Da haben wir die ganze Hütte besetzt

Gesprächsrunde über die Ostberliner Hausbesetzerbewegung in den 1990er Jahren

aus telegraph #124

Im Spätsommer 1989 wurden die Häuser Schönhauser Allee 20 / 21 in Berlin Prenzlauer Berg für besetzt erklärt. Im letzten Jahr der DDR wurden Ostberlin hunderte Häuser besetzt, hauptsächlich in den Stadtbezirken Prenzlauer Berg, Mitte und Friedrichshain. Vom Ostberliner Magistrat geduldet, entwickelten die Bewohner der besetzten Häuser eigene Strukturen und ein freies und selbstbestimmtes Leben.  Nach dem Anschluss im Herbst 1990 hatte der Berliner Rot-Grüne Senat von Walter Momper kein Interesse an freien Wohnstrukturen und ging einen Monat nach dem 3. Oktober gegen die Hausbesetzer vor. Vom 12.-14. November lieferten sich 100erte Hausbesetzer mit 4000 Polizisten Straßen- und Barrikadenkämpfe um die Mainzer Straße im Stadtbezirk Friedrichshain. Die Besetzer konnten der militärischen Übermacht der Polizei nicht standhalten, alle 14 Häuser wurden geräumt. Als Folge zerbrach der Rot-Grüne-Senat. Erschüttert von der Auseinandersetzungen um die Mainzer Straße waren der neue Senat und die Bezirksämter zu Verhandlungen bereit. In deren Folge gelang es in den meisten Fällen, akzeptable Mietverträge auszuhandeln.

Heute gibt es in Berlin keine besetzten Häuser mehr. Neubesetzungen werden sofort geräumt. Viele der damals besetzten Hauser sind in privates Eigentum übergegangen. Die neuen Hausbesitzer versuchen die Hausbesetzer von einst los zu werden. Jüngste Beispiele sind die Räumung der Brunnenstraße 183 in Mitte und der Liebigstraße 14 in Friedrichshain, mit Zustimmung und politische Rückendeckung des Berliner Senats.
Was ist von den besetzten Häusern geblieben, der Ablehnung von privatem Hausbesitz. Was ist geblieben von der Hoffnung auf bezahlbaren Wohnraum für alle und dem Versuch neuer kollektiver Lebensformen? Welchen Sinn macht die Besetzung von Häusern, wenn sich diese zehn Jahre später wieder in der Hand von Mietspekulanten befinden und die Mietsituation in Berlin schlimmer ist als je zuvor?
Um diese Fragen zu beantworten trafen  sich ehemalige Berliner Hausbesetzer in einer Mietwohnküche in Prenzlauer Berg. Sie schauten zurück und sprachen über den Alltag, Ideale, Solidarität, Kampf und Räumung. Über politische Ansprüche und gesellschaftliche Realitäten und über Sinn von Hausbesetzungen. Anwesend waren: David, Michl und Rüdiger, sie wohnten in der Linienstraße 206; Maria, wohnte bis zur Räumung in der Yorckstraße und seit 2010 in der Brunnenstraße 7; Molti aus der Schreinerstraße 47; Wolfram, Dietrmar und Sascha wohnten in der Lottumstraße 10a. Natalie, sie wohnte bis zur Räumung in der Mainzer Straße 24 und danach in der Linienstraße 206 und Heinke aus der Brunnenstraße.

 

Dietmar: Anfang 1990 bis August wurden in Ostberlin ca. 120 Häuser besetzt. Alles leer stehende Häuser. Hauptsächlich in Prenzlauer Berg, Mitte und Friedrichshain. Wie kam es dazu?
Wolfram: Es gab verschiedene Gründe für Besetzungen. Das, was ’89/ ’90 passierte, angefangen mit der Besetzung der Schönhauser Allee 20/21 im August 1989, passierte im Grunde in Fortführung der Wohnungsbesetzungen, die in Prenzlauer Berg und Friedrichshain seit den 80er Jahren quasi Usus waren. Die haben die ganze Hütte besetzt. Es gab die Idee, als Gruppe ein Haus zu besetzen und  Politik nicht mehr im Wohnzimmer zu machen. Dann gab es einen zweiten Grund für Besetzungen. Leute wollten einfach nur schöner Wohnen. Sie wollten einfach praktikablen Wohnraum für ihre Lebensentwürfe haben.
Und danach kam die Welle von Hausbesetzungen, das betrifft vor allem Friedrichshain, die aus Westberlin kamen. Da gab es einen Aufruf, den wir in Westberlin verteilt haben: Kommt rüber, wir haben in Friedrichshain so viele leer stehende Hütten. Und das war dann die große Welle, das war Ende April. Und dann sind in Friedrichshain die Hütten vollgelaufen, mit verschiedenen Leuten.

Molti: Wir hatten alle Wohnungen in Friedrichshain gehabt, besetzte Wohnungen. Es hat in der DDR kaum einer von uns eine Wohnung über das Wohnungsamt bekommen. Im Herbst ’89 dachten wir dann: Zusammen in ein Haus zu ziehen wäre eigentlich das Beste. Da sehen wir uns dann öfters. Wie haben sowieso vieles zusammen gemacht: wie Kirche von Unten und Umweltbibliothek. Und dann haben wir uns das Haus in der Schreinerstraße ausgesucht und sind da eingezogen, da wohnten auch noch Mieter drinnen.
Wir hatten mitbekommen, dass die Kommunale Wohnungsverwaltung in einer Sitzung gesagt habe: „Ja, wir machen das jetzt so mit der Gestaltung der Frankfurter Allee: Wir reißen die Mainzer ab und renovieren die Kreuziger. Oder umgekehrt. Ressourcen für beide sind nicht mehr da.“ Da haben wir gesagt: „Hey, jetzt müssen wir aber Leute heranholen!“ und sind dann rüber zu unseren Kumpels und haben gesagt: “Kommt in den Osten, da stehen die Häuser leer!“. In den ersten Maitagen wurde dann ganz viel besetzt.

