Die Krise kann sehr unterschiedliche politische Reaktionen bei den Menschen auslösen. Sie können sich solidarisch organisieren oder sie können sich als eine Nation imaginieren und sich auf die Jagt nach Sündenböcken machen. Vom schleichenden Erstarken ultrareaktionärer Bewegungen im Europa der Krise.
Von Peter Nowak
aus telegraph #127|128
Der rasante Erfolg der griechischen Nazipartei „Goldene Morgenröte“ beflügelt auch extreme Rechte in anderen Ländern. Auf zahlreichen Homepages von „Freien Kameradschaften“ wird der Wahlerfolg einer Partei, die jahrelang im Promillebereich lag, bei den letzten griechischen Parlamentswahlen 7 Prozent bekam und mittlerweile in Umfragen zur drittstärksten Partei in Griechenland aufgestiegen ist, als Inspiration bezeichnet. Schließlich versuchen die „Goldenen Morgenröte“ ihren Rassismus und Antisemitismus gar nicht zu verbergen. Anders als viele andere Parteien der europäischen Rechten, die für ihren Aufstieg einen zumindest taktischen Schwenk zur Mitte hin vollziehen und möglichst nichts mit dem Nationalsozialismus zu tun haben wollen, haben die „Goldenen Morgenröte“ Erfolge, obwohl sie wie eine schlechte Kopie der NS-Bewegung daherkommen und aus ihrer Bewunderung für Hitler kein Geheimnis machen.
„Die Geschichte darf sich nicht wiederholen“
Was Neonazigruppen inspiriert, jagt Antifaschisten Schrecken ein und motiviert sie zu Aktivitäten. So hat eine Gruppe um den griechischen Wirtschaftswissenschaftler Yorgos Mitralias ein „Antifaschistisches Europäisches Manifest” initiiert, das mittlerweile in zahlreiche Sprachen übersetzt wurde. Das Manifest formuliert eine radikale Absage an die wesentlich von Deutschland initiierte europäische Krisenpolitik, die für das Anwachsen rechter Bewegungen verantwortlich gemacht wird.
„Nicht anders als in den 20er und 30er Jahren rührt diese neofaschistische und rechtsextreme Bedrohung von der tiefen wirtschaftlichen, sozialen, politischen und auch moralischen und ökologischen Krise des Kapitalismus her, der die Schuldenkrise als Vorwand vorschiebt, um nun eine beispiellose Offensive gegen den Lebensstandard, gegen die Freiheiten und Rechte der Arbeiter, gegen die alle da unten zu führen! Unter Ausnutzung der Angst der Besitzenden vor den Risiken sozialer Explosion, der Radikalisierung der durch die Krise und die drakonischen „Austerity-Morgenröte“-Maßnahmen ausgezehrten Mittelklassen sowie der Hoffnungslosigkeit ausgegrenzter und verarmter Arbeitsloser breiten sich rechtsextreme, neonazistische und neofaschistische Kräfte in ganz Europa aus; sie erringen einen massiven Einfluss bei den benachteiligten Schichten, die sie gegen traditionelle und neue Sündenböcke (Migranten, Muslime, Juden, Homosexuelle, Behinderte usw.) sowie gegen soziale Bewegungen, linke Organisationen und Arbeitergewerkschaften systematisch aufhetzen“, heißt es dort. Wie in den 30er Jahren wird auch eine verarmende Mittelklasse als Massenbasis für die aktuellen faschistischen Bewegungen gesehen.
Judith Carreras vom Organisationsbüro des Manifestes nannte als primäres Ziel des Manifestes, es solle deutlich gemacht werden, dass der Faschismus kein schlechter Geist aus der Vergangenheit, sondern ein aktuelles Problem für die Gegenwart und Zukunft der Menschen in Europa ist. Die vorrangige Aufgabe der europäischen antifaschistischen Bewegung soll die Unterstützung von Menschen und Organisationen sein, die sich in Ungarn und Griechenland den neuen faschistischen Bewegungen entgegenstellen. Wie in Griechenland hat mit der „Jobbik-Bewegung“ auch in Ungarn eine Bewegung Zulauf, die, wie die „Goldene Morgenröte“, kein Hehl aus ihrer Nazibewunderung machen. Wie in Ungarn beeinflussen auch in Griechenland die Neonazigruppen das politische Klima in diesen Ländern direkt. Sowohl in Griechenland als auch in Ungarn richtet sich auch die Regierungspolitik gegen Linke, Flüchtlinge und andere Minderheiten, die auch von den Nazis zu Feinden erklärt werden.
