Die Heide ist frei

Vier deutsche Verteidigungsminister halten nacheinande eisern an dem Plan fest, auf dem Gelände eines ehemaligen Bombodroms einen Luft-Boden-Schießplatz zu errichten. Doch nach 18 Jahren unbeugsamen Widerstands muss die Bundeswehr auf den Kriegsspielplatz in der Kyritz-Ruppiner Heide verzichten! Wieso David erneut Goliath besiegen konnte, versucht der Beitrag „Die Heide ist frei“ zu erklären.

Von Roland Vogt
aus telegraph #122/123

Es war einmal ein Verteidigungsminister namens Volker Rühe. Der ließ am 30. Juni 1992 sein Truppenübungsplatzkonzept verkünden. Es sah vor, dass das „Bombodrom“ der ehemals sowjetischen Streitkräfte in der Kyritz-Ruppiner Heide auch nach der Wiedervereinigung als Luft-Boden-Schießplatz genutzt werden sollte.

Bis zur Hiobsbotschaft vom 30. Juni 1992 hatten die meisten Menschen der Region zwischen Rheinsberg, Wittstock und Neuruppin darauf vertraut, dass in ihrer Heimat die himmlische Ruhe anhalte, deren sie sich erfreuten seit die sowjetischen Streitkräfte das Abwerfen von Bomben eingestellt hatten. Und dass die Angst vor Fehlabwürfen und Rissen in den Häuserwänden für alle Zeiten ausgestanden sei. Und nun das! Die meisten Anwohner des 142 Quadratkilometer großen Übungsgeländes waren enttäuscht und wütend. Denn auf ausdrückliche Anfrage ihres Landrats Christian Gilde hatte das Bundewehrkommando Ost am 2. Februar 1991 doch geantwortet, die Bundeswehr strebe grundsätzlich keine Übernahme von sowjetischen Liegenschaften an! Das reichte, um die Menschen dort in Sicherheit zu wiegen. Im Nahbereich des ehemaligen Bombodroms wurden- auch mit Fördermitteln des Landes Brandenburg und der EU- eine Reihe von Projekten und Konzepten für Naherholung und Tourismus entwickelt. Eine Familie hatte sich mit einem Kredit von einer Million DM, zum Teil durch Privatbürgschaften abgesichert, verschuldet, um die Modernisierung eines ehemaligen Ferienbetriebsgeländes im Seengebiet bei Kagar zu finanzieren. Die Entscheidung das Übungsgelände als Luft-Boden-Schießplatz zu nutzen, erzeugte bei dieser Familie und den Betreibern anderer inzwischen modernisierter oder neu eingerichteter Feriendomizile Existenzängste. Andere Projekte wurden in ihrer Chance verwirklicht zu werden gehemmt, weil es zunehmend schwieriger wurde, dafür Bankkredite zu bekommen.

Der Widerstand formiert sich

Anfang Juni 1992 treffen sich im Dorfkrug zu Schweinrich fast alle Bürgermeister der Anrainergemeinden des Militärareals. Sie bekräftigen ihre Entschlossenheit, sich gemeinsam gegen das Bundeswehrprojekt aufzulehnen.

Am 5. August findet, ebenfalls im Dorfkrug Schweinrich, eine gut besuchte Informationsveranstaltung mit Vertretern der Bundeswehr statt. Sie werben mit Investitionen von mehreren Millionen DM sowie zivilen Arbeitsplätzen für etwa zweihundertfünfzig Personen. Die Schießübungen am Boden und aus der Luft, so die Emissäre der Bundeswehr, würden viel seltener stattfinden als das Panzerschießen und die Bombenabwürfe der Roten Armee. Die Teilnehmenden aus der Region machen geltend,

dass der Luft-Boden-Schießplatz den aufstrebenden Tourismus beschädige, Existenzen in dieser Branche gefährde, also insgesamt Nachteile bringe, die durch die Investitionen der Bundeswehr niemals aufgewogen werden könnten. Zudem habe die Bevölkerung rund um das Militärgelände nach Jahrzehnten des Bombenabwurfterrors ein Anrecht darauf, von derartigen Zumutungen verschont zu bleiben.

