: Der SDS-Bundesvorsitzende Oswald Hüller10 wurde im Juni 1959 vom SDS-Bundesvorstand abgesetzt und ein Unvereinbarkeitsbeschluss der Mitarbeit in der Zeitschrift „konkret“ mit der Mitgliedschaft im SDS gefasst. Es half nichts: Denn die eigentliche Gefahr drohte damals in Wirklichkeit nicht von der SED-, sondern von der SPD-konformen Fraktion im SDS, die das Interesse der SPD-Parteiführung, den schwer zu kontrollierenden SDS zu zerschlagen oder wenigstens zu spalten, begünstigte: Auf der Göttinger Delegiertenkonferenz 1959 attackierte der „rechte“ SPD-linientreue Spalterflügel nicht etwa in erster Linie die „Konkret“-Fraktion, sondern die linkssozialistische Strömung. Doch diesen Linkssozialisten gelang es, sowohl den Angriff der parteikonformen SPD-Rechten als auch die Ansprüche KPD-affiner Hasardeure der „Konkret“-Fraktion um Hüller, Röhl und Ulrike Meinhof abzuwehren.11 Nun sah die SPD den Ausweg nur noch in der Spaltung des SDS: Zunächst wurde die Unterstützung auch anderer Studentenorganisationen als der SDS beschlossen und dann im Juli 1960 die Zuwendungen für den SDS ganz eingestellt. Noch vor dem Unvereinbarkeitsbeschluss der SPD gegen den SDS und seine Unterstützer im November 1961 gründeten sich parteifromme Studentenvereinigungen, welche als „Sozialdemokratischer Hochschulbund“ (SHB) sofort die Anerkennung der Parteiführung genossen. Nicht ein Linksruck des SDS oder seine „Unterwanderung“, sondern der Rechtsruck der SPD war die Ursache des Bruchs von 1961.12
So wie sich der SDS in den 50er Jahren gegen die Westdeutsche Remilitarisierung erklärt hatte, wandte er sich in den 60er Jahren störrisch gegen den rigiden Antikommunismus der Adenauer-Ära, den Opportunismus der SPD und gegen jede prinzipienlose Einheitsfrontpolitik mit der KPD/SED-W. Die Perspektive des Sozialismus wurde gegen die sich real immer mehr von ihr verabschiedenden SPD bekräftigt, welche es nicht wagte, sich auch programmatisch von ihr zu lösen und sie nur noch verbal reformulierte. Ebenso distanzierte sich der SDS von den Parteien des Sowjetblocks, denen unter Hinweis auf den Stalinismus und auf Ungarn 1956 der Verrat am Sozialismus vorgeworfen wurde. Der SDS nahm allerdings mit den Beschlüssen seiner 16. Delegiertenkongress im Oktober 1961 die „ostpolitische Wende“ der SPD seit 1966 vorweg: Der Verband sprach sich für die Tatsachenanerkennung der Teilung Deutschlands und Berlins sowie die Respektierung der Oder-Neiße-Linie aus und bekräftigte seinen Standpunkt, dass der Kurs einer Entspannungspolitik aufgrund der Konfrontationen im Kalten Krieg unumgänglich sei. Dementsprechend war der SDS bestrebt, eigene Kontakte mit Studenten und Institutionen der DDR anzubahnen. Bernd Rabehl betont mit Hinweis auf die 1966 stattgefundenen Begegnungen zwischen Vertretern von FDJ und dem SDS/SHB bzw. dem AStA der FU unter Berufung auf die Einschätzung der Ergebnisse dieses Treffens durch FDJ-Berichterstatter weitgehende Übereinstimmung beider Seiten namentlich in deutschlandpolitischen Fragen und hinsichtlich der Herrschaftsverhältnisse in der BRD13, was angesichts der erwähnten hausgemachten Profilschärfung des SDS kaum überraschend war und auch nicht auf „Ostinfiltration“ zurückzuführen sein dürfte. Dabei blieb die Haltung des SDS zur DDR unmissverständlich: So setzte sich der SDS 1961-64 für die Freilassung des vom MfS aus Westberlin verschleppten Redaktionsmitgliedes der IG Metall-Gewerkschaftszeitung, Heinz Brandt, ein. Während des Deutschlandtreffens der FDJ 1964 in Ostberlin, an dem der SDS entgegen den herrschenden bundesdeutschen Tabus mit einer offiziellen Delegation teilnahm, forderte der 2. SDS-Bundesvorsitzende Hellmut Lessing vor einem Auditorium von ungefähr 400 FDJ-Mitgliedern die Beendigung der politischen Justiz in ganz Deutschland, die sofortige Freilassung der politischen Häftlinge aus den Gefängnissen der Bundesrepublik und der DDR und insbesondere die Freilassung von Heinz Brandt aus DDR-Haft.14 Von einem erfolgreichen Unterwanderungsunternehmen der SED/KPD und des MfS in Richtung SDS kann trotz der umtriebigen Operativtätigkeit der MfS-IM Heilmann, Barthel und Staritz15 auch in der „vor-68er-Zeit“ keine Rede sein. Gleichfalls scheiterte aber auch der Versuch seiner Zerschlagung bzw. disziplinierenden Reintegration seitens der mit dem Godesberger Programm kenntlich gewordenen SPD-Führung.
Die „seminarmarxistische“ Periode des SDS nach 1961 (stark beeinflusst von Wolfgang Abendroth, Ossip K. Flechtheim und dem Gewerkschaftler Fritz Lamm) endete, als Akteure der sehr heterogenen Gruppe „Subversive Aktion“16 1964 in SDS-Gruppen eintraten und sich der Verband mit Rudi Dutschke (der bereits im Februar 1965 in den Politischen Beirat des Berliner SDS gewählt wurde) und Bernd Rabehl in eine antiautoritäre, aktionsorientierte, undogmatisch-linke Organisation verwandelte. Dieser „antiautoritäre“ Flügel des SDS war vor allem in Westberlin und darüber hinaus noch in Frankfurt besonders stark. Eine tatsächliche „Unterwanderung“ des SDS also – doch keineswegs im Sinne der SED/SEW-W. Der Verband positionierte sich weiterhin kritisch gegenüber dem Sowjetblock und insbesondere gegenüber dem „real existierenden Sozialismus“ in der DDR, obwohl die fortgesetzten Hauptaktivitäten des SDS (gegen Notstandsgesetze und den Springer-Konzern, Bundeswehr, NATO und Nazis in den Apparaten der BRD, gegen den Krieg der USA in Vietnam) im Gleichklang mit DDR-Interessen lag. Doch schon im Text der Losungen einer illegalen Plakataktion von Mitgliedern der marxistischen SDS-Arbeitskreise Dutschkes und Rabehls sowie des Vietnam-Arbeitskreises vom Februar 1966 am Vorabend der ersten großen Studentendemonstration gegen den amerikanischen Krieg in Vietnam hieß es unter anderem: „Ost und West arrangieren sich immer mehr auf Kosten der wirtschaftlich unterentwickelten Länder.“17 Etwa den Eindruck zu erwecken, die Studentenbewegung oder das internationale Russel-Tribunal sei durch die Agitations- und Informationstätigkeit von KGB, FDJ und MfS in ihrer Gegnerschaft zum Vietnamkrieg erst handlungsfähig oder –willig geworden18, ist abwegig. Schon die Akteure des Frankfurter SDS-Vietnam-Kongresses am 22. Mai 1966 dementierten dies überzeugend.19 Die radikaldemokratische Grundierung der APO war eine Kampfansage sowohl gegen das idealtypische Konstrukt einer demokratischen Willensbildung im System repräsentativer parlamentarischer Demokratie der bürgerlich-kapitalistischen Bundesrepublik20, als auch gegenüber der Liquidierung aller Demokratie in den Diktaturen stalinistischer, poststalinistischer und sonstiger Provenienz.21 In dem Anliegen, die subversive Potenz der studentischen Revolte gegen den westlichen Systemantagonisten auszunutzen, hatten die Herrschenden in der DDR spätestens 1967 begriffen, dass der SDS nicht als potentielle Bündnis- sondern eher als Feindorganisation anzusehen sei, dessen Unterwanderung höchstens dem Ziel der Differenzierung und letztens der Spaltung dienen konnte und der rebellische Funke keinesfalls auf die DDR überspringen dürfe. Im eigenen Land errichteten die DDR-Staatsideologen eine Abwehr- und Auffanglinie gegen die antiautoritären Verlockungen der westlichen APO für die Kritiker des nominalsozialistischen Autoritarismus im eigenen Lande und die Abwehrdienste des MfS gingen rigide gegen die „DDR-68er“ und „Sympathisanten“ einer APO in der DDR vor. Der Gleichklang von Parolen staatstragender westdeutscher konservativer und ostdeutscher politbürokratischer Apologeten des „Ruhe-Ordnung-Sicherheit“-Kartells war, wenn es um den Normalzustand im eigenen Machtbereich ging, geradezu aufdringlich. Für die Westberliner Presse des Frühsommers 1967 (und für Hubertus Knabe 1999) wurde jedoch die „Kumpanei“ der SED mit den revoltierenden Studenten etwa daran kenntlich, dass die DDR den Konvoi zur Beerdigung von Benno Ohnesorg nach Hannover ohne Autobahngebühren durchgelassen hatte.22
