Über einen aktuellen Versuch J.W. Stalin mit Hilfe seiner Gegner in einem neuen Licht erscheinen zu lassen
Von Peter Nowak
aus telegraph #127|128
Der italienische Historiker Domenico Losurdo erhebt mit seinem nun im Papyrossa-Verlag auf Deutsch erschienenen Buch über „Stalin “ den Anspruch, den langjährigen sowjetischen Herrscher zu entdämonisieren. Gleich im Vorwort wird deutlich, wie Losurdo dabei vorgeht. Er beschreibt Reaktionen auf Stalins Tod. So zitiert er einen Historiker, der Szenen beschreibt, wie sie heute noch aus Nordkorea bekannt sind: „Während seiner Agonie drängten sich Millionen von Menschen im Zentrum Moskaus, um dem sterbenden Führer die letzte Ehre zu erweisen“. Aus einem anderen Buch entnimmt der Autor den Satz: „Viele weinten auf den Straßen von Budapest und Prag.“ Dass Stalins Tod in der Zeitung der israelischen Kibbuzbewegung al Hamishamar mit dem Satz kommentiert wurde „Die Sonne ist untergegangen“, wird heute viele überraschen, denen nicht bekannt ist, dass die Sowjetunion sich in der UN vehement für die Gründung Israels einsetzte. Erst mit dem Beginn des Kalten Krieges positionierte sich Israel auf Seiten der USA und die SU und der gesamte Ostblock ging auf Konfrontationskurs.
Wer das Einleitungskapitel gelesen hat, kennt schon die Methode mit der Losurdo „die schwarze Legende“ Stalin entdämonisieren will. Er reiht in den acht Kapiteln Zitat an Zitat aneinander, mit denen er zu beweisen sucht, dass Stalin von Historikern und Politikern zu bestimmten Zeiten gelobt wurde. Besonders erfreut ist er, wenn er einen späteren erklärten Gegner Stalins mit einem solchen Zitat vorführen kann. Dabei verfolgt er mit der Zitatauswahl natürlich eine durchsichtige Absicht. Schließlich scheint es um so glaubwürdiger, wenn von später ausgewiesenen Stalinkritikern und -gegnern, wie dem sowjetischen Historiker Wadim Rogowin, der Philosophin Hannah Ahrendt oder dem britischen Premierminister Winston Churchill, Sätze überliefert werden, die den sowjetischen Herrscher in einem guten Licht erscheinen lassen. Nur beschränkt sich Losurdo weitgehend auf die Zitate und verzichtet auf eine Einordnung in den politischen und historischen Kontext. So macht er genau das, was er den Stalinkritikern in dem Buch ständig vorwirft. Das wird deutlich, wenn Losurdo Stalinlob von Churchill in der Zeit der Anti-Hitler-Koalition heranzieht. Dass er später auch lobende Churchillworte für Hitler anführt, und gleichzeitig historisch richtig bemerkt, dass Churchill die Oktoberrevolution von Anfang an bekämpft hat, führt nicht dazu, Churchills Stalinlob so einzuordnen, als das Geschäft eines Staatsmannes, der dem jeweiligen Bündnispartner nicht vor den Kopf stoßen will. Noch problematischer ist es, wie Losurdo gleich an mehreren Stellen Hannah Ahrendt zitiert, die sich Mitte der 40er Jahre des letzten Jahrhunderts positiv über die sowjetische Nationalitätenpolitik äußert. Unberücksichtigt lässt Losurdo, dass Ahrendt wie viele Menschen, die sich vor dem mörderischen Antisemitismus der Nazis retten konnten, alles dafür taten, um einen schnellen Sieg der Anti-Hitler-Koalition zu ermöglichen. Für viele Juden auf der ganzen Welt war der schnelle Vormarsch der von den USA mit Waffen unterstützten Roten Armee mit der Hoffnung verbunden, die totale Vernichtung der Jüdinnen und Juden zu verhindern.
Neben der Aneinanderreihung von Zitaten und Bemerkungen, die Stalin in einem positiveren Licht erscheinen lassen, führt Losurdo zu dessen Rehabilitierung noch an, dass die Geschichte der bürgerlichen Staaten mit Menschenrechtsverletzungen im großen Maßstab verbunden ist. Dabei gelingen ihm im Detail treffende Einschätzungen, wenn er an die Geschichte der Lynchmorde an Schwarzen in den USA erinnert. Da er aber auch hier auf historische Einordnungen verzichtet, und eine zeitlose Verbrechensgeschichte aufmalt, die in der Antike begann und bei der alliierten Bombardierung von Dresden nicht endet, bleibt als Fazit nur übrig, die Welt ist ein großes Schlachthaus und Stalin war dort nicht der größte Metzger. Damit hat Losurdo wohl gegen seinen Willen auch bestätigt, dass Stalin mit Sozialismus und Kommunismus wenig zu tun hat. Das kann auch von dem Autor gesagt werden. Denn der ist sich mit seinen größten Gegnern in dem Verdikt einig, dass eigentlich schon Marx und Lenin, vor allem aber die linken Bolschewiki mit ihren übersteigerten Vorstellungen einer Gesellschaft der Gleichheit und dem Infragestellen von Familie und Nation für Terror und Massenmord mit verantwortlich sind.
Domenico Losurdo: Stalin, Geschichte und Kritik einer schwarzen Legende, Papyrossa-Verlag, Neue Kleine Bibliothek 183, 450 Seiten, 22,90 Euro, ISBN: 978-3-89438-4968
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