Heinke: In unserem Haus waren fast alle aus dem Latein-Amerika-Institut. Der erste Schwung kam aus der Zeit des Unistreiks. Dann zog eine Gruppe aus einer Fakultät in ein Haus, es waren nur Leute aus dem Westen.
Michl: Wir sind vom Westen in den Osten gekommen. Ich war damals in einer Gruppe, die Aktionen und Demos gegen die Tagung von IWF und Weltbank organisierte. Und wir sind dann später in den Osten gezogen. Wir wurden sehr freundlich aufgenommen.

Wie ging es dann weiter? Wie habt ihr euch organisiert? Wie muss man sich das Wohnen in einem besetzten Haus vorstellen?

Michl: Wir hatten eigentlich relativ schnell das Problem, dass wir zu viele Leute waren. Wir mussten organisieren, ob jeder einen Raum zu Verfügung hat oder ob zwei in einem Raum leben können. Wir haben uns nach vielen Diskussionen darauf verständigt: „wie die Anzahl der Räume so die Anzahl der Leute“.

Heinke: In der Brunnenstraße hatten wir viel Platz, aber wir haben uns runtergeschrumpft. Wir haben mit 25 in einer Küche angefangen und dann gemerkt, dass wir zu viele sind, wir mussten in Schichten essen. Und dann sind wir von 25 auf 20 und dann noch ein bisschen weiter runter. Wir hatten alle Modelle dabei, von „Ich will auf gar keinen Fall im eigenen Zimmer schlafen. Ich will das teilen“, bis zu „Mir ist das Zimmer zu klein, ich hau die Zwischenwand raus.“

Rüdiger: Wir hatten Diskussionen über kollektive Wohn- und Schlafräume. „Eine Person, ein Raum“, das haben wir von Anfang an nicht durchgezogen. Wir haben schon zu zweit oder zu dritt in einem Zimmer gewohnt. Das hat auch gut funktioniert. „Eine Person, ein Raum“, das kam erst später. Zum Anfang war das super gut, gemeinsam in einem Zimmer zu schlafen.
Heinke: Wir haben uns wenig  in den Räumen aufgehalten, nur zum schlafen. Es gab viel zu tun. Miteinander zu tun. Ich erinnere mich nicht daran, dass es so etwas gab wie „Okay, ich mach mir jetzt mein Zimmer schick.“

Wolfram: Es war klar, dass es Gemeinschaftsräume gibt. Da gab es das gemeinsame Cafe und die  Gemeinschaftsküche. Aber ob darüber diskutiert wurde, ob man gemeinsam in einem Raum pennt, daran kann ich mich nicht erinnern oder darüber, ob jeder ein eigenes Zimmer haben darf. Wenn das Haus voll war, war es voll.

David: Ich habe mir immer Räume geteilt, mit irgendwelchen „Herren“, mit denen ich keine Beziehung hatte. Wir waren viele Gruppierungen und dann kamen noch die Mainzer und die Uni-Leute. Das waren ganz verschiedene Zusammenhänge. Und das fand ich eigentlich grandios. Dieses Zusammenraufen  mit Leuten die du gar nicht kanntest. Es gab sogar  Klotüren-Diskussionen. Und sie wurden immer mit diesem Ernst geführt. Wie weit kann ich gehen, wie will ich denn jetzt leben. Das fand ich grandios.

Natalie: Wir hatten uns als Frauen abgegrenzt. Wir hatten oben unsere Frauenetage. Und da durften die Männer auch nicht aufs Klo gehen.
Wolfram: Dass ist der Unterschied: Wir hatten Häuser besetzt aus politischen Gründen oder um mehr Freiräume zu haben. Und ihr wolltet die bürgerliche Gesellschaft überwinden.

Natalie: Nee! Wir wollten eine Frauenbewegung! Wir kamen aus einer politischen Bewegung heraus. Ich kam aus der Antifa und musste mich mit diesen ganzen Cowboys rumschlagen. Das war nicht aus einer bürgerlichen Perspektive! Das war schon sehr politisch!

Dietmar: Vielleicht kann man sagen, dass sich Ost und West unterschieden hatten?  Dass die Linken aus dem Osten einen ganz anderen Background hatten, dass die Geschlechterdiskussion für uns im Osten kaum ein Thema war?  In der Lottumstraße 10a war immer alles gemischt. Da gab es kein Frauenklo und Männerklo.
Natalie: Ich weiß noch, als wir mit euch diese Ostseefahrt gemacht haben. Wie locker ihr wart und wir so total verklemmt. Und ihr so nackt. Total das Klischee. Auch am Strand. Und wir: „Uh, die ziehen sich ja alle aus.“

Heinke: Für uns war die Geschlechtertrennung eigentlich von Anfang an da, weil wir ein ganzes Frauen/Lesbenhaus im Komplex hatten. Wir hatten mehrere Aufgänge. Und das ist jetzt immer noch so. Andere WG`s haben sich erst später in Frauen- und Männer-Gruppen getrennt. Wir haben zum Beispiel Leute aus geräumten Häusern aufgenommen, wie der Lübbener und die kamen gemischt zu uns. Das dauerte ein Jahr und dann haben sie sich total gestritten und wollten unbedingt eine Küchen- und WG-Trennung machen, also Frauen und Männer getrennt. Jetzt haben wir gemischte Gruppen und Frauengruppen bei uns wohnen.

