Die Justizbehörden und die Terrorismusbekämpfung in der Schweiz

von Viktor Györffy
aus telegraph #118/119

Der Staatsschutz wittert Morgenluft. Als Mitte der Neunzigerjahre das Bundesgesetz über Massnahmen zur Wahrung der inneren Sicherheit (BWIS) verabschiedet wurde, gestand man den Staatschützern keine Kompetenzen zur Überwachung von Telefonanschlüssen und Privaträumen zu. Der Schock der Fichenaffäre wirkte noch zu stark: In den späten Achtzigerjahren war nach und nach ans Licht gekommen, dass der Staatsschutz über 700.000 Personen und Organisationen registriert hatte. Danach war eine gewisse Zurückhaltung angesagt. Damit ist es mittlerweilen vorbei. In der Vorlage BWIS II, die im Sommer 2007 an den National- und Ständerat gegangen ist, fordert der Bundesrat neue Staatsschutzkompetenzen in den Bereichen Terrorismus, verbotener politischer und militärischer Nachrichtendienst sowie Proliferation. In diesen Bereichen soll dem Staatsschutz u. a. die Telefonüberwachung, das Verwanzen von Privaträumen und das Hacken von Computern erlaubt werden. Vorgesehen ist ferner die Einführung von Informationspflichten von Behörden und der Einsatz von Spitzeln.1 Ob der Bundesrat damit durchdringt, ist allerdings fraglich. Es sieht eher danach aus, dass das Parlament gar nicht auf die Vorlage eintreten, sondern diese – nicht zuletzt wegen grundrechtlicher Bedenken –an den Bundesrat zurückweisen wird.

In der Botschaft werden die Forderungen der Staatsschützer im Wesentlichen mit dem Hinweis auf eine erhöhte Terrorgefahr begründet. Die Sicherheits- und Gefahrenlage der Schweiz habe sich in den letzten Jahren namentlich durch die erhöhte Wahrscheinlichkeit von islamistisch motivierten Terroranschlägen sukzessive verschlechtert. Seit längerer Zeit könnten die Nachrichtenbedürfnisse für die Lagebeurteilung und Entscheidfindung, aber auch für die rechtzeitige Erkennung verborgener Gefahren nicht mehr ausreichend befriedigt werden.

Ist die Schweiz derart in Gefahr, dass man die Belauschung und Bespitzelung durch den Geheimdienst zulassen muss, also ohne dass ein Verdacht auf eine strafbare Handlung vorliegt? Die Staatsschützer malen zwar bei jeder Gelegenheit den Teufel an die Wand. Doch Konkretes gibt es kaum zu vermelden. Besonders deutlich im Staatsschutzbericht („Bericht Innere Sicherheit Schweiz“) 2005, den man unter dem Motto „nichts ist passiert, aber alles ist möglich» zusammenfassen könnte.2 Der Staatsschutzbericht 2006 nennt zwar einige wenige konkrete Vorkommnisse, bleibt aber wiederum reichlich vage und substanzlos.3

Ein anschauliches Beispiel dazu ist der Fall «Saud», den der Staatsschutzbericht 2006 unter dem Titel «Erste Terrorismusanklagen in der Schweiz» anführt. Der Fall taugt letztlich wenig zur Panikmache, denn: «Das Bundesstrafgericht sprach am 28. Februar 2007 alle sieben Angeklagten erstinstanzlich von den Hauptanklagepunkten der Beteiligung an beziehungsweise Unterstützung einer kriminellen Organisation frei». Das erste und bisher einzige „Terrorismusverfahren“, das zur Anklage gebracht worden war, endete für die Schweizerische Bundesanwaltschaft in einem Debakel. Von den Vorwürfen der Unterstützung für Al Qaida und der Bildung einer kriminellen Organisation blieb nichts übrig. Sechs der Angeklagten verurteilte das Gericht wegen Schlepperei und der damit zusammenhängenden Urkundenfälschung: Sie hatten Personen vorwiegend aus dem Jemen in die Schweiz gebracht und sie mit gefälschten somalischen Papieren ausgestattet. Die meisten Eingeschleusten hatten dann einen Asylantrag gestellt. Der angebliche ideologische Kopf der Gruppe, ein ehemaliger Imam aus dem Jemen, erreichte einen kompletten Freispruch.4