 

Am 6. August 1992, dem Hiroshima-Gedenktag, suche ich Reinhard Lampe in seiner Pfarrei in Dorf Zechlin auf und bitte ihn, sich für die Gründung einer Bürgerinitiative gegen den Luft-Boden-Schießplatz einzusetzen.

Lampe war mir von Martina Rassmann, der Betreiberin des Feriengeländes bei Kagar, als Mann mit Ausstrahlung und Zivilcourage beschrieben worden, dem die Menschen in dieser Gegend vertrauen.

Wie meine Botschaft bei ihm ankam, schildert die Psychoanalytikerin Friederike Lampe, Reinhards Ehefrau, in „Bürgerinitiative FREIeHEIDe“ (im Jahr 2000 veröffentlichtes und inzwischen vergriffenes, von Mitstreiter_inne_n der BI geschriebenes Buch): „Wir saßen zu dritt in der Küche: Roland Vogt, Reinhard Lampe und ich. Nach der ersten Versammlung in Schweinrich forderte Herr Vogt Reinhard eindringlich auf, eine Bürgerinitiative zu gründen. Er sei der richtige Mann dafür und eine Bürgerinitiative die einzige Chance, das Unheil abzuwenden… Reinhard ließ sich… überzeugen.“

Bevor ich das Pfarrhaus verlasse, empfehle ich dem Ehepaar Lampe noch dringend, für die bevorstehende Demonstration am Dranser See den Berliner Professor Theodor Ebert als Redner zu gewinnen, den kundigsten Experten für gewaltfreien Widerstand im deutschsprachigen Raum [1].

Am 15. August 1992 wird am Dranser See in Schweinrich, die erste Demonstration gegen die weitere militärische Nutzung der Kyritz-Ruppiner Heide gleich zu einer Großkundgebung mit 4.500 Menschen. Reinhard Lampe ruft mit ermutigender Resonanz zur Gründung einer Bürgerinitiative auf.

Auch Theodor Ebert kommt und macht den Demonstrationsteilnehmenden Mut zum Widerstand, lässt aber keinen Zweifel daran, dass die gewaltfreie Strategie, zu der er rät, einen langen Atem erfordert. Es könne durchaus sein, dass man sich auf 10 Jahre anstrengenden Widerstands einstellen müsse. Am Beispiel des erfolgreichen Widerstandes im Larzac/ Südfrankreich [2] , wo die Regierung in den 1970er Jahren einen Truppenübungsplatz erheblich erweitern wollte, zeigt er, dass Erfolg möglich ist, wenn alle Aktionen strikt gewaltfrei bleiben und es gelingt, die Sympathien von Bevölkerung und Entscheidungsträgern zu gewinnen.

Auf dem Weg zur FREIenHEIDe

Das Ehepaar Lampe ist wie sich herausstellt ein Glücksfall in der Gründungsphase der Bürgerinitiative. Lassen wir wieder Friederike Lampe zu Wort kommen (aus:„Das war der Anfang “ S.20/21 im schon erwähnten Buch der Bürgerinitiative FREIeHEIDe aus dem Jahr 2000): „ Tagelang wurde über den Namen nachgegrübelt, Freunde einbezogen, bis Reinhard den Geistesblitz FREIeHEIDe hatte. … Ich stellte mir immer wieder die Frage, wofür anstelle wogegen wir aktiv werden. Und da fiel mir –übrigens während eines Spaziergangs!- eine ganze Menge ein.