Andrej: Bei uns war das anders. Wir waren eine ziemlich junge Gruppe, die ins Hinterhaus gezogen ist. Und das Vorderhaus wurde schnell von Westfrauen angeeignet, die dann ihre soziale WG gegründet haben. Das waren zum Teil  Leute gewesen, die vorher in der Westberliner Marchstraße gewohnt haben, wo die sich alle gegenseitig rausgeschmissen haben. Und die wollten nicht mehr in einer großen Gruppe wohnen. Und das war dann ganz typisch: Die Westberliner WG´s im Vorderhaus und die Ostberliner im völlig rotten Hinterhaus. Und bei dem Vernetzungstreffen der Besetzten Häuser haben wir dann gemerkt, dass wir die einzige nicht ethnisch gemischte Truppe in ganz Mitte waren. Das war bei uns am Anfang der zentrale Konflikt, ob Frauen und Männer gemischt spielte nicht so ´ne große Rolle, eher, dass da Leute sich Hausbesetzer nannten, die aber Sachen gemacht haben, die wir damit gar nicht in Verbindung brachten. So etwas, wie diese sozialen WG’s: Sofort nach dem Einzug ´ne eigene Küche und Schloss vor die Tür, dann aber nicht zum Hausplenum erscheinen, wenn besprochen wurde, die Haustür vor Naziüberfällen zu verbunkern.

Dietmar: Es ging um kollektive Strukturen. Privateigentum an Wohnraum ist in diesen Projekten nicht gut angesehen gewesen. Also Großraum-WG’s mit Gemeinschaftsküche, Gemeinschaftsbad und einen Fernseher für alle. In unseren Nachbarhäusern, Lottumstraße 8, 9, 10, 26 war das anders. Da hatte jeder seine eigene Wohnung.

Molti: Bei uns war das 50:50. Es gab 1-Raum-Wohnungen und 3-Raum-Wohnungen. Insgesamt vier auf einer Etage. Die 1-Raum-Wohnungen wurden relativ schnell zu separaten Wohnungen mit einer Küche. Dort wohnten dann zwei Leute und das war ihr Refugium. Aber es war nicht privat. So eine Struktur gab es auch im Hinterhaus. Es gab nie einer Trennung zwischen Vorderhaus und Hinterhaus, in dem es nur 1-Raum-Wohnungen gab. Und die Leute wechselten immer. Wir hatten insgesamt 4 oder 5 Küchen. Und wer dann mal mit irgendjemanden nicht mehr konnte, wechselte die Küche und aß woanders weiter.
Andrej: Nach 2 Jahren fing das auch bei uns an zu bröckeln. Das lag daran, dass in Zeiten des Ausnahmezustandes die Kollektivität sehr gut geklappt hat. Das Haus besetzen, das Ding bewohnbar machen. Dann haben wir irgendwann die Gewerberäume unten in eine Kneipe, das KDW, umgebaut. Das hat so 2 Jahre angehalten und dann sind wir in ein Loch gefallen. Es gab dann Routine: Wer macht abends den Thekendienst? Oder: Samstag ist schon wieder Konzert von irgendeiner Punkband aus dem Nirgendwo, muss ich da an der Theke stehen oder den Einlass machen? Es setzte auch eine Art Privatisierung ein, manche meinten, lass uns mal wieder die Wohnungen tauschen oder ich will lieber mit dem und dem zusammen wohnen.
Molti: Wir kannten uns schon alle vorher. Für uns war klar, wir werden jetzt hier kein Kampfhaus. Wir stellen uns nicht in die Häuserfront ganz vorne hin, weil wohnen mehr ist als „gemeinsam kämpfen“. Wir haben nicht alle Kampagnen mitgemacht. Und deswegen ist bei uns, als diese ganzen Kampagnen zu Ende waren oder als Silvio von Nazis umgebracht wurde, was für uns zusätzlich ein tiefer Einschnitt war, nicht alles zusammengebrochen.

 

Wir haben nicht in einem luftleeren Raum gelebt. Wir hatten auch Nachbarhäuser. Normale Bürger, die in normalen Häusern lebten, hatten plötzlich einen „Chaoten Haufen“ vor die Nase gesetzt bekommen. Gab es Reaktionen?
David: Die Linienstraße ist auf einer Straßenecke. Da gibt es gegenüber diese halbe Platte, das waren unsere Nachbarn. Im Prinzip war das so eine anonyme Wand. Ich erinnere mich an einen Balkon von einem Rettungssanitäter. Das war der Einzige, der sich mit mir persönlich unterhalten hat. Er immer winkend auf seinem Balkon mit seinen Kindern, die auch Ewigkeiten später noch mit mir gesprochen haben.
Rüdiger: Wir hatten versucht Kontakt aufzunehmen. Mit Aktionen, wie: Brot verkaufen, Eier verkaufen. Wir hatten ein Frühstückscafé eingerichtet. Ein Straßenfest gemacht. Wir hatten gesagt, wir wohnen hier, wir wollen zeigen, wer wir sind und was wir wollen. Aber es hatten sich nicht wirklich Kontakte daraus gebildet. Wir blieben immer die aus dem Westen, die Chaoten.
Michl: Ich hatte nicht den Eindruck, dass wir groß negativ aufgefallen sind. Wir hatten einen ziemlich respektvollen Umgang mit den Nachbarn. Wir hatten nie lauten Partys gefeiert und das Fenster aufgelassen, wie es in anderen besetzten Häusern üblich war.
Heinke: Wir hatten das Glück, dass wir hinten im Hof waren. Wir hatten Kontakt, zu dem Geschäftsmann im Vorderhaus. Am Anfang, waren wir völlig gegen ihn, ein Supermarkt wollte da einziehen. Das ging überhaupt nicht. Niemand sollte da einkaufen, hieß unsere Parole. Er wurde aber über die Jahre ein guter Freund. Der Supermarktbesitzer war allen bekannt, er ist jetzt gerade raus, seit gestern, leider! Er hat uns oft unterstützt. Wenn vorne das Tor zu war, konnten wir durch den Supermarkt rein. Er hat uns mit Lebensmitteln versorgt, mit uns gefeiert. Er hat seine Räume für Partys frei gegeben.