Was in der DDR über einen der wichtigsten „Theoretiker der Revolte“, den Philosophen Herbert Marcuse, verbreitet wurde, gehört hier durchaus zum Gesamtbild des Gefährdungspotentials, welches nach Auffassung der SED von „APO-Ideologen“ für die ideologische Gesundheit potentieller Sympathisanten im eigenen Land ausging: Marcuse, dem das ND noch 1979 in einem Nachruf das Verfassen „ultralinke(r), kleinbürgerlich-utopistische(r) und antikommunistische(r) Sozialtheorien“ anlastete23, galt der Ostberliner „Weltbühne“ 1969 als „Agent des CIA“, der in geheimdienstlichem Auftrag in Frankfurt am Main eine „Zentrale für die Spionagetätigkeit der Vereinigten Staaten in ganz Westeuropa aufzubauen“ hatte.24 Das MfS bearbeitete Marcuse unter der Rubrik „politische Untergrundtätigkeit“.25 Ansonsten rechnete Robert Steigerwald im Sinne der DKP/SEW und der SED mit der „Frankfurter Schule“ und der „kritischen Theorie“ ab. Insbesondere Marcuses Analyse der „Gesellschaftslehre des sowjetischen Marxismus“ von 1957 und seine Aufforderung, die Revolution in das Sowjetsystem zu verlegen, erhielten das Prädikat „Konterrevolution“.26 Auf so banale und zugleich drastische Weise konnte die SED-W mit diesem Vertreter des „Freudo-Marxismus“ aus der Frankfurter Schule zumindest öffentlich in Westberlin nicht umgehen, wenn sie ihre Taktik der gemeinsamen „demokratischen Front“ mit den rebellierenden Studenten nicht gefährden wollten. Doch dies durfte nicht auf Kosten der korrekten ideologischen „Linienführung“ gehen: Dem relativ moderaten Sonderdruck „Zur Diskussion über Herbert Marcuse ´Der eindimensionale Mensch´“ in der „Wahrheit“ vom 22.9.1967 folgte der (gescheiterte) Versuch des Parteivorstands, am 24. Januar 1968 in einer Veranstaltung mit dem Direktor des Instituts für Gesellschaftswissenschaften beim ZK der SED, Otto Reinhold, namentlich SDS und RC über den „aktuellen Marx und seine unaktuellen Kritiker“ aufzuklären und die „historische Rolle der Arbeiterklasse“ wiederherzustellen.27
Der SDS war seit 1966 zum strategischen Kern und aktionsorientierten Impulsgeber einer sich ausbreitenden radikalisierenden Außerparlamentarischen Opposition geworden. In linken studentischen Kreisen war hinsichtlich der Kämpfe in der Dritten Welt und der dortigen Befreiungsbewegungen die Kampfschrift Frantz Fanons „Die Verdammten dieser Erde“ von großem Einfluss. So war es nicht verwunderlich, dass die Sichtweise des SDS auf diese Kämpfe gravierend mit den Maximen von SED und FDJ kollidierten, die dem diplomatisch-taktierenden Impetus des sowjetischen Blocks verpflichtet waren: In einem Gespräch im Vorfeld des erwähnten Treffens von SDS und Ostberliner FDJ vom Juli 1967 (vgl. oben) erklärte Lefèvre am 27. Juni namens des SDS seine Missbilligung der Passivität des „sozialistischen Lagers“ angesichts der israelischen Offensive in Nahost, des Überfalls der USA auf Vietnam und der Kämpfe in Lateinamerika, womöglich begünstigt durch das Prinzip der „friedlichen Koexistenz“.28 „Fragen der Bündnispolitik, gar Diplomatie, Rücksichten, für all das hatten wir kein Verständnis, erschien uns bestenfalls als Kuhhandel“- so charakterisierte im Nachhinein der damalige SDS-Aktivist Hans Gellhardt die Stimmung.29 SDS und APO sollten mit ihren Positionierungen und Aktionen auch den Strategien und Vorhaben der KPD/DKP sowie der SED-W/SEW immer wieder in die Quere kommen. So verfolgten die SDS-Emissäre Salvatore, Dutschke und Semler in den langwierigen Verhandlungen mit dem FDJ-Zentralrat und Vertretern des sowjetischen Jugendverbandes in Ostberlin im Vorfeld des internationalen Vietnam-Kongresses von Februar 1968 den abenteuerlich-provokanten Zweck, dass sozialistische, trotzkistische und kommunistische Jugendverbände Westeuropas gemeinsam mit der FDJ und anderen östlichen Staatsjugendverbänden Geld für Waffen sammeln und gemeinsam eine Neuauflage „Internationaler Brigaden“ zur Unterstützung des Kampfes der vietnamesischen FNL in Bewegung setzen sollten.30 Natürlich musste dies scheitern.31 Als während der IX. Weltfestspiele der Jugend und Studenten in Sofia die SDS-Delegation sehr zum Unmut der bulgarischen Behörden am 29. Juli 1968 eine Protestdemonstration gegen den amerikanischen Krieg in Vietnam vor der Sofioter US-Botschaft initiierte32, demonstrierte die auf Initiative von Mitgliedern der verbotenen KPD im Mai 1968 gegründete „Sozialistischen Deutschen Arbeiterjugend“ (SDAJ) wiederum gegen den SDS.33 Jene SDSler, welche auf Seiten der SDAJ daran teilnahmen, wurden im September aus dem SDS ausgeschlossen und bildeten mit der daraufhin geschlossen aus dem SDS austretenden Gruppe um die Studentenzeitschrift „facit“ dann im Januar 1969 den MSB Spartakus.34 Ohne von vornherein in der APO isoliert gewesen zu sein, entwickelte sich also das Verhältnis der SED- und sowjetkonformen Parteien und Vorfeldorganisationen zum APO-Block im Verlaufe des Jahres 1968 ausgesprochen konfliktorisch und mündete schließlich (nach dem Einmarsch der Sowjets in die ČSSR) in deren Abkopplung. Eine Studie der Hauptverwaltung Aufklärung (HV A) des MfS vom Dezember 1968 zur „Außerparlamentarischen Opposition in Westdeutschland und Westberlin“ widmete sich unter anderem auch der „Haltung der APO Westberlins zur DDR und zur SED-Westberlin“ sowie der „Haltung von Kreisen der APO zu den Ereignissen in der ČSSR“. Dieses sich zwar an den Tatsachen orientierende, aber hinsichtlich der darauf aufbauenden Einschätzungen und Prognosen extrem schönfärberisch und zweckoptimistisch argumentierende Elaborat konnte aber auch zu keiner erfreulicheren Bilanz gelangen, als zu folgender:
„Die Mehrheit der zur APO gehörenden Kräfte steht nach wie vor hinter Dubcek. … Nach dem Abzug der Truppen der fünf sozialistischen Länder müsse der Dubcek-Kurs fortgesetzt werden. Sehr oft wurde und wird … in diesen Kreisen eingeschätzt, dass die Ereignisse um die ČSSR dem Ansehen der DDR auf Jahre hin schaden würde[n]. Weiter werde sich die Antisowjethetze unter der westdeutschen Bevölkerung verstärken.“35
