(zum zweiten Mal)
aus telegraph 12/1990
von Olaf Handrick
Wem nutzt die frisch erkämpfte Demokratie letztendlich, wie stellt sie sich dar? Wen diese Frage bewegt, wer sich zu dieser Frage positionieren will, der sollte sich unbedingt eine Zuhörerkarte für die Volkskammersitzung beschaffen (Kosten für das Schauspiel fliessen in die Steuer mit ein).
Was einem dort so geboten wird, repräsentiert Weltniveau an Demokratieverständnis. Sollte der persönliche Eindruck dem nicht entsprechen, so wäre es ratsam, seine Vorstellungen zukorrigieren. Notfalls bekommt man Beistand von kompetenten Parlamentariern, vorrangig CDU und DSU.
Fangen wir doch mal bei der Logistik der darstellenden (oder darzustellenden?) Demokratie an.
Beispielsweise erregen sich 8000 Studenten über die banale Tatsache, dass ihr Stipendium ungefähr 1/30 der Diäten von Volkskammerstatisten (Statist kommt nicht von Status) ausmacht. Völlig blind für die Probleme der eigenen Republik (noch), blockieren sie das Theater der Demokratie, behindern sie die Arbeit der höchsten demokratischen Legislative. Für diesen Fall gibt es dann sachkompetente Leute, die dann meinen, ihre Sachkompetenz in Fragen, Sicherheit und Demokratie reiche aus, das hohe Haus optimal zu schützen. (Zum Glück setzte sich dieses Ansinnen nicht durch.)
Gesetzt den Fall, die kleine Hürde Sicherheit, quasi Transmissionsbarriere zwischen innen und aussen, wird überwunden. Was einem da so entgegen weht, einfach unglaublich. Da es der Feinde viele gibt (sollte man den Ausführungen des kompetentesten der Kompetenten Glauben schenken), also noch eine Sicherheitskontrolle. Diesmal Sicherheit unter qualitativen Gesichtspunkten, ist ja auch völlig einzusehen, das Verständnis dafür ist bei mir ja völlig ausgeprägt (bin ja damit gross geworden). Wer bitteschön kann von einem völlig gestressten, semiprofessionellen Politiker in der Einarbeitungsphase verlangen, dass er sich zum einen mit den Sorgen von 8000 Studenten konstruktiv auseinandersetzt (was sein Rollenskript nicht vorsieht), und zum anderen mit irgendwelchen Extremisten, die da vielleicht Bomben werfen oder Flugblätter. Glücklicherweise kann sich da unsere neue Legislative voll und ganz auf die alte Exekutive verlassen. Man ist also nun in den „nachgeweihten“ Hallen der Demokratie (vorherige Besuche zählen nicht). Draussen nörglerische, aufrührerische Studenten und innen Parlamentarier beim andächtigen Frühstück, ein wenig Presse und ein reichhaltiges Angebot an Speisen und Getränken (preislich abgestimmt auf das magere Salär eines Parlamentariers). Das Outfit lässt ein wenig erkennen, welcher Fraktion der Träger angehört, CDU und DSU bevorzugen französische Designkollektionen (etwas strenger Schnitt – eben konservativ). Die Liberalen bevorzugen eher weite Kleidung. Völlig aus der Rolle fällt Konrad Weiss von Demokratie Jetzt, nicht nur, dass er sich mit Studenten unterhält, sein Outfit hält keinem Vergleich zu den Dressmännern/frauen der Mitte/Rechts-Koalition stand.
Gewappnet mit dem Voreindruck und einem reichhaltigen Frühstück erklimmt man dann die Balustrade der Teilhabe, natürlich nur der passiven. Aufgeregt spannt man seine Ohren auf, es geht gerade um Versorgungsengpässe, an den Redebeiträgen erkennt man, wer welche Zeitung liest, wer wen nicht leiden kann und dass DSU-Abgeordnete Fragen und Feststellungen verwechseln. Doch der moderierende Oberlehrer weist sie ganz souverän in die Schranken. Schade, notfalls hätten sie sich noch als Opfer der restriktiven stalinistischen Bildungspolitik verkaufen und dies der PDS unterbuttern können.