Wolfram: Es gab Häuser, die haben sich intensiv um ihre Nachbarschaft bemüht, die haben auch Straßenfeste organisiert. Da ist aber nicht viel rumgekommen. Das ist so mit der Nachbarschaft in der Großstadt. Die ist per se ein bisschen anonymer, zurückhaltender. Ab  ’91 war dann der neue Senat. Da ist Stimmung gegen die besetzten Häuser gemacht worden. Im Osten war der Slogan, das sind diejenigen, die sich an der Warteschlange der Wohnungssuchenden vorbei schummeln. Das machte nicht unbedingt die Türen auf. Bei der Räumung der Häuser in der Mainzer Straße standen Leute an der Frankfurter Allee und riefen: „Haut se auf die Schnauze det Pack!“. Naja…mit denen willst du dann auch nicht unbedingt in der Kneipe sitzen, oder ein Straßenfest machen.

Aber wenn sie uns in der Lottum ihre alten Schabracken in den Hausflur gestellt haben, dann meinten sie es gut. Nur das wir  dann nicht wussten, wohin mit dem Müll. Aber eigentlich war das eine gut gemeinte Geste.

Molti: Am Anfang  sind wir von den Mietern mit ziemlich großer Freude begrüßt worden, weil das Haus halb leer stand. Ab und zu pennten da Leute drin oder machten Partys. Die Mieter waren froh: „Toll, endlich wohnt hier jemand!“. Dann gab es aber relativ schnell Konflikte. Wir Hausbesetzter lebten eine ganz andere Kultur. Die Mieter sind dann auch relativ schnell ausgezogen. Zu den Leuten, die in der Straße gewohnt haben, hat es nie wirklich Kontakte gegeben. Aber wir gingen in Gremien rein, zum Beispiel in die Betroffenenvertretung im Samariterviertel. So war man strukturell mit eingebunden. Jetzt haben wir Probleme, weil unser Laden unten, das Schreiner Kaffee, als zu laut empfunden wird. Wir erleben jetzt die zweite Welle des Einwohneraustausches. Nach dem Proletariat kamen ab 1990 die bunten Leute und jetzt, wo die Wohnungen teuer geworden sind, kommen die Schlafbürger. Und die möchten keinen Krach.

Andrej: Genau so, wie es ein kulturelles Missverständnis gibt, wenn die die alten Sachen vor die Häuser stellen, genauso symbolisch ist die Einladung ins Bandito Rosso für die Nachbarn. Ist  auch heute so mit dem „Wir bleiben alle“-Projekt. Sie erkennen das Problem mit den Nachbarn und laden zu einer Runde in der Köpi ein. Und dann wunderten sie sich, dass niemand gekommen ist. Und so haben wir damals auch agiert. Wir machten Plakate und Zettel und machten eine Mieterberatung. Aber niemand kam. Das lag aber daran, dass wir überhaupt keinen Draht zu unseren Nachbarn hatten, in unserer Straße waren wir das einzige bewohnte Haus. Wir hatten eher über Institutionen Kontakt zu Anderen. Ein paar von uns haben bei der Zeitung Scheinschlag mitgemacht. Oder wir kannten Leute bei der Mieterberatung. Und die haben sich gefreut, dass so junge Menschen jetzt schon aktiv werden wollen. Aber mit den Leuten in der Nachbarschaft ging das so nicht. Wir waren die ersten zwei Jahre eingenommen von den Dynamiken der eigenen Welt. Von dieser Hausbesetzerwelt und Szenewelt. Da war es 10-mal wichtiger, gemeinsam nach Hoyerswerda zu fahren, um etwas gegen die Pogrome dort zu machen, als Kontakt zu den Nachbarn zu haben. Ich bin dann  in Stadtteilinitiativen rein gegangen, weil ich dachte, das muss eigentlich anders werden.

Wolfram: Ich lebe heute noch an meinen Nachbarn vorbei und finde da keinen wirklichen Unterschied. Ich habe Kontakt zu meiner Nachbarin, die 93 Jahre ist, weil ich ihr ab und an mal etwas einkaufe. Aber ansonsten, ich weiß noch nicht einmal die Namen von den Leuten die in meinem Haus wohnen. Aber das interessiert mich auch nicht.

Molti: Es ist eigentlich eine Wiederholung der gleichen Ereignisse aus den 80ern. Wir wollten etwas verändern. Und was haben die Bürger gesagt? „Ihr wärt früher vergast worden!“ Und das war später nicht anders zu Besetzer-Zeiten. So sind die Bürger. Die haben früher das Fähnchen hoch in den Wind gehalten und jetzt machen sie das auch. Das ist einfach eine andere Kultur, die wir lebten und leben.

Sascha: Die Leute in unserer Gegend waren auf uns sauer. Normalerweise hast du dich im Osten für eine Wohnung angemeldet und dann 10 Jahre gewartet und hast dann deine Wohnung gekriegt. Und wir haben uns an der Schlange vorbei gedrängt. Und uns das einfach genommen.
Molti: Das hab ich schon in den 80ern gemacht, wenn wir in Ostberlin Wohnungen besetzt haben: Pah! Die Idioten, die gehen zum Wohnungsamt!“ Wir besetzen einfach Wohnungen.

Sascha: Und wenn wir auch noch so Bomben werfende Männchen auf die Häuserfront malten, dass war nicht so der Einstieg. Die mussten ja unsere Fassade anschauen. Jeden Morgen, wenn sie zur Arbeit gingen, haben sie den Mann mit der Bombe gesehen.
Andrej: Dass, was in den Häusern ablief war aber für junge Leute sehr attraktiv. Wir waren als Gruppe aus Hohenschönhausen. Manche hatten ihre Kumpels noch da. Und das Haus wurde mit der Kneipe sofort zum Anlaufpunkt von jungen Leuten. Die sind immer mit der Straßenbahn bis zum Hackeschen Markt gefahren und dann in die Neue Schönhauser gegangen. Und den hat es da gefallen. Die konnten damit was anfangen. Und die haben wir dann mit auf Demos geschleppt. Und von daher ist das nicht so, dass die Welt der Hausbesetzung völlig abgeschlossen war. Die hatte bei manchen schon eine hohe Attraktivität.


