Mediales aus telegraph #124
Ist es eigentlich noch politisch korrekt beim Chinesen essen zu gehen? Ist ja eigentlich auch Wurst – bzw.: das wäre auch wieder nicht korrekt, da ja totes Tier essen so was von out ist… Gut wir vertagen das Thema essen und widmen uns dem Lebensmittel Bücher zu. Seite einigen Jahren wird zwar proklamiert, dass das e-book im kommen ist – dieses Jahr mit einer deutlichen Umsatzsteigerung (bei ca. 1 % Marktanteil – hä?), aber in meinem Alter mache ich mich nicht mehr zu Deppen und setze mich am Ende der Welt an einem Strand hin und packe mein e-book aus , um dann mit dem Sonneneinfallwinkel zu hadern.
Nein, nur bares ist wahres, und nur bedrucktes Papier kommt mir zwischen die Finger. Aber letztlich kann das jedeR halten wie sie oder er es möchten. Hauptsache ist doch, dass der Inhalt stimmt. Und dafür gibt es jetzt ein paar Tipps.
Anarchismen: Dass sich unser Leben, diese Gesellschaft und auch deren Alternativen sich meistens über Gewalt definieren ist sicherlich einer der Knackpunkte auf dem Weg zu einer herrschaftsfreien Gesellschaft. Eines der wichtigsten Bücher zu7m Thema Pazifismus liegt nun in einer zweiten, erweiterten Auflage vor: Wolfram Beyer (Hg.); Kriegsdienste verweigern. Pazifismus aktuell. Libertäre und humanistische Positionen. OPPO-Verlag Berlin 2011 / 179 Seiten / 20 Euro. Die Tatsache, dass die Regierung den Wehrdienst abgeschafft hat, bedeutet noch lange nicht das Ende einer militarisierten Gesellschaft. Deutschland gehört zu den größten Waffenexporteuren und das ein radikaler Pazifismus nicht nur Händchenhalten bedeutet, sollte auch dem Letzten inzwischen klar sein und es gibt erst Ruhe, wenn die Armee abgeschafft und der letzte Stahlhelm zum Sieb verarbeitet ist.
Harter Schwenk: Zur Geschichte des Anarchismus gehört allerdings auch, dass es einen militanten Widerstand gegen Hitler gab. Erstmals umfangreich aufgearbeitet in: Helge Döring; Schwarze Scharen. Anarcho-Syndikalistische Arbeiterwehr (1929-1933). Verlag Edition AV Lich/Hessen 2011 / mit Abb. / 183 Seiten / 14 Euro.
Vom selben Autor gibt es noch neu: Helge Döring; Kein Befehlen, kein gehorchen. Die Geschichte der syndikalistisch-anarchistischen Jugend in Deutschland seit 1918. Apropos Verlag Bern 2011 / mit Abb. / 424 Seiten / 14,90 Euro. Ein umfangreicher Wälzer zur proletarischen Jugendbewegung.
Und nochmal zum Thema Anarcho-Syndikalismus ein Blick rüber nach Amerika. Nicht nur, dass in den USA z.Zt. der Anarchismus neu erfunden wird, auch über deren Geschichte ist in der deutschsprachigen Literatur immer noch zu wenig vorhanden. Aber mit dem Buch: Sam Dolgoff; Anarchistische Fragmente. Memoiren eines amerikanischen Anarchosyndikalisten. Verlag Edition AV Lich 2011 / 231 Seiten / 16 Euro – lernen wir einen Teil der ArbeiterInnen-Bewegung der USA aus der Zeit zwischen 1920-80 kennen. Spannend.
Und jetzt was heikles: Bernd-Udo Rinas; Veganismus. Ein postmoderner Anarchismus bei Jugendlichen? Archiv der Jugendkulturen e. V. Berlin 2012 / geb. u. Großformat / 311 Seiten / 28 Euro. Eine Dissertation nicht nur zu dem Randgebiet Veganismus sondern auch noch postmodern. Nein, ganz im Ernst: gab es bei den SyndikalistInnen der 1920er und 30er Jahre den Klassenkampf als oberstes Gebot, so soll jetzt darüber entscheiden ob ich auf der richtigen oder der falschen Seite stehe was ich esse. Auch die Theoretiker des Veganismus werden z.T. nicht sehr kritisch behandelt. Aber wen das Thema interessiert, dem/der empfehle ich das Buch durchaus, um mal einen Einblick in die Gedankenwelt dieser Menschen zu bekommen.
Autonome: Eigentlich dachte ich, dass die Autonomen nicht mehr existieren würden, und der – wieder in Mode gekommene – Schwarze Block ein Revival von übermütigen JunganarchistInnen wäre. Aber es gibt sie noch. Mit dem Buch: AK Wantok (Hg.); Perspektiven autonomer Politik. Unrast Verlag Münster 2010 / 406 Seiten / 18 Euro – liegt ein umfangreicher Diskussionsband vor, der so ziemlich alle Bereiche der Autonomen und deren Politik beleuchtet. Ich persönlich fand es sehr interessant, dass etwa diskutiert wird, was mit GenossInnen passiert, die ausgebrannt sind. Ein autonomes Altenheim soll kurz vor der Besetzung stehen. Nein, ganz im Ernst: die Jugendbewegung ist auch älter geworden und das größte Problem in der Szene ist sicher, dass Politik auch hier immer nur über den jugendlichen Aktivismus definiert wird. Diese Thematik etwa fand ich sehr spannend.