Krise und Faschismus – kein Naturgesetz
Zwei Kritikpunkte an dem Manifest sollen hier genannt und begründet werden. Dazu gehören die lineare Begründung der faschistischen Bewegung mit den Krisenfolgen und die Konzentration auf einen rechten Politiktypus, der sich wie „Jobbik“ in Ungarn und die „Goldenen Morgenröte“ in Griechenland im Wesentlichen zu einer Kopie der NS-Bewegung geriert.
Dabei wird ausgeblendet, dass die Krise und ihre Folgen sehr unterschiedliche politische Reaktionen bei den Menschen auslösen können. Sie können sich mit Gleichgesinnten solidarisch organisieren und theoretisch und praktisch mit der Abschaffung des Kapitalismus auseinandersetzen. Sie können aber auch das rassistische oder faschistische Ticket ziehen, sich als ein Volk oder eine bestimmte Nation imaginieren und alle anderen aus dieser scheinbar privilegierten Gemeinschaft auszuschließen versuchen. Ob jemand einen solidarischen oder einen ausschließenden Umgang mit den Krisenfolgen wählt, liegt am ideologischen Handwerkszeug, das er zur Interpretation der Gesellschaft und der Erklärung der Krise benutzt. Es kann den Menschen befähigen, in der Krise eine Eigenschaft zu erkennen, die zum Kapitalismus gehört wie der Blitz zum Donner. Unterschiedliche rechte Ideologien wiederum sorgen dafür, dass die Krise Menschen dazu bringt, für eine Politik der Ausschlüsse und Abgrenzung einzutreten. Hier und nicht in dem NS-Bezug liegt der eigentliche Kern unterschiedlicher rechter Ideologeme, die sich in Europa ausbreiten. Nur noch eine absolute Minderheit von ihnen kommt in einer NS-Travestie daher, wie die „Goldene Morgenröte“. Diese wird daher begreiflicher Weise auch von einer übergroßen Mehrheit der Menschen abgelehnt. Das ist schon anders bei rechten Bewegungen, die sogar ostentativ bemüht ist, sich von allen Nazi-Reminiszenzen abzugrenzen. Einer solchen Ideologie gelingt es viel einfacher, sich in der Mitte der Gesellschaft zu etablieren und auch die Politik verschiedener europäischer Regierungen zu bestimmen. Bei der gegenwärtigen ungarischen Regierung finden sich ebenso Elemente einer solchen rechten Bewegung ohne direkten NS-Bezug wie es in Italien unter Berlusconi der Fall war oder in Dänemark, als eine konservative Regierungskoalition unterstützt von einer rechtspopulistischen Partei zeitweise eine erklärte Politik gegen Migranten und gesellschaftliche Minderheiten propagierte. Aber auch auf regionaler Ebene sind solche rechtspopulistischen Tendenzen zu beobachten. So stellt in der einst sozialdemokratischen Hochburg Antwerpen seit der letzten Wahl ein Kandidat der flämischen Rechtspopulisten den Bürgermeister. Er ist scheinbar mit einer Politik der kleinen Schritte bemüht, die Metropole Antwerpen von ungeliebten Minderheiten freizuhalten. So müssen Ausländer, die sich in der Stadt registrieren lassen wollen, nun statt bisher 17 Euro 250 Euro Verwaltungsgebühr bezahlen. Der Effekt ist klar, Menschen mit wenig Geld bleiben weg und dass ist auch das Ziel der neuen rechten Mehrheit in Antwerpen. Die Partei beerbte übrigens den Vlaams-Belang, eine nationalistische Partei, die von ihrer Geschichte her ganz klar mit der NS-Bewegung assoziiert wird. Diese Geschichte konnten auch einige ideologische Modernisierungen, die diese Partei in den letzten Jahren vorgenommen hatte, nicht vergessen machen. Die neuen flämischen Nationalisten aber sind ohne diese NS-Traditionen schnell in der Mitte der belgischen Gesellschaft angekommen. Dabei unterscheiden sich die politischen Vorstellungen der beiden Parteien nicht besonders. Hier wird schnell deutlich, dass