Bedauernd hielt die Studie fest, im SDS Westberlin würde überwiegend und im Republikanischen Club mehrheitlich dahingehend votiert, dass „die Zusammenarbeit mit der SED-Westberlin abgebrochen“ und „die Unterstützung des Kampfes der KPD für ihre Legalität … davon abhängig gemacht (werde), dass die KPD eine Erklärung abgibt, in der sie die Maßnahmen der fünf sozialistischen Länder verurteilt.“ SDS-Anhänger hätten gegen den „Sowjet-Imperialismus“ demonstriert.36 Eine spätere Studie der HV A zur APO aus dem Jahre 1969 spricht von der „Vorherrschaft der antiautoritär-antikommunistischen Kräfte“, welche „die Solidarisierung von Arbeitern und Studenten hintertrieben“ und „teilweise eine Kriminalisierung der studentischen Protestbewegung erreichten“. Die Mehrheit der APO stände „sowohl der SEW als auch dem sozialistischen Lager kritisch bis feindlich gegenüber.“37
Wenn auch die kritische Positionierung des SDS gegenüber dem Ostblock und insbesondere gegenüber der SED und den in der DDR herrschenden Verhältnissen bestehen blieben, verlor gerade in der Endphase der „antiautoritären Transformation“ des SDS die antistalinistische Komponente im entstehenden linksradikalen Selbstverständnis der aufbegehrenden Studenten an Gewicht gegenüber der Abgrenzung vom dumpfen Antikommunismus in der Bundesrepublik und dem Bekenntnis zum Antifaschismus, Antikapitalismus und Antiimperialismus.38 Die defizitäre Auseinandersetzung mit den poststalinistischen Diktaturen des Sowjetblocks und den prostalinistischen Regimen des „chinesischen Blocks“ begünstigte später (nach dem Zerfall von SDS und APO) die Attraktivität einerseits prosowjetischer Parteien wie der DKP und der SEW sowie DDR-affiner Vereinigungen wie dem MSB Spartakus und andererseits vorwiegend prochinesischer K-Gruppen. So erklärlich die Affinitäten mancher „Antiautoritären“ zur vermeintlich „antibürokratischen“ chinesischen Kulturrevolution auch waren und so schwierig sich damals die Selbstaufklärung über die dortigen wirklichen Verhältnisse auch gestalten mochte39 – die Ahnungslosigkeit hinsichtlich der Realitäten im europäischen Ostblock (insbesondere in der DDR) und das Desinteresse daran, dem durch leicht durchzuführende Recherche vor der Haustür abzuhelfen, ist kaum entschuldbar. Dass gleichwohl nicht die Rede davon sein kann, SED-Parteigänger hätten zuvor direkt (über die KPD/DKP oder die SED-W und ihre Bündnisorganisationen) oder indirekt (über klandestin agierende Einflussagenten) den SDS oder die APO majorisiert, ergibt sich nicht zuletzt aus den Qualifizierungen ihres Wortführers durch das MfS selbst: Die von IM des MfS übermittelten Informationen über Rudi Dutschke, der das Herrschaftssystem in der DDR als „bürokratisch-autoritär“ ansah, waren eher geeignet, ihn als „verschworenen DDR-Gegner“ erscheinen zu lassen, wobei „alles getan werden müsste, (die) Aktivitäten“ seiner Gruppe „zu ersticken“40, was bekanntlich ebenfalls misslang. Der Zerfall der APO und die Auflösung des SDS ist also ebenso wenig als erfolgreiche „Zersetzungsmaßnahme“ des Ostens oder der Politik ihrer Satelliten zu deuten, sondern ist auf die immanente Dynamik dieser Bewegung und ihre Widersprüche zurückzuführen.
Ein Adressat von Vorwürfen, den SDS wenigstens „von außen“ im Sinne der SED/SED-W und durch das MfS beeinflusst zu haben, ist der „Republikanische Club“ und sein Vorgänger, die „Novembergesellschaft“. In letzterer fand sich im November 1966 ein sehr heterogener Kreis linkssozialistischer organisationserfahrener Intellektueller vorwiegend älterer Jahrgänge zusammen, der angesichts von ihnen zunehmend missbilligter „anarchistischer“ Einflüsse im SDS41 beim erwarteten Zerfall des Verbandes dessen linkssozialistische Mitglieder aufzufangen gedachte. Vor allem sollte er aber ein Nukleus für eine neue sozialistische Partei für vom Kurs der SPD in der Großen Koalition enttäusche SPD-Linke sein. Die Novembergesellschafter42 gründeten am 30. April 1967 den „Republikanischen Club“43 (RC). Bei der Vorbereitung und Durchführung einer Anti-Vietnamkriegs-Demonstration am 6. Oktober 1967 sowie der Herstellung von Flugblättern zu diesem Anlass kooperierte der RC mit der SED-W.44 Die Präsenz einer Reihe vom IM mehrerer Diensteinheiten des MfS im RC, die Zusammenarbeit mit dem als SED-gesteuert geltenden Extra-Dienst sowie eine Mitteilung des im März 1968 beim RC gastierenden Professors Dieter Klein von der Ostberliner Humboldt-Universität, die Aktionseinheit mit der SED-W würde dort „uneingeschränkt bejaht“, führten zur Einschätzung Hubertus Knabes, der RC sei SED-affin gewesen und das MfS habe namentlich über den RC Einfluss auf die Studentenbewegung ausgeübt.45 Die Bildung des RC erfolgte jedoch nicht zuletzt in der Absicht, der APO gegenüber dem vom Springer-Konzern geprägten Meinungsmonopol, damals gegen den studentischen Protest regelrecht mobilmachend, zu einer Gegenöffentlichkeit zu verhelfen. Die Tatsache, dass die SED-W die Anti-Springer-Kampagne unterstützte46, verbunden mit der Behauptung, das östliche Interesse an einer Anti-Springer-Kampagne sei der eigentliche Springpunkt des studentischen Protests gegen den Konzern gewesen, hat zu der Auslegung geführt, dieser Protest sei mittels Argumentationshilfen des SED-Propagandaapparates und über den RC ostgesteuert gewesen.47 Diese Konstruktion abstrahiert völlig von der realen Westberliner Konfrontationslage: Hier sah sich die APO einer veritablen Pogrom-Hetze ausgesetzt und war tatsächlich nicht auf Impulse von SED oder MfS angewiesen, um gegen Springer aufzutreten.48
Was den RC und seine Haltung zur Okkupation der ČSSR betrifft, so hatte dessen Vorstand im August 1968 als erster gegen den Einmarsch der Truppen des Warschauer Pakts in Prag protestiert. Die Protestrede im Namen der Westberliner Linken vor der tschechoslowakischen Militärmission hielt Klaus Meschkat vom RC. Im MfS wurden Ende 1968 Erklärungen dafür gesucht, „warum es möglich war dass der Club Erklärungen gegen die DDR und die sozialistischen Länder (Visaregelung, ČSSR) verabschiedete“. Die HV A erklärte dies hilflos mit wachsenden „sozialdemokratischen Einflüssen“. Als offensiv auftretende Gegner des sowjetischen Einmarsches in die ČSSR im RC bzw. beim Extradienst nennt die HV A-Studie namentlich Meschkat und Buchholz, wogegen Guggomos den Einmarsch zwar für „optisch katastrophal“, aber notwendig erachte.49 Im Zusammenhang mit den Angriffen aus den Reihen des RC auf die Publikationstätigkeit des ehedem von ihm unterstützten „Extradienst“ wurde Anfang 1969 unter anderem den ED-Redakteuren und –Gesellschaftern Guggomos und Barthel die Berechtigung bestritten, in irgendeiner Weise repräsentativ für den RC zu sein.50 Die im RC, dem SDS und in der ganzen APO massiv präsente Neigung, die Unabhängigkeit Westberlins von der Bundesrepublik zu betonen und damit objektiv die Berlinpolitische Sichtweise der UdSSR und der DDR (mithin der SED-W/SEW) auf den Berlin-Status zu teilen, änderte nichts daran, dass sich die Abwendung der APO von den Westberliner Einheitssozialisten mehr und mehr verstärkte.51 Die Hauptverwaltung Aufklärung (HV A) des MfS kam dann auch im Dezember 1969 zu der säuerlichen Einschätzung, den „herrschenden Kräften in Westdeutschland (sei) insbesondere nach dem 21.8.1968 ein politisch-ideologischer Einbruch in die Reihen der APO gelungen“.52 Andererseits wollte die HV A in Erfahrung gebracht haben, dass unter den angeblich so erfolgreichen „herrschenden Kräften in Westdeutschland“ einige Vertreter davon ausgingen, „in Westdeutschland und Westberlin seien studentische ´Kampfbrigaden´ gebildet worden, die mit Waffen aus der DDR ausgerüstet würden.