Was sind bei den Häuserplenas und Besetzer-Räten organisiert worden? Was wurde verhandelt?

Wolfram: Da muss man zeitlich differenzieren,  die Zeit während der Mainzer Straße und die Zeit danach. Viele haben uns total komisch angeguckt, als wir einen Runden Tisch in Prenzlauer Berg hochgezogen haben.

Molti: Ich bin nicht gern zum Besetzer-Rat gegangen, ich fand das anstrengend und fruchtlos. Zuerst wurde gesagt: „Verträge für alle oder niemanden!“. Dann hat die Wohnungsbaugesellschaft ziemlich früh gesagt: „Die Schreinerstraße darf nicht!“. Wir konnten zwar im Besetzer-Rat sitzen, aber über uns wurde nicht entschieden. Wir haben aber immer sehr großen Wert darauf gelegt, dabei zu sein. Und dann bei der Räumung der Mainzer Straße, da waren die Verhandlungen schon recht weit fortgeschritten. Da fing es an, dass dieser Runde Tisch zwischen Besetzern und Vermietern griff.

Wolfram: Der Berliner BesetzerInnen-Rat ist nicht über und nicht wegen der Mainzer Straße auseinander gebrochen. Davor gab es schon große Streitereien um die Frage: Verhandlungen mit dem Schweinesystem – Ja oder Nein? Und nach der Räumung der Mainzer Straße organisierten sich neue B-Räte, bezirksweise. Es gab ein Prenzlauer Berger B-Rat und ein Mitte B-Rat, in Friedrichshain hat man sich nicht erholt, da gab es keinen mehr.

Andrej: Ich habe den Eindruck, dass dann ab ’91 im Prinzip diese Verhandlungsrunde, in Mitte, einen größeren Einfluss hatte, als der B-Rat selber. Da haben die Treffen sehr unregelmäßig stattgefunden. Und das der Runde Tisch, an dem 30 oder 40 Leute hockten, den B-Rat irgendwie ersetzt hatten. Wolfram war ja der Moderator. Was ich bis heute auch ziemlich lustig finde, dass Wolfram Kempe der Leiter des B-Rats geeignet war zwischen Hausbesetzer und Senat bzw. Bezirk zu moderieren. Wie wir da zu Entscheidungen gekommen sind. Wer weiß, ob die tatsächlich in einem ganz großen Gremium beschlossen wurden.  

Wolfram: In Prenzlauer Berg hat die Bildung eines B-Rates innerhalb von 14 Tagen stattgefunden. In Mitte gab es auch einen B-Rat, aber Verhandlungen mit dem Bezirksamt gab es erst ab Januar oder Februar des folgenden Jahres. Dem Modell, was es in Prenzlauer Berg gab, standen alle ziemlich skeptisch gegenüber. Das Problem war das wir im Niemandsland verhandelten. Denn der Senat zerbrach über der Mainzer Straße. Das war im Januar. Und als der sich neu konstituierte, hatten wir die Verträge fertig. Da hat sich keiner von der Senatsebene eingemischt. Eigentlich sollte ich gar nicht Moderator sein, sondern Berater des B-Rates am Runden Tisch. Eigentlich sollte das der Pfarrer Passauer werden. Der hatte aber keine Lust. Aber formell war er immer Co-Moderator. Und der B-Rat hat einen Vermittler gewählt und die Verwaltung hat einen Vermittler gewählt. Das waren nur 3 Parteien, die anderen saßen da nur rum. Ich kann mich  an die Besetzung des Bürgeramtes erinnern. Die Drohung, die wir aufmachten – die Erzwingung der Verhandlungsbereitschaft, das war ein großer Bluff – die Drohung, wollt ihr noch mal so etwas wie in der Mainzer Straße?

Sascha: Und sie hatten Schweine Angst davor.

Wolfram: Genau. Und wir wussten, wir kriegen das gar nicht mehr so hin. Das war der Bluff.

 

Was war der Inhalt der Verhandlung?

Wolfram: Der Magistrat sagte, es müssen Einzelmietverträge abgeschlossen werden. Das wollte eigentlich niemand von uns und da war eigentlich Schluss. Und Schluss war im September. Und dann gab es keine Verhandlungen mehr. Als wir im Prenzlauer Berg separat wieder anfingen, um eine Lösung zu finden, war immer die Diskussion über diesem komischen Vertragskonstrukt, dass zunächst einmal die Hausvereine einen Vertrag mit der Wohnungsbaugesellschaft machten, in dem diese einzelnen Mietverträge dann eingebettet wurden. Das war damals der mehrheitsfähige Weg. Und so sind wir dann letztendlich zu diesen Einzelmietverträgen gekommen. Ob dass gut war, darüber kann man sich streiten.

Molti: Die Möglichkeit eines Rahmenmietvertrags konnten nicht alle nutzen. In Friedrichshain haben sich  viele, nicht nur die Besetzer, sondern auch die Bezirksverordnetenversammlung, auf schnelle Einzel- Mietverträge orientiert. Wegen der Räumung der Mainzer. Weil das ein Schock gewesen ist. Da standen alle erheblich unter Druck und waren mit dieser Art der Konfliktbewältigung nicht einverstanden. Der Bezirksbürgermeister von Friedrichshain Mendiburo stand als absolute Napfsülze da. Er war in der falschen Partei, der Räumungs-Partei SPD, denn er war gegen die  Räumung. Ihm war da eine Senatskiste rein gedrückt worden. Und da hat er gesagt: „Na gut, dann ziehen wir das ganz schnell durch hier.“ Und dann wurden reihenweise diese Einzelmietverträge gemacht. Also nicht wir, weil wir eben schon restituiert waren. Als wir dann später Verträge gemacht haben, hat unser Anwalt gesagt, macht um Gottes Willen Einzelverträge. Weil Rahmenmietverträge halten nicht. Und dann haben wir das auch so gemacht. Das war dann aber erst ’97. Noch einmal drei Welten danach.

