Usurpation statt Aufarbeitung

Zu den Demonstrationen für Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht
aus telegraph 02/1990, vom 22. Januar

Wer heute die vergilbten „Umweltblätter“ KÜ/UB 2/88 hervorholt, oder andere Zeitschriften und Zeitungen über die Folgen der Luxemburg­Demonstration im Jahre 1988 liest, wird in eine scheinbar längst vergangene Zeit geführt. Da hatten es unter dem Regime Erich Ho­neckers eine Handvoll Idealisten gewagt, gegenüber dem offiziellen Heroenkult die wahre Rosa Luxemburg zu ehren, eine Frau, deren Herz immer für das Volk schlug, auch wenn es von einer Regierung unter­drückt wurde, die angeblich im Namen des Volkes handelte. Wer daran erinnerte, mußte sich zwangsläufig den Haß derer zuziehen, die 1988 in gleicher Weise die Bevölkerung schurigelten. Stephan Krawczyk, Vera Wollenberger, Herbert Mißlitz, Bert Schlegel, Till Böttcher und Andreas Kalk wurden eingesperrt. Mit ihnen zusammen hundert Ausreise­willige, die die eigenständige Demonstration für Rosa Luxemburgs nutzen wollten, um ihre Ausreisewünsche zu befördern. Um die wachsen­den Protestwelle einzudämmen, sperrte die Stasi auch Bärbel Bohley, Wolfgang und Lotte Templin, Ralph Hirsch und Freya Klier ein. Gegen Vera Wollenberger, Andreas Kalk, Till Böttcher und Bert Schlegel wurde mit einer wilden Konstruktion der Prozeß gemacht. Dann konnte die Regierung der Lage doch nur Herr werden, indem sie die meisten Oppositionellen in den Westen abschob, endgültig oder mit Dauervisum. In die DDR entlassen worden sind nur die beiden Mitglieder der Umwelt-Bibliothek Berlin Andreas Kalk und Till Böttcher.

Über Versagen oder Nichtversagen derer, die sich seinerzeit in den Westen abdrängen ließen ist in der Folgezeit viel debattiert worden, z.B. in dem umstrittenen Artikel des „Friedrichsfelder Feuermelder“ „Gewogen und für zu leicht befunden“. Entscheidender ist heute die Frage, ob auch seitens der damals beteiligten Behörden und Parteien die Vergangenheit aufgearbeitet wurde. Die Antwort ist ein glattes „Nein“. Die SED-PDS führte am Sonntag vor acht Tagen ihre Luxemburg-Liebknecht-Demonstration unter dem damals inkriminierten Motto „Freiheit der Andersdenkenden“ durch, nahm aber mit keiner_Silbe Bezug auf das Geschehen von vor zwei Jahren. Die ehemaligen Blockparteien schwiegen weise – sie hatten damals die Hetze der SED gegen „Andersdenkende“ in ihren Blättern nachgedruckt. Der Richter, der damals die Verhandlungen führte, nannte klugerweise seinen Namen nicht – er wird wohl auch nach der „Wende“ im Dienst geblieben sein. Die Namen der Verantwortlichen in Staatssicherheit und Politbüro sind nicht bekannt und werden wohl dank eifriger Aktenverbrennung und erfolgreicher Verschleppung niemals bekannt werden. Nicht einmal die Rehabilitierung der damaligen Verurteilten ist auch nur in Aussicht genommen.

Nun ließe sich vielleicht sagen, daß die Geschichte eben über die damaligen Vorgänge hinweggegangen ist. Aber es ist eine alte Erfahrung, daß diejenigen, die nichts aus der Geschichte lernen, dazu verurteilt sind, sie zu wiederholen. Die gewendeten Richter, Staats­anwälte, Parteien, Stasi- und Regierungsbeamten werden unter einem neuen Regime bald die gleiche Gleichgültigkeit gegenüber Andersden­kenden entwickeln und manches deutet darauf hin, daß viele der alten Opfer auch zur neuen Opposition gehören werden. Schon ist ein Zivildienstgesetz geschmiedet wurden, das Totalverweigerer wieder für gefängniswürdig erklärt, schon wird trotzdem wieder behauptet, in Zukunft würde es keine politischen Gefangenen mehr geben, „wenn sie nicht Gewalt anwenden“. An Auslegern des Begriffes „Gewalt“ wird es nach dem bewährten Vorbild der BRD (Gewaltlosigkeit ist Gewalt) nicht fehlen – die alten Sophisten sitzen auch in den neuen Sesseln.

 

PS: Die Frechheit, mit der die gewendete SED jetzt erneut Rosa Luxemburg für sich in Anspruch nimmt, wird in gewisser Weise durch die Unverfrorenheit der DDR-Sozialdemokraten beim Einspannen für ihre parteipolitischen Ziele übertroffen. Wie sagte es doch gleich ein Redner bei der SPD-Demo für Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht: „Spätestens heute wäre Rosa Luxemburg der SPD beigetreten“.

r.l.

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