Terrorismusverfahren: Viele Verlautbarungen, keine Verurteilungen

Der Fall ist symptomatisch für die Bemühungen der Bundesanwaltschaft auf der Jagd nach Terroristen, bei denen trotz eines hohen Budgets und entgegen grossmundiger Verlautbarungen bislang nichts Zählbares herauskam. Die Anklage wurde vom stellvertretenden Bundesanwalt Claude Nicati vertreten. Dieser leitete die unmittelbar nach den Anschlägen vom 11. September 2001 gebildete „Task Force Terror USA“ und blieb auch nach deren förmlicher Auflösung „oberster Terroristenjäger“ der Schweiz. Schon im Februar 2002 hatte die Task Force verlauten lassen, dass „Dutzende“ von MitarbeiterInnen der Bundeskriminalpolizei rund 900 Spuren von „simplen Internet-Gerüchten“ bis hin zu „substanziellen Hinweisen“ auswerteten.5 Als die BA am 24. Juni 2004 „die mit der Bundeskriminalpolizei geführten Terrorermittlungen“ abschloss und „vorläufige Bilanz“ zog, konnten Nicati und sein Vorgesetzter, der inzwischen zurückgetretene Bundesanwalt Valentin Roschacher, jedoch nur drei konkrete Fälle vorweisen. „In den nächsten Wochen“ – so die Ankündigung – sollten die gerichtspolizeilichen Ermittlungen in diesen „komplexen Schwerpunktverfahren“ abgeschlossen und für die zweite Stufe des Bundesstrafprozesses, die Voruntersuchung, an das Eidgenössische Untersuchungsrichteramt überwiesen werden.6

Im ersten Fall, dem Verfahren gegen die beiden Verantwortlichen der in Lugano ansässigen Finanzfirma „Nada Management“ (früher: Al Taqwa) ist diese zweite Stufe nie gezündet worden. Begonnen hatte es – offenbar auf Druck der USA – mit einer groß angelegten und medial breitgetretenen Durchsuchungs- und Beschlagnahmeaktion am Firmensitz am 7. November 2001. Im Laufe der Ermittlungen gegen die Beschuldigten, die bis heute auf der Terror-Liste der USA (bzw. des UN-Sicher­heitsrates) stehen, habe sich der Verdacht erhärtet, dass über die von ihnen „eingerichteten Finanzkanäle zur Unterstützung terroristischer Organisationen dienende Gelder in die Schweiz und aus der Schweiz geflossen sind“, erklärte die BA im Juni 2004. Am 27. April 2005, rund dreieinhalb Jahre nach Beginn der Ermittlungen, hieß das Bundesstrafgericht die Beschwerde von Yussuf Nada gut und räumte der BA eine Frist bis zum 31. Mai 2005 ein, um entweder das Verfahren an den Untersuchungsrichter (UR) zu überweisen oder es definitiv einzustellen. Letzteres war der Fall.7

Das zweite Verfahren betrifft den saudischen Financier Yassin Kadi. Auch er fand (und findet sich) seit Oktober 2001 auf der Terror-Liste der USA, die ihm bisher aber strafrechtlich nichts nachweisen konnten.8 Im Juni 2004 erklärte die BA, Kadi stünde „unter dem Verdacht, als ehemaliger Vorsitzender einer Wohlfahrtsstiftung namens Muwafaq Vermögenswerte in Millionenhöhe an Personen, die eng mit dem Netzwerk Al Qaida verbunden sind, transferiert zu haben, dies mittels Schweizer Bankkonten.“ Gelder „in zweistelliger Millionenhöhe“ wurden auf einer Genfer Bank eingefroren. Der Beschuldigte sei „mehrmals“ von Nicati vernommen worden, bestreite aber „jede Verbindung zum Terrormilieu“. Das Verfahren ging aber nicht „in einigen Wochen“ an den Untersuchungsrichter, sondern erst im Juni 2005.9 Die Beweislage ist jedoch offenbar so dürftig, dass die Bundeskriminalpolizei begann, Asylsuchende aus dem Maghreb zu befragen, die vor Jahren in Bosnien als Bauarbeiter für die Stiftung arbeiteten.

