aus telegraph 2/99
von Knobi
Der Sommer ist da, die Verlage haben ihre Frühjahrsproduktionen (fast) ausgeliefert und die Kataloge für die Herbstproduktion sind schon wieder mit der Post unterwegs. Alles läuft rund. Nur ist es manchmal wirklich schwierig mit dem Lesen nachzukommen… aber es macht doch immer wieder neugierig und Spaß.
Der von mir heiß favorisierte Schweizer Autor p.m. hat jetzt auch endlich den dritten Teil seines Romans „Die Schrecken des Jahres 1000“ (Rotpunktverlag Zürich / 583 S. / 47,—DM) mit dem Titel: Pukaroa herausgebracht. Im letzten Teil seines Global-Romans zum Millenium reist der Held Rodulf von Gardau vom Lateinamerika der Mayas über Südseeinseln nach China und zurück in seine fränkische Heimat. Hier gilt es einige Abenteuer zu erleben, und die Grundwerte der heutigen kapitalistischen Werte in Grund und Boden zu stampfen, heute wie damals. Ob es ein Happy End gibt und die globale Revolution gelungen ist wird nicht verraten.
Im Juni war p.m. für einige Tage in Berlin und hatte mehrere Auftritte. Zu diesem Anlaß wurde eine Erzählung von ihm Veröffentlicht: p.m.; Das kleine graue Büchlein (agitation free Berlin / 38 S. / Din-A-6 / 5,—DM), aber vermutlich wird bei Erscheinen dieser TELEGRAPH-Ausgabe das Büchlein schon vergriffen sein, da nur 300 Exemplare davon gemacht worden sind, also schnell gucken wo es noch welche gibt (z.B. beim AurorA-Buchversand,
Knobelsdorffstr. 8 in 14059 Berlin, die gerade auch ein neues Bücher-Info herausgegeben haben, welches mensch kostenlos bekommen kann).
Ebenso wird es wohl denen ergehen, die noch versuchen ein Exemplar der Gesammelten Werke des grandiosen Schriftstellers Erich Fried zu bekommen (Wagenbach Verlag Berlin / 4 Bände / ca. 2661 S./ 68,—DM). Eine preiswerte Ausgabe des wohl engagiertesten deutschsprachigen Schriftstellers der Nachkriegszeit, der u.a. wunderschöne Gedichte geschrieben hat. Leider ist die Ausgabe beim Verlag schon vergriffen, so daß man schon Glück haben muß, sie in einer der Buchhandlungen noch zu erwischen.
Von Kunst und Politik handelt auch das Buch von Dieter Scholz „Pinsel und Dolch – Anarchistische Ideen in Kunst und Kunsttheorie 1840 – 1920“ (Dietrich Reimer Verlag Berlin / Grossformat / 477 S. / zahlr. Abb. / 78,—DM). Quellenreich und umfassend – manchmal halt etwas sehr akademisch (ist halt `ne Dissertation) – ein Standardwerk zum Thema. Wem das Buch zu teuer ist, sollte seine Stadtbibliothek nerven, um es anschaffen zu lassen.
Zum Thema Politik: Hier ist ein Buch zum Thema militanter Widerstand in den USA erschienen, welches schon seit ca. 20 Jahren geplant war, aber nie zur Veröffentlichung gekommen ist – aber jetzt: Ron Jacobs; Woher der Wind weht – Eine Geschichte des Weather Underground (ID Verlag Berlin / 190 S. / 29,80 DM). Ähnlich der Entwicklung in Westdeutschland vom Sozialistischen Studentenbund (SDS) zur RAF oder der „Bewegung 2. Juni“, entwickelte sich – von den Medien kaum beachtet – in den USA Ende der 60er Jahre ein weißer, linker, antiimperialistischer Widerstand, der aus dem Untergrund heraus mit bewaffneten Aktionen operierte. Im Anhang des Buches findet sich eine Chronologie, Kurzbiographien und Dokumente. Amiland war eben auch die Geburtsstätte der
neuen Alternativ-Bewegung und radikaler Ideen.