Dietmar: An dieser Mainzer Straßen-Räumung ist der Senat zusammengekracht. Die Sozialdemokraten haben diese Räumung durchgezogen und die Grünen hatten sich dagegen gestellt.

Wolfram: Ich behaupte nach wie vor, dass man nicht weiß, wer diese Räumung wollte. Ich habe 3 oder 4 Jahre später mit dem ehemaligen Innensenator Petzold geredet, der immer noch behauptet, er habe das nicht angeordnet. Und es ist dann lange durch die Stadt gewabert und wabert auch noch heute, dass es ein Putsch der Polizei gegen den SPD-Innensenator gewesen ist.

Dietmar: Dieses Verhandlungsgremium hat plötzlich im Sommer um Legalisierung verhandelt. Das heißt, da werden 120 Häuser besetzt von unterschiedlichsten Leute, die meinen, sie wollen andere Lebensformen schaffen. Die schaffen sich Gremien und fangen an mit den Herrschenden um Legalisierung zu verhandeln.

Sascha: ’90 war die Blaupause Westberlin (Hausbesetzerbewegung in den 1980er Jahren.) noch sehr präsent. Als Modell, wo es auf Räumung oder Legalisierung hinauslaufen wird. Alle haben gewusst, dass sie nicht ewig Hausbesetzer sein werden. Im Besetzer-Rat gab es die politischen Besetzer, die wenig Affinität zum Verhandeln hatten und die Leute, die einfach billigen Wohnraum wollten.

Andrej: Ich glaube dass für die Ostberliner der Mythos des Besetzens nicht so stark ausgeprägt war. Dass es ein relativ normaler Weg war einen Mietvertrag zu bekommen. Bevor wir in die Neue Schönhauser gezogen sind im Herbst ’89, sind wir erst mal durch Prenzlauer Berg und Mitte gezogen und hatten Häuser gesucht. Dann waren so viele Häuser leer, dass man gleich noch ein paar Freunde einladen konnte. Der Mythos, dass wir irgendwie das Privateigentum außer Kraft setzen und revolutionäre Vorhut für irgendwas sind, dass spielte in dem Moment keine Rolle.

Sascha: Aber spezielle Gruppen die aus Westberlin gekommen sind, haben es von sich behauptet und haben es darauf angelegt irgendwann geräumt zu werden. Das war für die total klar. Es wird nicht verhandelt, wir werden geräumt. Und auf der anderen Seite hast du dann Leute gehabt, für die war von vornherein die Legalisierung der einzige Ausweg.

Rüdiger: Die Diskussion hatten wir auch. Wir hatten Leute, die haben ganz klar gesagt, wir werden uns verteidigen. Keine Verträge, keine Verhandlungen. Wir hatten sogar die Diskussion, einen Tunnel zu bauen zum Friedhof, wenn die uns räumen, dann liefern wir noch einmal ne richtige Schlacht und dann verpissen wir uns. Aber wir wollen nicht verhandeln. Und dann hat der Teil gesiegt, der gesagt hat, okay, wir lassen mit uns verhandeln.

Molti: Weil die zu faul waren, einen Tunnel zu graben.

David: Aber das war kein Scherz. Das war eine durchaus mit Wärme und Ernst geführte Diskussion. Und auch dieses komplette Unverständnis auf der anderen Seite, das hat man auch gehabt. Was erzählen die denn jetzt da, was soll denn das? Und auf der anderen Seite dann wieder, was sind das für Flachzangen. Die wollen jetzt ihre Wohnung klar machen, und wir machen hier Revolution. Das hat sehr viel Zeit am Anfang gekostet. Ich konnte das gar nicht glauben.

Wolfram: Ich glaube das war der 24. oder 26 Juni 1990. Von diesem Tage an würde auch in Ostberlin die Berliner Linie gelten. Und alle Häuser, die vorher besetzt waren, werden geduldet. Das war der äußere Rahmen, um überhaupt in Verhandlungen zu kommen. Ich kann mich deswegen so genau daran erinnern, weil ich damit zu tun gehabt hatte, wegen der Besetzung der Kastanienallee 77, die dann ein Jahr später stattfand. Und vor allem wegen der Besetzung der Cotheniusstraße, die 3 Tage oder 5 Tage nach diesem Datum stattgefunden hatte. Die Häuser in Prenzlauer Berg, die danach besetzt wurden, wurden nicht geräumt. Das ist irgendwie so abgewogen worden und zwar mit Hilfe der Bezirkspolitik. Woanders ist geräumt worden.

Andrej: Damals haben wir das anders diskutiert. Wir haben gesagt, die Schweine wollen uns das Besetzen in Zukunft verbieten. Und die Cotheniusstraße, da auch diese Demo. Und dann zu sagen, wir setzen jetzt hier diese Linie und gucken, ob wir damit durchkommen. Und das hat nicht geklappt. Man hätte das damals auch schon als Erfolg sehen können, dass die diese 120/130 Häuser als besetzt akzeptieren.

Molti: Wer hat das rein gebracht, die Berliner Linie? Da gab es den Konflikt Cotheniusstraße. Und dann haben sich die Leute in der Mainzer Straße erwartungsgemäß darüber aufgeregt und diese Straßensperre aufgebaut. Damit ging das ja los.

Wolfram: Der Status einer Bewegung ist nicht von den Strukturen abhängig. Wenn das ursprüngliche Selbstverständnis stimmte, hätten irgendwelche Verträge daran nichts ändern können. Die Administration ist immer damit klingeln gegangen, es gibt keine besetzten Häuser mehr. Und beide Seiten haben sich damit arrangiert. Die einen haben gesagt, klar wir wohnen in einem, und die anderen, nein, es gibt keine mehr. Es hat auch in den Häusern nichts geändert, dass jetzt diese Papiere da waren.