Damit war das Verfahren „Saud“, das dritte „komplexe Schwerpunktverfahren“ aus der Liste von Juni 2004, das einzige, in dem die BA in der angekündigten Frist von einigen Wochen, nämlich am 30. Juli 2004, beim UR die Eröffnung der Voruntersuchung beantragte. Für die BA entwickelte sich der Fall zu einem Versuchsballon.

Kriminelle Organisation zwecks Einschleusung von Ausländern

Begonnen hatten die Ermittlungen nach den Anschlägen auf drei Wohnanlagen von „westlichen Ausländern“ in der saudischen Hauptstadt Riad am 12. Mai 2003. Bei einem der Selbstmordattentäter war ein Handy gefunden worden, auf dem 36 Nummern des Schweizer Providers Sunrise gespeichert waren, die die BA anschließend überwachen ließ. Schon Anfang August 2003 musste sie einer Schweizerin mitteilen, dass sie „in einem Verfahren gegen unbekannt“ ergebnislos abgehört worden war.10 Nicht nur bei ihr blieb unklar, wie die Nummer in den Handyspeicher des Attentäters geraten war.

Öffentlich wurde das Verfahren durch eine «zeitlich koordinierte Festnahmeaktion in fünf Kantonen» am 8. Januar 2004, an der laut damaligem Communiqué «ungefähr hundert Beamte der Bundeskriminalpolizei, hervorragend unterstützt von kantonalen Polizeikräften» teil­nahmen.11 Rechtsanwalt Ralph Wiedler Friedmann, der einen Betroffenen verteidigte, zeichnet ein anderes Bild: «Das war ein Einsatz am frühen Morgen bei Familien mit kleinen Kindern. Denen haben schwarz gekleidete vermummte Polizisten plötzlich eine Waffe an den Kopf gehalten.»

Die zunächst insgesamt zehn Beschuldigten aus Jemen, Irak und Somalia sahen sich mit dem Vorwurf der «logistischen Unterstützung einer kriminellen Organisation», nämlich der Al Qaida, konfrontiert. Laut Wiedler Friedmann hatte die BA «anfangs die paranoid anmutende Vorstellung, das sei eine ganz gefährliche Gruppe, die Dutzende von Selbstmordattentätern in die Schweiz und von hier aus weiter in andere Länder gebracht habe». Im Antrag zur Eröffnung der Voruntersuchung beschuldigte die BA alle zehn Personen, „der Logistikbasis einer terroristischen Organisation (anzugehören) … deren wesentliche Aufgabe es war, arabische Staatsangehörige aus der Golfregion von Deutschland herkommend in die Schweiz einzuschleusen, diesen hier Unterkunft zu gewähren, sie mit falschen Papieren auszustatten und sie anschließend als ‚Mudjaheddins‘ in nicht näher bekannte Länder, vermutlich nach Europa, weiter zu verfrachten“.12 Ein Teil der Presse – und zwar keineswegs nur Boulevardblätter – druckte geflissentlich die Beschuldigungen der BA nach, garnierte Zitate aus Ermittlungsberichten und Überwachungsprotokollen mit Spekulationen über Trainingslager in Afghanistan, Verbindungen zu höchsten Kadern der Al Qaida und „bedeutende Summen“, die an die „Gotteskrieger“ geflossen seien.13

Spätestens der Abschlussbericht des UR, der Anfang März 2006 an die Öffentlichkeit gelangte, machte klar, dass dieser Verdacht nicht zu halten war. Bei acht Beschuldigten sah der UR nur die Tatbestände der Schlepperei und Urkundenfälschung gegeben. Was jedoch den Terrorismusverdacht betrifft, wiederholte der UR bei diesen acht Personen jeweils klar und deutlich: „Die Untersuchung konnte nicht bestätigen, dass er Verbindungen mit Al Qaida und/oder Organisationen aus ihrem Umfeld hat oder gehabt hat.»

