aus telegraph 02/1990, vom 22. Januar
Vor Weihnachten herrschte in den Berliner Kaufhallen das erste Mal so richtig schöne Einkaufsathmosphäre wie im westlichen Supermarkt. Eigentlich war alles wie immer: das Obst- und Gemüseangebot miserabel, das Schnapsregal gefüllt, die Verkaufskultur beschissen, die Verkäuferinnen überlastet und erschöpft. Nur eines bewirkte diesen wunderbaren Glückseffekt – im Angebot waren Six-Packs mit Schultheißbier aus WestBerlin. Die Packung kostete 15 Mark, umgerechnet also 2.50 Mark für 0,33 Liter Bier. Wenn man so reich beschenkt wird, sollte man wissen, wer der Weihnachtsmann war. Wir lassen die Katze aus dem Sack: Es war Meister Krack, seines Zeichens Oberbürgermeister von Ost-Berlin. Er ließ sich – nein uns – das Geschenk eine ganze Menge kosten – 148 000 Mark in West. Gezahlt wurde nach guter alter Gewohnheit aus dem Staatssack. Frau Luft wird es sicherlich nicht merken; was sind schon 150 000 angesichts von 20 Milliarden – Schulden natürlich. Eine Begründung hat OB Krack natürlich auch für dieses Präsent:
dem Getränkekombinat fehlte es an Leergut, und deshalb war die Bierversorgung der Bevölkerung gerade zu Weihnachten nicht mehr gesichert. Dies wäre aber möglich gewesen, so unsere Meinung, wäre ein Bruchteil des Geldes etwas früher ausgegeben worden für die Herstellung von Flaschen, Mehrwegflaschen wie wir es gewohnt sind, versteht sich, und nicht Einwegflaschen, wie sie nur im Wegwerf-Westen benutzt werden.
t.s.
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