Editorial

aus telegraph 13/1990

Wir werden dieses Blatt mit einer kleinen Publikumsbeschimpfung beginnen müssen. Die Leser unseres letzten Heftes werden sich vermutlich erinnern, daß wir zu unseren Artikeln über die Lichtenberger Antifa-Demonstration zu Diskussionsbeiträgen aus dem Leserkreis aufgefordert haben. Leider kam wieder mal nur das Übliche. Einige meinten, daß sie die Artikel doof gefunden hätten, andere fanden sie gut, regten sich aber über Szene-Sprache auf, wieder andere kündigten verbal scharfe Gegenartikel an, -bekommen haben wir nichts.

Fleißig, nämlich wirklich auch international vernetzt und interessiert an Information und Diskussion, unter anderem bei uns, sind bis jetzt nur die Wehrdiensttotalverweigerer, vielleicht noch ehestens die Antifa-Szene. Alle anderen Gruppen scheinen in Richtung Sekte zu tendieren, – finden sich untereinander gut und die anderen doof. Andere Argumente braucht es ja für Glaubenskriege nicht.

Wir halten das schon für ein Grundsatzproblem. Unsere Zeitschrift und ihr Vorgänger, die „Umweltblätter“, haben immer einen großen Teil Korrespondenzen aus dem Leserkreis enthalten und wir haben da oft nur eine Art Lektorat übernommen. Dieses Profil entsprach einer basisdemokratischen Bewegung. In letzter Zeit aber scheinen wir dazu verurteilt, alles und jedes zu recherchieren und dann noch unseren Senf dazu abzugeben. Gibt es in unserem Lande wirklich keine eigenständigen Köpfe mehr? Werden wir von den Lesern dafür bezahlt, daß wir eine Meinung produzieren, die sie nicht haben? Wir wollten das eigentlich nicht.

Vorerst, bevor wir unser Konzept ändern müssen, bleibt es beim Aufruf an unsere Leser, wichtige Vorfälle zu berichten, Recherchen zu machen, Meinungen zu äußern, uns Diskussionsbeiträge zuzusenden. Zur Not können wir auch Zeilenhonorar zahlen. Es ist aber wohl kein Geheimnis, daß der „telegraph“ nicht gerade im Fett schwimmt, und zwar deshalb, weil wir glauben, daß Meinung nicht käuflich und verkäuflich sein darf.

Ansonsten haben wir uns bei den Lesen dafür zu entschuldigen, daß es diesmal wegen Urlaub mit Fotos nicht so geklappt hat, wie wir uns das wünschen.

Regelmäßig alle zwei Wochen erscheint der „telegraph“ ab Anfang September wieder. Bis dahin bleiben wir Eure
Redaktion „telegraph“