Rede vor Gericht
von Erika Drees
aus telegraph #118/119
Sehr geehrter Herr Richter Nicol und Herr Staatsanwalt!
Ich möchte mich zuerst kurz vorstellen, damit Sie, Herr Richter Nicol und Herr Staatsanwalt, meine kriminelle Laufbahn, die nach Ihren Akten erst 1990 beginnt, aber in Wirklichkeit schon 1958, besser einordnen können. Ich stamme aus Schlesien. Mein Vater kam aus dem 2. Weltkrieg nicht zurück. Meine Jugend mit 4 Geschwistern ist geprägt von Flucht und Nachkriegszeit als Flüchtlings-Habenichts-Familie. Mein Medizinstudium habe ich mir bis zum 7. Semester allein verdient. Dann gab es das Honnefer-Modell. Bald nach dem Staatsexamen ging ich als junge Ärztin aus W-Deutschland in die DDR, weil von dort viele Ärzte nach Westdeutschland abgewandert sind, so dass ein großer Ärztemangel herrschte. Während meines Studiums war ich 9 Monate lang in DDR-Untersuchungshaft wegen eines Spionageverdachtes, der durch Ost-West-Studentengemeindekontakte entstanden war. Das Verfahren wurde eingestellt und 1996 erhielt ich die Rehabilitation (fast 40 Jahre danach).
Meine Hoffnung, in der DDR an einer gerechteren, nicht kapitalistischen Gesellschaftsordnung mitbauen zu können, verging endgültig mit der Niederschlagung des Prager Frühling 1968. Seitdem war ich mit meinem Mann und den heranwachsenden 3 Kindern immer intensiver im politischen Widerstand gegen das zunehmend entmündigende DDR-Regime. Keins meiner Kinder wurde zum Besuch der Oberschule zugelassen und die Staatssicherheit hat seit etwa 1978 viel Papier verbraucht, um unsere Familie zu observieren. Telefon und Wohnung waren jahrelang überwacht, wie ich heute weiß. Ordnungsstrafen und Polizeiarreste haben uns jedoch nicht von der Einsicht abgehalten, dass die Missstände in der DDR immer wieder an die Öffentlichkeit gebracht werden müssen, damit die eisige Apathie sich lösen kann. Eins der wichtigsten Themen war das in unmittelbarer Nähe unseres Wohnortes heranwachsende Atomkraftwerk. Bei der Formulierung der DDR-Notstände im Rahmen der „ökumenischen Versammlungen der Kirchen“ war ich als evangelische Christin, die den Widerstand lange eingeübt hat, intensiv beteiligt. In der Arbeitsgruppe „Energie für die Zukunft“ wurde die menschenverachtende Atomtechnik konkret kritisiert und Alternativen aufgezeigt. Die Gründung des NEUEN FORUM am 09. 09. 1989 und den darauf folgenden Aufbruch habe ich mit vorbereitet und befördert. Die Verleihung des Bundesverdienstkreuzes im September 1991 für meinen Beitrag zur Wiedervereinigung Deutschlands wies ich zurück, denn die überstürzte Vereinnahmung der DDR durch die Bundesrepublik mit dem verhängnisvollen 2+4-Vertrag und der D-Mark war nicht im Sinne der meisten DDR-Bürgerrechtler. Nur wenige Wochen lang genossen wir die lange erträumte Freiheit. Die Macht des Geldes, die wir bis 1989 nicht so kannten, hat die Aufbrüche aus dem totalitären Zwang innerhalb weniger Monate wieder zunichte gemacht. So konnte ich auch den Nationalpreis, den die 30 GründerInnen des NEUEN FORUM vor 3 Jahren erhielten, nicht annehmen, denn in meinen Augen haben wir Ostdeutschen nur den Käfig gewechselt.