Sascha: Die Gruppen in den Häusern sind an sich selbst gescheitert und nicht an irgendwelchen rechtlichen Bedingungen.

 

Was ist jetzt 20 Jahre später davon übrig geblieben?

Sascha: Mein Haus gibt es immer noch. Und da leben 15 Leute in gemeinschaftlichen Strukturen zusammen. Mit Gemeinschaftsküche und so. Das sehe ich als Erfolg. Es sieht von außen genau so aus wie damals. Es ist eine linke Szene drinnen, die sehr aktiv ist.

Dietmar: Klar gibt es Häuser wie die Lottumstraße 10a, Schreinerstraße, Brunnenstraße 7 oder Kastanienallee. Das sind Häuser, die noch Funktionsträger der linken Szene sind, da gibt es  Druckereien, Buchläden, Kneipen, Volksküchen. Aber die Behauptung, dass Mietverträge Freiräume gesichert hat, wurde aktuell bei Liebigstraße 14 und Brunnenstraße 183 ins Gegenteil verkehrt.
Andrej: Wenn wir uns den Prenzlauer Berg ansehen, wie die Mietpreise gestiegen sind und was der Staat in den letzten 20 Jahren versucht hat mit Sanierungssatzungen, Fördermitteln und Mietobergrenzen dagegen zusteuern. Dann kann man in einer 20-Jahre-Gesamtschau sagen, da wo die Häuser besetzt waren, das sind heute die Häuser mit den niedrigsten Mieten. Langfristig hat sich die Strategie der Hausbesetzung wohnungspolitisch als wesentlich effektiver erwiesen als Fördermittel. Die sind ausgelaufen, da steigen die Mieten. Die Häuser werden verkauft und umgewandelt. Die sind effektiver gewesen als die Mietobergrenzen, für die wir uns eine ganze Zeit auch eingesetzt haben, die dann von irgendeinem Gericht vom Tisch gefegt wurden.
Wolfram: Die Leute, die damals Einzelmietverträge abgeschlossen haben, haben den Status ganz normaler Mieter. Und wenn jemand aus Profitmaximierungsinteresse oder sonst irgendeinem Kapitalinteresse sich die Hütte aneignet, und die dann leer haben will, weil der da was ganz schickes draus machen will, dann geht es auch den Hausbesetzern, oder ehemaligen Hausbesetzern wie jedem anderen Mieter in dieser Stadt. Es gibt nur einen einzigen und ganz kleinen Unterschied wenn sie Ostmietverträge haben. Diese Verträge haben nach dem Mietrecht einen höheren Stellenwert als diese ganz normalen, die heutzutage abgeschlossen werden. Um eine Staffelmiete durchzusetzen, müsste ein neuer Mietvertrag abgeschlossen werden. Wenn ich mir die Mehrheit der Prenzlauer Berger Mieter angucke, dann ist das noch ein wesentlicher Unterschied. Ansonsten sind die Menschen, die tatsächlich immer noch in ehemalig besetzten Häusern wohnen, genauso gleichgestellt  und den Marktmechanismen ausgesetzt wie jeder x-beliebige andere Mieter in dieser Stadt.

Molti: Wir haben keine alten DDR-Mietverträge sondern 1997er Westverträge. Was uns aber immer wieder Vorteil verschafft hat war, dass unsere Infrastruktur innerhalb des Hauses ganz gut läuft und dass wir uns zusammen gegen die Hausverwaltung bisher immer gut durchsetzten konnten. Und das ist der große Unterschied; als Einzelmieter kannst du da mal kleingekocht werden und als Gruppe hat man da einfach eine bessere Position. Bei uns denken 20 Leute mit und haben 20mal bessere Ideen als der Verwalter.

 

Kommen aus den Häusern noch Aktivitäten wie entwickeln sie sich weiter?

Andrej: Ich glaube, dass es eine ganze Reihe an Aktivitäten aus diesen ehemals besetzten Häusern gibt. Ich habe schon diese „Wir Bleiben Alle“- Initiative erwähnt, die das ganz gut auf den Punkt bringt. Die hat sich rund um räumungsbedrohte Hausprojekte und Wagenburgen gegründet und hat monatliche Vollversammlungen, bei denen rund 100 Menschen auch erscheinen. Und die hat aber mit unseren Aktivitäten von vor 20 Jahren so gut wie gar nichts mehr zu tun. Sie waren stolz, dass sie diese „Wir bleiben alle“ – Parole für sich entdeckt haben und waren schockiert, als ich ihnen sagte, dass wir mit genau dieser Parole schon Mieterproteste vor 15 Jahren in Prenzlauer Berg überschrieben haben. Das wussten die nicht. Und ich dachte mir, das ist ja eine nette Kontinuität und witzig, dass die die Parolen von vor 15 Jahren wieder aufgreifen. Dabei waren die aus ihren eigenen Sachen darauf gekommen. Ein bisschen eine widersprüchliche Einschätzung.

Und der andere Punkt ist diese erschreckende Geschichtslosigkeit, die die Szene zum Ausdruck bringt.

Sascha:  Es ist die Merkwürdigkeit, dass sich das Individuum weiterentwickelt und die linke Szene immer bleibt, was sie ist. Vor einem Jahr war die 20 Jahre Party in der Lottumstraße. Da sind wir da mal hoch in die Küche getapert, und das war die reine Zeitreise. Bis hin zu den Spinnenweben hat sich da nichts verändert, das ist noch genau wie vor 20 Jahren. Und dann saß dort ein Haufen schwarz gekleideter junger Leute in der Ecke und guckte uns böse an.

