Die Auseinandersetzung um die Wasserpreise in Berlin hat sich ins Juristische verlagert: Mit einer Organklage könnte die Verfassungswidrigkeit der Privatisierungsverträge festgestellt werden. Doch nicht nur die Fraktionen der Regierungsparteien, auch die der Opposition im Berliner Abgeordnetenhaus mauern – bisher!
Von Thomas Rudek
aus telegraph #127|128
Rückblende – Im Februar vor zwei Jahren haben die Berliner Bürger die erste Wasser“schlacht“ gewonnen: Über 660.000 Berliner stimmten mit einem Volksentscheid für das erste Volksgesetz. Es ging in dem Volksgesetz um die Offenlegung von geheim gehaltenen Verträgen, Beschlüssen und Nebenabreden, die im Zusammenhang mit der Teilprivatisierung der Berliner Wasserbetriebe zwischen dem Senat und den privaten Anteilseignern RWE und Veolia abgeschlossen worden sind, um diese a) einer unabhängigen juristischen Prüfung unterziehen zu können und b) gerichtliche Schritte in die Wege zu leiten. Trotz erschwerter Umstände wie einem kleinen Spenden-Etat von 40.000 Euro und einer mangelhaften Berichterstattung in den Medien konnte der erfolgreiche Ausgang des Volksentscheids nicht verhindert werden. Was an Geld fehlte, wurde wett gemacht durch die Unterstützung zahlreicher kleinerer und größerer Organisationen und vieler Menschen, die in ihrem eigenen Umfeld ihre Netzwerke aktivierten und das Anliegen zu ihrer eigenen Sache erhoben.
Seit der durch das Volksgesetz erzwungenen Offenlegung der Geheimverträge wissen wir, wie in einer so genannten „Öffentlich-Privaten Partnerschaft“ die Teilprivatisierung der Wasserbetriebe unter Dach und Fach gebracht wurde und die privaten Konzerne ihre Profitinteressen vertraglich „wasserdicht“ absichern: Durch die Zusicherung von Gewinngarantien werden die privaten Vertragspartner, RWE und Veolia, von jedem unternehmerischen Risiko befreit. Und damit sich das Investment für die privaten Konzerne auch schnell „amortisiert“, werden die Tarife entsprechend „investorenfreundlich“ kalkuliert. Doch was viele nicht wissen und wohl auch nicht wissen sollen: Wie können die Teilprivatisierungsverträge zu Fall gebracht werden. Was kann man gegen diese verheerenden Verträge unternehmen. Das entscheidende Thema der gerichtlichen Anfechtung der Verträge wurde unterdrückt. Doch lassen wir zuvor die Zahlen sprechen:
Seit der Teilprivatisierung der Berliner Wasserbetriebe belief sich die „Gewinnausschüttung“ zwischen 1999 und 2011 auf insgesamt 2,441 Mrd. Euro! Von dieser Summe konnten die Konzerne RWE und Veolia als die privaten Minderheitseigner 1,518 Mrd. Euro auf ihren Konten verbuchen, während sich das Land Berlin mit 923 Mio. Euro begnügen musste, obwohl es mit 50,1 Prozent der Anteile der Mehrheitseigner ist.1 Getoppt wird die Dramatik dieser „disproportionalen Gewinnverteilung“ noch durch vertraglich vereinbarte geheime Schiedsverfahren mit einem Streitwert von 340 Mio. Euro, wobei ein bevorstehendes Schiedsverfahren – es geht um die Preissenkungsverfügung des Bundeskartellamts gegenüber den Berliner Wasserbetrieben – mit einen Streitwert von 280 Mio. Euro noch nicht berücksichtigt worden ist. Doch damit nicht genug, denn wie in der Presse zu lesen war, ist RWE raus aus dem Berliner Wassergeschäft und hat seine Anteile teuer verkauft: Den RWE-Deal hat sich das Land Berlin sage und schreibe 654 Mio. Euro kosten lassen und es ist zu befürchten, dass Veolia mindestens genauso viel verlangen wird. Unnötig zu erwähnen, dass alternative Überlegungen über eine Enteignung oder eine Volksabstimmung über eine angemessene Summe für den Rückkauf der Anteile weder von dieser Regierung noch von den Oppositionsfraktionen erwartet werden können. Selbst an einem ernsthaften Diskurs über die rechtsstaatlichen Möglichkeiten, gegen die Verträge gerichtlich vorzugehen, scheinen „unsere Volksvertreter“ kein Interesse zu haben.
