Kommentar: Einige Gedanken zur Antifa-Demonstration in OstBerlin

aus telegraph 12/1990
von Dietmar Wolf

Von „Bild“-Zeitung bis „Junge Welt“ wurde am Montag den LeserInnen grosser Massenblätter das gleiche geboten: „Die blutige Schlacht der Westchaoten“ („Bild“), „400 Radikale inszenierten blutigen Krawall“ („ND“), „Extremistische Krawalle nach antifaschistischer Demonstration“ („BZ“Ost), „Am Ende siegte nur der Hass“ („Junge Welt“). Das war der Höhepunkt der Pressekampagne gegen die Demo. Schon im Vorfeld gab es diverse Falschmeldungen zur Ankündigung der Demo, wurde die Presseerklärung der Demo-Organisatoren erst gar nicht abgedruckt und der Aufruf zur Demo gar nicht oder gekürzt und „bearbeitet“ veröffentlicht.

Dann das Bündnis. 41 Gruppen auf dem Aufruf. Von Autonomen, AntifaGruppen bishin zu Grünen, VL Jugendorganisationen. Jedoch glänzten letztere durch Abwesenheit. Anscheinend war auch keine Mobilisierung in diesen Reihen gelaufen. Offenbar glauben die Politniks dieser „demokratischen Organisationen“, dass die Unterschrift unter einen Aufruf antifaschistisches Bekenntnis genug sei.

Folglich war die Demo zu ca. 90 % durch autonomes Spektrum geprägt. Schwarze Kleidung, vermummte Gesichter, Helme, optische Demoausrüstung aus jahrelanger Erfahrung mit Polizei und Kameras in Ost und West, aber auch innere Angst vor den Faschisten. Immerhin kamen trotzdem 5000, das beweist, dass das autonome Spektrum sehr wohl in der Lage ist, Massen zu mobilisieren, wenn auch noch keine Hunderttausende, und sie noch lange nicht isoliert sind. Jedoch hätten bei der Demo gut und gern Zehntausende sein können, wäre eine Mobilisierung nicht von bürgerlicher Presse und von den „demokratischen“ Parteien blockiert, bzw. nicht durchgeführt worden.

Und der Staat. Erst versucht der Stadtbezirksbürgermeister die Demoroute umzulegen, sie in die Seitenstrassen und möglichst weit weg von den Grund der Demonstration zu drücken. Als das nicht klappt, lässt man massiv Bullen auffahren. 2500 Bullen (offiziell spricht man von 500) bilden einen massiven Sperriegel. Ausgerüstet mit Helmen, Schilden, Knüppeln, Räumfahrzeugen und Wasserwerfern.

Was während der Demo von Seiten der Demonstranten lief, war eine Mischung zwischen teilweise militantem Säbelgerassel, sich in Sprechchören entäussernden Emotionen und Wut auf Faschos und die schützend vor diesen stehenden Polizei. Dennoch war es aber grösstenteils eine Bekundung antifaschistischen Bewusstseins. Die Demo schwappte hin und her zwischen politischer Bekundung, Langeweile und Aktionismus. Dies alles kompensierte sich dann Lück/Ecke Ruprechtstrasse und geriet unkontrolliert zum Ausbruch. Stellvertretergefecht mit den Bullen. Sie bekamen ab, was eigentlich die Faschos abkriegen müssten. Zum Glück war der grösste Teil der Demonstranten diszipliniert genug, die Demonstration zu Ende zu führen.

Den 500 Angreifern schien aber die Demo nur zweitrangig zu sein.

Nun kann man/frau sagen, dass die Polizei selber schuld ist, wenn sie sich vor die Faschisten stellt. Ich halte es jedoch für fragwürdig, ob dieser Angriff zu diesem Zeitpunkt irgendwie sinnvoll war. Die Chance, gerade dort einen Durchbruch zu den Häusern zu schaffen, war von vornherein gering. Weiterhin wurde die Demo damit hochgradig gefährdet. Gegen durchdachte und vor allem disziplinierte militante Aktionen mit Aussicht auf Erfolg ist erst einmal nichts zu sagen, aber was dort ablief war nicht mehr als eine Präsentation von Machogehabe und Waffenschau, Demonstration von Superman-Mentalität. Hier ging es meiner Meinung nach nicht um die Durchsetzung politischer Ziele, sondern um das blosse Abreagieren von Emotionen. Militanz und Radikalität heisst nicht, präsentiert die Eisenstangen, haut drauf, sondern politisches Bewusstsein, abschätzen der strategischen Situation und verantwortungsbewusstes, überlegtes Handeln. So hätte es z.B. auf keinen Fall passieren dürfen, dass DemonstrantInnen von hinten aus den eigenen Reihen durch Steine
verletzt wurden. Die lachenden Dritten waren jedenfalls die Faschos.

Ein Trost bleibt. Das Thema „Nationale Alternative“ und Weitlingstrasse ist nun in aller Munde, die Regierung steht unter Druck. Die Faschisten wissen, dass sie mit einer starken antifaschistischen Kraft zu rechnen haben und dass nicht jeden Tag 2500 Polizisten zu ihrem Schutz zur Verfügung stehen. Nun kommt es darauf an, den öffentlichen Druck nicht abklingen zu lassen, sondern ihn zu verstärken. Denn erst einmal ist die „NA“ noch immer legal, existieren die besetzten Häuser in der Weitlingstrasse, provokant, menschenverachtend und über der Nummer 122 weht immer noch die Reichskriegsflagge.

d.w.