Wir haben diesen Schatz einer wunderschönen Landschaft, also warum nicht beim miteinander Gehen und Wandern uns dessen erfreuen? Und wir haben Dörfer mit ihrem jeweils eigenen Charakter, mit ihren teilweise von den Vorfahren selbst erbauten Kirchen. Und dort ist ein guter Ort für den Beginn. Ein Ort zum Musizieren, für gute Gedanken, für Informationen und-für alle, die es wollen- ein Ort für den Segen. Also, wie wäre es, wenn wir uns am immer gleichen Sonntag im Monat in der jeweiligen Kirche versammelten und von dort zur Schießplatzgrenze wanderten? Ringsherum? Und wenn nötig nach einem Jahr wieder beim Ausgangspunkt anfingen? Damit war das Motto klar: Auf dem Weg zur FREIenHEIDe. Und die Schießplatzgrenze konnte doch ein Ort werden, wo wir unsere Lebensfreude spüren, tanzen zum Beispiel. Und wir sollten ein sichtbares dauerhaftes Zeichen setzen… Wir haben Holz, Bäume. Also warum nicht jedes Mal eine Mahnsäule errichten“?

Das von Ehepaar Lampe entwickelte Konzept überzeugt die Mitglieder der Bürgerinitiative in Gründung und wird fortan zum verbindlichen Muster der Protestwanderungen.

Bei der Gründungsversammlung am 23. August 1992 können schon Arbeitsgruppen zur Vorbereitung der ersten Protestwanderung gebildet werden. Sie findet am

Sonntag, dem 13.September 1992 in Dorf Zechlin statt und Reinhard Lampe hält die Andacht für die FREIeHEIDe in der Kirche seiner Pfarrei.

Mehrere Protestwanderungen schließen sich an. Die Osterwanderung am 3.4.1094 in Fretzdorf ist mit mehr als viertausend Teilnehmenden die größte Einzelveranstaltung der bundesweit stattfindenden Ostermärsche. Das wird so bleiben bis 2009 zum Verzicht des Bundesministers der Verteidigung auf den Luftbodenschießplatz beziehungsweise 2010 auf den Truppenübungsplatz.

Es war einmal ein SPD-Vorsitzender und Kanzlerkandidat namens Rudolf Scharping.

Der erklärt am 6. August 1994 (wiederum ein Hiroshima- Gedenktag) auf dem 22. Protestwanderung in Gadow vor viel Presse und großem Publikum,

wenn die SPD die Bundestagswahl (1994, Anm.d. Verf.) gewinne, „dann wird das hier nicht mehr Truppenübungsplatz sein“.[3]

Durch einen wahrhaft teuflichen Schachzug des Schicksals wird Scharping eine Bundestagswahl später Verteidigungsminister und setzt sich fortan hemmungslos für das Projekt seines Amtsvorgängers Rühe ein.

Genauso verhält sich auch Scharpings Nachfolger im Amt des Verteidigungsministers, obwohl er sich als Vorsitzender der noch oppositionellen SPD-Fraktion im Bundestag gegen

den Luft-Boden-Schießplatz ausgesprochen hatte.

So lernen die FREIHEIDianer schmerzlich, dass auf die große Politik kein Verlass ist.

Sie verlassen sich fortan auf die eigenen Kräfte und gleichgesinnte Bündnispartner und sie ziehen sämtliche Register zivilen gewaltfreien Widerstands:

-neben den Protestwanderungen nach dem Drehbuch des Ehepaars Lampe nutzen sie buchstäblich alle bekannten Aktionsformen gewaltfreien Handelns

-sammeln zig-Tausende von Unterschriften, „bombardieren“ in den 18 Jahren des Widerstands Parteien, Fraktionen und einzelne Abgeordnete auf Länder- und Bundesebene mit Argumenten gegen den Luft-Boden-Schießplatz, veranlassen Politiker_innen zu parlamentarischen Anfragen und Anträgen, reichen Petitionen ein…

-beauftragen – und das soll sich als mitentscheidend für den Erfolg erweisen-hochkarätige Verwaltungsrechtsanwälte, die im Lauf der Jahre für den Landkreis sowie

besonders stark betroffene Anliegergemeinden und -firmen sage und schreibe 27 Verfahren gegen die Bundesrepublik Deutschland gewinnen

-wecken große Spendenbereitschaft überall in Deutschland, was neben der Finanzierung des alltäglichen Widerstands sicherstellt, dass sie die Berliner Ausnahmejuristen Reiner Geulen und Remo Klinger auch bezahlen können

-gewinnen Bündnispartner auch jenseits der Grenzen Brandenburgs, z.B. in Gestalt der Initiative „Freier Himmel“ in Südmecklenburg, bundes- und europaweit bei der Ökologie- und Friedensbewegung sowie den Globalisierungskritikern, bei den Parteien, wo ihnen sowohl Bündnis 90/Die Grünen und PDS/später Partei Die Linke über all die Jahre auf Länder- und Bundesebene die Treue halten.