Watergate: Goldener Handschlag für die Privaten statt gerichtliche Anfechtung der Verträge
Der eigentliche politische Skandal dieses Watergate besteht jedoch darin, dass alle Fraktionen des Abgeordnetenhauses von den Möglichkeiten der gerichtlichen Anfechtung der Verträge inkl. Gewinngarantien keinen Gebrauch machen. Dabei würde sich die Rückabwicklung der Verträge für uns lohnen! Nach einer erfolgreichen Klage müssten die bisherigen Gewinne mit dem ursprünglichen Investment der Konzerne verrechnet werden! Für 251,5 Mio. Euro wäre dann der Rückkauf der RWE-Anteile entscheidend günstiger zu haben. Ein Einspareffekt von 400 Mio. Euro!2 Doch statt zu klagen, vergolden Abgeordnete und Senat RWE den Rückweg. Teilprivatisierungsverträge und Gewinngarantien bleiben unangetastet.
Kurz nach dem Volksentscheid gründete sich beim Umweltverband der GRÜNEN LIGA ein „Arbeitskreis unabhängiger Juristen“ (AKJ), bestehend aus 10 meist promovierten Juristen, der auf ehrenamtlicher Basis die Verträge überprüfte und Möglichkeiten aufzeigte, wie die Teilprivatisierungsverträge zu Fall gebracht werden können. Als erster Schritt wurden in Zusammenarbeit mit Transparency International und der Verbraucherzentrale Berlin gegenüber der EU Kommission zwei noch laufende Beschwerdeverfahren initiiert3. Wichtiger war jedoch der Nachweis, dass die vom Berliner Senat den privaten Anlegern vertraglich zugesicherte Gewinngarantie nach der Berliner Verfassung eine Sicherheit darstellt. Und diese Sicherheit ist ohne eine nach der Verfassung erforderlichen gesetzlichen Grundlage des Parlaments vereinbart worden, was bedeutet: Der Senat hat sich über das Parlament hinweg gesetzt und dadurch das wichtigste parlamentarische Kontroll- und Mitbestimmungsrecht, das Budgetrecht ausgehebelt. Der AKJ hat in seinem publizierten Leitfaden „Nichtigkeit der Teilprivatisierungsverträge und ihre Geltendmachung“4 diesen elementaren Verfassungsverstoß nicht nur dargestellt, sondern auch Wege aufgezeigt, wie sich die Abgeordneten dagegen wehren können, nämlich indem sie die Verträge mit einer Organklage vor den Verfassungsgerichtshof Berlin bringen.
Abgekartetes Possenspiel: Der Sonderausschuss und sein Desinteresse an einer Organklage
Der Leitfaden war auch Gegenstand des Sonderausschusses, den das Abgeordnetenhaus auf Grundlage des § 3 des Volksgesetzes im Dezember 2011 einsetzte und der seine Arbeit im Dezember 2012 beendete. Mehrere angehörte Sachverständige haben sich positiv zu den Möglichkeiten einer Organklage geäußert und Rechtsanwalt Olav Sydow und die Volljuristin Sabine Finkenthei vom AKJ hatten die Möglichkeit den Leitfaden vorzustellen5. Doch statt die Argumentation des AKJ aufzugreifen, beauftragte der Sonderausschuss den Wissenschaftlichen Parlamentarischen Dienst (WPD) den Leitfaden zu begutachten. Es wird niemanden überraschen, dass die beiden Juristen vom WPD in ihrem Gutachten eine andere Rechtsauffassung vertreten und einer Organklage geringe Erfolgsaussichten einräumen. Anders der Verwaltungsrechtler Prof. Musil aus Potsdam, der als Sachverständiger von den Vertretern der Regierungsfraktionen (!) eingeladen war und völlig überraschend einer Organklage hohe Erfolgsaussichten einräumte.