Auch bei den beiden anderen Beschuldigten war der UR erheblich zurückhaltender als die BA. Sie hätten vielleicht eine «gewisse Sympathie» zu den auf der arabischen Halbinsel agierenden «terroristischen Netzwerken», seien aber keine «Reiseunternehmer von Djihadisten» gewesen. Der Restverdacht gegen die beiden auf «Unterstützung einer kriminellen Organisation», den der UR weiter verfolgen wollte, war ziemlich dünn. Er gründete sich einzig auf ihre Kontakte zu einem angeblichen Al Qaida-Mitglied namens Abdullah Al Rimi, alias Oweis. «Der wurde da zum Obergangster aufgebaut, obwohl niemand weiss, wer oder was er eigentlich ist», sagt Rechtsanwalt Peter Frei. Im Bericht des UR hieß es: Die Untersuchung habe mit „hinreichender Wahrscheinlichkeit“ ergeben, dass Al Rimi zu einem „radikalen islamistischen Netzwerk“ gehöre, das hinter den Attentaten auf ein US-Kriegsschiff (USS Cole) vor der jemenitischen Küste im Oktober 2000 und auf die Wohnanlagen in Riad im Mai 2003 stehe. Der Bericht stützte sich dabei auf die von der Bundeskriminalpolizei wiedergegebenen Aussagen eines Offiziers der jemenitischen „Polizei der Nationalen Sicherheit“ und auf die Verurteilung Al Rimis in Jemen zu viereinhalb Jahren Haft. Letztere erfolgte allerdings nicht wegen eines spezifischen Anschlags, sondern nur wegen seiner Al Qaida-Mitglied­schaft. Im Februar 2006 floh Al Rimi aus der Haft, was das FBI zum Anlass nahm, ihn auf die Liste „Seeking Information – War on Terrorism“ zu nehmen, von der er im September 2006 jedoch wieder verschwand.14

Die Kontakte der beiden Beschuldigten per Telefon, SMS und E-Mail zu dem „Obergangster“ fanden Mitte 2003 statt, kurz bevor dieser in Katar festgenommen und an den Jemen ausgeliefert wurde. Al Rimi bat die beiden, ihm einen falschen Pass für die Flucht nach Europa zu besorgen. Geliefert wurde der Pass nie. Er sei nur aus Höflichkeit auf das Ansinnen des Mannes eingetreten, der offensichtlich in Schwierigkeiten steckte, zitierte der UR-Bericht einen der Beschuldigten. Und der andere bekundete, Al Rimi aus Mitleid schliesslich zweihundert US-Dollar überwiesen zu haben – was in Katar dafür reicht, um zweimal ordentlich zu essen. Von „bedeutenden Summen“ konnte also keine Rede sein.

Politische Dramatisierung des «organisierten Verbrechens»

«Faktisch braucht es keine einzige bewiesene strafbare Handlung, um eine kriminelle Organisation zu konstruieren», kommentiert Rechtsanwalt Wiedler Friedmann. Das Verfahren „Saud“ ist ein Lehrstück über die Gefahren dieses 1994 eingeführten Straftatbestandes. Die politische Dramatisierung des „organisierten Verbrechens“, von der schon die Debatte im Jahre 1994 lebte, führte dazu, dass das Parlament 1999 den Straftatbestand schließlich in die Liste derjenigen Delikte aufnahm, die der ausschließlichen Bundesgerichtsbarkeit unterliegen. Die so genannte „Effizienzvorlage“ trat zum 1. Januar 2002 in Kraft und war begleitet von einem massiven Personalausbau sowohl bei der BA als auch bei der Bundeskriminalpolizei, der diese in die Lage versetzen sollte, den erwarteten Arbeitsaufwand zu bewältigen.15

Die Zahl von über dreißig „komplexen Fällen“ aus dem Bereich der neuen Zuständigkeiten (neben kriminellen Organisationen Korruption, Geldwäsche und seit 2003 Finanzierung des Terrorismus), die die auch für die Anklage zuständige Bundesanwaltschaft auf den Tischen des Bundesstrafgerichts deponieren wollte, war vollkommen aus der Luft gegriffen.