“53 Die sich der Einsicht in die fatale Rolle der SED-W-Politik verschließende Hypothese der HV A, die „Herrschenden in Westdeutschland“ hätten die APO von der SED erfolgreich entfremdet, ist ebenso wie die Kolportage der absurden Mitteilung aus CSU-Kreisen, die DDR würde inzwischen bereits APO-Kampfgruppen bewaffnen, sowohl Element der Ost-West-Propagandaschlacht, als auch Merkmal der autosuggestiven Wirklichkeitsverdrängung angesichts unliebsamer Entwicklungen in den jeweils eigenen Interessensphären. Der Vorstand des Republikanischen Clubs Westberlin wurde jedenfalls von der HV A in einer Operativinformation des Dezember 1969 neben dem SDS bereits als ein Repräsentant der „antiautoritär-antikommunistischen Kräfte“ bezeichnet. Deren Merkmale seien ihre ablehnende Haltung gegenüber DKP und SEW sowie die Auffassung, der Klassenkampf müsse in beiden deutschen Staaten geführt werden. Die positive Rolle, welche der RC anfangs gespielt habe, sei (so die HV A) Mitte 1968 (mit der Herstellung des Übergewichts der „antiautoritär-antikommunistischen Kräfte“ um Agnoli, Mahler u. a.) zu Ende gewesen. Die abgedrängten „neomarxistischen Kräfte“ im RC, welche eine Zusammenarbeit mit der SEW befürworten (und zu denen auch die „Extra-Dienst-Fraktion“ gehöre), wollten im Bündnis mit den „Liberalen“ gegen die linksradikale Mehrheit den programmatisch-organisatorischen Zusammenhang des RC stärken. Doch selbst jene „progressiven Kräfte“, welche im RC die Zusammenarbeit mit der SEW befürworteten, kritisierten die SEW: Sie sei wegen ihrer Misserfolge bei der Entwicklung sozialistischen Bewusstseins „keine marxistisch-leninistische Partei“ (so der Arbeitskreis Agitation und Propaganda des RC), verhalte sich wegen ihrer Überbetonung des Parlamentarismus opportunistisch und es würde sich lohnen, die Mitglieder der SEW-Hochschulgruppen „als Stoßtruppe gegen die gesamte Partei ´umzufunktionieren´“ (so der Arbeitskreis Politische Theorie im RC).54
Derart komplizierte Manöver, wie sie die SEW ausführen musste, um sich innerhalb ihres spannungsgeladenen Verhältnisses zu APO und SDS nicht vollständig zu isolieren, hatten die Dogmatiker in der Ostberliner SED nicht unbedingt nötig: Für die „eigene“ Bevölkerung verfügten die prägenden Blätter der von der SED inszenierten DDR-Öffentlichkeit überwiegend das Bild „scheinrevolutionärer Anarchisten“ und der „Revolutionäre der Phrase“ für die radikalen Gruppen der Neuen Linken, deren Anhänger lediglich „linksradikalen Lärm“ machten.55 So wurde im Juni 1968 vom ND der französische KP-Vorsitzende Waldeck-Rochet mit seiner Qualifizierung der Aktionen der Mai-Rebellen als „Provokationen der Ultra-Linksgruppen“ zitiert.56 Andererseits erachteten die intelligenteren Strategen und Ideologen im sowjetischen Lager jene revoltierende Studentenschaft und die links politisierte Intelligenz des Westens durchaus als einen neuen „wichtigen – und man muss sagen – schwierigen Verbündeten“, mit denen eine „besonders überlegte und abgewogene Arbeit“ erforderlich sei.57 Dieser Übergang zu zeitweilig differenzierteren Werturteilen Ostdeutscher Meinungsmacher über die „Neue Linke“ im Jahre 196958 wurde auch vom DGB-Bundesvorstand aufmerksam verfolgt und mit der Einschätzung verbunden, „dass die Kommunisten die ´Neue Linke´ nur insoweit positiv beurteilen, als sie hoffen, sie für ihre Zwecke ausnützen zu können“. Dabei spiele neben „ideologischen Differenzen“ auch eine Rolle, ob deren positivere Beurteilung „das Ansehen ihrer Partei bei der Bevölkerung stärkt oder mindert“.59
Gegenüber jenen Zeithistorikern, die sich heute um den Nachweis bemühen, linke Systemopposition in der Bundesrepublik und Westberlin sei durch legale und klandestine Agenturen des Ostens (der DDR) gesteuert gewesen, verteidigen andere Historiker mit der Zurückweisung dieser Hypothese nicht zuletzt ihre eigene (damalige) politische Integrität, besonders dann, wenn sie als „Akteure der Revolte“ selbst beteiligt waren. Unter letzteren wiederum greifen manche schließlich doch wieder gern zur „Unterwanderungshypothese“, wenn es darum geht, die Niederlage der eigenen Strömung zu erklären. So schreibt Bernd Rabehl:
„Die Auflösung des SDS bzw. die Isolierung der antiautoritären Fraktion im SDS erfolgte nicht nur durch offene und heimliche Polemiken oder die parteipolitische Instrumentalisierung des „Bundes“ durch die Parteigänger der illegalen KPD und ihrer Sympathisanten. Auflösung und Zersetzung wurden auch durch die Einflussnahme der SED/FDJ auf den großen Kreis der „Zentristen“ im SDS in Gang gesetzt.“60
Während Rabehl einerseits zu Recht die APO gegen die Verdächtigung verteidigt, sie sei durch Agenturen der DDR gelenkt gewesen, versucht er andererseits, die Ursachen der Niederlage der antiautoritären Strömung zu „externalisieren“ und die vermeintlichen Sieger in diesem Konflikt als „ostgesteuert“ zu identifizieren. Dieser Versuch Rabehls, seine eigene (frühere) politische Integrität zu verteidigen, ist gleichzeitig der Versuch, von den tatsächlichen („hausgemachten“) Ursachen des Scheiterns der APO abzulenken. Immerhin gelingt ihm in einer beiläufigen Bemerkung eine erste Annäherung an diese Ursachen, die er jedoch sogleich wieder mit der Infiltrationshypothese kurzschließt:
„Erst die innere Zersetzung des SDS durch unterschiedliche Sympathien und Formierungen, die sich der maoistischen Variante des Marxismus-Leninismus verbunden fühlten, machte den Weg für die SED-W und die SED-Agitation in den Reihen der APO frei.“61
Insgesamt jedoch schränkt Rabehl angesichts der dürftigen Faktengrundlage und geringen Überzeugungskraft seiner Hypothesen deren Reichweite schließlich selbst ein:
„Durch derartige vorsichtige Hinweise soll nicht die Tatsache heruntergespielt werden, dass zerstörerische Tendenzen innerhalb der antiautoritären Fraktion selbst wirkten und dass die westlichen Parteien und Geheimdienste ein ähnliches Interesse an der Isolierung der „Revolutionäre“ hatten. Einer „Agententheorie“ soll hier nicht das Wort gesprochen werden, denn die zerstörenden Kräfte und Tendenzen im SDS besaßen eine Eigendynamik und ließen sich nicht durch „Spitzel“ oder Parteigänger manipulieren.“62