Auf diese positive Einschätzung reagierte bezeichnenderweise der Landeschef der Linken, Dr. Klaus Lederer, der betonte, dass „von einer Nichtzustimmung des Parlaments in der Frage gar nicht die Rede sein“ kann (Wortprotokoll, S.8): „Nach meiner Kenntnis hat das Parlament einer Vorlage des Vermögensausschusses des Abgeordnetenhauses zugestimmt, in der das Vertragskonstrukt vorgelegt worden ist.“ Es ist nicht nur peinlich sondern auch entlarvend, wenn ein Jurist wie Lederer zwischen einer Zustimmung und einer gesetzlichen Grundlage nicht zu unterscheiden vermag oder anders formuliert: Eine Zustimmung ersetzt gerade nicht die gesetzliche Grundlage!6
Auch Zweifel an der Möglichkeit einer noch fristgerechten Einreichung einer Organklage konnten argumentativ entkräftet werden, da man den Fristablauf auf sechs Monate, nachdem der Sonderausschuss seinen Abschlussbericht dem Plenum vorgelegt hat, was am 17. Januar geschehen ist, datieren kann. Es bleibt daher die Frage, warum keine Fraktion die Möglichkeit einer Organklage nutzt, zumal sie mit keinerlei Prozesskostenrisiko verbunden wäre, da sich Rechtsanwalt Olav Sydow und die Volljuristin Sabine Finkenthei bereit erklärt haben, die Organklage auf Basis eines Erfolgshonorars, also quasi kostenfrei zu führen. Es wurde zudem herausgestellt, dass eine Organklage allein noch nicht zur Nichtigkeit der Verträge führt. Das kann nur in einem zweiten Schritt beispielsweise durch eine zivilrechtliche Nichtigkeitsklage erreicht werden. Und es ist erfreulich, dass einer unserer Bündnispartner bereits seine Bereitschaft signalisiert hat, diesen Weg zu beschreiten, jedoch das Einschlagen dieses Weges davon abhängig macht, ob eine Organklage erfolgreich verläuft. Dieses Signal „unter Vorbehalt“ ist in Anbetracht des hohen Prozesskostenrisikos bei einer zivilrechtlichen Klage verständlich, während die Zurückhaltung der Abgeordneten gegenüber der Organklage vor dem Verfassungsgericht NICHT zu erklären ist, denn bei einer Organklage gibt es kein Prozesskostenrisiko, noch sonst irgendeinen Gesichtsverlust.
Wenn zu einer umstrittenen Frage unterschiedliche Rechtsauffassungen vorliegen, dann wäre es eigentlich politisch korrekt, die endgültige Klärung dieser rechtsoffenen Fragen durch jene Instanzen klären zu lassen, die hierfür zuständig sind. Und das sind nach unserer Rechtsordnung die Gerichte. Es ist mehr als offensichtlich, dass die Gegner einer gerichtlichen Klärung offensichtlich dem Größenwahn unterlegen sind, sich als Richter aufspielen und ihre Rechtsmeinung als abschließend und wahrhaftig zu verkaufen versuchen. In Vergessenheit gerät hierbei, dass sie als politische Funktionsträger entweder der Exekutive oder der Legislative angehören, aber nicht der Judikative. Möglicherweise fürchten die politischen Schlaumeier aber auch nur eine Wiederholung einer Blamage. Auch damals wollte der rot-rote Senat das Volksbegehren nicht zulassen, weil das Volksgesetz angeblich gegen die Verfassung verstoße. Wir erhoben beim Verfassungsgericht Einspruch und konnten unser Einspruchsverfahren gewinnen (s. u.).
Das Possenspiel des Sonderausschusses fand seine Zuspitzung im Abschlussbericht, der am 17. Januar im Abgeordnetenhaus diskutiert wurde. In diesem Abschlussbericht werden den Abgeordneten, die nicht an den Sitzungen des Sonderausschusses teilgenommen haben, weder die Möglichkeiten der Vertragsanfechtung über eine Organklage vorgestellt, noch die rechtsoffenen Fragen zu den Möglichkeiten der gerichtlichen Anfechtung aufgezeigt. Stattdessen wird so getan, als ob das Gutachten des WPD der Weisheit letzter Schluss sei – obwohl allen klar sein dürfte, dass ein juristisches Gutachten ja nur eine Rechtsmeinung darstellt und deshalb kein Ersatz für ein Gerichtsurteil ist! Auch der schriftlichen Bitte von Rechtsanwalt Sydow, den Abschlussbericht um relevante Passagen zu ergänzen, wurde nicht entsprochen. Um keinen Deut besser ist der Part der Oppositionsfraktionen. Zwar haben die Grünen sich um Vermittlung bemüht, doch in den gesonderten Berichten der Oppositionsfraktionen haben die Grünen allerlei Stellungnahmen der Wassertische als Anlagen eingesammelt und sogar der AG Informationsfreiheit von Transparency International die Möglichkeit einer Stellungnahme eröffnet – aber auf die Idee, in die Materialsammlung auch den Leitfaden des AKJ aufzunehmen, kamen die Grünen nicht. Zusammengefasst zeigt der Abschlussbericht des Sonderausschusses mit den „gesonderten“ Stellungnahmen der Oppositionsfraktionen auf, wie einerseits mit vielen Bagatellinformationen und andererseits durch die vorsätzliche wie systematische Ausblendung von Veränderungsinformationen eine Politik der Desinformation über alle Fraktions- und Parteigrenzen hinweg betrieben wird.