Durchbruch auf Landesebene

Schließlich ist es das Bündnis mit der Regionalwirtschaft das den politischen Durchbruch auf Landesebene herbeiführt. Der Unternehmensinitiative „Pro Heide“ gelingt 2004 im Vorfeld von Landtagswahlen ein kleines Wunder. Sie bewegt den Brandenburger Wirtschaftsminister Ulrich Junghanns, einen CDU-Politiker, zum Umschwenken seines Ressorts vom Befürworter zum Gegner des Luft-Boden-Schießplatzes! Junghanns gibt damit ein in Deutschland höchst seltenes Beispiel von Zivilcourage im Amte, denn dieser Kurswechsel hätte ihm beim CDU-Vorsitzenden Jörg Schönbohm das Ministeramt kosten können. Er bringt sogar noch das Kunststück fertig, die Landes-CDU zum Umdenken zu veranlassen. Damit befreit er zugleich die SPD zu sich selbst, denn die hatte sich in der Großen Brandenburger Koalition lange hinter der CDU des ehemaligen Bundeswehrgenerals und Staatssekretärs im Bundesverteidigungsministerium Schönbohm versteckt, statt eindeutig für die Bombodrom-Gegner Partei zu ergreifen.

Durchbruch auf Bundesebene

Es war einmal ein Bundesminister der Verteidigung namens Franz-Josef Jung. Der erklärt, nachdem er jahrelang den Luft- Boden-Schießplatz in der Kyritz-Ruppiner Heide für unverzichtbar gehalten hatte, am 9. Juli 2009, flankiert vom Generalinspekteur Schneiderhahn, vor der Presse:

„Wir haben hier sehr sorgfältig die Erfolgsaussichten überprüft, aber natürlich auch die Sicherstellung der Einsatzbereitschaft unserer Luftwaffe. Und in diesem gesamten Abwägungsprozess kommen wir zu dem Ergebnis, dass die Bundeswehr auf die Nutzung von Wittstock als Luft-Boden-Schießplatz verzichten wird, das heißt keine Revision gegen dieses Urteil des Oberverwaltungsgerichts Berlin/Brandenburg einlegen wird.

Wir sind auch der Auffassung, dass nach 15 Jahren auch der gerichtlichen Auseinandersetzung, damit verbunden auch der Nichtnutzung des Luft-Boden-Schießplatzes durch die Bundeswehr und auch unter Berücksichtigung der Petitionsentscheidung des Deutschen Bundestags eine Realisierung des Luft-Boden- Schießplatzes nicht mehr möglich ist.“

Wie ist zu erklären, dass ein Bundesminister der Verteidigung so plötzlich auf das Bombodrom verzichtet, nachdem ihn zuvor 27 verlorene Gerichtsprozesse, die zwei meistbetroffenen Landesregierungen von Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern, der Bundesrechnungshof und eine wachsende Bürgerbewegung nicht zur Einsicht hatten bewegen können? Hatte die brisante Mischung aus Protesten, politischer Lobbyarbeit, Gerichtsverfahren, direkten gewaltfreien Aktionen, Bereitschaft zum zivilen Ungehorsam etwa eine neue Qualität erreicht?

