Antifaschistische Demonstration in Berlin-Lichtenberg

aus telegraph 12/1990
von Dirk Teschner

Zu der in Presse und Rundfunk vielfältig kommentierten antifaschistischen Demonstration im Ostberliner Stadtbezirk Lichtenberg hatte ein breites Spektrum von vielen autonomen Gruppen in Ost und Westberlin über besetzte Häuser, UFV, Vereinigte Linke, Teilen des Neuen Forums, der Umwelt-Bibliothek, KVV bis zum Bund der Antifaschisten aufgerufen.

Es gab im Vorfeld lange Diskussionen über die Demo-Route. Die Überlegung, an den Häusern der faschistischen Zentrale der „Nationalen Alternative“ vorbeizugehen, wurde wieder fallen gelassen.

Dabei waren die Hauptargumente, dass die Faschisten in den Häusern unberechenbar sind und daher Angriffe und Verletzungen vor allem von BündnisteilnehmerInnen nicht ausgeschlossen sind. Ausserdem wurde die Lage richtig eingeschätzt, was die Entschlossenheit Einzelner betraf, gegen die „NA“-Zentrale vorzugehen. Die Demo wäre schon nach einigen Minuten beendet gewesen, während das Hauptziel der Demonstration die politische Manifestation von Antifaschismus im Stadtteil Lichtenberg sein sollte. Auch war klar, dass am Demo_tag die Polizei massiv die faschistischen Häuser absichern wird. Eine Kompromiss-Route wurde gefunden, die in der Nähe der faschistischen Häuser vorbeiging, über den Bahnhof Lichtenberg, wo es oft zu Überfällen von Faschisten auf AusländerInnen kommt, zum AusländerInnenwohnheim und dann zurück in die Nähe der „NA“-Häuser, wo eine Abschlusskundgebung geplant war.
Diese Demo-Route wurde vom Rat des Stadtbezirkes Lichtenberg verboten. Derselbe Rat, der vor einigen Wochen den Aufenthalt der Faschisten in der Weitlingstrasse durch Verträge legalisierte. Nach Verhandlungen mit verschiedenen Gremien wurde die Demo-Route doch noch kurz vor Demo-Beginn erlaubt.

Im Vorfeld lief in der Presse eine Entmobilisierungskampagne. Die Demo-Aufrufe und Presseerklärungen der aufrufenden Gruppen wurden so gut wie nicht veröffentlicht, verzerrt oder taz-typisch völlig verfälscht.

Das Ergebnis der Presseveröffentlichung und die Tatsache, dass wahrscheinlich fast alle Bündnis-Gruppen nur politisch die Demo unterstützten („Wir müssen ja alle für Antifaschismus sein!“), ohne aber selbst zu mobilisieren oder wenigstens selbst zu erscheinen, war, dass von den Bündnis-Gruppen vielleicht 100 Personen da waren.

Der Charakter der Demo war somit fast rein autonom. Aber auch die 4.000 Autonomen aus Ost und Westberlin waren zahlenmässig enttäuschend. Auch in der DDR entsteht jetzt das Bild: Antifaschismus = Autonome = Militanz. Das und somit auch den Verlauf der Demo haben zu einem grossen Teil die 10.000 nicht gekommenen Menschen von PDS bis zum Neuen Forum zu verantworten.

Die Grundstimmung der Demonstration war von Beginn an gezeichnet vom militärischen Outfit und der spürbaren Ungeduld. Die WetberlinerInnen durften endlich wieder einmal ihre schmucken schwarzen Helme vorführen, einige OstberlinerInnen konnten gut mit ausgedienten Uniformteilen der NVA und der Roten Armee mithalten. Es sah aus wie bei einer Rittermodenschau.

Die Demo ging trübe los, mit Musik zum Frühstück und einleitenden Worten, die wieder einmal Nichtnachvollziehbarkeit und geschichtliche Ignoranz zum Ausdruck brachten. Da wurde erklärt, dass es ungewöhnlich sei, dass die Demo an einer Kirche los ginge und dass es jetzt durch einen Stadtteil geht, wo Linke nicht erwünscht seien, es also ganz anders als in Westberlin sei.