Molti: Wir haben eine Veranstaltung durchgeführt: „20 Jahre Mainzer Straße“. Das schien zuerst wie ein Klassentreffen zu sein. Es kam ein Haufen alter Gesichter, die ich 100 Jahre nicht gesehen habe. Dann lief ein Film. Wir haben ein bisschen diskutiert, und es brauchte 5 Minuten da hat man sich wieder über die alten Sachen gestritten. Das war völlig phänomenal! Da kamen teilweise dieselben Vorwürfe, mit denen ich früher schon nichts anfangen konnte und eine unglaubliche Aggressivität. Die riefen: „Was ihr da macht, ist Scheiße!“ und wir:  „Immerhin machen wir etwas. Ihr habt euren eigenen Geburtstag verschlafen!“ und dann hieß es: „Wer ist denn jetzt eigentlich wirklich Mainzer Straße? Wer darf denn überhaupt hier reden?“ und so weiter. Das war wirklich erstaunlich.

 

Seht ihr einen Sinn darin, in Berlin in Zukunft noch Häuser zu besetzten?

Rüdiger: Heute macht es noch mehr Sinn als damals. Die Wohnungspolitik und Wohnungssituation in der Stadt wird eher schlechter. Da sieht man, wie die Menschen verdrängt werden in Kreuzberg und Neukölln.

David: Hm, wo sollen die denn Häuser besetzten?

Dietmar: In Marzahn?

Andrej: Es gibt nicht nur in Marzahn, Spandau oder auf dem Falkenhagener Feld viel Leerstand. Wir haben da diese Millionen von Quadratmetern Büroleerstand mitten in der Innenstadt, die im Fokus von den Hausbesetzern nicht dabei sind, aber die für kollektive Wohnformen sicher nicht die schlechteste Idee sind.

In der Berliner Geschichte, wenn man sich die Hausbesetzungs- und Kampfbewegungen ansieht, dann war das immer eine Situation, in der die Politik keine Regierungsmacht mehr hatte. Anfang der 80er war die Regierung in Westberlin nicht in der Lage die Stadterneuerung zu realisieren. Die hatten die Bestände in Kreuzberg zwar schon aufgekauft, aber die konnten sich das wohnungswirtschaftlich und finanziell nicht leisten, was sie vorher versprochen haben. Und in Ostberlin hatten wir einen Zusammenbruch eines ganzen Staates als machtpolitisches Vakuum, und im Moment steuern wir da wieder ganz massiv hin. Die Räumung der Liebigstraße ist ein  gutes Beispiel. Dass die drei größten Parteien in Berlin und der Bürgermeister gesagt haben, wir wollen alternative Hausprojekte erhalten, wir wollen keine Räumung. Und trotzdem waren sie nicht in der Lage es umzusetzen.
Es erzählen im Wahlkampf alle, dass sie die Partei der Mieter sind und versprechen vieles, um offensichtliche Probleme in den Griff zu bekommen. Aber sie werden es nicht in den Griff bekommen können. Dann werden sie nicht mehr ernst genommen und dann öffnen sich die Legitimität und der Spielraum für Protestbewegungen.
 

Sind Hausbesetzungen mehrr als eine kosmetische Aktion innerhalb eines falschen Systems. Warum sollte man ein Haus besetzten? Sollte man nicht lieber das System abschaffen?

Sascha: Sollen wir keine Häuser besetzten, weil es das Falsche im Falschen ist?

Rüdiger: Ach, das kann man doch bei ganz vielen Fragen sagen; ich bin Kommunist und ehe dieses Schweinesystem nicht abgeschafft ist, wird sich nichts ändern und sitze hier Kaffee trinkend herum und leckt mich am Arsch. Kann man so machen.

Dietmar: Es gibt auch andere Ansatzpunkte. Die Westdeutsche/Westberliner Antifa ist ein gutes Beispiel. Die hatte  besonders in den 1980er Jahren bei den anderen Linken einen sehr schweren Stand. Denn die meisten westdeutschen Autonomen und Antiimps haben gesagt, dass es keinen Sinn macht Nazis zu bekämpfen, weil sie nur ein Symptom der Gesellschaft sind. Man muss die Gesellschaft bekämpfen, dann bekämpft man die Nazis automatisch.

Sascha: Die Hausbesetzer waren nicht primär politisch, sondern für die meisten Leute einfach fun und eben Häuser besetzen. Genauso wie Antifa auch nicht nur ein politisches Ding ist, sondern auch Sport – Nazis auf´s Maul hauen. Und genau deswegen hat das doch funktioniert! Weil es nicht nur politisch gewesen ist, sondern weil es die Leute selbst ganz konkret betroffen hat. Deswegen war das doch eine der wenigen linken Erfolgsgeschichten. Weil es uns betroffen hat. Politisch oder nicht – who cares?

Andrej: Wir haben nicht gesagt, wir besetzten jetzt Häuser um das ganze System zu kippen. Sondern wir wollten uns eine Gegenwelt schaffen. Und die haben wir miteinander ausgehandelt. Aber wir hatten keinen missionarischen Eifer.

Wolfram: Du kannst zu jeder politischen oder sozialen Bewegung die Frage stellen: Warum stürzen sie denn gottverdammt nicht das System?! Die Frage ist auch legitim. Aber die legitime Antwort darauf ist doch auch: Leck mich mit deinen Fragen am Arsch. Vielleicht wollte ich es nicht. Oder es geht dich einen Scheißdreck an. Oder ich hab es nicht gekonnt. Oder es hat nicht geklappt. Und das kapitalistische System ist pfiffig genug  jede dieser Bewegungen so zu integrieren, dass sie auch den Charakter von Aufstandsbekämpfung annehmen können.

Rüdiger: Trotzdem ist es gut und richtig Häuser zu besetzen! Die Systemfrage ist auch immer wieder spannend. Ich finde sie hat auch ihre Berechtigung.  Ich würde gern noch einmal eine Alternative erleben. Auch wenn ich noch nicht weiß, wie die aussehen soll.

Ein ganz besonderer Dank für das unermüdliche Abtippen geht an Clara und Johanna.

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