Natürlich darf bei alledem nicht aus dem Blick geraten, dass neben den legalen und klandestinen Agenturen der DDR in Westberlin, die (überwiegend vergeblich) politischen Einfluss auf den SDS und die APO zu nehmen versuchten, letztere genauso im Blickpunkt des Verfassungsschutzes (VS) standen, welcher sich wiederum auf das Sammeln von Belastungsmaterial gegen die „Wortführer der Revolte“ konzentrierte. So bilanzierte ein VS-Mitarbeiter das vom VS zusammengetragene Material über die ASTA-Veranstaltung im Audi-Max der FU am Vortag der Vietnam-Demonstration vom 21. Oktober 1967 als möglicherweise geeignet für einen Prozess gegen Dutschke wegen Landfriedensbruch.63 Hinsichtlich der für den VS zentralen Frage, ob die APO von der SED aufgebaut oder wenigstens von der DDR als Rekrutierungsfeld benutzt werden würde, konstatierte Bernd Rabehl im Jahr 2000 nach Einsichtnahme in das ihm zur Verfügung stehende Aktenmaterial die damalige überwiegende Ratlosigkeit der Verfassungsschützer angesichts von Feststellungen Dutschkes auf dem internationalen Vietnamkongress im Februar 1968 zur Sowjetunion: Die UdSSR habe die Prinzipien der sozialen Befreiung „verraten“ und ihre „neue Klasse“ werde nicht imstande sein, ihre Privilegien und Machtpositionen zurückzunehmen und die industrielle Grundlage der Gesellschaft Schritt für Schritt in die Perspektive des Sozialismus zu bringen. Obwohl die Sowjetunion die Befreiungsbewegungen in der Dritten Welt für ihre Interessen genauso nutzen werde wie die sozialen Unruhen und Proteste in den Metropolen, sei aber Dutschke andererseits davon überzeugt, sie habe die Chance, ihre Politik der „friedlichen Koexistenz“ antiimperialistisch und prorevolutionär einzusetzen. Deshalb „solle die antiautoritäre Linke die Sowjetunion nicht von Anfang an und mit antikommunistischen Vorurteilen abschreiben, sondern ihre Entwicklung im Kontext der internationalen Revolution verfolgen“, wobei der revolutionäre Weltprozess zweifellos auch auf die SU zurückwirken werde.64
Natürlich war nicht nur der Verfassungsschutz in Westberlin gegen die APO aktiv, sondern auch das MfS in Ostberlin (und darüber hinaus) war stark damit beschäftigt, die APO (und die sich 1969/70 gerade anbahnenden „Ausgründungen“ neuer linksradikaler Organisationen) in ihrer Wirkung im Osten zu begrenzen und politisch zu neutralisieren. So enthält ein Papier der HV A von Juli 1970 eine Reihe von „Aufgabenstellungen“, die unter anderem darauf abzielten, „interne Einzelheiten über Pläne, Absichten und Maßnahmen der Kräfte der Westberliner APO … gegenüber den progressiven Kräften Westberlins (SEW, FDJ) sowie gegenüber der DDR und der SED“ in Erfahrung zu bringen – ebenso im Falle der KPD/ML. Besondere Aufmerksamkeit genossen „Pläne der APO über ein beabsichtigtes Hineinwirken in die DDR“, wobei das MfS aufklären wollte, „mit welchen politischen Gruppen … Kontakte aufgenommen werden (sollen)“. Natürlich war auch gefragt, „welche Verbindungen … die APO in die DDR“ und besonders in die Hauptstadt Berlin bereits hatte und welche Kontaktversuche es gab. Schließlich waren „Angaben über Verbindungen der Kräfte und Gruppen der APO zur chinesischen, albanischen und anderen Botschaften der DDR“ zu beschaffen.65 Im April 1971 wiederholte die HV A dieses Informationsbeschaffungsprofil und ergänzte die Anforderungen um die Aufwertung der „Terrorkomponente“66.
1 Hubertus Knabe, Die unterwanderte Republik: Stasi im Westen, Berlin 1999; hier: Mythos und Wirklichkeit – Die Studentenbewegung, S. 182 unter Berufung auf Wolfgang Kraushaar, Unsere unterwanderten Jahre. Die barbarische und gar nicht schöne Infiltration der Studentenbewegung durch die Organe der Staatssicherheit, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) vom 7.4.1998, S.45.
2 Kraushaars derartige weitgehend kontextfreie Interpretation eines Berichts aus der Westabteilung des SED-ZK-Sekretariats (Westabteilung Berlin, Information über Gespräche mit Professor Abendroth/Marburg vom 18.7.1967, SAPMO BArch, DY 30/J IV 2/202/95. S.2) weitete Jochen Staadt ebenso unbelegt wie beiläufig zu der Unterstellung aus, Abendroth habe „spätestens seit Herbst 1967 … innerhalb der westdeutschen Linken aufgrund konkreter Absprachen mit dem SED-Politbüro“ gehandelt (FAZ vom 20.5.1998). Dies zu übertreffen gelang nur noch Anne Christine Nagel aus Gießen, die unter Berufung auf Kraushaar völlig quellenfrei behauptete, dass Abendroth „und seine Mitarbeiter in enger Verbindung zum Staatssicherheitsdienst der DDR standen“. Georg Fülberth und Frank Deppe haben alle diese Deutungen auf Basis ihrer Überprüfung der Aktenlage vehement bestritten. Wolfgang Kraushaar, Unsere unterwanderten Jahre, FAZ vom 7.4.1998, S.45; ders., 1968 als Mythos, Chiffre und Zäsur, Hamburg 2000, S. 149f; Anne Christine Nagel, Im Schatten des Dritten Reiches, Göttingen 2005, S. 290; Frank Deppe, Die „Methode Gauck“ – Zur Diskussion um Wolfgang Abendroth. Gespräch mit Richard Detje, Sozialismus 7-8/1998, S. 19ff; Georg Fülberth, Eine Lüge über Wolfgang Abendroth, http://www.linksnet.de/linkslog/index.php?catid=13 (24.11.2006). Zum tatsächlichen Kontext der Gespräche Abendroths in Marburg mit einem der Westabteilung gegenüber berichtspflichtigen DDR-Wissenschaftler, das Vorhaben der Gründung einer neuen linkssozialistischen Partei in der Bundesrepublik gegen den erwarteten Widerstand der in der DDR residierenden illegalen KPD-Führung betreffend, vgl. Georg Fülberth, Zu Wolfgang Abendroths angeblichen DDR-Kontakten, Sozial.Geschichte – Zeitschrift für historische Analyse des 20. und 21. Jahrhunderts, Heft 3/2006.
3 Wolfgang Kraushaar, Agnoli, die APO und der konstitutive Illiberalismus seiner Parlamentarismuskritik, Zeitschrift für Parlamentsfragen 1/2007. Zur Kritik der Wertungen von Kraushaar siehe etwa: Markus Mohr, Die dummen Einfälle des Dr. Kraushaar, Streifzüge Nr. 39, Wien, April 2007, S. 27.
4 Götz Aly, Unser Kampf. 1968 – ein irritierter Blick zurück, Frankfurt a. M. 2008.
5 Zur Zahl der in der APO platzierten IM des MfS vgl. Knabe 1999, S. 231.
6 Aus der Sicht von Jürgen Engert, bis 2001 Leiter des ARD-Hauptstadtbüros, „wird ein politisches Handeln, das Knabe als Sündenfall empfindet, unter den Generalverdacht gestellt, nützliche Idioten hätten das Geschäft der Staatssicherheit mitbesorgt.“ Jürgen Engert in seiner Rezension von Knabes Monographie „Die Unterwanderte Republik“, in: Die Welt vom 18.3.2000.
7 Knabe 1999, S. 183.
8 Tilman Fichter/Siegward Lönnendonker, Kleine Geschichte des SDS, Berlin 1977, S. 34ff.
9 So habe die „Konkret-Fraktion“ im SDS auf diese Weise dem „orthodoxen Linken“ Oswald Hüller 1958 zum Bundesvorsitz verholfen und unter dessen Ägide 1959 den Westberliner Kongress der studentischen Anti-Atom-Ausschüsse sowie den Frankfurter Kongress „Für Demokratie – gegen Restauration und Militarismus“ zu Resolutionen verleitet, „die der politischen Generallinie der SED entsprachen“. Knabe 1999, S. 184f unter Berufung auf Klaus Rainer Röhl, Fünf Finger sind keine Faust, Köln 1974, S. 142ff sowie Tilman Fichter, SDS und SPD. Parteilichkeit jenseits der Partei, Opladen 1988, S. 281. Die Studentenzeitschrift „konkret“ war 1955 vom FDJ-Zentralrat initiiert, von Mitgliedern der illegalen KPD instruiert und (bis zum Bruch der Zeitschrift mit der Partei 1964) von der DDR finanziell unterstützt worden.
