Editorial #127|128

aus telegraph #127|128

Seit fünf Jahren heißt es ununterbrochen:  Finanzkrise, Immobilienkrise, Bankenkrise, Währungskrise, Wirtschaftskrise, Eurokrise, Schuldenkrise … !

In unseren Breiten sichert eine Gruppe aus Europäischer Union, Europäischer Zentralbank und Internationalem Währungsfond die Profite der Banken und Konzerne.  Mit ihren Rettungsbillionen erhalten sie den Reichen ihre Pfründe. Dafür diktiert sie den südeuropäischen Ländern und Irland massive Entlassungen, Lohnkürzungen und die Privatisierung von öffentlichem Eigentum. Die Last ihrer Krise müssen die einfachen Leute und vor allem Jugendliche tragen. Auf der Suche nach Arbeit verlassen massenhaft junge Iren, Portugiesen, Spanier und Griechen ihre Länder.

„Wir“ sind da hier schon ein Stück weiter. Dank der Rot-Grünen Hartz-Gesetze ist Deutschland seit Jahren Niedriglohnland. Jeder fünfte Job befindet sich hierzulande bereits im Niedriglohnbereich.

Während die untere Hälfte der deutschen Haushalte gerade mal 1% Prozent des Gesamtvermögens besitzt, verfügen die reichsten 10% Prozent bereits über fast 60% des Gesamtvermögens. Genau das war ein Ziel der Kommission „Moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt“, der das SPD-Mitglied Peter Hartz vorstand. Und in der Zeit der Krise änderte sich das natürlich nicht ansatzweise, das Privatvermögen wuchs weiter um 1,4 Billionen Euro.

Die Reichen werden immer reicher, und weil sie dank ihrer Politiker in den Parteien immer weniger Steuern zahlen, schmelzen die Einnahmen der öffentlichen Haushalte weiter fröhlich ab. In den letzten zwanzig Jahren gingen sie um über 800 Milliarden Euro zurück, obwohl das Nettovermögen der privaten Haushalte von knapp 4,6 auf rund 10 Billionen Euro um mehr als das Doppelte stieg.

Das Durchschnittsvermögen in Deutschland ist nach neuesten Daten der Europäischen Zentralbank zwar angeblich niedriger als in jedem anderen Euroland, schaut man aber nur auf die Westdeutschen, gleicht das Vermögen dem der Franzosen und dem der Österreicher. Ostdeutschland kommt jeweils nur etwa auf ein Viertel dessen. Reichtum hat in Deutschland einen Ort, Armut auch.

In der Krise treten die wahren Machtverhältnisse offener zu Tage. Die bürgerlichen Medien vermelden: „Der Klassenkampf ist zurück“. In Wahrheit war er nie weg. Die Anhäufung des Reichtums bei den oberen zehn Prozent, überwiegend durch Ausbeutung und Betrug erzeugt, widerspiegelt den täglichen Klassenkampf von oben.

Einen kompetenten Blick werfen für uns auf den Stand der Systemkrise Thomasz Konicz und auf deren reaktionäre Auswüchse Peter Nowak.

Im arabischen Raum hat man derzeit womöglich andere Probleme. Ähnlich wie in den Ländern des Ostblocks nach der Wende, sind hier offensichtlich ein gesellschaftlicher Rückschritt und ein Rückzug von Emanzipation zu verzeichnen. Wir stellten uns die Frage, warum nach der Ablösung der in der postkolonialen Ära entstandenen säkularen Regime, die doch zunächst stark von europäischen Sozialismuskonzeptionen geprägt waren, ausgerechnet dort heute mittelalterlich anmutende religiöse Bewegungen auf dem Vormarsch sind. Malte Daniljuk hat das für uns untersucht.

Die ambitionierte Familienministerin Kristina Schröder ist offensichtlich massiv bestrebt, den (Aus-) Forschungsstand im Bereich der Linken zu verbessern. Aus verschiedenen Ecken der Republik wird von Befragungsversuchen berichtet. Dort macht ausnahmsweise nicht der Verfassungsschutz „Anquatschversuche“, sondern es werden mittels einer Menge Geld „zivilgesellschaftliche Instanzen“ als Sonde zwischengeschaltet, um die Erfolgsaussichten bei der Informationsausbeute zu erhöhen. Von den Ergebnissen des finanziellen Aufwands profitieren werden wohl anschließend sowohl die ambitionierte Ministerin als auch die Staatssicherheit. In Leipzig wird im Rahmen der „Extremismusbekämpfung“ gerade versucht, Subkulturen und ihre Haltung zur gentrification auszuforschen. Darüber berichtet unser Autor Jenz Steiner ausführlich in einem Artikel.

Der Tod unserer langjährigen Freundin und Mitstreiterin Marion Seelig hat uns traurig gemacht. Sie verstarb, gerade 60 Jahre alt geworden, nach einer schweren Krankheit, am 12. März. In den 1980er Jahren gehörte sie zum linken Flügel der DDR-Opposition. In Gruppen wie der Umweltbibliothek Berlin, der Kirche von Unten oder der Initiative für eine Vereinigte Linke engagierte sie sich für eine linke Alternative zur SED-Herrschaft und einen eigenständigen sozialistischen Weg der DDR.

Ab 1990 saß Marion Seelig für die offene Liste der PDS im Berliner Abgeordnetenhaus und trat, in letzter Konsequenz, 1999 der PDS bei. Ein Schritt, der ihr besonders unter den rechtsorientierten Teilen der Ex-DDR-Opposition und unter den Renegaten der sogenannten DDR-Bürgerbewegung viele Anfeindungen einbrachte. Die engagierte Innenpolitikerin ließ sich davon jedoch zu keiner Zeit beirren. Am 19. März 2013 wurde Marion Seelig unter großer Anteilnahme vieler Freunde und Gefährten in Berlin-Mitte beerdigt.

Die Abbildungen in dieser Ausgabe sind von Christian Imiola. Er ist ein Künstler aus Erfurt, der gerne Texte von Mark E. Smith von The Fall in seine Bilder einbaut.

EAT THE RICH!

Eure telegraph-Redaktion

NB: Im letzten Heft war der Hinweis auf die Erstveröffentlichung des Textes „Wahr ist was geglaubt wird“ von Dirk Moldt von den Fußnoten nicht genügend abgesetzt worden und konnte übersehen werden. Das bedauern wir.

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