Es war wohl vor allem die Gleichzeitigkeit von zu erwartendem endgültigem Scheitern vor dem Bundesverwaltungsgericht und sich abzeichnendem Verlust der Mehrheit für das Bundeswehrprojekt im Bundestag, die Minister und Bundeswehr zum Befreiungsschlag veranlassten: Am 27. März 2009 hatte das Oberverwaltungsgericht Berlin/Brandenburg eine Entscheidung des Verwaltungsgerichts Potsdam bestätigt. Sie lautete, dass die Bundeswehr in der Kyritz-Ruppiner Heide nicht üben darf, weil sie die Beeinträchtigungen für die Anlieger bei ihren Planungen nicht hinreichend berücksichtigt hatte. Und am 2. Juli 2009 hatte der Bundestag mit großer Mehrheit entschieden, die Petitionen gegen die militärischen Nutzungspläne der Kyritz-Ruppiner Heide der Bundesregierung zur Erwägung zu überweisen.

Kurzum: David war es nach 17 Jahren beharrlichen Widerstands gelungen Goliath schachmatt zu setzen.

 

Elend lange Prüfungsphase

 

Doch Goliath wollte auch nach Davids wundersamem Zwischenerfolg noch immer nicht klein beigeben. Obwohl sie von allen Seiten dazu gedrängt wurde, war die Bundesregierung nicht dazu bereit, vor der Bundestagswahl am 27. September 2009 den vollen Verzicht auf den

„Truppenübungsplatz Wittstock“ zu erklären. Sprecher des Bundesministers der Verteidigung erklärten vielmehr auch nach dem 9. Juli 2009 wiederholt, die Bundeswehr prüfe noch, ob sie den Truppenübungsplatz Wittstock behalten wolle.

Diese Hinhaltetaktik konnte die FREIHEIDianer aber nicht daran hindern, ihren wohlverdienten Erfolg gebührend zu feiern.

23. August 2009, am Dranser See in Schweinrich. In diesem Dorf war der langjährige BI- Vorsitzende Helmut Schönberg bis zu seinem plötzlichen Herztod am 12. Juni 2004 Bürgermeister. Hier wurde die BI vor 17 Jahren gegründet und hier hält Reinhard Lampe vor mehr als tausend Bombodrom-Gegnern zum Dank für den wohlverdienten Erfolg die Andacht. „Ist das nicht ein Wunder?“ ruft er immer wieder in die Menge. Er zählt alle Elemente des erfolgreichen Widerstands auf und antwortet jedes Mal: „Ja das ist ein Wunder!“.

Mit der mitreißenden Andacht und dem sich anschließenden Freudenfest schließt sich für viele der Mitstreitenden der Kreis nach 113 Protestwanderungen.

Es war einmal ein Minister der Verteidigung namens Karl Theodor Freiherr von und zu Guttenberg. Entscheidungsfreudiger als seine vier Vorgänger zusammen lässt er am 21. April 2010 durch einen seiner Staatssekretäre verkünden, die Bundeswehr verzichte endgültig auf die Kyritz-Ruppiner Heide als Truppenübungsplatz. Dafür gebe es nun militärisch keinen Bedarf mehr.

Eine der Antworten aus der Region ist die Gründung einer kommunalen Arbeitsgemeinschaft, in der der Kreis Ostprignitz-Ruppin, die Gemeinden Neuruppin, Rheinsberg und Wittstock sowie Mitglieder der Bürgerinitiativen über künftige Konzepte zur Nutzung des ehemaligen Truppenübungsplatzes beraten.

Wirklich frei wird die Kyritz-Ruppiner Heide erst sein, wenn Bewohner und Gäste der Region dort den Dreiklang von Wald, Seen und Heidelandschaft gefahrlos erleben können. Der Weg

dahin ist lang und beschwerlich. Denn die Bundesrepublik Deutschland stellt zwar bedenkenlos Milliardenbeträge für die Schaffung militärischer Neulasten zur Verfügung, hat aber angeblich kein Geld für die flächendeckende Beseitigung militärischer Altlasten.

Wie geht es weiter?

Die Bürgerinitiative FREIeHEIDe und ihre südmecklenburgische Schwester FREIER HIMMEL wollen sich im Jahre 2011 auflösen.