10 Zur erstaunlichen Karriere des (so Knabe) „orthodoxen Linken“ Oswald Hüller: Der 1959 vom SPD-Bundesvorstand als Abweichler verurteilte, als „Konkret“-Fraktionär beschuldigte und abgesetzte SDS-Bundesvorsitzende wurde noch im gleichen Jahr Mitglied der Stabsabteilung „Organisation“ im Krupp-Konzern und dort persönlicher Assistent des Krupp-Direktors Otto Proksch, 1963 Geschäftsführer der Wirtschaftsförderungs-Gesellschaft für den Kreis Unna und schließlich (1969) Inhaber der „Oswald Hüller GmbH, Wirtschafts -und Industrieberatung” in Düsseldorf.
11 Fichter/Lönnendonker 1977, S. 59ff und Knabe 1999, S. 188. Knabe selbst verweist darauf, dass das Agieren der „Konkret“-Fraktion im Kontext der östlichen Interessenlage sogar außerordentlich kontraproduktiv war, wie der IM Peter Heilman unter Hinweis auf deren Versuch, mit den SPD-Rechten gegen die linkssozialistischen Fraktion zu paktieren, dem MfS berichtete. Ebenda.
12 Knabe wiederholt heute die damalige SPD-offizielle Rechtfertigung des Ausschlusses des SDS (dessen „kommunistische Unterwanderung“): „Die Unterwanderung des SDS führte dazu, dass in der SPD die Bestrebungen wuchsen, den SDS nicht länger zu unterstützen und einen anderen, parteiloyalen Studentenverband ins Leben zu rufen.“ Knabe 1999, S. 187. Dagegen hieß es bei Fichter/Lönnendonker zu den tatsächlichen Wurzeln des Unmuts der SPD-Führung über den Studentenverband: „In der SPD war man den ewig hinterfragenden Intellektuellen, der keinen Respekt vor der Geschichte der Arbeiterbewegung zeigte, einfach leid. Diese sozialistischen Studenten verneigten sich nicht einmal vor dem 8. Weltwunder, einem Parteitag, der mit fast 95 % das Godesberger Programm beschließt, und schreckten doch tatsächlich nicht vor dem Sakrileg zurück, das Jahrhundertwerk Absatz für Absatz mit marxistischer Analyse zu entweihen. Der rote Teufel der Kritik sollte nun durch … Konformismus ausgetrieben werden.“ Fichter/Lönnendonker 1977, S. 67f.
13 Rabehl 2000, S. 29ff.
14 Ebenda, S. 83. Knabe lässt dies unerwähnt, nicht aber die Teilnahme Kurt Hagers an dieser Veranstaltung. Knabe 1999, S. 200.
15 Knabe 1999, S. 187ff.
16 Die im Sommer 1964 gegründete Gruppe „Subversive Aktion“ vereinte einen aktionistischen Flügel in München um Dieter Kunzelmann und den Berliner Flügel um Rudi Dutschke, der mehr analytisch ausgerichtet und historisch-ökonomisch profiliert war. Trotz unausgetragener Differenzen gaben diese Akteure seit August 1964 gemeinsam die Zeitschrift „Anschlag“ heraus. Fichter/Lönnendonker 1977, S. 81.
17 Fichter/Lönnendonker 1977, S. 91. Einer anderen Quelle gemäß hieß es: „Vietnam ist das Spanien unserer Zeit, Ost und West verständigen sich auf Kosten der dritten Welt …“. Hans Gellhardt, Wofür haben wir gekämpft, Potsdam 2006, S. 82.
18 So Knabe 1999, S. 203, S. 206f. Dagegen heißt es bei Fichter/Lönnendonker unter Hinweis auf die SDS-Vietnam-Resolution vom Herbst 1965, „dass der Verband … bewusst als eigenständige dritte Kraft im linken Spektrum auftrat, jenseits der Sozialdemokratie und des Kommunismus“. Fichter/Lönnendonker 1977, S. 90. In der Resolution hieß es: „Wir halten es für kein moralisch vertretbares Prinzip, Unrecht nur anzuklagen, wenn es auf der anderen Seite geschieht, wie es heute in Ost und West zur politischen Praxis gehört. Wir meinen, dass wir die Verurteilung des Krieges, den die USA gegen das vietnamesische Volk führt, nicht den Kommunisten und ihren Anhängern allein überlassen dürfen. Dass dieser Aufruf vom geteilten Berlin ausgeht, ist kein Zufall. Keineswegs ist die Situation in Vietnam der in dieser Stadt gleichzusetzen, wie blinde Antikommunisten uns einreden möchten.“ Ebenda.
19 Vor 2200 Teilnehmern, unter anderem Wolfgang Abendroth, Norman Birnbaum, Bo Gustafsson, Jürgen Habermas, Oskar Negt, Theo Pirker, Ronny Zilliacus, Claude Bourdet und Heinz Brandt, hielt der marxistische Philosoph der Frankfurter Schule, Herbert Marcuse, das Hauptreferat.
20 Im SDS bezog man sich auf Agnolis Kritik des bürgerlichen Verfassungsstaats, der gemäß das politische System im Vollzug der herrschenden privatwirtschaftlichen Verwertungsinteressen nur die Form eines korporatistischen Blocks annehmen könne. In ihm verwandle sich das pluralistische Ideal konkurrierender Parteien in eine parlamentarische Assistenz autoritärer Staatlichkeit bei der Erfindung von reibungsarmen Regelungsprozeduren, welche diesen Interessen dienlich sein sollen. Johannes Agnoli/Peter Brückner, Die Transformation der Demokratie, Berlin 1967.
21 So wurde nach dem gemeinsamen Seminar des Zentralrats der FDJ und des SDS-Bundesvorstandes im Juli 1967 vom Zentralrat konstatiert, „dass die SDSler der Innen- und Außenpolitik der DDR mit Unverständnis gegenüberständen. Das Neue Ökonomische System der Planung und Leitung (NÖSPL) begriffen sie als Methode, in der DDR Produktionsformen des Kapitalismus zu kopieren und dadurch Schritt für Schritt eine kapitalistische Restauration einzuleiten. Weiterhin meinten sie, dass die Massen in der DDR zuwenig an der Staatsmacht beteiligt seien und die Diktatur durch obere Partei- und Staatsfunktionäre ausgeübt werde.“ Es fehle die „innerbetriebliche Demokratie“; es gebe keine Ansätze von „Arbeiterräten“, innere Widersprüche sowie Schwierigkeiten würden nicht öffentlich diskutiert und das System sei vom Typus des autoritären Staates. Rabehl 2000, S. 44, 46.
22 Die damalige zeitgenössische Häme der senatsergebenen Presse steigerte Knabe 1999 durch den Hinweis, dieser Vorgang sei von der DDR dadurch fast in den Rang eines „Staatsbegräbnisses“ erhoben worden. Knabe 1999, S. 203.
23 ND vom 31.7.1979.
24 L. L. Matthias, Wer ist Herbert Marcuse? in: Die Weltbühne. Wochenzeitschrift für Politik, Kunst und Wirtschaft vom 10.7.1969, XXIV, S. 822–825, zit. nach Peter Erwin Jansen, „Die Begierde nach Gesellschaft“, Herbert Marcuses Blick für die Unzulänglichkeiten staatlicher Utopien, in: Marcus Hawel, Gregor Kritidis (Hg.), Aufschrei der Utopie: Möglichkeiten einer anderen Welt, Hannover 2006, S. 35. Die „Prawda“ hatte schon am 30.5.1968 während der Pariser Mai-Revolte angedeutet, Marcuse sei im Auftrag des amerikanischen Geheimdienstes CIA tätig. Im Hintergrund stand die Tatsache, dass Marcuse Ende der 30er und zu Beginn der 40er Jahre für das Office of Strategic Services (OSS) Feindanalysen über das nationalsozialistische Deutschland erstellt hatte.