Ablenkungsmanöver: Die Preissenkungsverfügung des Bundeskartellamts
Viel Aufsehens wurde auch um die Preissenkungsverfügung des Bundeskartellamts gemacht, wobei die Höhe der Preissenkungsverfügung – es geht um 254 Mio. Euro – nicht darüber hinweg täuschen sollte, dass sich diese Summe auf einen Zeitraum von vier Jahren erstreckt.7 Schließlich relativiert sich die Höhe, wenn bedacht wird, dass nach Angaben der Senatsverwaltung für die Jahre 2012 und 2013 eine Gewinnausschüttung in Höhe von 427 Mio. Euro geplant ist (siehe Fußnote 1)!
Zudem beschränkt sich die Missbrauchskontrolle des Bundeskartellamts nur auf die Trinkwassertarife und umfasst nicht das Abwasser. Gegenwärtig wird das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (GWB) novelliert und es ist beklagenswert, dass eine Zuständigkeitserweiterung der Kartellämter auf den Bereich der Abwasserentsorgung an vielen Widerständen, nicht nur der Wasserlobby, scheitert.8
Entscheidend ist jedoch der Hinweis, dass die Preissenkungsverfügung kein Ersatz für eine gerichtliche Anfechtung der Verträge ist, da die vertraglichen Gewinngarantien nicht Gegenstand der Entscheidung des Bundeskartellamts war! Von Seiten der privaten Anteilseigner ist bereits angekündigt worden, dass sie sich aufgrund der Verträge nicht verpflichtet sehen, die Kosten der Preissenkungsverfügung anteilig mitzutragen. Entsprechend teilte die Staatssekretärin des Finanzsenators, Frau Dr. Sudhof mit, dass von privater Seite „ein weiteres Schiedsverfahren mit einem potenziellen Streitwert von 280 Millionen Euro“9 ins Haus steht.
Auch hier erneut der Grundsatz: Die vertraglichen Gewinngarantien nur nicht antasten.
Wer aufmerksam die Tagespresse verfolgt, dem wird auffallen, dass sehr viel über die Unterschriftensammlung einer Europäischen Bürgerinitiative mit dem schönen Slogan „Wasser und Sanitäre Grundversorgung sind ein Menschenrecht“ berichtet wird. Im Gegensatz zum Volksbegehren lösen die gesammelten Unterschriften leider keine Gesetzgebungsinitiative aus, sondern führen lediglich zu einem Anhörungsrecht vor der Europäischen Kommission ohne verbindliche Rechtsfolgen!
Dass aus Brüssel ein anderer Wind weht, zeigt auch die Berichterstattung über eine neue Konzessionsrichtlinie, mit der die EU-Kommission teilprivatisierte Wasserversorger zukünftig zur europaweiten Ausschreibung verpflichten will. Nach der Bewertung durch die Medien befürchten viele Bürger, dass der Privatisierung durch die Hintertür Tor und Tür geöffnet werden. Nach uns vorliegenden Informationen soll mit dieser Richtlinie eher der Rekommunalisierungstimmung in der Bevölkerung das Wasser abgegraben werden. In vielen Kommunen laufen die Konzessionsverträge aus: Mit dem Ausschreibungszwang soll den Kommunen die Rückaneignung erschwert werden.
Die neuen Vorstöße der EU überraschen insofern, da ältere Entscheidungen der Kommission zum Vergabe- und Ausschreibungsrecht wie zum Beihilferecht noch auf sich warten lassen! Bereits im Sommer 2011 hat der AKJ gemeinsam mit der Verbraucherzentrale Berlin und Transparency International gegenüber der Kommission zwei Beschwerdeverfahren zur Anzeige gebracht10, die immer noch laufen und über die die Kommission immer noch nicht entscheiden hat. Offensichtlich hat die Kommission der Überprüfung der Teilprivatisierungsverträge unter europarechtlichen Gesichtspunkten keine hohe Priorität eingeräumt, was in doppelter Hinsicht zu kritisieren ist: Zum einen hätte die Kommission durch eine schnelle Bearbeitung der Beschwerdeverfahren auch gegenüber dem ersten Volksentscheid in Berlin ein Zeichen der Anerkennung entgegenbringen können. Zum anderen sollte nicht vergessen werden, dass innerhalb der EU die größte Teilprivatisierung eines Wasserunternehmens in Berlin durchgesetzt wurde.
Fazit & Ausblick: Ignoranz & Arroganz statt konstruktiver Zusammenarbeit
Festzuhalten ist, dass in der Presse der Zielsetzung des Volksentscheids, die Teilprivatisierungsverträge gerichtlich anzufechten, um sie kostengünstig rückabwickeln zu können, faktisch kein Raum zugestanden worden ist, während sich Meldungen über die Preissenkungsverfügung des Bundeskartellamts nahezu überschlagen haben.
