Kein Forum für Faschisten

aus telegraph 13/1990
von Dirk Tesschner

Nach der umstrittenen Antifa-Demo in Lichtenberg kam es zu Distanzierungen und Diffamierungen seitens der meisten Bündnisgruppen und zu einer notwendigen Auseinandersetzung innerhalb der DemoteilnehmerInnen.

Die faschistische Zentrale in der Weitlingstr. 122 besteht trotzdem weiter. Populistisch und bürgernah versucht die „Nationale Alternative“ sich einen Schafspelz anzulegen.

Die nach der Demo vom Innensenator Thomas Krüger so gelobten Verhandlungen mit der NA und WOSAN und ihrer Zusage des freiwilligen Auszugs aus der Weitlingstraße erscheinen als gutorganisierter Flop. Die jetzigen BewohnerInnen in der Weitlingstraße gedenken nicht, freiwillig zu gehen. In dieser Situation kam es darauf an, den Faschisten in Lichtenberg keinen Stich zu lassen, die fasch. Zentrale zu räumen und die begonnenen Kontakte mit den AusländerInnen zu intensivieren.

In einer Situation, wo nachlassende Wachsamkeit und zurückge­hende antifaschistische Organisierung zu solchen Ereignissen führen, wie nach dem WM-Fußballendspiel, als sich nach dem „totalen Sieg“ Hooligans und faschistische Skins viel zu lange im Prenzlauer Berg und den anderen Stadtteilen rumtreiben und randalieren konnten.

In dieser Situation spukte (spukt?) eine Forderung in den Köpfen von Bündnismenschen und Kultur-“Autonomen“ herum – Dialog mit Faschisten!

Genau dies wollten einige Leute im Podiumsgespräch unter der Überschrift „Antifaschismus und Terrorismus – Eisenstangen und Leuchtgeschosse“ öffentlich vorführen. Die Initiatoren dieser Diskussionsrunde waren Radio P, Leute von Tacheles (Multikulturelles Zentrum), Jugendverband RAJV (der wohl noch 3 Mitglieder hat) und Bärbel Bohley. Die Diskussions-“Kontrahenten“ sollten ein Einsatz­leiter der VOPO aus Lichtenberg und zwei Faschisten der Nationalen Alternative (NA) sein. Einen Tag vor der Veranstaltung, am 12. 7., trafen sich die verschiedenen Antifa-Gruppen und andere unabhängige Menschen zur Koordinierung zur Verhinderung der geplanten Veranstal­tung. Es kam zu harten Auseinandersetzungen mit Vertretern aus dem Tacheles und von Radio P.

Die Diskussion war gereizt und die Dummheit oder gewollte Taktik der Organisatoren erschreckend.

Ein Kompromißvorschlag der Antifas, das Podium umzustellen, Polizei und Faschisten rauszuschmeißen und dann gemeinsam über antifaschistische Selbstorganisierung zu reden wurde von den Organi­satoren ignoriert.

Dann nahm Jutta Braband (VL), ihre Zusage zurück – sie wußte nichts von einer Beteiligung von Faschisten am Podium. Bärbel Bohley lehnte die Teilnahme ab, da für sie die „Ausgewogenheit“ der Podiumsbesetzung nicht gegeben war, da die Autonomen nicht mitmachten.

Das und der Entzug der Raumerlaubnis in der Akademie der Künste durch den dortigen Vorstand und die angekündigte Blockadeabsicht brachte die Organisatoren nicht zum Einlenken. Sie versuchten weiterhin, an ihrem Konzept festzuhalten.

Am 12. 7., eine Stunde vor Beginn der geplanten Veranstaltung fand vor der Akademie die angekündigte Gegenkundgebung statt. Viele hatten über Medien von der Absage der Veranstaltung gehört, aber 200 Leute kamen noch gut zusammen.

Die Aktion war durch das Nichtstattfinden der Veranstaltung ein Erfolg.

Diese Veranstaltung hätte den Faschisten ein Podium geboten, von dem aus sie ihre menschenverachtende Propaganda verbreiten hätten können und die NA als akzeptabler Gesprächspartner wäre zu einer gesellschaftlichen Gruppe im „demokratischen Disput“ aufgewertet worden.

Es ist klar, daß sich die Faschisten auf eine menschenverachten­de Ideologie berufen. Mit Befürwortern von Massenmord und Angriffs­kriegen ist ein Dialog nicht möglich. Trotzdem ist die Auffassung, daß mit organisierten Faschisten öffentlich diskutiert werden kann und soll leider weit verbreitet.

Das Thema Faschismus wird zu eine Art Jugendbandenkrieg ver­fälscht. Der Faschismus wird auf ein Randproblem reduziert, Rassis­mus, Nationalismus und Sexismus damit geschützt und geduldet.

Zur Fußball-WM wurde „Sieg-Sieg-Sieg“ und „Sieg heil“ gegrölt, AusländerInnen wird der Arbeitsvertrag gekündigt, an der Grenze nach Süden und Osten wird eine neue Mauer errichtet.

Wo Nationalismus Staatspolitik ist, Rassismus Tugend, dort werden die „NA“ und andere faschistische Gruppierungen bald akzeptab­ler Koalitionspartner sein. Menschen, die sich dagegen wehren, werden kriminalisiert und diffamiert. Praktischer Antifaschismus ist zur Zeit leider nur Abwehrkampf. Das direkte Vorgehen gegen Nazis, da wo sie auftreten, greift nicht gegen gesellschaftliche Tendenzen wie Arbeitslosigkeit. Wollen wir über dieses Verhältnis hinauskommen – wollen wir dem Faschismus jegliche Grundlage entziehen, müssen wir grundsätzliche gesellschaftliche Veränderungen erreichen. Die
Diffamierungskampagne, die nach der Lichtenberger Antifa-Demonstra­tion einsetzte und die verschiedenen Meinungen zu dem Dialogversuch mit den Faschisten machen eine Zusammenarbeit zwischen den potentiell antifaschistischen Bürgerbewegungen und der autonomen Szene zunehmend schwieriger, ganz abgesehen von den Gruppen, die zwischen diesen Fronten zerrieben werden.

Aber z. B. die 10jährigen Erfahrungen in Großbritannien gegen die Faschisten zeigen, daß es geht. Dort gehen Antifas zusammen mit Berg­arbeitern und Gewerkschaftern in die Fußballstadien, verteilen Antifa-Flugblätter und greifen die Faschisten in den Fan-Blocks an.
Es gibt mittlerweile viele nazifreie Stadien.

Bei einer antifaschistischen Gegendemo zum Aufmarsch der faschistischen. Nationalen Front gingen katholische und evangelische Kirche gemeinsam mit Schwulen, Lesben, Alternativen und Anarchos. Den Demoschutz organisierte IRA-Symphatisanten. Antifas griffen währenddessen den Nationalen Front Aufmarsch an. Die gegenseitige Akzeptanz unterschiedlicher Aktionsformen ohne Diffamierung und Spaltung läßt eine gesellschaftliche breite antifaschistische Aktionsfront entste­hen. Sie waren und sind sich in einem wesentlichen Punkt einig und setzen es in Praxis um – keinen Fußbreit den Faschisten – kein Forum für Faschisten. d.t.