Auf diesem Hintergrund bitte ich Sie, meine 11 Straftaten, die in 15 Strafprozessen seit 1990 verhandelt worden sind, zu verstehen. Es waren meistens Hausfriedensbrüche oder Sachbeschädigungen oder Blockaden im Interesse höheren Rechtes. Manchmal wurde ich frei gesprochen oder das Verfahren wurde eingestellt oder wegen der veränderten Rechtsprechung hinsichtlich des Nötigungsparagraphen revidiert. Siebenmal blieb es bei der Verurteilung. Ich habe die Geldstrafen jeweils durch gemeinnützige Arbeit, die meiner Überzeugung entsprach, und einmal auch durch 5 Tage Haft beglichen. …
Als die Journalisten in Berlin im Mai d. J. während des Bush-Besuches von uns DemonstrantInnen wissen wollten, ob wir gegen Amerika demonstrieren, konnte ich guten Gewissens antworten: Uns treibt n i c h t Antiamerikanismus, sondern die amerikanische Weltmachtpolitik, gegen die wir schon lange demonstrieren und protestieren. Dies sollen George W. Bush ebenso wie die deutsche Bundesregierung bei dieser Gelegenheit erneut zur Kenntnis nehmen. Das ist auch das Motiv der vielen Menschen, die seit 20 Jahren gegen die militärische Befehlszentrale der Amerikaner, die Patch-Barraks in Stuttgart Vaihingen, gewaltfrei protestieren und agieren. Es ist nicht Antiamerikanismus, sondern das Bemühen, die Öffentlichkeit wachzurütteln und zu Hilfe zu rufen gegen die verfassungswidrige Kriegs- und Atompolitik Deutschlands. Am 2. Juni 2002 hat George W. Bush deutlich ausgesprochen, was anlässlich des 50jährigen Jubiläums der NATO schon 1999 als NEUE NATO-Strategie erkennbar war: Am 1. Oktober 2002 wird die Welt durch die Amerikaner neu aufgeteilt, „um jederzeit bereit zu sein, ohne Zeitverlust in jeder dunklen Ecke der Welt zuschlagen zu können.“
Eine von fünf weltweit agierenden Kommandozentralen ist die EUCOM in Stuttgart. Sie ist zuständig für Kriege in Europa, den größten Teil Afrikas und Russland. Für Nord-Ost-Afrika, den Persischen Golf, Zentralasien und Pakistan gibt es die CENTCOM in Katar, einem seit 1971 unabhängigen Emirat am Persischen Golf, Mitglied der UN und der Arabischen Liga. Von diesen beiden Kommandozentralen aus wurden die Kriege in Jugoslawien und der Golfregion und bis jetzt auch in Afghanistan geführt, dirigiert.
Auch die amerikanischen Atomwaffen, die in Büchel und Ramstein bei Koblenz einsatzbereit gehalten werden, stehen unter dem Kommando dieser US-Zentralen. Als Trägersysteme dienen deutsche Tornadoflugzeuge, die von deutschen Nato-Piloten und Besatzungen zu den Einsatzorten geflogen werden, sobald das Kommando es befiehlt. Diese indirekte Einbindung der Bundeswehr in die „nukleare Teilhabe“ ist völkerrechts- und verfassungswidrig. …
Wir dulden nicht länger diese eingezäunten Orte, die kein Zivilist betreten darf, von deren Existenz die Öffentlichkeit nichts wissen soll – diese geheimen Zentralen, die Atomschläge und Massenmord und Kollateralschäden planen, üben und kommandieren. Wir haben die Verbotsbarriere in uns selber niedergerissen und damit die Macht dieses Zaunes überwunden. In diesem Sinne haben wir auch mit den uns begegnenden Soldaten und Polizisten gesprochen.
Hätten unsere Väter und Mütter frühzeitig die Geheimsphäre um die Ghettos und Konzentrationslager der Nationalsozialisten durchbrochen und öffentlich bekannt gemacht, so wäre der Holokaust nicht möglich geworden. Ein positives Beispiel aus unserer Zeit ist die StaSi in der DDR. Meine Generation hat mit erlebt, wie sehr der Staatssicherheitsdienst stacheldrahtumzäunt, geheimnisumwittert angstmachend und demoralisierend gewirkt hat. Als 1989 dieser Apparat mit seiner Arbeitsweise und den ihm dienenden Personen öffentlich bekannt gemacht wurde, war er entschärft und entmachtet.
Konzentrationslager, Geheimdienste, militärische Anlagen, Atomstandorte sind immer vor der Öffentlichkeit versteckt und dadurch vergiften sie die Atmosphäre in der Gesellschaft physisch und geistig.