Den Einschätzungen der Abgeordneten, insbesondere von Dr. Lederer, dass eine Organklage gegen die Berliner Teilprivatisierungsverträge geringe Aussicht auf Erfolg hat, ist entgegen zu halten, dass sie schon einmal mit ihrer Einschätzung komplett daneben lagen: Bereits bei der ersten Stufe des Volksentscheids verweigerten uns viele Abgeordnete ihre Unterstützung, weil unser Gesetz angeblich unsere Verfassung verletze. In unserem Einspruchsverfahren gegen die Ablehnung unseres Antrags auf Zulassung des Volksbegehrens durch den rot-roten Senat entschieden alle neun Richter des Verfassungsgerichts einstimmig zu unseren Gunsten. Glücklicherweise waren wir damals formalrechtlich in der Lage, den Einspruch eigenständig, genauer durch die kompetente Unterstützung von Prof. Dr. Jürgen Keßler in Zusammenarbeit mit der Juristin Sabine Finkenthei, zu erheben und zu gewinnen. Jetzt – im Fall der Organklage – können leider nicht wir die Initiative ergreifen, sondern sind von Abgeordneten abhängig, weil nur sie als Vertreter des Abgeordnetenhauses als verfassungsrechtliches Organ zu einer Organklage befugt sind.11 Schließlich stellt sich die Frage, was unsere Abgeordneten zu verlieren hätten, wenn sie auf das Angebot des AKJ eingehen und sich zur Zusammenarbeit entschlössen. „Zusammenarbeit“ – unter dieses Motto haben die Vereinten Nationen das Wasserjahr 2013 gestellt. In Berlin scheinen die politischen Funktionsträger von der Zusammenarbeit mit Juristen, die nicht auf der Gehaltsliste der Konzerne stehen, wenig zu halten. Dabei gibt es bereits von Seiten des Berliner Kammergerichts ein gutes Zeichen, dass die juristische Argumentation des Leitfadens keineswegs obskur bzw. wenig stichhaltig ist: Als RWE sich aus dem Berliner Wassergeschäft zurückgezogen hat und seine Anteile dem Berliner Senat verkaufte, sah sich Veolia als verbleibender privater Anteilseigner mit einer äußerst unvorteilhaften Situation konfrontiert. Daher prozessierte Veolia gegen den Anteilsverkauf vor dem Kammergericht und verlor den Prozess. Im Rahmen der Urteilsverkündung griff das Kammergericht auch eine Argumentationsfigur des AKJ-Leitfadens auf. Im Leitfaden wird die Möglichkeit vorgestellt, dass nach einer erfolgreichen Organklage und der Feststellung des Verfassungsgerichts, dass die Verträge verfassungswidrig sind, gute Chancen bestehen, dass in Folge einer anschließenden zivilrechtlichen Nichtigkeitsklage gemäß der §§ 134, 138 BGB die Verträge nichtig sein können.12 Und es ist interessant, dass die Richter des Kammergerichts auf die ausstehende Klärung dieser Möglichkeit explizit verweisen.
„Abschließend ist zu bemerken, dass das Kammergericht bei allen vorstehenden Erwägungen zu Gunsten der Verfügungsklägerin davon ausgegangen ist, dass die Privatisierungsverträge … rechtswirksam sind. Ob die bis zum Jahr 2010 geheim gehaltenen Verträge einer rechtlichen Überprüfung am Maßstab der §§ 134, 138 BGB standhalten, ist – soweit ersichtlich – gerichtlich bisher nicht geklärt.“13
Auch die Oppositionsfraktionen wollen diesen Wink mit dem Zaunpfahl nicht wahrnehmen. Eher versuchen die Grünen und die Piraten den Eindruck zu erwecken, dass mit einer Normenkontrollklage gegen das Berliner Betriebegesetz der richtige Weg eingeschlagen wird – wohl wissend, dass in der Rechtsprechung kein einziger Präzedenzfall bekannt ist, mit dem es gelungen ist, vertragliche Vereinbarungen über eine Normenkontrollklage zu Fall zu bringen! Und außerdem hätte eine Normenkontrollklage gegen das Betriebsegesetz auch ganz unabhängig vom Volksgesetz, also auch schon viel früher, eingereicht werden können.
Es erhärtet sich der Verdacht, dass die Oppositionsfraktionen die Wasserpreise als Skandalthema weiter hoch kochen wollen, statt die Teilprivatisierungsverträge vom Verfassungsgerichtshof überprüfen zu lassen.