Davon ausgehend, dass die WestberlinerInnen sich im Ausland befanden und im Ausland eine Demo mitmachten, war zu erwarten, dass sie sich mit dem gesellschaftlichen Kontext in der DDR auseinandersetzen und auch nicht versuchen, ihre Weisheiten der Demonstration aufzudrücken. Diese Verhaltenformen, eigene Erfahrungen als die Aller anzusehen und damit zu dominieren, waren während der ganzen Demo spürbar.

Als die Demo das erste Mal in die Nähe der Weitlingstrasse kam, wurden Polizeiketten mit Westschildern und Westberatern zum Absperren der Seitenstrassen eingesetzt. Unnötige Provokation durch Auffahren von Räumfahrzeugen, Wasserwerfern und kläffenden Hunden. Auch wurde nach
westlichem Vorbild eine Spalierkette vorgeführt.

Unnötige Provokationen und Steinwürfe vor allem Westberliner durchgeknallter Männer gegen die Polizeiketten liess den Demozug stocken, riss den Demozug nach dem Lautsprecherwagen auseinander.

Ab da war es klar, dass die Demo aus zwei Gruppen bestand, Eine Gruppe, die die Demo als politisches Mittel sah, antifaschistische Aktion vor den Augen der wütenden Faschisten zu demonstrieren und die Menschen im Stadtteil erreichen wollte und vor allem ab da schon sah, dass ein militärisches Vorgehen gegen die faschistische NA-Zentrale zum Debakel führen würde. Die andere Gruppe bestand aus durchgeknallten Männern, die ihren mitgebrachten Hass und Munition loswerden wollten.

Die Demo führte dann am Lichtenberger Bahnhof vorbei, an dem eine Zwischenkundgebung stattfand, zu dem AusländerInnen-Wohnheim in der Hans-Loch-Strasse. Unterwegs wurde ein Camel-Wagen seiner Fracht entledigt.

Am Haus, in dem MocambiquanerInnen wohnen, wurde eine Kundgebungspause eingelegt. Die versprochenen Vorgespräche mit den BewohnerInnen hatten wahrscheinlich nicht stattgefunden. Es bedurfte Überredungskünste, um die AusländerInnen-BetreuerInnen dazu zu bewegen, die Türen zu öffnen. Ein Mocambiquaner hielt ein Redebeitrag; er freute sich über die Kundgebung, über die Solidarität. Scheinbar war aber der Demozug so abschreckend, dass nur fünf bis zehn AusländerInnen sich der Demo anschlossen. Das Meeting zeigte die unzulängliche Kontaktsuche und konkrete Solidarität der Deutschen.

Weiter ging es dann zu den faschistischen Häusern in der Weitlingstrasse. Auf dem Münsterlandplatz sollte die Abschlusskundgebung stattfinden. Unterwegs wurden viele Innschriften an Wände gesprüht. Das dürfte den Faschisten ihre tagtäglichen Wege etwas versalzen.

Die Demo steuerte direkt auf die faschistischen Häuser zu, kurz vor den Häusern sollte sie abbiegen. Auf den Dächern befanden sich Dutzende Faschisten, die die Reichskriegsflagge und die Flagge des „Deutschen Reiches“ hissten. Die Dächer waren mit Stacheldraht abgesichert, Steine und Wurfgeschosse lagen parat. Als Gipfel der Provokation hoben die Faschisten die Arme zum „Hitler¬Gruss“. Davor Wasserwerfer, Räumfahrzeuge, Polizeiketten.

Während der überwiegende Teil der Demo weiter zum Münsterlandplatz ging, griffen etwa 500 Männer die Polizeiketten an. Die Polizei ging mit Tränengas, Wasserwerfern und Knüppeln gegen die Demonstranten vor. Fünf Polizeifahrzeuge brannten, mehrere Verletzte, auch unter den Demonstranten, Kopfwunden von Steinen der eigenen Leute, vier vorläufige Festnahmen. Lachende Faschisten auf den Dächern.

Militanz ist nur sinnvoll und politisch vermittelbar, wenn sie durchsetzbar ist und nicht unmittelbar Betroffene (an diesem Tag auch die Polizei) aus dem Spiel gelassen werden. Das Gegenteil war der Fall.

