Editorial – telegraph 2/1999

DAS RÄTSELHAFTE WESEN

Wir Ostdeutschen sind autoritär und gleichmacherisch, spießig und gemeinschaftsfixiert, grau und herzlich. So oder ähnlich könnte der kleinste gemeinsame Nenner der typischen westdeutschen Vorurteile gegenüber Ostdeutschen klingen. War Ostdeutschland der westdeutschen Öffentlichkeit lange Zeit fremd und unverständlich, beginnt sie sich langsam ein Bild zu machen. Was dabei herauskommt, ist oft skuril, aber leider nicht zum Lachen. Denn die Bilder von Ostlern verdichten sich zunehmend zu einem ganz eigenen Ethnisierungsdiskurs, in dem die Unterdrückung von uns „ostdeutschen Barbaren“ sogar noch als Zeichen von Zivilität und Fortschritt gelten kann.
Aus diesen Gründen haben wir den Ethnisierungsdiskurs aus Westsicht zum Schwerpunktthema unseres Heftes gemacht und versuchen etwas Licht in die westdeutschen Klischees zu bringen. Ulrike Steglich beleuchtet dabei die Absurditäten westdeutscher „Ost-Bilder“ in drei Mediendebatten der letzten Monate.
Rainer Stefan und Matthias Naumann nehmen die mediale Konstruktion von Ostdeutschen im Spiegel unter die Lupe. Woher das Ganze kommt und wohin es führt diskutiert Matthias Bernt. Das Ganze wird schließlich abgerundet von einem Interview mit dem Ostberliner Soziologen Wolfgang Engler, der ein Buch über „Die Ostdeutschen“ geschrieben hat.Einen zweiten Schwerpunkt im Heft bilden Artikel über den Krieg in Kosovo – Jugoslawien. Denn der Mangel an Wissen hat sich in den letzten Monaten sowohl im Osten („Bomben fallen, Kurse steigen“), als auch im Westen immer wieder als schwere Hypothek erwiesen, die die im Entstehen begriffene Friedensbewegung mit sich herumschleppen mußte. Auch wenn der Krieg jetzt offiziell beendet ist, ist ein Ende der gewaltsamen Auseinandersetzungen in der Region überhaupt nicht absehbar. Die innenpolitischen Auseinandersetzungen in Serbien können sich durchaus noch zum Bürgerkrieg entwickeln. Die NATO – und damit Deutschland – ist dabei mittendrin. Wir veröffentlichen drei Artikel, die sich mit Kontinuitäten in der deutschen Außenpolitik, den wirtschaftlichen Hintergründen der Zerstörung Jugoslawiens und mit dem kulturellen Leben in Albanien nach dem Krieg beschäftigen. Zum Beitrag über den „Friedensprozeß“ in Palästina, gibt es in der Redaktion einige Unsicherheiten und auch Widersprüche, insbesondere was den dort verwendeten „Nation-“ und „Apartheid“ Begriff betrifft. Außerdem im Heft: ein Artikel zu den Gerichtsverfahren gegen chilenische und argentinische Militärs und eine Buchbesprechung zur Geschichte von Opposition und Reform in der DDR.Bis zum nächsten Heft Eure telegraph – Redaktion

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