Es wäre zu selbstgefällig, wenn bei der Darstellung der Widerstände gegen die gerichtliche Anfechtung der Verträge die Brüche und Konflikte in der Zivilgesellschaft unerwähnt bleiben. Und so ist die Annahme gewiss zutreffend, dass der Druck auf die Politik und besonders auf die Fraktionen wesentlich größer gewesen wäre, wenn die Wassertische sich nicht gespalten hätten, oder der dritte „Player“, die Wasserbürger, sich einem der beiden anderen Wassertische angeschlossen hätte. Statt dass alle mit einer Zunge sprechen bzw. sich alle geschlossen hinter den Leitfaden stellen und die Durchführung der Organklage fordern, begann ein Kampf um die Meinungsherrschaft, der auch unter der Gürtellinie des politischen Anstands geführt wurde. Statt sich einem „Wettbewerb der Ideen“ (Gramsci) zu stellen, wurden durch eine totalitär-stalinistische Ausschlusspraxis sowohl gegenüber der Ansprechpartnerin des AKJ als auch meiner Person die Möglichkeiten der Mitwirkung verweigert und dümmliche Gerüchte, die nichts mit der Sache zu tun hatten, in die Welt gesetzt. In diesem Zusammenhang ist die Selbstdarstellung des Wassertischs, der seit der von ihm betriebenen und zu verantwortenden Spaltung beim Büchertisch am Mehringdamm (www.berliner-wassertisch.net) einmal im Monat zusammen kommt, sich als „offenes“ Personenbündnis verkauft, und gleichzeitig den Verfasser des Volksgesetzes ausschließt und den AKJ diffamiert, nicht mehr als ein schlechter Witz. Zu allem Übel wird eine so genannte Normenkontrollklage gegen das Betriebegesetz favorisiert, wohl wissend, dass der Verfassungsgerichtshof über die in diesem Gesetz festgelegten Kalkulationsgrundlagen bereits in aller Ausführlichkeit positiv entschieden hat und die Aussichten einer erneuten Beurteilung mit den entsprechenden Rechtsfolgen übrigens auch von Dr. Lederer (Die LINKE, Berlin) als sehr gering eingeschätzt werden. Zudem würden dann die Verträge wieder nicht überprüft, da Gegenstand einer Normenkontrollklage nur Gesetze sein können. Und auch der zweite Wassertisch, der sich übrigens nach den Wasserbürgern gegründet hat, hatte nichts Besseres zu tun, als eine seiner Mitstreiterinnen los zu schicken, um gegenüber namentlich bekannt gewordenen Rechtsanwälten aus dem AKJ gezielt Stimmung gegenüber Frau Finkenthei und meiner Person zu machen. Die Protagonisten dieses Intrigenspiels auf grenzwertigem Niveau haben außer persönlichen Diffamierungen nichts zu bieten und schon gar keine konstruktiven Inhalte. Und exakt dieser Wassertisch (www.berliner-wassertisch.info) hat zwar die Organklage alibitechnisch ins Netz gestellt, beklagt jedoch in endloser Litanei die Verletzung des Demokratieprinzips, wohl wissend, dass das Demokratieprinzip bereits 1999 Gegenstand einer Klage vor dem Verfassungsgerichtshof war und mit diesen Allgemeinplätzen weder die vertraglich zugesicherten Gewinngarantien noch die vereinbarten, nach wie vor hinter verschlossenen Türen stattfindenden Schiedsverfahren auf den Prüfstand gestellt werden können. (Budgetrecht ist eine Konkretisierung des Demokratiegebots und damit haben wir uns in aller Ausführlichkeit beschäftigt!).
Durch die jüngsten Meldungen in den Medien wird der Eindruck vermittelt, dass man der gerichtlichen Anfechtung über den Weg einer Organklage einen entscheidenden Schritt näher gekommen sei. Völlig überraschend stellte Wassertisch-Sprecher Wolfgang Rebel (Muskauer Str.) am 4.4.2013 auf einer Pressekonferenz vor, dass sie einen renommierten „Top-Juristen“ gewinnen konnten, der für einen Pauschalbetrag von 30.000 Euro plus Mehrwertsteuer bereit ist, sich von klagewilligen Abgeordneten für eine Organklage mandatieren zu lassen. Über die bereits fertig gestellte Organklage des AKJ und vor allem über das Angebot für klagewillige Abgeordnete zur kostenneutralen Vertretung wurde bezeichnenderweise von den Veranstaltern kein Wort verloren. Auch in der Pressemappe wurde weder auf die Vorarbeiten des AKJ noch auf seine Organklage verwiesen. Der Versuch sich mit der Ausrede herauszureden, man hätte nichts gewusst, unterschlägt, dass ein Aktivist des Wassertischs über den e-mail-Verteiler auf ein Radio-Interview mit mir im Info-Radio verwiesen hat, indem ich ausdrücklich auf die fertig gestellte Organklage des AKJ verwiesen habe. Eigentlich hätte diese Nachricht ein Grund zur Freude sein müssen. Statt dessen ist diesem Aktivisten das Vertrauen entzogen worden mit der Konsequenz, dass er sich aus dem Wassertisch zurückgezogen hat (und da waren es nur noch zwölf). Auch medienpolitisch gab es ein Nachspiel: Die Aktivisten inszenierten gegenüber dem Info-Radio einen Shit-Storm, der die Redaktion veranlasste, das Gespräch mit mir komplett zu löschen.
