aus telegraph 02/1990, vom 22. Januar
Wie in anderen Bereichen, so ist auch in der Wohungspolitik dringend eine Veränderung erforderlich. Doch geht es vordringlich darum, für die Menschen in der DDR die Wohnverhältnisse zu verbessern, oder ist dies nur ein Vorwand, um westlichem Kapital neue Märkte zu eröffnen?
Am 5.1. trafen sich die BauministerInnen aus Ost und West, führten ein „aufgeschlossenes und angeregtes Gespräch“ und luden anschließend zu einer Pressekonferenz ein. Die Athmosphäre war berauschend: Einvernehmen noch und nöcher, beide wollen „den Menschen_in ihrer angestammten Heimat bestmöglichste Lebensbedingungen …“(1). Doch wie?
Zunächst wird eine gemeinsame Fachkommission unter Leitung der MinisterInnen eingerichtet, die sich in vier Arbeitsgruppen aufteilt: Stadt- und Dorferneuerung, Wohnungswirtschaft, Bauwirtschaft und Bautechnik. Fachleute aus Ost und West sollen darin Einzelmaßnahmen festlegen. Außerdem sind vier Pilotprojekte der Stadterneuerung vorgesehen. Die Kreisstädte Meißen, Brandenburg, Stralsund und Weimar sollen beispielhaft saniert werden und so die „partnerschaftliche Zusammenarbeit aller Beteiligten beispielhaft… demonstrieren.“(1)
Ministerin Hasselfeldt (CSU) gibt klar vor, unter welchen Bedingungen in der DDR die Zusammenarbeit nur erfolgreich sein kann: nämlich durch eine „freie, soziale Wohnungsmarktwirtschaft wie bei uns, denn dies ist mit Sicherheit fürdie Wohnungsversorgung, für die Lebensverhältnisse ein weiterer Schritt nach vorne.“(2)
Minister Baumgärtle (CDU, DDR) protestierte nicht. Im Gegenteil: „Mehr Eigentum schaffen“ im Sinne von „Gründung von Unternehmen mit ausländischer Beteiligung“ wurde bei den Gesprächen als Grundlage vorausgesetzt. Man geht von der Grundregel 49%/51% aus und sicher wird es Ausnahmeregelungen geben. Das wird die Praxis dann zeigen.“!(3)
Ja, um Mieteigentum gehe es auch. „Auch Korrekturen der Mietpreise müssen getroffen werden. Die Ministerien für Justiz, für Finanzen und unser Ministerium für Bauwesen und Wohnungswirtschaft werden recht bald ein solches Modell er Öffentlichkeit zur Diskussion übergeben.“ (3) Ein erklärtes Ziel sei es auch, so Baumgärtel, Eigentumswohnungen zu verkaufen.
Keiner wirft die Frage auf, wieso Eigentumswohnungen und Mieterhöhungen bessere Wohnbedingungen schaffen – vor allem für wen?! Eigentumswohnungen werden nur für diejenigen eine Verbesserung sein, die sie sich leisten können (lediglich 25% der Bevölkerung der DDR besitzt 80% der privaten Spareinlagen…).
Aber die Kernfrage ist: Wieso sind höhere Mieten die Zauberformel für besseres Wohnen in der DDR? Keiner kommt auf die Idee zu behaupten, die Misere in der Volksbildung müßte dadurch behoben werden, daß zukünftig Schulgeld eingeführt wird. Denn wer für Bildung bezahle, entwickle eigene Initiative. Auf diese Idee kommt niemand, weil alle Menschen, unabhängig vom Einkommen, ein gleiches Recht auf Bildung haben. So auch beim Wohnen. Bildung und Wohnen sind Grundbedürfnisse des Menschen, deshalb müssen sie unabhängig vom Einkommen_befriedigt werden. So selbstverständlich es ist, daß Bildung vom Staat subventioniert wird, so kann dies auch weiterhin für die Wohnverhältnisse erfolgen. Warum denn nicht?
Ich höre immer wieder das Argument, daß mit diesen geringen Mieten die Häuser nicht zu erhalten seien. Doch entgegen selbst der von Baumgärtle verbreiteten Meinung war es bisher nicht so, daß die niedrigen Mieten den Verfall der Altbausubstanz bewirkt haben. Die Ursachen lagen vielmehr in der verfehlten Baupolitik! Es fehlte nie an Geld, sondern an Kapazitäten, Baumaterial und -technik. Die Kapazitäten lagen bisher zu 80% beim Neubau. Wie sollte so der Altbaubestand erhalten bleiben?
Eine Privatisierung der Wohnhäuser, zwangsläufig einhergehend mit Mieterhöhohungen, wird bisher in der DDR unbekannte soziale Folgen haben: Einkommensschwache (wer auch immer in Zukunft das sein wird), werden aus bestimmten Wohnungen, Häusern und sogar Stadtteilen verdrängt. Was früher hartnäckiges Drängen bei der KWV, ein Paket Kaffee an der richtigen Stelle oder eine Wohnungsbesetzung bewirkt haben, würde zukünftig ausschließlich über das Portemonnaie geregelt. Steht statt einer Reform der Eigentumsverhältnisse und der Mietpreise nicht dringend eine Reform des Bauwesens an? D.h. Umprofilierung der Baustoff-, Baugeräteindustrie und der Baubetriebe zur Erhaltung der Altbauten; Priorisierung von Instandsetzung und Instandhaltung vor Neubau; Ausbildung dazu notwendiger Kapazitäten; Überprüfung der Nutzungsdauer von Plattenneubauten; Förderung der Klein- und Mittelbetriebe und Stop des technologisch bedingten Flächenabrisses.(4)
Doch der Trend geht in eine ganz andere Richtung. Einer jahrelang verfehlten Baupolitik soll sich so bequem wie möglich (für wen?) entledigt werden. Minister Baumgärtel (CDU) macht der Bevölkerung vor, daß sie jetzt ihren Teil zum Erhalt der Städte zu leisten, besser gesagt: zu zahlen hat. Damit ist er fein raus. Ministerin Hasselfeldt (CSU) kann sich derweil im Westen von der Bauindustrie bejubeln lassen für die hervorragende Wegbereitung dafür, daß sich bundesdeutsches Kapital schnell in der DDR breit machen kann… Und der kleine Mann und die kleine Frau gucken wieder in die Röhre…
k.w.
(1) Gemeinsame Erklärung des Ministers für Bauwesen und Wohnungswirtschaft der DDR, Prof. Gerhard Baumgärtle, und der Ministerin für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau der BRD, Gerda Hasselfeldt vom 5.1.1990
(2) Ministerin Hasselfeldt auf der Pressekonferenz am 5.1.1990
(3) Minister Baumgärtel auf der Pressekonferenz am 5.1.1990
(4) angelehnt an „Standpunkt gesellschaftlicher Bauaktive zu einer Umgestaltung des Bauwesens in der DDR
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