eine Partei ohne NS-Bezug viel leichter offen rechte und rassistische Vorstellungen in die Gesellschaft einspeisen und umsetzen kann. Daher ist es ein Manko des antifaschistischen Manifestes, den Fokus so stark auf die offenen NS-Nostalgiker unter den Rechten zu rücken. So wichtig es ist, sich mit den Menschen zu solidarisieren, die vom Terror einer „Jobbik-Bewegung“ oder der „Goldenen Morgenröte“ bedroht sind, so notwendig ist in der ideologischen Auseinandersetzung eine Erkenntnis, die schon in den 70er Jahren richtig war: Der Faschismus wird heute nicht mehr mit SA-Stiefeln an die Macht kommen. Das größte Problem bei der Konzentration auf die Stiefelnazis und NS-Nostalgiker besteht darin, dass da sehr viele Kräfte mit Verve zu Antifaschisten gerieren können, die im Kern eine rechtspopulistische und sozialchauvinistische Politik propagieren. Sie werden immer mit einiger Berechtigung erklären können, dass sie gewiss keine NS-Anhänger sind und auch keine Flüchtlinge auf der Straße totschlagen. Daher müsste eine antifaschistische europäische Bewegung nicht bei einer Verurteilung des Neonazismus stehen bleiben, sondern muss rechte und sozialchauvinistische Praktiken in der Mitte der Gesellschaft erkennen und angreifen.
Sozialchauvinismus in allen Poren der Gesellschaft
Wie dieser funktioniert, soll an einer kleinen Beobachtung im Berliner Nahverkehr verdeutlicht werden, die auf den ersten Blick wenig mit Politik zu tun hat. Bevor der Zeitungsverkäufer überhaupt begonnen hat, in der Berliner U-Bahn seinen Spruch aufzusagen, wird er von einem Fahrgast aus dem Waggon mit einer Schimpfkanonade bedacht: Ob man in der Bahn, als zahlender Kunde, denn immer mit diesen Versagern belästigt werden müsse. Dafür erntet der Mann mittleren Alters, Typ Vertreter, bei anderen Fahrgästen Zustimmung. Da nützt es nichts, dass der Verkäufer mittels eines Ausweises am Revers die Rechtmäßigkeit seiner Arbeit dokumentieren will. Auch seine Distanzierung von denen, die seinen Berufsstand in ein schlechtes Licht rückten, weil sie nicht berechtigt seien, Zeitungen zu verkaufen und den verständlichen Zorn des Publikums auf sich zögen, haben wenig Erfolg.
In dieser Alltagsszene bekommt man vorgeführt, wie der Sozialchauvinismus funktioniert. Menschen, die Probleme haben, in der kapitalistischen Leistungsgesellschaft vom Rand wegzukommen, bekommen den Zorn derer ab, die selbst nur ein Rad im Getriebe sind. Ihre Angepasstheit demonstrieren sie durch freche Sprüche in Richtung derer, die in der sozialen Hackordnung noch weiter unten stehen. An ihnen wird die Aggression ausgelassen, die sich beim tagtäglichen Katzbuckeln vor dem Chef oder Vorarbeiter oder auch nur vor dem Kollegen, der eine Stufe höher gerückt ist, angesammelt hat. Auch der Gescholtene traut sich nicht, einer solchen Behandlung zu widersprechen. Stattdessen versucht er, sich als produktives Mitglied der kapitalistischen Leistungsgesellschaft zu präsentieren, indem er auf die „schwarzen Schafe“ verweist, die nicht so gut funktionieren würden.
Was hier beispielhaft dargestellt wurde, findet sich in allen Poren der Gesellschaft. Oft genug sind die Akteure Menschen, die selbst am Rand der kapitalistischen Leistungsgesellschaft leben, also allen Grund hätten, dagegen aufzubegehren. Doch mit Sozialchauvinismus grenzen sie sich von anderen ab. Das kann die erwerbslose Nachbarin sein, die sich zu ihrem ALG II noch etwas dazu verdient und beim Jobcenter denunziert wird. Das kann der nichtdeutsche Leiharbeiter sein, der von Kollegen im selben Betrieb geschnitten und diskriminiert wird.