25 Ebenda.
26 Robert Steigerwald, Herbert Marcuses „dritter Weg“, Berlin 1969, S. 254f. Der Autor, als KPD-Mitglied in der Bundesrepublik von beruflicher Ausgrenzung und fünf Jahren Haft betroffen, gehörte dann dem Parteivorstand der DKP an. Eine Aufsatzsammlung verschiedener Autoren zur Kritik der „Frankfurter Schule“ im Lichte des Marxismus (Konferenzband) erschien 1970 im Verlag Marxistische Blätter Frankfurt/M und wurde 1971 im Akademie-Verlag Berlin (Ost) nachgedruckt.
27 Einflussnahme der SED-Westberlin auf die sog. ausserparlamentarische Opposition, Bericht im Auftrag des Senators für Inneres, Kurt Neubauer (Stand 15. Juli 1968), S. 28f; vgl. BStU MfS HAII Nr. 30392, Bl. 31f.
28 Rabehl 2000, S. 40. Bemerkenswerterweise war solcher Argwohn auch schon früh in den Reihen der SED-W selbst vorhanden: Berichte aus dem Kreisverband Wilmersdorf vom April 1965 vermeldeten, dass besonders ältere Genossen aus den Grundorganisationen 104, 108 und 112 die Auffassung vertraten, dass „die Sowjetunion der Demokratischen Republik Vietnam nicht genügend Hilfe gibt“. Landesarchiv Berlin, Bestand SEW, C Rep. 908 Nr. 120.
29 Hans Gellhardt, Wofür haben wir gekämpft, Potsdam 2006, S. 93.
30 Fichter/Lönnendonker 1977, S. 124f. Nach Einladung der FDJ zur Teilnahme am Vietnam-Kongress durch das Westberliner Vorbereitungs-Sekretariat des SDS kam es im Januar zu zwei Gesprächen von FDJ-Zentralratsmitgliedern mit den erwähnten Westberliner SDS-Mitgliedern, ohne dass die FDJ ihre Absichten (Verzögerung der Konferenz, Verhinderung einer Minderheitenposition teilnehmender Organisationen aus sozialistischen Ländern sowie Verhinderung einer Diskussion über die Rolle dieser Länder im antiimperialistischen Kampf) gegen den SDS durchzusetzen vermochte. Rabehl 2000, S. 55ff.
31 Später erhob die maoistische KPD, zu dessen ZK Christian Semler zählte, den unzutreffenden Vorwurf, Dutschke habe der „revisionistischen FDJ“ auf dem Vietnam-Kongress ein propagandistisches Podium einräumen wollen. Fichter/Lönnendonker 1977, S. 124f.
32 Der SDS-Bundesvorsitzende Karl-Dietrich Wolff erklärte in Sofia auf einem Forum zum Thema „Revolutionärer Kampf gegen den Imperialismus“, die sowjetische Politik zeige eine „antirevolutionäre Tendenz“. Operativinformation über die Einschätzung einiger Probleme der außerparlamentarischen Opposition in Westdeutschland“ vom 6.12.1969, HV A/VII/A, S. 18, BStU, MfS HAII, Nr 31550, Bl. 47.
33 Die KPD hatte schon im Februar 1967 zu verhindern versucht, dass die auf Initiative des SDS entstehenden „Unabhängigen Schülergemeinschaften“ mit ihrem Dachverband „Aktionszentrum Unabhängiger Sozialistischer Schüler“ sich konsolidierten, weil dies aus Sicht der KPD damals ihren Vorbereitungen für die Gründung der SDAJ zuwiderlief.
34 Fichter/Lönnendonker 1977, S. 157f. Unter den fünf Ausgeschlossenen war auch Herbert Lederer, Mitglied des SDS-Bundesvorstands, außerdem Mitglied der illegalen KPD.
35 Außerparlamentarische Opposition in Westdeutschland und Westberlin. Studie der Hauptverwaltung A, Abteilung VII, vom 20.12.1968 (mit Anschreiben an das Büro/die Leitung der HAII), S. 15; BStU, MfS HAII Nr. 31550, Bl. 19.
36 Ebenda, S. 16, Bl. 20.
37 Operativinformation über die Einschätzung einiger Probleme der außerparlamentarischen Opposition in Westberlin“ vom 17.12.1969, HV A/VII, S. 1, 13, BStU, MfS HAII, Nr 31550, Bl. 63, 75.
38 Vgl. auch Wolfgang Kraushaar, Denkmodelle der 68-er Bewegung, in: APuZ, B 22-23/2001, S. 15f. Dabei hatte Herbert Marcuse, Leittheoretiker der „Neuen Linken“, mit seiner Arbeit „Soviet Marxism. A critical analysis“, New York, 1958 (dt.: Die Gesellschaftslehre des Sowjetischen Marxismus, Niederwied 1964) es nicht an kritischen Orientierungen im Umgang mit den Systemen sowjetischen Typs fehlen lassen.
39 Ausnahmsweise zutreffend ist hier Götz Alys Kritik an der Kritiklosigkeit und dem ideologiebestimmten Wunschdenken der „Antiautoritären“ gegenüber China und seiner Innen- wie Außenpolitik. Götz Aly, Unser Kampf. 1968 – ein irritierter Blick zurück, Frankfurt a. M. 2008.
40 Knabe 1999, S. 205. Diese Einschätzung des MfS änderte sich auch in der Zeit nach dem Attentat auf Dutschke nicht: Die gemeinsame Positionierung Rudi Dutschkes und Wolf Biermanns etwa gegen Berufsverbote in Ost und West 1973, für die Aktionseinheit undogmatischer Sozialisten beider Systeme und für einen Sozialismus jenseits westlichem Kapitalismus und östlicher Staatsdespotie führte nach Meinung von Hubertus Knabe sogar dazu, dass sich „die Staatssicherheit über derartige Aktivitäten stärker alarmiert (zeigte), als durch offen antikommunistische Kritiker“. Ebenda, S. 230. Dies vor allem deshalb, weil SED und MfS mit Recht befürchten mussten, dass die kritische Haltung gegenüber dem DDR-„Sozialismus“ auch in die DDR hineinwirken würde.
41 Bernd Rabehl als damaliger Teil der antiautoritären Strömung im SDS, deren Praxis von ihren linkssozialistischen Kritikern im SDS („Keulenriege“) als „anarchistisch“ bezeichnet wurde, interpretierte 34 Jahre später diesen Konflikt widersprüchlich: Zum einen spricht er davon, dass der misslungene Versuch der „Keulenriege“, die „Antiautoritären“ aus diesem Anlass aus dem SDS auszuschließen, in Absprache der späteren „Novembergesellschafter“ mit dem SDS-Bundesvorstand um Helmut Schauer, Frank Deppe und Hartmut Dambrowski aus organisationspolitischen Motiven erfolgte. Dabei erwähnt er aber zum anderen, dass die Berliner Kontrahenten der „Antiautoritären“ später über ihren Republikanischen Club wieder mit Dutschke und Rabehl kooperierten. Rabehl 2000, S. 115. Bei Fichter/Lönnendonker ist überdies davon die Rede, dass Dutschke und Rabehl die Kritik der „Alt-SDS´ler“ an den Plakat-Aktionisten im Ansatz teilten. Fichter/Lönnendonker 1977, S. 93. Und bei Rabehl heißt es schließlich an dritter Stelle, der IM des MfS Barthel, „beunruhigt über das Wirken einer antiautoritären Gruppe im SDS“ habe diese Gruppe zu dem Versuch „veranlasst … Dutschke, Kunzelmann und Rabehl aus dem SDS zu werfen …, um diese Abweichler und Abhauer aus der DDR zu isolieren und zu denunzieren.“ Rabehl 2000, S. 21.
42 Zu ihnen gehörten Horst Mahler, Walter Barthel (IM), Ulrich K. Preuß, Dietrich Staritz (IM), Solveig Ehrler, Lothar Pinkall, Klaus Meschkat, Barbara und Johannes Agnoli, Bernhard Blanke, Urs Müller-Plantenberg und Karl Guggomos.
43 Zu ihm gehörten auch Hans Magnus Enzensberger, Wolfgang Neuss, Manfred Rexin, Wilfried Gottschalch, Ekkehart Krippendorff, Ossip K. Flechtheim, Marianne Regensburger und Lothar Pinkall. sowie Vorstandsmitglied Horst Mahler – gleichzeitig Gesellschafter der EXTRA-Dienst GmbH, dem Herausgeber der gleichnamigen Zeitschrift.
