Vor vier Jahren wurde in Erfurt mit einem Großaufgebot der Polizei das letzte besetzte Haus geräumt. Ein jetzt erschienene Buch erinnert an acht Jahre Selbstverwaltung und ihr Ende.
Von Dirk Teschner
aus telegraph #127|128
Ab Herbst 89 wurden in allen größeren Städten der DDR die entstehenden Freiräume genutzt und Häuser besetzt. Junge Menschen bezogen die reichlich leerstehenden Häuser. Sie bekamen später Mietverträge oder wurden geräumt. Mitte der 1990er Jahre gab es quasi keine Hausbesetzerbewegung mehr.. Neubesetzungen wurden in der Regel innerhalb von 24 Stunden polizeilich beendet. In den letzten Jahren wurden sich Häuser legal angeeignet, etwa über das Häusersyndikat oder über die Wächterhausprojekte. Umso erstaunlicher waren Besetzungen nach dem Jahr 2000. Wenn sie dann auch Monate oder gar Jahre anhielten waren daraus relevante Zentren geworden. Es gab die mehr kulturelle Ausrichtung, wie bei der Reitbahnstraße in Chemnitz und die klar politisch motivierte Besetzung, wie bei dem Fabrikgelände von Topf & Söhne in Erfurt.
In Erfurt, wie in allen größeren Städten der DDR, gab es seit Anfang der 1980er Jahre Wohnungsbesetzungen. Ein bekanntes Beispiel war in der verfallenen Altstadt das Haus in der Kürschnergasse 7. Das war ein altes, kaputtes Haus, teils legal bewohnt mit vielen leeren Räumen, die sich angeeignet wurden. Dort fand 1984 eine legendäre Ausstellung mit Leuten aus Erfurt und Berlin statt. Dabei waren Mitglieder der einzigen DDR-Künstlerinnengruppe „ExterraXX“ und junge Punks, die anfingen ihr Herzblut auf Leinwände zu spritzen.. Diese Ausstellung wurde von der Polizei beendet, und es wurden Ordnungsstrafverfahren ausgesprochen. In dem Haus probte auch die Punkband „Konstruktives Liebeskommando“, es wurde gewohnt und geliebt und manches Glas geleert.. Zwei Jahre später wurde das Haus dann systematisch zerstört. Leitungen wurden von der Staatssicherheit zerhackt und die Wasserrohre gekappt. In einem anderen Haus in der Altstadt gab es mit dem Bananenkeller einen weiteren autonom organisierten Raum für Veranstaltungen, Konzerte und Partys, dieser existierte bis Anfang der 1990er Jahre. Mit dem Herbst 89 begann auch in Erfurt ein Run auf leerstehende Häuser. Ein besetztes Gebäude wurde zum autonomen Jugendzentrum „Corax“ und bestand bis 1997.. Unter dem Namen AJZ machen einige bis heute weiter. Als Konzertraum für Punk- und Hardcore-Bands, an einem anderen Ort und ohne politische Außenwirkung. Bis Ende der 1990er Jahre gab es weitere kurzzeitige Besetzungen. Dann war Ruhe, bis 2001.
Am 12. April 2001 besetzte eine Gruppe politisch engagierter Menschen aus Erfurt das ehemalige Firmengelände von „Topf & Söhne“. Das „Besetzte Haus“, „B-Haus“ genannt, wurde 2009 gewaltsam geräumt. Von den acht Jahren Besetzung handelt ein beim Verlag der Graswurzelrevolution erschienenes Buch mit dem Titel „Topf & Söhne – Besetzung auf einem Täterort“. Es kommen auf 190 Seiten Besetzer und Nutzer in kurzen Interviews zu Wort und es gibt umfangreiche Informationen zur Geschichte des Geländes.
„Topf & Söhne“ stellten in der Zeit des Nationalsozialismus Öfen und Gaskammer-Lüftungstechnik für das Vernichtungslager Auschwitz her. Die Thematisierung dieser Geschichte war während der acht Jahre der Besetzung am historischen Ort ein wichtiger Aspekt der politischen Arbeit. Daraus resultierten Schwerpunkte, wie, die Beschäftigung mit der NS-Zeit, Antifa (theoretisch wie praktisch) und die Definition des Verhältnisses zu Israel. Für Nazis war die Gegend um das besetzte Gelände, einer Ausfallstraße Richtung Weimar, eine No-go-Area.
Neben der politischen Arbeit gab es auf dem besetzten Gelände alles was es so sonst in Erfurt nirgends gab: viel Raum zum Wohnen, eine Volksküche, einen Umsonstladen, einen Infoladen, einen Wagenplatz, eine Kneipe und Hallen, wo über 250 Konzerte und Drum’n-Bass-Partys statt fanden. Es gab Veranstaltungen, Lesungen und Filmvorführungen. Die riesigen Hallen waren ein Eldorado für die Erfurter Graffitiszene.
Ende der Nuller-Jahre wurden von dem Besitzer des Geländes, der „Domicil Hausbau GmbH“ und Investoren, die Planung eines Gewerbegebietes konkretisiert und die Besetzer zum Verlassen des Geländes aufgefordert. Nach Gerichtsbeschlüssen für eine Räumung, einem Brand auf dem Gelände und Abrissarbeiten in der Nachbarschaft wurde Anfang 2009 die Situation immer kritischer. Es gab Solidaritätsaktionen zum Erhalt des B-Hauses: Kundgebungen, Demonstrationen, Scheinbesetzungen und Bernd das Brot wurde entführt. Bernd das Brot, eine bundesweit bekannte Figur des in Erfurt ansässigen Fernsehsenders „KiKa (Kinderkanal)“ sprach sich in einem Video der Entführer gegen die bevorstehende Räumung des besetzten Geländes aus. Umsonst! In den frühen Morgenstunden des 16. Aprils 2009 stürmte ein Großaufgebot von SEK und Polizei das Gelände und räumte es gewaltsam. Kurz danach wurden außer dem Verwaltungsgebäude, alle Hallen und Gebäudeteile abgerissen. Anders als in Chemnitz wurden den Besetzern von der Stadtverwaltung Erfurt keine Ersatzhäuser angeboten, im Gegenteil, alle Besetzungen seit der Räumung wurden sofort durch Polizeikräfte beendet.
Die Lücken, die die Räumung des B-Hauses in die politische und kulturelle Szene von Erfurt gerissen hatte, sind bis heute spürbar. Es gibt an anderer Stelle einen Wagenplatz und einen Infoladen, aber es fehlen die Freiräume zum Experimentieren, Austoben und politischer Interventionen.
Seit 2011 gibt es, in dem einzigen verbliebenen Gebäude, den von der Stadtverwaltung betriebenen Erinnerungsort „Topf & Söhne – Die Ofenbauer von Auschwitz“.
Karl Meyerbeer, Pascal Späth (Hrsg.): Topf & Söhne. Besetzung auf einem Täterort. Verlag Graswurzelrevolution, 187 Seiten, 205 Abb., 12,90 Euro, ISBN 978-3-939045-20-5
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