Die Friedenspfarrstelle, die der langjährige Sprecher und das „Gesicht“ der FREIenHEIDe, Pfarrer Benedikt Schirge, innehatte, kann nur noch bis Mitte 2011 aufrecht erhalten werden. Sie war spendenfinanziert und der Spendenfluss ebbt nach dem Erfolg der FREIenHEIDe merklich ab.

Friedenspolitische Impulse und Netzwerkarbeit sind weiterhin von der „Friedensinitiative Kyritz-Ruppiner Heide“ und der Werkstatt für Friedensarbeit „Sichelschmiede“ zu erwarten.

Die Sichelschmiede hat sich in Zempow, hart am nördlichen Rand des ehemaligen Militärgeländes, angesiedelt. Sie wird von Ulrike und Hans-Peter Laubenthal geführt, die seit Jahrzehnten als Ideengeber und Netzwerker fulltime Friedensarbeit leisten.

Sie und die Friedensinitiative Kyritz-Ruppiner Heide werden auch Kontakte aufrechterhalten, die bisher schon von ihnen aber auch von Aktiven der BI FREIeHEIDe gepflegt worden sind.

Dazu gehört die weitere Unterstützung der „Offenen Heide“ in der Colbitz-Letzlinger Heide bei Magdeburg.

Auch mit Aktionsgruppen rund um den Luft-Boden-Schießplatz im niedersächsischen Nordhorn gab und gibt es einen intensiven Austausch.

Zum fränkischen Siegenburg, dem anderen in der Bundesrepublik aktiven Luft-Boden-Schießplatz, gab es immer mal wieder Versuche Kontakt aufzunehmen, die aber nie zu einem Ergebnis geführt haben.

Ein Ostermarsch zum Gelände des ehemaligen Bombodrom findet 2011 nicht statt. Die Friedensinitiative Kyritz-Ruppiner Heide und die Sichelschmiede rufen stattdessen zur Teilnahme am Ostermarsch Senne bei Paderborn auf, wohin der Aktionskreis FREIE SENNE zum Protest gegen Kampfdörfer im Afghanistan-Stil einlädt (www.KeineKampfdoerfer.de).

FREIHEIDliches Erfolgsgeheimnis ?

Bleibt die Frage nach dem „Geheimnis“ des Erfolgs der FREIHEIDianer und damit auch nach der Wiederholbarkeit ihres Erfolgs andernorts.

Es war wohl das Zusammenwirken einer Reihe von Faktoren, die sowohl das lange Durchhaltevermögen als auch den schließlich erreichten Verzicht des Bundesministers der Verteidigungsminister auf einen Luft-Boden-Schießplatz erklären.

Dazu gehören neben der schon erwähnten Unterstützung durch den Juristen der Bundeswehr haushoch überlegene Verwaltungsrechtsanwälte folgende Faktoren:

-ein klares, weithin akzeptiertes Ziel

-der unerschütterliche Glaube der Akteure des Widerstands, dass dieses Ziel erreichbar ist

-die Selbstverpflichtung auf strikte Gewaltfreiheit

– Inspiration, Führung und Integration durch Persönlichkeiten natürlicher Autorität und  deren Fähigkeit weitgehend konfliktfrei zusammenzuarbeiten

– Unterstützung durch auswärtige Aktionsgruppen aus der bundesweiten Friedensbewegung

– die Symbiose von Widerstandserfahrungen aus der ehemaligen DDR und der alten Bundesrepublik bzw. dem früheren West-Berlin

-eine verlässliche Kerngruppe, die für das Gelingen der über 100 Protestwanderungen und anderer Aktionen verantwortlich zeichnete

-spektakuläre Bilder, mit denen die FREIeHEIDe immer wieder in die Medien kam, etwa, wenn Tausende Teilnehmende gemeinsam das Peace-Zeichen bildeten und davon Luftaufnahmen zur Verfügung gestellt wurden

– Die Fähigkeit, das Protestwandern an Ostern zum größten Ostermarsch Deutschlands anwachsen zu lassen