Da die Propagandisten des Wassertisch es nachweislich darauf anlegen, durch schriftlich vorliegende Bekundungen den Eindruck entstehen zu lassen, dass der AKJ „gescheitert“ sei, ist zu befürchten, dass sie alles daran setzen werden, um die Mandatierung ihres TOP-Jurist durchzusetzen, der im Schnellverfahren eine Organklage erstellt, während all die Ergebnisse, die der AKJ in zeitaufwendigen Recherchen in eine substanzielle Organklage hat einfliessen lassen, unberücksichtigt bleiben. Dabei könnte es so einfach sein: Juristisch ist es ohne Probleme möglich, mehrere Organklagen einzubringen. Nach dem Prinzip „Doppelt hält besser“ könnten die Grünen den „Top-Juristen“ beauftragen und die Piraten Rechtsanwalt Sydow vom AKJ. Dadurch würden sich die Aussichten für eine erfolgreiche Organklage nicht nur erhöhen, sondern die Piraten könnten auch ihre Eigenständigkeit unter Beweis stellen und würden nicht Gefahr laufen, als Appendix der Grünen „Geschichte“ zu machen.
Die bisherige Verweigerungs- und Blockadehaltung der Abgeordneten kann jedoch mit den Streitigkeiten zwischen den zivilgesellschaftlichen Akteuren allein nicht erklärt werden, zumal wir auch mehrere „bürgerliche“ Organisationen, die den Volksentscheid von Anfang an unterstützt haben, von der Sinnhaftigkeit einer Organklage überzeugen konnten und unseren Brief an die Abgeordneten auch unterzeichneten. Die Blockadehaltung ist umso ärgerlicher, da sich a) Möglichkeiten der gerichtlichen Anfechtung von Teilprivatisierungsverträgen nicht jeden Tag eröffnen und b) solche Verträge mit den entsprechenden Folgekosten (Stichwort „disproportionale“ Gewinnverteilung) nicht nur in Berlin sondern in der ganzen Republik existieren. Beispielsweise ist an der Nordseeküste in Schleswig-Holstein bei den teilprivatisierten Stadtwerken Husum GmbH der Hauptprofiteur die E.ON Tochter Service Plus GmbH, die mit 49,9 Prozent der Anteile als Minderheitseigner in den Geschäftsjahren 2009 bis 2011 insgesamt Gewinne in Höhe von 2.142.044,71 Euro aus dem Versorgungsgeschäft herauszog, während sich die Kommune als Mehrheitseigner mit 981.598,06 Euro begnügen musste. Dabei zeigt Husum zugleich, dass es auch ganz anders geht, denn die Abwasserentsorgung wurde weder privatisiert noch teilprivatisiert, sondern als kommunaler Eigenbetrieb erhalten. Dort konnten die Gebühren für Abwasser in den letzten zehn Jahren sogar trotz gestiegener Strompreise abgesenkt werden! Und in den Geschäftsberichten findet sich ein Passus, der leider die Ausnahme von der Regel der Profitmaximierung darstellt:
„Das Betriebsergebnis für die Abwasserentsorgung endete für das Jahr 2009 wie schon im Jahr zuvor mit einem ausgeglichenen Ergebnis; das heißt, die Erträge und Aufwendungen waren im Jahr 2009 gleich hoch. Als kostenrechnende Einrichtung erzielen die Stadtwerke Husum Abwasserentsorgung für den Eigentümer Stadt Husum keine Wertschöpfung“14.
Es wäre wünschenswert, wenn auch in den Geschäftsberichten der Berliner Wasserbetriebe so ein Passus irgendwann einmal zu lesen wäre: Keine Wertschöpfung, das bedeutet, keine Gewinnabführung, weder an Private noch an die Kommune! So wie es im Bereich der Daseinsvorsorge und insbesondere bei einer so überlebensnotwendigen Versorgung der Bevölkerung mit Trinkwasser und der Abwasserentsorgung sein sollte.