Die Sarrazinisten aller Länder
Die Diskussion um den Sozialchauvinismus hat durch die Debatte um das SPD-Mitglied Thilo Sarrazin an Bedeutung gewonnen. Der ehemalige Berliner Senator und ehemaliges Vorstandsmitglied der Deutschen Bundesbank hatte mit seinen Äußerungen nicht in erster Linie muslimische MigrantInnen im Visier, wie es in großen Teilen der linksliberalen Medien nahegelegt wird. Zu seinem Feindbild zählen vielmehr alle, die dem Standort Deutschland aus seiner Sicht nicht nützen, wie in einem von Sebastian Friedrich herausgegebenen Sammelband herausgearbeitet wird.1 Betroffen davon sind ALG-II-EmpfängerInnen ebenso wie migrantische Jugendliche. Das hat Sarrazin bereits in seiner Zeit als Berliner Senator immer wieder deutlich gemacht. Seine Person ist dabei nur der „Lautsprecher“ eines Sozialchauvinismus, der Teile der Elite mit „Bild-Lesern“ zusammenschweißt. So hat der sich selbst als „Neo-Aristokrat“ bezeichnende Philosoph Peter Sloterdijk die sozialchauvinistische Grundannahme in einem FAZ-Aufsatz in Reinform dargeboten. Während im ökonomischen Altertum die Reichen auf Kosten der Armen gelebt hätten, würden in der „ökonomischen Moderne die Unproduktiven mittelbar auf Kosten der Produktiven“ leben. Die Leistungsträger und die Unproduktiven sind zentrale Kategorien im sozialchauvinistischen Diskurs. Letztere werden auch gerne als „Transferbezieher“ abgewertet. Damit können Erwerbslose genau so gemeint sein wie Aufstocker, aber auch ganze Staaten wie Griechenland im EU-Diskurs. So wurde der „Transferbezieher“, der angeblich nicht von eigener Arbeit lebe, zum neuen Feindbild. Dieses Feindbild teilen sozialchauvinistische Ideologen à la Sarrazin und seine Fans mit Faschisten wie den Straßenschlägern der „Golden Morgenröte“. Wenn diese mit Zustimmung und teilweise sogar im Auftrag von Mittelstandsfamilien gegen Migranten, Bettlern, Obdachlosen in Athen vorgehen, setzen sie nur das handgreiflich um, was auch die Sarrazinisten aller Länder ideologisch propagieren. Die aber fordern in der Regel noch von den Staatsorganen, in ihrem Sinne aktiv zu werden. So war es kein Zufall, dass den offenen Nazis von den „Goldenen Morgenröten“ in Griechenland durch die rechtspopulistische Laos-Partei der Weg bereitet wurde. Diese teilte mit den Stiefelnazis die gleichen Feindbilder, wollte aber mit einem starken Staat darauf reagieren und trat in eine Koalitionsregierung ein. Bei den nächsten Wahlen wurde sie abgestraft und der Aufstieg der offenen Neonazis begann. Wie nah sich diese mit den Rechtspopulisten auch in der Artikulation von Vernichtungswünschen gegen unliebsame Minderheiten sind, machte der langjährige Vorsitzende der Lega Nord Bossi deutlich, als er forderte mit Kanonen gegen Flüchtlingsboote vorzugehen.
Sozialchauvinistisches Denken kann sich mit Unterdrückung auf „ethnischer“ Grundlage verknüpfen. Das zeigt sich in den europaweit um sich greifenden Angriffen gegen Roma und Sinti. Den Angegriffenen wird vorgeworfen, nicht leistungsbereit genug zu sein. Wie sich solche rassistischen Stereotypen wiederum mit dem Hass auf das Proletariat verbinden können, wenn dieses nicht angepasst und eingehegt in die bürgerliche Gesellschaft sind, zeigt sich in Großbritannien am Siegeszug des Begriffs „Chavs“, der wahrscheinlich von „Chaavi“, dem Roma-Wort für „Kind“, abgeleitet wurde. Er tauchte vor knapp zehn Jahren in der Öffentlichkeit auf und wurde immer populärer.
