Zur wirtschaftlichen Perspektive der DDR
aus telegraph 13/1990
Im Beschluß des Ministerrates vom 20.6.90 ist die Aufgabe höchst salbungsvoll formuliert. „Der Vertrag über die Schaffung einer Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik schafft die
Voraussetzungen, auch in der DDR die soziale Marktwirtschaft als Grundlage der weiteren wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklung mit sozialem Ausgleich sowie Verantwortung gegenüber der Umwelt einzuführen und hierdurch die Lebens- und Beschäftigungsbedingungen ihrer Bevölkerung stetig zu verbessern.“
Das klingt verdächtig nach der im letzten Herbst endgültig bankrott gegangenen Zielstellung der „ständig wachsenden Befriedigung der Bedürfnisse der Bevölkerung“, die nunmehr also die Marktwirtschaft leisten soll. Aber selbst wenn wir diese Zielstellung einmal
probeweise akzeptieren, bleibt noch eine Menge zu tun. Alle bisherigen „Maßnahmen zur Strukturanpassung“ haben bis jetzt nicht gegriffen und zum Überfluß stürzten sich die großen Parteien in den Kampf um die Zerstückelung der kleineren und stellten im Eifer des Gefechts und in völliger Verantwortungslosigkeit dabei selbst den dringend notwendigen zweiten Staatsvertrag zur Disposition. Immerhin in dieser Frage ist Herrn de Maiziere zuzustimmen, – in dem Sinne, daß ohne diesen zweiten Staatsvertrag kein Atom der ehemaligen DDR-Wirtschaft auf dem anderen bleibt.
Denn es steht wirklich nicht gut um die DDR-Unternehmen. Wie schlecht eigentlich, weiß zur Stunde niemand genau zu sagen. Die Schwierigkeiten werden dadurch erhöht, daß einigermaßen gesunde Betriebe ehrliche und damit niedrige Zahlen schreiben, während
konkursgefährdete Unternehmen durch aufgepumpte Bilanzen Bankkredite
zu erhalten suchen.
Aus einer Untersuchung der Regierungskommission „Strukturanpassung“, die über die alten Internzahlen des Wirtschaftsministeriums verfügt, für rund 2600 Betriebe ergibt sich die Einschätzung, daß 900 Unternehmen – rd. 34%, voraussichtlich rentabel arbeiten und im
wesentlichen ohne Förderungsmaßnahmen auskommen können, 700 Unternehmen – rd. 27%, voraussichtlich mit Verlust arbeiten, aber sanierungfähig sind 1000 Unternehmen – rd. 39% voraussichtlich als konkursgefährdet einzuschätzen sind.
Unter letztere fallen Betriebe wie die Werften, die Geophysik, der Fahrzeugbau, die Chemie und das dafür schon bekannte Mansfelder Kupferkombinat. Die sogenannten Freisetzungen“, zu deutsch Entlassungen, werden noch in diesem Jahr alle Rekorde brechen. Die Spitzenplätze werden dabei von den Bezirken Dresden und Gera eingenommen.
Diese Angaben gelten aber nur unter der Voraussetzung, daß in Gruppe zwei investiert wird, und auch Gruppe 1 kommt eben nicht ohne Investitionen aus. Mit Investitionen aber sieht es im Moment schlecht aus. Nicht einmal die Kredite der Treuhandgesellschaft wurden in der
zugesagten Höhe ausgezahlt. Die ausgezahlten 40% bedeuten für eine Reihe von Unternehmen, daß wahrscheinlich schon im August keine Löhne mehr gezahlt werden können. Aus dem Landwirtschaftsbezirk Neubrandenburg wird gemeldet, daß die Treuhand dort gar nichts herausrückt. Der Ministerpräsident weiß dazu auch nichts zu sagen. Sich an die Banken zu wenden, dürfte ganz besonders für die LPGs vergebliche Mühe sein.
Die Banken verlangen DM-Bilanzen, mit denen niemand aufwarten kann. Und sie wollen Sicherheiten haben, die die LPGs ebenfalls nicht liefern können, solange Rechtslage und Besitzverhältnisse vollständig ungeklärt und sie ohnehin meist bis über beide Ohren verschuldet sind.
Hinsichtlich Investitionen sind die Banken hin- und hergerissen zwischen Gier und Geiz. Bis dato scheint sich aber die Strategie durchzusetzen, ein wenig zu warten, bis der ganze Laden zum Konkurspreis zu haben ist. Für diesen Fall, daß weiterhin Investitionen ausbleiben, sagt das „Handelsblatt“ für 1991 eine Arbeitslosenzahl von 4 Millionen im Gebiet der DDR voraus, – das ist die Hälfte aller arbeitsfähigen Bürger.
Hoffnungen werden auf den „Mittelstand“, also kleinere und mittlere Unternehmen gesetzt. Die aber haben zur Zeit Liquiditätsschwierigkeiten und leiden unter dem Sommerloch. Da westliche Investitionen ausbleiben und die Regierung sich in der Vergabe öffentlicher Mittel zurückhalten muß, steigert sich die Schuldenlast.
Daran kann auch ein Duldungsstatement von Regierung und Banken wenig ändern. Auch der Bausektor, auf den als Konjunkturmotor große Hoffnungen gesetzt wurden, gerät wegen der ausbleibenden öffentlichen Aufträge zunehmend in eine schwierige Situation. Mit September beginnend, wird in Zusammenhang mit der beginnenden Rückzahlung der
Kredite, dem „Mittelstand“ der DDR der Bankrott prophezeit. Der Handel und sonstige Dienstleistungssektor dürften folgen, sobald die Kaufkraft der Bevölkerung infolge Arbeitslosigkeit, Kurzarbeit etc. zurückgeht.
Den Großbetrieben hat jetzt der Chef der Treuhandgesellschaft eine weitere Schonfrist versprochen. Offenbar soll das Vermögen der Treuhand jetzt als Bürgschaft für Kreditvergaben gelten. Das begünstigt freilich „Gerechte und Ungerechte“ und fördert nicht gerade die Investitionslust westlicher Interessenten, da sie nach dem endlichen Zusammenbruch auf noch billigere Gelegenheiten hoffen.
Insgesamt handelt es sich bei den derzeitigen Statements von Banken und Regierung zur Lage der DDR immer um wohlüberlegte Schönrednerei. Es geht, falls nicht aus irgendeinem Grunde doch noch Investitionslust erwacht, eigentlich nur noch darum, die Katastrophenicht mit einem Schlag und möglichst ohne allzu große Auswirkungen.