44 Brief von Danelius an Ulbricht vom 9.10.1967, Landesarchiv Berlin, Bestand SEW, C Rep. 908 Nr. 100.
45 Knabe 1999, S. 207ff.
46 Danelius erklärte im Oktober 1967 gegenüber Ulbricht, die SED-W unterstütze die Kampagne „Enteignet Springer“, obwohl diese sicher nicht zur Enteignung führen werde, wegen ihrer großen Bedeutung zur Entlarvung der Meinungsmanipulation durch den Konzern. Brief von Danelius an Ulbricht vom 9.10.1967, Landesarchiv Berlin, Bestand SEW, C Rep. 908 Nr. 100.
47 Hubertus Knabe, Wie Ost-Berlin gegen den Axel Springer Verlag mobil machte, FAZ 22.3.2001, Nr. 69, S. 10. Manfred Wilke verstärkte diese Sichtweise mit der Behauptung, die Studentenbewegung habe mit ihrer Kampagne „Enteignet Springer“ 1967/68 lediglich eine 1966 von der SED und ihrem „Propagandachef“ Albert Norden wiederbelebte Kampagne willfährig aufgegriffen. Manfred Wilke, Ein längst überfälliger Tabubruch, Die Welt vom 25.3.2001.
48 Diese von der Springer-Presse angefachte Pogrom-Stimmung entfaltete sich besonders während der am 21. Februar 1968 vom Westberliner Senat und der SPD mitorganisierten Gegendemonstration anlässlich des gerade beendeten Vietnamkongresses. Peter Schneider, der damals zusammen mit Hannes Schwenger die Anti-Springer-Kampagne unterstützte, erklärte 2001 zu Knabes damals auch von Springer propagierten „Steuerungsthese“: „Knabe reproduziert die abgestandenen Argumente des Kalten Krieges, wenn er die Stasi, die sich natürlich an die Anti-Springer-Kampagne anhängte, postum zu deren Lenker ernennt. Es ist, als wollte man den RIAS für den Volksaufstand des 17. Juni in der DDR verantwortlich machen. Die versprengten MfS-Veteranen werden sich freuen. Offenbar bedurfte es westdeutschen Forscherfleißes, um ihnen endlich jene Bedeutung zuzuerkennen, von der sie immer träumten.“ Peter Schneider, Springers Dossier, Die Zeit 15/2001.
49 Außerparlamentarische Opposition in Westdeutschland und Westberlin. Analyse der Hauptverwaltung A, Abteilung VII, vom 20.12.1968, S. 5 bzw. 16, BStU, MfS HAII, Nr 31550, Bl. 9 bzw. 20.
50 Warum eine neue Korrespondenz? Gründungserklärung der „RPK“-Redaktion vom 22.2.1969.
51 Auch die in Vorbereitung der Bundestagswahlen 1969 auf Initiative von Mitgliedern der Republikanischen Clubs in Hamburg, Lörrach und Sylt gegründete „Demokratische Union“ (DU) erhielt von den Berichterstattern der HV A das Prädikat „antikommunistische Sammlungsbewegung von Teilen der APO“. Jene von Bloch, Gollwitzer und Hochhuth unterstützte Assoziation distanzierte sich ausdrücklich von der DKP, war parlamentskritisch, jedoch nicht antiparlamentarisch und bekannte sich zu einer humanen, freien sozialistischen Demokratie. Operativinformation über die Einschätzung einiger Probleme der außerparlamentarischen Opposition in Westdeutschland“ vom 6.12.1969, HV A/VII/A, S. 9, BStU, MfS HAII, Nr 31550, Bl. 38.
52 Ebenda, S. 2.
53 So äußerte sich angeblich der CSU-Abgeordnete Prochazka im Februar 1969 vor dem Arbeitskreis für Deutschland- und Ostpolitik der CSU. Ebenda, S. 2, Bl. 32.
54 Operativinformation über die Einschätzung einiger Probleme der außerparlamentarischen Opposition in Westberlin“ vom 17.12.1969, HV A/VII, S. 4f, 10f, 15ff, BStU, MfS HAII, Nr 31550, Bl. 66f, 72f, 77f.
55 FDJ-Zeitschrift „Forum“, 1. Aprilheft 1968.
56 ND vom 11.6.1968.
57 Probleme des Friedens und des Sozialismus, Heft 2/1969, S. 227.
58 SED-Politbüro-Mitglied Albert Norden erklärte in einer Rede in der Universität Greifswald, die westliche Jugendrebellion sei „dem Wesen nach ein Aufstand der Zukunft gegen die Vergangenheit, des Fortschrittlichen gegen die Reaktionäre, des Denkens gegen den Unverstand, des Humanismus gegen das Verbrechen.“ Berliner Zeitung vom 20.5.1969. Walter Ulbricht bemerkte, „diese rebellierenden westdeutschen Jugendlichen haben völlig recht. Sicherlich ist es für manche Erwachsenen in Westdeutschland ungewohnt, in welchen Formen und mit welchen Methoden die Jugend den Kampf … führt. Mögen auch einzelne Formen und Methoden dieses Kampfes nicht gerade zweckmäßig sein, in der Sache jedenfalls … haben diese Jugendlichen recht.“ ND vom 8.5.1969.
59 Neues Verhältnis der Kommunisten zur „Neuen Linken“, Schreiben des DGB-Bundesvorstands an die Bundesvorstandsmitglieder, die Vorsitzenden der DGB-Landesbezirke und -kreise vom 10.11.1069, S.7. Das MfS wusste sich auch dieses Schreiben zu verschaffen: BStU MfS HA II Nr. 32204, Bl. 15.
60 Rabehl 2000, S. 69. Siehe auch die Rezension von Hans-Eberhard Schulz, Bernd Rabehls Einblicke in den Westberliner SDS und die APO, Berlin/Bremen 2001 (online-Version auf der SDS-Webseite http://www.isioma.net/i-sds.html)
61 Rabehl 2000, S. 68.
62 Rabehl 2000, S. 69.
63 Als Nachweis eines Aufrufs zur Missachtung polizeilicher Ordnungsverfügungen wurde unter anderem folgende Äußerung Dutschkes festgehalten: „Wir können kein Feigenblatt abgeben für eine Demokratie, die schon abgeschafft ist. … Wir werden nicht prügeln, wir haben nie angefangen zu prügeln, das hat immer die andere Seite getan, aber – und das sollte Vertretern der Politischen Polizei auch heute Abend deutlich gesagt werden: Wenn es zu Übergriffen der Polizei kommt, wir werden es nicht zulassen, dass aus unseren eigenen Reihen Kommilitonen abgeschleppt werden.“ Akte Dutschke beim Berliner Verfassungsschutz, Diskussionsbeitrag von Rudi Dutschke auf einer AStA-Veranstaltung am 20.10.1967 zur Vorbereitung der Vietnamdemonstration am 21.10.1967, S. 1/2; zit. nach Rabehl 2000, S. 119.
64 Rabehl 2000, S. 145.
65 Operativinformation über einige Probleme der Entwicklung der außerparlamentarischen Opposition (APO) in Westberlin seit Mitte 1969 vom 6.7.1970, HV A/VII, S. 24f, BStU, MfS HAII, Nr 31550, Bl. 126f.
66 Die HV A empfahl u. a. die Beschaffung von „Angaben über bewaffnete und anarchistische Kräfte in den Reihen der APO, Umfang und Stärke, Lieferanten der Waffen“, die „Beschaffung des Handbuches der ´Stadt-Guerillas´ für den Untergrundkampf mit dem Titel ´Berlin soll brennen´ und die ´Klein-Kriegs-Anleitung für Jedermann´“ und „Angaben über geplante Hetz- und Terroraktionen gegen die Staatsgrenze der DDR und in der DDR.“ Einschätzung einiger Probleme der Entwicklung der außerparlamentarischen Opposition (APO) in Westberlin seit Mitte 1970 vom 28.4.1971, HV A/VII, S. 10, BStU, MfS HAII, Nr. 16571, Band 1, Bl. 62.
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