Abschiedsgottesdienst für den ehemaligen Kriegsdienstgegner und Pfarrer und jetzigen Kriegsminister Eppelmann
aus telegraph 12/1990
von Gerold Hildebrand
Jeder Leser eines berüchtigten Hamburger Nachrichtenmagazins wusste es: Die Samaritergemeinde verabschiedet ihren einstigen, seit Monaten beurlaubten Pfarrer Rainer Eppelmann. Zugleich wurde auch der Sozialdiakon Lorenz Postler verabschiedet, jetzt Stadtbezirksrat für Jugend und Sport. Die Gemeinde wollte dies auf übliche, unspektakuläre Art während des Sonntagsgottesdienstes im Gemeindesaal am 17. Juni tun. Eppelmann sollte nur die Lesung aus dem Evangelium (das Gleichnis vom armen Lazarus) halten. Medien wurden laut GKR-Beschluss zum Gottesdienst nicht zugelassen.
Eine Aktionsgruppe von Totalverweigerern aus 5 Städten, die am Wochenende ein gewaltfreies Training in der Gemeinde absolvierte, lud den jetzigen Minister für Abrüstung und Verteidigung bei seiner Ankunft zu einer antimilitaristischen Willensbekundung ein. Auf seinem Scheideweg am Eingang zu den Gemeinderäumen wurde er mit einer Kette aus 90 NVA-Erkennungsmarken konfrontiert, die beim Volksfest zur Abschaffung der Wehrpflicht Ende Februar von sich selbst aus der Wehrpflicht Entlassenden samt Wehrpass abgegeben worden waren. Dies Symbol des Militarismus sollte er zerschneiden. Vom Tonband lief das Biermann-Lied „Soldat, Soldat“ und Transparente forderten „Keine Kriminalisierung von Totalverweigerern“, „Abschaffung von Wehrpflicht, Armee und Zwangsdiensten“, „Kein neues Dienstpflichtgesetz“ und „Verweigerung aller Kriegsdienste“. Aber Eppelmann schlüpfte unter der Kette durch – er habe das Ansinnen nicht verstanden, äusserte er hernach.
Eine Gruppe Autonomer war ebenfalls erschienen. Während des Gottesdienstes versuchten sie ein Transparent „Kein Mann, keine Frau. kein Geld fürs Militär“ zu entrollen, wurden dabei aber von Gemeindemitgliedern gehindert und protestierend aus dem Saal gedrängt. Ein langjährig Aktiver der Oppositionsbewegung wies dabei darauf hin, dass in der Samariterkirche früher immer ähnliche Plakate hingen und er nicht verstehe, wieso dies jetzt nicht mehr möglich sein solle. Auch sei ihm unverständlich, wieso der ehemalige Pazifist Eppelmann nicht für das Zeichen des Transparentes eintrete. Der aber blieb stumm, in ähnlicher Weise, als Vera Wollenberger ihn in der Volkskammer fragte ob er nicht der Pfarrer der Gemeinde sei, vor deren Kirche das Denkmal für den „Unbekannten Deserteur“ stehe. Superintendentin Laudien versuchte den Hinauswurf der Protestierenden vor ihrer Predigt damit zu erklären, dass die Aktion ohne Kenntnis der Gemeinde erfolgt sei und sie diese deshalb nicht verantworten könne.
Ein Bejubelungsgottesdienst für Eppelmann wäre es allerdings auch sonst nicht geworden.
Deutlich spürbar war die Distanz seiner Gemeinde. Wenige nur waren erschienen. Der Samariter™Friedenskreis glänzte durch Abwesenheit. Selbst Partei-Freunde schien es kaum zu geben.
Dafür sollte ihn vielleicht einiges zum Nachdenken bewegen:
Brechts „Lösung“ wurde zitiert und die Predigt meditierte über das Verhängnisvolle von
Befehlssystemen am Beispiel der Judenverfolgung zur Zeit der Naziherrschaft.
Eppelmann selbst wirkte sichtlich angeschlagen und trat ohne die von ihm gewohnte Forschheit auf. Als er eine Geschichte seines Lieblingsschriftstellers Mark Rasumny verlas – wohl als Reminiszenz an vergangene Zeiten gedacht, dröhnten laut vom Balkon eines Hausbewohners Ton-Steine-Scherben „KEINE MACHT-FÜR NIEMAND“.