Helden: Ein bemerkenswertes Buch ist: Klaus Bittermann; The Crazy Never Die. Amerikanische Rebellen in der populären Kultur. Edition Tiamat Berlin 2011 / Reihe Critica Diabolis Bd. 185 / m. Abb. / 271 Seiten / 16 Euro. Der Verleger und Autor Klaus Bittermann schreibt hier über Helden wie Lenny Bruce, Robert Mitchum, Hunter S. Thompson, Abbie Hoffman, Lester Bangs und Kinky Friedman – alles irgendwie Verrückte aber verdammt sympathisch. Amerika kann eben auch anders. Und in Erinnerung an den genialen Musikjournalisten Lester Bangs, der wie kein anderer ellenlange Plattenrezensionen schreiben konnte, steht hier meine ellenlange Rezension zum Buch noch aus.
Pädagogik: Irgendwie hatten wir das Gefühl, dass das alles schon hinter uns liegen würde, aber anscheinend ist es wieder aktuell: Bernd Kramer / Erik Steffen (Hg.); Pechschwarze Pädagogik. Tatsachenberichte über handgreifliche Erziehungsmethoden. Karin Kramer Verlag Berlin 2011 / 196 Seiten / 16,80 Euro. Ein illustrer Kreis aus Künstlern, Politaktivisten u.a. berichten ganz persönliches über ihre frühen Erfahrungen mit der Prügelstrafe. Und leider werde jüngere Generationen wohl auch darüber berichten können. Schluss damit!
Gedichte: Ein wenig obskur scheint es mir, dass es von einem Buch gleich zwei Übersetzungen gibt: Banjamin Péret; Von diesem Brot esse ich nicht. Verlag Edition AV Lich 2003 / 61 Seiten / 9 Euro in der Übersetzung von Michael Halfbrodt und Benjamin Péret; Ich esse nicht von diesem Brot. Deutsch / Französisch. Karin Kramer Verlag Berlin 2010 / 174 Seiten / 18 Euro in der Übersetzung von Heribert Becker. Beide Übersetzer sind ausgewiesene Kenner der Materie, beide haben die Gedichte mit Anmerkungen und einer Einführung versehen. Außer, dass die Kramer-Ausgabe auch die Originalgedichte mit abgedruckt hat und Heribert Becker das Ganze noch um eine Umfrage erweitert hat. Nichtsdestotrotz diese Schmähgedichte sind schon genial und hinterläßt uns den bitteren Geschmack, weshalb wir uns in Deutschland mit einem Heer mittelmäßiger Provinzdichtung zufrieden geben.
Krimi: Krimis sind wieder so modern geworden wie Quizsendungen im Fernsehen, aber zum Glück gibt es hier auch intelligentes. Ganz neu: Robert Brack; Unter dem Schatten des Todes. Edition Nautilus Hamburg 2012 / 222 Seiten / 13,90 Euro. Nicht nur, dass Brack ein guter Schreiber ist, nein, er widmet sich auch oft politischen Themen. Im vorliegenden Buch geht es um den – vermeintlichen – Reichstagsbrandstifter Marinus van der Lubbe, ohne jedoch hoistorisches aus dem Blick zu verlieren und/oder sich an den Spekulationen der Historiker zu beteiligen. Spannend.
Piraterie: Sie sind zurück! Und damit meine ich nicht diese ominöse Partei, die uns alle zu Computerjunkies machen will, sondern die guten alten Freibeuter und PiratInnen.
Nachdem ja Gabriel Kuhn mit seinem wunderbaren Buch Unter dem Jolly Roger. Piraten im Goldenen Zeitalter. Verlag Assoziation A Berlin – Hamburg 2011 / 230 Seiten / 18,00 Euro – schon was zum Thema ablieferte und das Buch Peter Lamborn Wilson; Piraten, Anarchisten, Utopisten. Mit ihnen ist kein Staat zu machen. Karin Kramer Verlag Berlin 2009 / OKt. / Abb. / 170 S. / 19,80 Euro – uns in die Welt der islamistischen Piraten im Nordafrika des Mittelalters führten, gibt es jetzt einen Roman über die Piraten im Südchinesischen Meer: Paco Ignacio Taibo II; Die Rückkehr der Tiger von Malaysia. Verlag Assoziation A Berlin-Hamburg 2012 / 304 Seiten / 19,90 Euro.
Damit endlich zwischen Freibeuter der Meere und seeuntaugliche Fuzzis am PC wieder unterschieden werden kann.
So, das war es dann erst mal wieder an Bücher-Tipps. Ich hoffe, dass für jeden etwas bei war und wünsche uns allen einen schönen Frühling mit viel Zeit zum Lesen.
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