– das Wecken großer Spendenbereitschaft überall in Deutschland

– das Gewinnen von Bündnispartnern in allen Schichten der Bevölkerung und länderübergreifend

– unablässige Lobbyarbeit in den politischen Raum, die sich auch durch Rückschläge nicht entmutigen ließ

– bürgerfreundliche Rechtsfortbildung durch couragierte Richter-innen in sämtlichen Instanzen Berlin-Brandenburgischer Verwaltungsgerichtsbarkeit

-die immer wieder anklingende und durch konkrete Aktionen bekräftigte Bereitschaft zu Zivilem Ungehorsam

Letztlich entscheidend für den Durchbruch war aber das Anknüpfen an den wirtschaftlichen Interessen der Regionalwirtschaft. Dabei spielte die Unternehmensinitiative Pro Heide

eine herausragende Rolle sowohl für die Bündelung der wirtschaftlichen Interessen als auch für die Lobbyarbeit in den politischen Raum. Insbesondere das Argument der Beschädigung der aufstrebenden Tourismusbranche durch einen Luft-Boden-Schießplatz erwies sich schließlich als unwiderlegbar selbst bei hartgesottenen Bundeswehrfans.

Konflikt um Ausweitung der Kampfzone

Nicht verschwiegen werden soll, dass es zwischen dem Führungspersonal der seit 1992 aktiven Bürgerinitiative FREIeHEIDe und Wortführern später hinzugekommener Aktionsgruppen gelegentlich Spannungen gab. War man sich im Ziel der Verhinderung des Luft-Boden-Schießplatzes auch stets einig, so bestanden doch unterschiedliche Vorstellungen wie dieses Ziel am sichersten zu erreichen sei.

Gestritten wurde vor allem über das Ob und Wann des Übergangs von legalen demonstrativen Aktivitäten zu Aktionen des Zivilen Ungehorsams. Exemplarisch kann dieser Konflikt an einer Auseinandersetzung im Vorfeld der Aktion „Besiedelung des Bombodroms“ festgemacht werden. Ein loser Zusammenschluss von autonomen und friedensbewegten Gruppen vor allem aus Berlin und Brandenburg hatte sich Anfang 2007 zum Ziel gesetzt, den Zusammenhang zwischen G8 und Krieg an zwei Orten sichtbar zu machen:

in der Kyritz-Ruppiner Heide und am Flughafen des Fliegerhorsts Laage, wo das Jagdbombergeschwader 73 stationiert ist und wo die Regierungsvertreter_innen

zum G8-Gipfel in Heiligendamm eingeflogen werden sollten.

Die geplante „Besiedelung“ der Kyritz-ruppiner Heide war ein Akt des Zivilen Ungehorsams.

Einer der Kritikpunkte altgedienter Mitstreiter_innen der BI FREIeHEIDe war, dass die rechtlichen und politischen Möglichkeiten zur Verhinderung des Luft-Boden-Schießplatzes noch lange nicht ausgeschöpft seien. Ziviler Ungehorsam sei erst dann gerechtfertigt, wenn die Versuche, den Bombenabwurfplatz auf juristischem und parlamentarischem Wege zu verhindern, endgültig gescheitert seien.[4] Die Planer_innen des für die Besiedelung ausersehenen Aktionstages 1. Juni 2007 konnten argumentieren, dass es für das Einüben einer Platzbesetzung zu spät sei, wenn die Bundeswehr das Gelände für Schießübungen in Betrieb nähme.

Umsichtige und phantasievolle Organisation durch in Strategie und Praxis der gewaltfreien Aktion geübte Friedensfachkräfte bewirkte, daß sich der Konflikt letztlich in Wohlgefallen auflöste. Symbolisch Bodenziele markierende Pyramiden visualisierten den Slogan „Jedes Ziel ist ein Zuhause“ – eine Symbolik, die in der Widerstandsregion gut ankam, weil sie den Blick auf potentielle Opfer des in der Kyritz-Ruppiner Heide geplanten Krieg-Übens lenkte.