Eppelmann war zu Tränen gerührt, was aber eher einen peinlichen Eindruck hinterliess. Zum in
dieser Gemeinde üblichen Kaffeetrinken nach dem Gottesdienst blieb er noch. Pfarrer Schneider überbrachte die Grüsse des Kirchenkreises und mahnte an, die Basis nicht zu vergessen. Und wünschte ihm persönlich Freunde,- Macht macht einsam. Superintendentin Laudien betonte die Notwendigkeit, dass sich Politiker hinterfragen lassen.
Hier brachte sich der Totalverweigerer Michael Mai ins Gespräch. Er stellte die Situation,
Befürchtungen und Forderungen von Totalverweigerern exemplarisch an seinem Fall dar.
Ende Mai hatte er in einem persönlich an Eppelmann gerichteten Schreiben gegen eine Vorladung zum Wehrkreiskommando protestiert. M.M. hatte am 1. Dezember 89 öffentlich seine Totalverweigerung erklärt – die Verweigerung aller militärischen Dienste und eines möglicherweise zukünftig eingeführten „zivilen“ Wehrersatzdienstes, sowie die Verweigerung der Zusammenarbeit mit allen Behörden, die für Erfassung, Musterung etc. zuständig sind.
„Mit Verwunderung musste ich in den letzten Wochen feststellen, dass das Wehrkreiskommando Potsdam offensichtlich Inhalt und Aussage meiner öffentlichen Erklärung zur Totalverweigerung nicht verstanden hat. So erreichten mich 2 Schreiben (datiert vom 18. 4. und 8. 5. 90), in welchen ich „zur Klärung“ meiner angeblichen „Antragstellung auf Ableistung des Zivildienstes“ zur „Vorsprache“ geladen wurde. Was soll ich davon nun halten? Soll ich es tatsächlich als Missverständnis deuten – oder als Ignoranz?… Daher die Bitte, mich fortan weder von der NVA noch vom (für Zivildienstwillige zuständigen) Amt für Arbeit mit Post oder anderweitigen Dingen, wie Einberufungsbefehl, Dienstbescheid usw. zu belasten.“
Desweiteren hatte Michael geschrieben:
„Ich möchte Sie, Herr Eppelmann, fragen, wie Sie als (ehemaliger?) Pazifist und Pfarrer zum
Oberbefehlshaber der NVA werden konnten.
Verständnis hätte ich dafür aufbringen können, wenn Sie „aus taktischen Gründen“ das
Amt des Verteidigungsministers übernommen hätten, um in einem ersten und letzten Befehl folgenden oder ähnlich lautenden Satz an die gesamten Soldaten und Militärs der NVA zu
richten:“Entschuldigen Sie, dass ich Ihnen befehle – aber: Ziehen Sie Ihre Uniformen aus,
verschliessen sie die Waffenkammern und gehen Sie nach Hause, zu Ihren Familien und Freunden; nehmen Sie eine sinnvolle, nützliche und friedliche Arbeit auf!“.
Eppelmann meinte dazu nur, dass er den Brief nie erhalten habe, wie auchdas Schreiben des
Freundeskreises Wehrdiensttotalverweigerer, in welchem dieser um einen Gesprächstermin
ersucht.Täglich erhalte er über 100 Briefe, von denen ihm nur eine Auswahl mit farblich
gekennzeichneten Stellen übergeben werde. Zumindest stellte er einen Gesprächstermin in Aussicht.
Die Kette mit den Rekrutenblechmarken wurde ihm nun doch noch überreicht – er solle sie gut
sichtbar aufhängen. E. meinte aber, dass er sie dann lieber in seine neue Wohnung hängen würde (nur, in welches der 9 Zimmer, vergassen wir zu fragen).
Als Beigabe wurde ihm noch die Friedenserklärung des Freundeskreises
Wehrdiensttotalverweigerer zum 1. September 1990 übergeben, mit der Aufforderung, damit in seinem Ministerium Unterschriften zu sammeln.
g.h.