Im Fall „Saud“ sah sich die BA offensichtlich unter dem Druck, die öffentlichen Vorverurteilungen und die lange Untersuchungshaft auch durch eine entsprechende Anklage vor dem Bundesstrafgericht zu rechtfertigen. Vizebundesanwalt Nicati folgte deshalb nicht der Vorgabe des UR. Er beschränkte sich nicht auf die beiden Personen, bei denen der UR den absurden Restverdacht der Unterstützung von Al Qaida aufrecht erhielt, sondern klagte gegen sieben der ursprünglich zehn Beschuldigten und forderte Strafen von bis zu viereinhalb Jahren.

Alle sieben sollten nun einer weiteren eigenständigen «kriminellen Organisation» angehören, deren Zweck die Einschleusung von Ausländern gewesen sei. Dieses Vorgehen musste schon deshalb scheitern, weil – so Rechtsanwalt Frei – «der Tatbestand der kriminellen Organisation an eine verbrecherische Tätigkeit gebunden ist. Schlepperei ist aber nach dem Ausländergesetz nur ein Vergehen, wofür sicher nicht die Strafverfolgung des Bundes zuständig wäre.» Mit dem Urteil des Bundesstrafgerichts ist der Versuchsballon geplatzt und die BA muss sich einmal mehr ein massives Missverhältnis zwischen Ressourcen und medialem Auftritt einerseits und den Ergebnissen andererseits vorwerfen lassen.

Der massive Ausbau der Ressourcen der BA hat an der Tatsache, dass der Tatbestand der „kriminellen Organisation“ in erster Linie ein Türöffner für den Einsatz der ganzen Palette strafprozessualer Zwangsmassnahmen ist, nur in seltenen Fällen jedoch zu Anklagen oder gar Verurteilungen führt, nichts geändert. Die Folgen dieser Zwangsmassnahmen spüren die Betroffenen allerdings unabhängig davon, ob zuletzt Anklage erhoben wird und ob es zu einem Schuldspruch kommt oder nicht.

Listeneintrag hebelt Grundrechte aus

Ebenfalls sehr einschneidend sind die Sanktionen, die ein Eintrag auf der UN-Liste über Personen und Einrichtungen, die der Al-Qaida oder den Taliban in Verbindung stehen, nach sich zieht. Die Schweiz hat diese Liste mit der so genannten Al Qaida-Verordnung übernommen, die am 7. November 2001, also noch vor dem Beitritt der Schweiz zur UNO, erlassen worden ist. Ein Eintrag auf der Liste hat für die betreffende Person oder Organisation zur Folge, dass alle Gelder und wirtschaftlichen Ressourcen in der Schweiz gesperrt sind und es verboten ist, die Person bzw. Organisation in irgend einer Weise finanziell zu unterstützen. Ausnahmen davon dürfen nur mit Bewilligung des Sanktionskomitees der UN gemacht werden. Das betrifft die Freigabe von Geldern zur Deckung lebensnotwendiger Ausgaben ebenso wie beispielsweise die Auszahlung einer Altersrente.

Yussuf Nada sowie verschiedene mit ihm verbundene Organisationen wurden am 9. November 2001 in die UN-Liste aufgenommen. Seit der Einstellung der entsprechenden Strafverfahren bemüht sich Nada darum, den Folgen dieses Eintrags zu entgegen. Bisher vergeblich. Der Eintrag blieb bestehen, und die Schweizer Behörden stellten sich auf den Standpunkt, sie hätten die mit dem Eintrag verbundenen Sanktionen weiterhin umzusetzen. Sie wiesen Nadas Gesuche, ihn und die mit ihm vebundenen Organisationen von der Liste zur Al Qaida-Verordnung zu streichen, ab. Das Bundesgericht entschied als letzte Instanz über die Gesuche und gab den Behörden recht.16 Es anerkannte zwar, dass Nada in einer ganzen Reihe von Grundrechten, die durch die Bundesverfassung und durch die EMRK geschützt sind, stark tangiert ist. Auch die damit verbundenen Verfahrensgarantien wie das Recht auf effektive Beschwerde und auf gerichtliche Überprüfung seien nicht eingehalten. Das Bundesgericht sah sich aber ausser Stande, daran etwas zu ändern. Die Beschlüsse der UN seien zwingend umzusetzen. Grenze der Anwendungspflicht sei einzig das ius cogens als zwingendes, für alle Völkerrechtssubjekte verbindliches Recht. Die dadurch tangierten Rechte fielen nicht darunter. Deshalb wies das Bundesgericht die Beschwerde ab und verwies Nada auf das Delisting-Verfahren auf UNO-Ebene. Ursprünglich konnte nur der Wohnsitz- oder Heimatstaat ein Gesuch an die UNO stellen, jemanden von der Liste zu streichen.