Ein kurzer Blick auf den Programmführer, es geht immer noch um Versorgungsprobleme. Unten im Saal schlägt sich Frau Wollenberger ganz tapfer für die Probleme einer sozialen Randgruppe. Sie beweist wieder echten Sinn für das Ausgefallene, es geht um Bienenzüchter, die Qualität ihres Honigs und ihre Absatzsorgen, metaphorisch gesprochen um den Tod der Bienenzüchter. Dem Einwurf einer CDU-Abgeordneten, sie habe da mal was in einer Zeitung (welche?) über eine in der DDR grassierende Bienenseuche gelesen, konterte Vera ganz entzückend mit dem Verweis auf ihren in diesen Fragen bewanderten Mann. Danach wieder etwas gepflegte Langeweile, mit timelimit. Doch dann, in der aktuellen Fragestunde, Konrad Weiss formuliert prägnant und klar das Anliegen der Ausgeschlossenen, es regnet Flugblätter und Transparente werden entrollt. Entrüstung rechts, Zustimmung links, übergehen in der Mitte. Büttel der Demokratie räumen erstmal alles von der Balustrade, was einen studentischen Anschein erweckt. Wahrscheinlich wollen die da unten unter sich
bleiben, es gibt ja auch kaum Theaterstücke (ausser Handkes „Publikumsbeschimpfung“), die mit dem Publikum gemacht werden. So entging mir natürlich einiges. Auffällig war nur die ultraschnelle Beschlussfassung der Legislative darüber und deren ebenso schnelle Ausführung, kein langes Palaver, sondern souveräne Einzelentscheidung des Moderators. Im Foyer dann wieder die Möglichkeit, sich den Vorhaltungen der Überväter der Demokratie zu stellen. Zum Glück habe ich keinen Vaterkomplex, sonst wäre ich in kindliches Geheul ausgebrochen und hätte mich an die Brust des streng dreinblickenden Sicherheitsoffiziers gelehnt. Aber was durch Körpersprache nicht rüberzubringen war, verbal lief da erst recht nichts. Also Ausweiskontrolle, Registrierung ohne Erklärung – keine Neuigkeiten im Erleben der Exekutive. Den Hinweis, man könne ja gleich die alten Akten verwenden, überging man geflissentlich. Wie in jeder Komödie, so auch hier, gibt es scheiternde Protagonisten, in diesem Falle waren es die zu aktiven Zuschauer. Kurzzeitig erschien K. Weiss im Foyer und erklärte seine Bereitschaft, uns bei Problemen mit dem strengen Übervater zu unterstützen. Aber ich weiss nicht, bei dem Outfit, man kann ihn ja kaum von den Studenten unterscheiden. Ob man dem Mann trauen darf? Aber da kommt ja schon ein schmucker, geschniegelter Semipolitiker des rechten Spektrums, Mode aus dem Hause „Pierre Gardin“ umhüllt ihn, sein etwas jüngerer Begleiter bevorzugt Jobis-Design. Er stellt sich vor – richtig geraten – CDU.
Wahrscheinlich hat er vor kurzem einen Workshop „Positive Ausstrahlung“ Teil 1: „Selbstdarstellung“ besucht. Kann man dem trauen? Was muss man wohl tun, damit einem die Konrad-Adenauer-Stiftung auch so ein feines Outfit und so eine gediegene Rhetorik-Ausbildung bezahlt? Bewegende Fragen in diesem Moment. Zusätzlich dieser alles zunichte machende Gedanke an den Faktor 30, der mich und andere von ihm unterscheidet. Sicher und gekonnt überging er das Spannungsmoment, zeigte, dass er im Kurs gut aufgepasst hatte und offenbarte sich persönlich, plauderte Sachen aus, die er eigentlich seinem Psychoanalytiker hätte erzählen müssen. Ein gekonntes Plädoyer für die Kernfamilie, positive Emotionen, die entstehen, wenn man seiner Mutter/seinem Vater etwas Geld bekommt. Just in diesem Moment wurde mit klar, dass alle Studenten hier sich selbst um ihr ganz persönliches Glück
beschneiden wollten, natürlich auf Kosten der Demokratie. Das gibt freilich zu denken; auf der einen Seite wir pubertären Studenten, auf der anderen Seite der altruistische, erfahrene Familienvater, der sich zum Wohle aller (auch dem unsrigen) einsetzt und uns mit Rat in dieser schwierigen Situation zur Seite steht. Selbst seine Jugenderlebnisse waren ihm nicht zu schade, sie als Modell zu offerieren. Wie man seine Mutter dazu bewegt, etwas Geld rüber zu schieben, dass man auch mit sechzig Leuten zusammen in einer Turnhalle wohnen kann – singen hilft, diesen Zustand spannungsfrei zu überstehen. Dies alles und noch viel mehr erfuhren wir aus seinem Munde. Leider habe ich seinen Namen vergessen, in Erinnerung geblieben ist mir nur, dass diese imposante Persönlichkeit Student in Jena war. Dermassen geläutert, verliessen wir die geheiligten Hallen, sahen demonstrierende Studenten, hörten Studentinnen, die ihre Nöte herausschrien. Wir aber wussten, es gibt etwas Starkeres als Demokratie: das Gefühl, reiche Eltern zu haben. Dann muss man sich nicht vor der Volkskammer Plattfüsse holen.