Ja die faschistische Zentrale muss weg und kommt weg!
Ja Polizisten schützen die Faschisten, nun auch in der DDR!

Aber zum einem waren die Bullen nicht das Angriffsziel (denn es sind „nur“ Werkzeuge), zum anderem ist den Faschisten und ihrer Zentrale kein Haar gekrümmt worden, ebenso wenig wie den politisch Verantwortlichen für die gesellschaftliche Legalisierung von faschistischen Strukturen. Somit war die Aktion schwachsinnig und politisch falsch.

Ein linksradikales Ghetto nun auch in der DDR nein Danke! Gerade bei den sozialen Kämpfen im Herbst muss ein breites Aktionsbündnis stehen. Wer sagt, dass er darauf verzichten kann, hat nur
seine Spielwiese und seine pubertären Indianerspiele im Kopf vom politischen Verstand und der Utopie einer freien Gesellschaft freier Menschen keine Spur.

Aber der Grund des Kampfes gegen die Bullan an diesem Tag ist scheinbar nicht politischer Natur. Gefragt danach, antwortete ein Macker: „Die Typen sind halt heiss!“ Sexueller Männlichkeitswahn als Ursache für Kämpfe mit politischer Tragweite ist schon etwas erschreckend.

Erschreckend auch die militärische Schwäche und Dummheit. Im Vorfeld hiess es: „… die paar Ostbullen schieben wir einfach zur Seite, die Ost-Wasserwerfer werfen wir um, und schon sind wir in den Faschisten-Häusern…“ In Zukunft sollte auf solche großmäuligen Männer kein Pfifferling gegeben werden, wenn das alles ist, was die Typen militärisch durchsetzen können.

Die paar Osttypen, die bei der Strassenschlacht beteiligt waren, haben den Kontakt zu den realen Menschen in den Stadtteilen verloren, kümmern sich um ihre kleinbürgerliche Abenteuer-Spielwiese oder plappern die schlechtesten westliche Parolen nach. Politisch somit uninteressant für die kommende Entwicklung in der DDR.

Auch erschütternd der Umgang untereinander. Westwagen-Fahrer bis zu MitgliederInnen der VL wurden körperlich angegriffen, Frauen wurden angemacht und die Demo gefährdet (keine geschlossenen Reihen nach dem Lautsprecherwagen, Leuchtkugelgeschosse und Knaller sinnlos um die Köpfe geballert, eigene Leute durch Steine verletzt…).

Was bleibt: Das Ziel einer politischen antifaschistischen Manifestation im Stadtteil und vor den faschistischen Häusern ist ansatzweise geglückt. Nach der Demo und dem Strassenkampf gibt es aber mehr Ablehnung als Sympathie im Stadtteil. Es gibt einen kleinen Versuch der Kontaktaufnahme mit den AusländerInnen in Lichtenberg und das Thema der faschistischen NA-Zentrale musste wieder in der Presse und im Innenministerium als Problem artikuliert werden. Mittlerweile ist die NA-Zentrale verlegt worden. Das Problem ist also nicht erledigt, sondern verlagert.

Zu hoffen bleibt, dass es eine Auseinandersetzung mit den schwachsinnigen Machokämpfern gibt und eine Klärungsfindung über Militanz stattfindet. Militante Aktionen müssen militärisch durchsetzbar, politisch erklärbar und in der Bevölerung vermittelbar sein. Der Faschismus ist militärisch nicht zu besiegen, das müssten langsam auch die letzten Typen kapieren. Auch in den zwanziger, dreissiger Jahren hat es der RotFrontkämpferbund, der viel besser militärisch und organisatorisch drauf war, nicht geschafft, den Faschismus zurückzuschlagen.

Vor uns steht die viel schwierigere Frage, wie können wir gemeinsam in Ost und West in den nächsten Jahren in einem kapitalistischen Deutschland den aufkommenden Nationalismus, Faschismus und Sexismus wirksam entgegentreten. Die Beantwortung oder Suche nach Ansätzen bleibt zur Zeit auf der Strecke.

d.t.