„Er kam zuerst in der Bedeutung von ‚junger Angehöriger der Arbeiterklasse in legerer Freizeitkleidung‘ in den Wortschatz. Aber es schwangen immer auch hasserfüllte, klassenbezogene Bedeutungen mit, ein ‚Chav‘ war gleichbedeutend mit ‚antisozialem Verhalten‘, Geschmacklosigkeit und Nutzlosigkeit“, schreibt der Historiker Owen Jones. Er hat kürzlich ein Buch über die Dämonisierung der Arbeiterklasse geschrieben.2 Nun hat die Kampagne gegen die „Chavs“ ein neues Beispiel geschaffen: Als im Spätsommer 2011 in britischen Städten Riots ausgebrochen waren, erreichte die Hetze ihren Höhepunkt. „Plünderer sind Abschaum“, diese Parole, die bei den Aufräumarbeiten des patriotischen Mittelstands zu sehen war, wurde im öffentlichen Diskurs weitgehend Konsens. Für viele waren diese Plünderer mit den „Chavs“ identisch. Jones zeigt auch auf, wie die Kampagne gegen die Unterklasse und die Ideologie vom Ende der Arbeiterklasse verschmelzen. Das Klischee vom „Chav“ tauchte zu einer Zeit auf, als JournalistInnen und Politiker aller Couleur behaupteten, wir alle – auch die vermeintlich aufstrebende Arbeiterklasse – seien nun Mittelschicht. Mit einer großen Ausnahme: All das, was von der alten Arbeiterklasse übrig war, wurde zum problematischen Rest degradiert. So schrieb der rechtsstehende Journalist Simon Heffer: „Was früher einmal die ehrbare Arbeiterklasse genannt wurde, ist fast ausgestorben. Was Soziologen als Arbeiterklasse zu bezeichnen pflegten, arbeitet dieser Tage normalerweise überhaupt nicht, sondern wird vom Sozialstaat unterhalten.“ Sie habe sich stattdessen zu einer „verkommenen Unterschicht“, dem Prekariat, entwickelt. „Wer außerhalb von Mittelschichtbritannien bleibt, ist selbst schuld daran“, fasst Jones diese Propaganda zusammen, die keineswegs Großbritannien vorbehalten ist, sondern von der Mitte bis weit ins rechte Lager geteilt wird.
Streiken gegen Sozialchauvinismus
Der Kampf gegen Sozialchauvinismus und Rassismus ist aber vor allem ein Eingriff in soziale Praxen und kann völlig unterschiedliche Formen annehmen. Dass man auch gegen sozialchauvinistische Spaltungen streiken kann, machten finnische Stahlkocher im Sommer 2011 deutlich. Sie traten in den Ausstand, um polnische Leiharbeiter bei ihrem Kampf für gleiche Löhne und Arbeitsbedingungen gegen den deutschen Konzern Beroa zu unterstützen. Der mehrtägige Solidaritätsstreik setzte die Bosse schnell unter Druck. Eine Auseinandersetzung mit sozialchauvinistischen Ideologien und Tendenzen, die sich auch unter Lohnabhängigen und Erwerbslosen verbreitet sind, ist unbedingt notwendig. Dagegen hilft nur die Entwicklung von kollektiver Solidaritätsarbeit und Gegenwehr im Alltag. So wird bei Begleitaktionen von Erwerbslosen im Jobcenter eben nicht nach „guten“ und „schlechten“ Erwerbslosen unterschieden und die gesellschaftliche Spaltung reproduziert. Dadurch kann ein politisches Bewusstsein entstehen, das Sozialchauvinismus zurückdrängt und vielleicht auch der Erkenntnis Auftrieb gibt, dass die kapitalistische Verwertung dafür verantwortlich ist, das die Welt so unvernünftig eingerichtet ist.
1 Sebastian Friedrich (Hg.): Rassismus in der Leistungsgesellschaft. Analysen und kritische Perspektiven zu den rassistischen Normalisierungsprozessen der Sarrazindebatte, Münster 2011.
2 Owen Jones: Chavs. The Demonization of the Working Class, London 2011.
Der Autor ist Journalist unter anderem für „Telepolis“, die „Jungle World“ und verschiedene andere Zeitungen und Zeitschriften. Seine Artikel sind dokumentiert unter:
http://peter-nowak-journalist.de