Durchaus politisch ist auch – selbst wenn einige dies wegreden möchten – die Musik, vor allem, oder auch wenn sie von Rechts kommt. Einen wichtigen Beitrag zum Thema bietet der Band „Rock von Rechts II – Milieus, Hintergründe und Materialien“ von Dieter Baake, Klaus Farin, Jürgen Lauffer u.a. (Schriften zur Medienpädagogik Bd. 28 / 226 S.). Anhand von rechter Rockmusik, die als kultureller Überbau gilt, werden in diesem Buch aufgezeigt, welche Rolle Mädchen spielen, welche Männerbilder Jungen haben, welche Feindbilder existieren, wie sich wieder Antisemitismus breit macht, welche Rolle das Internet spielt usw.
„Was tun wenn’s brennt?“ war eine Frage, die sich einige Autonome bei einem brennenden Polizeiauto stellten…na ja, ist lange her. Heute sind die Pyromanen von der Kunstfront wesentlich erfolgreicher, wie etwa Kain Karawahn, der zusammen mit Blixa Bargeldzusammen ein „Feuerbuch“ herausbrachte: „233° Celsius“ (Konkursbuchverlag Tübingen / 128 S. / mit vielen Farbfotos / 39,80 DM). Das Buch ist das Resultat einer Feuer-Aktion von Kain Karawahn, wo ein Berg Bücher – alles alte Bücher die keiner mehr wollte, so versichern die Macher – verbrannt wurde. Angebrannte Seiten und deren Textfetzen werden hier dokumentiert und zeigen eine andere Spielart von Zufallsliteratur auf.
(Fast) nur noch literarisch wird es dann bei Christian Schad; Relative Realitäten – Erinnerungen um Walter Serner (Maro Verlag Augsburg / 121S. / Preis: auch vergessen). Der geniale Serner, dadaistischer Schriftsteller, beschrieben von Schad, einem hervorragenden Maler. Für Serner-Fans und FreundInnen des Dadaismus ein absolutes Muß. Anstößig, wie damals der Dadaismus empfunden wurde, liest sich das heute nicht mehr.
Auch literarisch und anstößig in einer anderen Weise ist die Neuausgabe des Buches Der Puppenjunge (Die Geschichte einer namenlosen Liebe aus der Friedrichstraße) von John Henry Mackay (Verlag rosa Winkel Berlin / 352 S. / 36,—DM). Die Liebesgeschichte zwischen einem Mann und einem jugendlichen Stricher im Berlin der 20er Jahre. Sehr autenthisch. Christopher Isherwood schrieb: „Ich habe das Buch immer sehr geliebt – trotz und sogar wegen seines ab und zu sentimentalen Widersinns.“
Den Frauen empfohlen und den Männer ans Herz gelegt: Die Verlegerin Hanna Mittelstädtschreibt Briefe an die Schriftstellerin Anna Rheinsberg und umgekehrt. Herausgekommen ist ein intimer Dialog über Männer, Liebe, Politik, Literatur u.a. wichtigen Dinge: Liebe Hanna Deine Anna (Edition Nautilus Hamburg / 218 S. / 29,80 DM). Sehr empfehlenswert.
Jetzt noch ein paar Periodikas (in alphabetischer Reihenfolge):
– Die Aktion – Zeitschrift für Politik, Literatur, Kunst. Heft 191/194 (Edition Nautilus Hamburg / 72 S. / 8,—DM). Schwerpunktthema Balkankrieg. Mit Beiträgen von Martin Rheinlaender, Lutz Schulenburg u.a.
– Die Beute – Neue Folge – Die Halbjahresschrift für Politik und Verbrechen; Nr. 3 (ID-Verlag Berlin / 272 S. / 28,—DM). Thema: Politikbegriffe in der Popkultur. Mit Beiträgen von: Tobias Nagl/Roberto Ohr, Anne Zielke, Mark Terkessidis, Cross the border, Eva Meier u.v.a.
– espero – Forum für libertäre Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung; Nr. 19/20 (40 S. / 4,50 DM). Hier geht es auch um den Kosovokrieg, Diskussionen über Ökonomie usw.
– müssigangster – Kontemplationsblatt der Glücklichen Arbeitslosen. Nr. 2 (40 S. / kostet nix, man muß nur begründen, warum man diese Zeitschrift braucht !!!). Die geniale Haedline auf der ersten Seite sagt eigentlich alles: Bündnis für Simulation: Ihr tut, als ob ihr Arbeitsplätze schafft, wir, als ob wir arbeiten!
Alles für die/den umtriebigen Arbeitslosen. Genial.
Warum habe die Zeitschriften eigentlich alle so lange Untertitel? Soweit erstmal für heute … und wieder 30 cm Literatur verarbeitet.
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