Der Grundsatzkonflikt um den richtigen Zeitpunkt für den Übergang zum Zivilen Ungehorsam blieb jedoch latent bestehen und begleitete das Widerstandsgeschehen bis zum erlösenden Verzicht der Bundeswehr auf den Luft-Boden-Schießplatz.

Wie stark war nun der antimilitaristische Faktor im bürgerlichen Volkswiderstand gegen den Luft-Boden-Schießplatz?

Die Ablehnung des Trainierens für das Töten von Menschen in anderen Ländern und zugleich das Eintreten für gewaltfreies Austragen von Konflikten kamen in all den 18 Jahren in vielen Reden und Dokumenten gegen den Luft-Boden-Schießplatz immer wieder zum Ausdruck.[5]

Eine empirische Untersuchung zum Übergang von der Standortgegnerschaft zur Grundsatzgegnerschaft wie sie an anderen Brennpunkten zivilen gewaltfreien Widerstands gegen lebensfeindliche Projekte vorgenommen wurde[6], liegt für den Kampf für eine freie Heide nicht vor

Hätte sich die Bundeswehr nach dem Verzicht auf den Luft-Boden-Schießplatz entschieden, den Truppenübungsplatz für andere Übungszwecke zu behalten, wäre klar geworden, ob der Widerstand d a g e g e n mit gleicher Intensität und eindeutig antimilitaristischer Ausrichtung fortgeführt worden wäre.

Diese Nagelprobe blieb den FREIHEIDianern – zum Glück!- erspart.

[1] Theodor Ebert, Gewaltfreier Aufstand. Alternative zum Bürgerkrieg 1968 bzw. Fischer Bücherei 1970

[2] Wolfgang Hertle, Larzac 1971-1981. der gewaltfreie Widerstand gegen die Erweiterung eines Truppenübungsplatzes in Süd-Frankreich, Kassel 1982
[3] zit. nach Susanne Hoch/Hermann Nehls (Hg.) Bürgerinitiative FREIeHEIDe, Berlin 2000, Dok.9, S. 294,295
[4] s. Ulrike Laubenthal, Jedes Ziel ist ein Zuhause in graswurzelrevolution 317 März 2007 und Die Protestmarke Bombodrom in graswurzelrevolution 326 Februar 2008
[5] exemplarisch die Ansprache von Horst Kasner (Vater von Angela Merkel geb. Kasner) am 4. September 1994 in Flecken-Zechlin , in Hoch/Nehls (Hg.) Bürgerinitiative FREIeHEIDe, Berlin 2000, Dok. 10, S. 296-299 und Thesenanschlag der BI FREIeHEIDe , Reformationstag 1998 am Schlagbaum zu Gadow, Hoch/Nehls a.a.O. Dok. 17, S. 308: These 1: „Du sollst nicht töten, auch nicht auf Befehl!“ These 8: „Außenpolitik muss vorausschauend mit diplomatischem und wirtschaftlichem Einfluss Interessen wahren und Konflikte ohne Drohung mit Gewalt austragen helfen“. These 9: „Den Kampf für eine FREIeHEIDe wollen wir ohne Gewalt gegen Menschen, ohne Feindbilder und durch das Schaffen ziviler Arbeitsplätze vor Ort gewinnen.“ These 10: „ Der Erfolg unseres Widerstands gegen einen Bombenabwurfplatz in der Kyritz-Ruppiner Heide wird Menschen anderswo zu gewaltfreier Selbstbehauptung ermutigen.“
zum Widerstand gegen das Atomkraftwerk von Wolfgang Beer durch Befragung Widerstand Leistender ermittelt in Wolfgang Beer, Lernen im Widerstand, Politisches Lernen und politische Sozialisation in Bürgerinitiativen, Hamburg 1978

Roland Vogt war von 1991-2006 im Land Bran- denburg zuständig für die Umwandlung von militärischer in zivile Nutzung. Er ist Mitinitiator der Bürgerinitiative FREIeHEIDe.

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