Wir begründen unsere Beschwerde u. a. mit Art. 25 GG, der die allgemeinen Regeln des Völkerrechtes zum Bestandteil des Bundesrechtes macht. Die Regeln gehen den Gesetzen vor und erzeigen Rechte und Pflichten unmittelbar für die BürgerInnen. Die nukleare Abschreckung und die Drohung mit dem Ersteinsatz von Atomwaffen sind ebenso wie die nukleare Teilhabe der Bundeswehr verfassungs- und völkerrechtswidrig (Art. 26 GG), auch verstoßen sie gegen den unabänderlichen Kernbestand des Grundgesetzes, die Menschenrechte (Art. 1) und das Persönlichkeitsrecht auf körperliche Unversehrtheit (Art. 2,2).
Die DDR-Grenzsoldaten, die sich als Mauerschützen betätigt und Mitbürger erschossen haben, wurden verurteilt, weil sie nicht ihrem Gewissen, sondern den menschenrechtswidrigen Befehlen ihrer Vorgesetzten gefolgt sind. Der vorsitzende Richter Theodor Seidel sagte, dass nicht alles Recht ist, was Gesetz ist. Deutsche Gerichte hätten schon nach 1945 Anlass gehabt, über staatlich gesetztes Unrecht entscheiden zu müssen. Nach einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes habe gerade die Zeit des NS-Regimes gelehrt, dass ein Gesetzgeber Unrecht setzen könne. An die Adresse der Angeklagten betonte er: Am Ende des 20. Jahrhunderts dürfe keiner sein Gewissen abschalten, wenn es um die Tötung von Menschen im Sinne der Obrigkeit gehe. Deshalb habe ich nicht das Gefühl, dass ich mich heute vor Ihnen, Herr Richter Nicol und Herr Staatsanwalt, rechtfertigen muss. Im Gegenteil, diese und die folgenden Verhandlungen geben Ihnen die Chance, Recht zu sprechen, statt buchstabengetreu dem Gesetz zu folgen. Den Hausfriedensbruch nach § 123 und die gemeinschaftliche Sachbeschädigung nach § 303 sehe ich als mein Recht und meine Pflicht an. Deshalb beantrage ich, mich frei zu sprechen oder das Urteil des BVG in dieser Angelegenheit abzuwarten.
Rede von Erika Drees zur Hauptverhandlung in Stuttgart am 25. Sept. 2002. Am 7. Mai [2003] trat die 67-jährige ehemalige DDR-Oppositionelle Erika Drees in der Hallenser Justizvollzugsanstalt „Roter Ochse“ eine sechswöchige Haftstrafe an. Kurz danach wurde sie ins Eislebener Gefängnis überführt. Zusammen mit vier weiteren Frauen und zwei Männern hatte sie am 7. Mai des Jahres 2002 den Zaun um das Atomwaffenlager Büchel geöffnet und den militärischen Sperrbereich betreten. Dort hängten sie Transparente, u.a. mit der Parole „Deutsche Tornados mit US-Atomwaffen – bereit zum Massenmord“ auf. Erika Drees, seinerzeit Aktivistin insbesondere gegen das Atomkraftwerk Stendal und Mitbegründerin des Neuen Forums, war bis zum Schluss in der Antiatomkraftbewegung und der Friedensbewegung aktiv.
Richter Johann vom Amtsgericht Cochem verurteilte am 5. November vergangenen Jahres wegen Hausfriedensbruchs und Sachbeschädigung Hanna Jaskolski zu vier, sowie Dr. Erika Drees (67) und Dr. Wolfgang Sternstein (63) zu sechs Wochen Haft ohne Bewährung. Es wiege besonders schwer, dass die Angeklagten in fortgeschrittenem Lebensalter und mit ihren
Vorstrafen ein schlechtes Vorbild für Kinder und Enkel wären, so Johann. Sie könnten der jüngeren Generation keine Werte vermitteln wie „Tangiere keine anderen Rechte!“ oder „Begehe keine Straftaten!“ und durch fehlende positive Sozialprognosen bestünde eine Wiederholungsgefahr.
Im Januar 2009 ist Erika Drees im Hospiz in Stendal verstorben. Sie erlag einem Krebsleiden, gegen das sie vier Jahre lang mit aller Kraft angekämpft hatte.
Abdruck mit freundlicher Genehmigung der Robert-Havemann-Gesellschaft.
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