Weil Nada Wohnsitz in Italien hat, erachteten sich die Schweizer Behörden für ein Gesuch, das ihn betrifft, nicht als zuständig. Eine Resolution des Sicherheitsrates aus dem Jahr 2006 hat es nun möglich gemacht, dass die betroffene Person selbst ein Gesuch um Delisting stellt, was er inzwischen gemacht hat. Gegenüber dem Bundesgericht hatte er u.a. noch geltend gemacht, das in den Sanktionen enthaltene Reiserverbot treffe ihn besonders hart, da er seit Jahren in Campione festsitzt, einer 1,6 km2 grossen italienischen Enklave im Süden der Schweiz. Er stehe damit praktisch unter Hausarrest. Dazu führte das Bundesgericht aus, dass im Einzelfall mit Zustimmung des Sanktionsausschusses Ausnahmen vom Reiseverbot gewährt werden, insbesondere aus medizinischen, humanitären oder religiösen Gründen. Nada könne erneut ein entsprechendes Gesuch stellen.

Ausserhalb der Schweiz sind inzwischen vereinzelte Gerichtsentscheide gefällt worden, die den Bedenken gegen die UN-Sanktionen Rechnung tragen. So hat der EU-Gerichtshof in erster Instanz einen Beschluss des EU-Rats, Gelder der People‘s Mojahedin Organization of Iran (PMOI) einzufrieren, für nichtig erklärt. 17

Justizminister Blochers Versprechen an die Türkei

Unter dem Strich ist das Bundesgerichtsurteil im Fall Nada eine Bankrotterklärung des Grundrechtsschutzes gegenüber den von der UN vorgegebenen Anti-Terror-Massnahmen. Die Schweiz erscheint eingebunden in ein international vorgegebenes Anti-Terror-Konzept, das trotz seiner problematischen Aspekte innerstaatlich umgesetzt wird. Wie stark die Justizbehörden in der Schweiz inzwischen von der Logik und der Rhetorik des «War on terror» geprägt sind, zeigt der Verlauf der Asyl- und Auslieferungspraxis bei türkischen Kurden. Das Bundesamt für Justiz (BJ) hat seine frühere Auslieferungspraxis über den Haufen geworfen und ist dazu übergegangen, einzelne Auslieferungsgesuche gutzuheissen, sofern die Türkei bereit ist, Garantieerklärungen abzugeben. Das BJ geht davon aus, wenn die Türkei entsprechende Zusicherungen abgibt, sei die bestehende Gefahr von Folter und anderen Menschenrechtsverletzungen im Einzelfall gebannt. Im Fall von Mehmet Esiyok hat das Bundesgericht diese Praxis grundsätzlich für zulässig erachtet.18 Weniger Erfolg hatten die Behörden im parallelen Asylverfahren: Das Bundesamt für Migration (BFM) hatte das Asylgesuch von Esyiok abgelehnt. Dabei übernahm es die von der Türkei, den USA und der EU vorgegebene Qualifizierung der PKK als terroristischer Organisation. Dadurch mutierte der Umstand, dass Esiyok PKK-Funktionär gewesen war, vom Asylgrund letztlich zum Asylausschlussgrund. Das BFM brachte vor, nur schon durch seine Funktion in der PKK hätte er sich vieler Verbrechen schuldig gemacht, die die PKK begangen habe. Das Bundesverwaltungsgericht übernahm diese Argumentation allerdings nicht. Es hob den Entscheid des BFM auf und wies die Sache zur Neubeurteilung zurück.19 Dabei gab es dem BFM eine ganze Reihe von Fragen vor, die zu klären sind. Es legt die Latte für eine erneute Abweisung des Asylgesuchs damit hoch – zu hoch: Zwar lehnte das BFM das Asylgesuch von Esiyok erneut ab. Das Bundesverwaltungsgericht hob diesen Entscheid aber wiederum auf und anerkannte Esiyok als Flüchtling.20 Damit kann er nun definitiv nicht ausgeliefert werden. Der damalige Bundesrat Blocher stellte der Türkei die Auslieferung von Esiyok und weiterer Personen übrigens vorsorglich bereits anlässlich eines Besuches im Oktober 2006 in Aussicht.21

