aus telegraph 2/1989 (#02)
Mit jetzt 10.000 Unterschriften ist das Neue Forum die bisher populärste Plattform. Nach seiner Nichtzulassung versteht es sich als Bürgerinitiative. Bis zu einer angestrebten verwaltungsrechtlichen Neuentscheidung über die Zulassung sammelt das „Neue Forum“ weitere Unterschriften. Der Vorsitzende des Rechtsanwaltskollegiums der DDR, Gregor Gysi, hat den Rechtsbeistand für das „Neue Forum“ übernommen. Die Gruppe hat eine Eingabe gegen die bisherige Bearbeitung ihres Antrages durch das DDR-Innenministerium angefertigt. In einem Brief vom 1. Oktober an die Unterzeichner gibt das „Neue Forum“ seiner Hoffnung Ausdruck, das die Zusammenarbeit so vieler Bürger einen demokratischen Prozeß von unten einleiten kann.Betont wird, daß die „Wiedervereinigung“ und eine Rekapitalisierung für das „Neue Forum“ kein Thema sind. Das Reformkonzept des „Neuen Forum“ werde in einen übergreifenden Diskussionsprozeß und dem solidarischen Gespräch zwischen unterschiedlichsten Anschauungen entwickelt werden.
In einer Erklärumg zum 40. Jahrestag, einem Aufruf an alle Mitglieder der SED, betont das „Neue Forum“ das die 10 000 Unterschriften keine staatsfeindliche Handlung sondern ein Akt staatsbürgerlicher Verantwortung sind. Unverantwortlich sei es in der gegenwärtigen Situation keine öffentliche Diskussion zu führen. Das „Neue Forum“ sei eine Stätte für neues Denken, der Sozialismus könne durch eine Basisbewegung nicht gefährdet sein. Gefährlich sei vielmehr die Untätigkeit der SED, die Genossen werden aufgerufen ihre Verantwortung wahrzunehmen und durch Diskussionen in ihren Reihen die SED zu einem konstruktiven Kurs zu führen.
In einem Brief an Staats- und Parteichef Gorbatschow, der zum DDR-Jubiläum erwartet wurde, stellt sich das „Neue Forum“ vor, gemäß den von der Verfassung garantierten Rechten solle ein breiter öffentlicher Dialog über drängende Probleme geführt werden. Die sozialistische Gesellschaft soll so gestaltet werden, daß alle Bürger im Land bleiben und bei Reformen konstruktiv mitarbeiten können.
In einer Erklärung, die am Abend des 6.Oktober in der Berliner Erlöserkirche angenommen wurde, fanden sich das „Neue Forum“, die Plattformen „Demokreatie Jetzt“ und „Demokratischer Aufbruch“, die Gruppe demokratischer SozialistInnen, die Initiative Frieden und Menschenrechte und die SDP zusammen. Die Gruppen erklärten, sie wollten zusammen arbeiten und prüfen, in welchem Umfang sie in einem Wahlbündnis mit gemeinsamen Kandidaten ihre Ziele verwirklichen könnten. Die verschiedenen Gruppen verbinde der Wille, Staat und Gesellschaft demokratisch umzugestalten. Es komme darauf an, einen Zustand zu beenden, in dem DDR – Bürgerinnen und Bürger nicht die Möglichkeit haben, ihre politischen Rechte so auszuüben, wie es die Menschenrechtskonvention und die KSZE-Dokumente verlangten.
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