Die Frist für die Organklage des AKJ endet im Juni, wobei eine weitere Option für eine spätere Verfristung entwickelt werden konnte. Rechtsanwalt Sydow und die Juristin Sabine Finkenthei haben bereits die Klageschrift erarbeitet und sind jederzeit bereit, die Klageschrift vorzustellen, konstruktiv abzustimmen und sich von klagewilligen Abgeordneten das entsprechende kostenneutrale Auftragsmandat erteilen zu lassen. Die Uhr tickt! Und die nächste Wahl kommt bestimmt!
1 Das Zahlenmaterial ist entnommen aus dem Bericht des Senats für Wirtschaft, Technologie und Forschung vom 4. 5. 2012 zu den Fragenkatalogen der Fraktionen.
2 Die Berechnungen sind in einem offenen Brief an alle Abgeordneten transparent dargelegt siehe http://berliner-wasserbuerger.de/?p=2186
3 Zur Pressekonferenz http://berliner-wasserbuerger.de/?p=595. Unter dieser Adresse ist auch das an die Kommission gerichtete Schreiben zum Beschwerdeverfahren einsehbar.
4 Pressekonferenz bei der Verbraucherzentrale Berlin zur Vorstellung des Leitfadens http://berliner-wasserbuerger.de/?p=915
5 http://www.parlament-berlin.de/ados/17/SondAWV/protokoll/swv17-009-wp.pdf, S. 20 ff.
6 Leitfaden, S. 21 f.
7 Siehe PM „Bundeskartellamt erlässt Preissenkungsverfügung gegen Berliner Wasserbetriebe von insgesamt 254 Mio. Euro für die Jahre 2012 bis 2015“ Euro http://www.bundeskartellamt.de/wDeutsch/archiv/PressemeldArchiv/2012/2012_06_05.php
8 Hinter dem Wunsch nach einer Regulierung der Wasserpreise einschl. der Abwasserentsorgung steht keineswegs, wie von einigen BI unterstellt wird, der Wunsch nach einem einheitlichen Wasserpreis, der für das gesamte Bundesgebiet gilt. Im Gegenteil: Die Beschaffungskosten sind regional sehr unterschiedlich und die Kartellämter tragen diesen regionalen Besonderheiten auch Rechnung. Da das Bundeskartellamt auch aufgrund der Personalausstattung dieser Aufgabe kaum gewachsen ist, wäre auch alternativ vorstellbar, dass in den Kommunen korporatistische Wasser-Beiräte gegründet werden, die sich aus Vertretern der Verbraucher-, Umwelt- und Steuerzahlerinteressen zusammensetzen, und die gegenüber den Entscheidungen der Kommunalaufsicht ein Vetorecht erhalten. Kommt es nicht zu einvernehmlichen Regeln, dann sollten zu den strittigen Fragen Bürgerentscheide durchgeführt werden.
9 StS Dr. Sudhof, Wortprotokoll 17/12 vom 21. September 2012, S. 15 f., zitiert auch in: Entwurfsfassung des Abschlussberichts, S. 50.
10 Zur Pressekonferenz http://berliner-wasserbuerger.de/?p=595. Unter dieser Adresse ist auch das an die Kommission gerichtete Schreiben zum Beschwerdeverfahren einsehbar.
11 Auch wenn die direkte Demokratie verfassungsrechtlich eine nebensächliche, wenn nicht gar exotische Rolle einnimmt, so eröffnen sich hierdurch zusätzliche rechtspolitische Gestaltungsmöglichkeiten. So wäre es hochinteressant, verfassungsrechtlich klären zu lassen, ob im Fall eines gewonnenen Volksentscheids nicht auch den Vertrauenspersonen des Volksentscheids ein eingeschränkter Organstatus zugestanden werden könnte!
12 In diesen Paragraphen des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) wird die Nichtigkeit infolge des Verstoßes gegen ein gesetzliches Verbot geregelt (in diesem Fall ist es gesetzlich bzw. verfassungsrechtlich verboten, dass die Exekutive Privaten eine Sicherheit (Gewinngarantien) gewährt, ohne dass hierfür von der Legislativen also dem Parlament als Gesetzgeber eine gesetzliche Grundlage geschaffen wurde (§ 134). § 138 regelt die Nichtigkeit wegen Sittenwidrigkeit.
13 Urteil vom 29. 8. 2012, Az 23 U 112/12, S. 10.
14 Vorbericht zum Haushaltsplan der Stadt Husum für das Haushaltsjahr 2011. (Quelle: http://www.husum.org/media/custom/15_3424_1.PDF?1297077004).
Thomas Rudek ist Verfasser und Sprecher des Volksbegehrens.
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