1  http://www.fedpol.admin.ch/fedpol/de/home/dokumentation/medieninformationen/2007/ref_2007-06-15.html
2  http://www.fedpol.admin.ch/etc/medialib/data/sicherheit/bericht_innere_sicherheit.Par.0038.File.tmp/BISS_2005_d.pdf
3 http://www.fedpol.admin.ch/etc/medialib/data/sicherheit/bericht_innere_sicherheit.Par.0042.File.tmp/d_s01_s92.pdf
4  Urteil SK.2006.15, abrufbar unter www.bstger.ch, zum Fall «Saud» und zu weiteren Fällen vgl. Bürgerrechte & Polizei/CILIP 86 (1/2007), S. 71 ff.
5  Le Temps v. 13.2.2002, Sonntagszeitung v. 17.2.2002
6  Medienmitteilung der BA und „speaking note“ des Bundesanwalts v. 24.6.2004
7  Entscheid BB.2005.4 v. 27.4.2005, abrufbar unter www.bstger.ch, NZZ v. 2.6.2005, Tagesanzeiger v. 3.5.2006
8  Newsweek v. 22.6.2005, www.msnbc.msn.com/id/8321338/site/newsweek
9  Le Temps v. 17.6.2005
10  vgl. Urteil des Bundesgerichts 8G.109/2003 v. 21.10.2003, abrufbar unter www.bger.ch
11  s. www.fedpol.admin.ch/fedpol/de/home/dokumentation/medieninformationen/2004/ 2004-01-09.html
12  zit. n. dem Abschlussbericht des UR: Office des juges d’instruction fédéraux: Rapport final. Procedure SAUD, Genève janvier/février 2006
13  z.B. Sonntagszeitung v. 20.6.2004, Le Temps v. 22.6.2004, Le Temps v. 11.10.2004, Sonntagszeitung v. 11.12.2005 und 12.2.2006 – immerhin schon mit einem Hinweis auf die schwache Beweislage
14  FBI-Press relaease v. 23.2.2006, www.fbi.gov
15  Maßnahmen zur Verbesserung der Effizienz und Rechtsstaatlichkeit der Strafverfolgung, Botschaft (=Entwurf), in: Bundesblatt (BBl.) 1998, S. 1529 ff., verabschiedeter Text: BBl. 2000, S. 75 ff.
16  Urteil 1A.45/2007 v. 14. November 2007, abrufbar unter www.bger.ch
17  http://curia.europa.eu/de/actu/communiques/cp08/aff/cp080079de.pdf
18  Urteil 1A.181/2006 des Bundesgerichts vom 23. Januar 2007, abrufbar unter www.bger.ch
19  Urteil E-7772/2006 des Bundesverwaltungsgerichts v. 22. Juni 2007, abrufbar unter www.bundesverwaltungsgericht.ch
20  Urteil E-4286/200 des Bundesverwaltungsgerichts v. 17. Oktober 2008, abrufbar unter www.bundesverwaltungsgericht.ch
21  Mehr zum Fall Esiyok: Beilage zum antidot 03/07 und antidotincl. 24 09 08 (www.antidot.ch, www.augenauf.ch)

Viktor Györffy ist Rechtsanwalt und Präsident von „Grundrechte-Schweiz“, er lebt in Zürich. Aktualisierte und überarbeitete Fassung eines Beitrages für den Widerspruch # 53.

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