aus telegraph 2/1999
von Dirk Teschner
Rainer Land und Ralf Possekel haben mit ihrem neuen Buch – Fremde Welten, Die gegensätzliche Deutung der DDR durch SED-Reformer und Bürgerbewegung in den 80er Jahren– ihren seit Jahren laufenden Arbeitsprozeß an diesem Thema fortgesetzt. In bewährter unspektakulärer, seriöser Art versuchen sie gegen den Mainstream der veröffentlichten Meinung eine wissenschaftlich fundierte Arbeit entgegenzusetzen. Man wird umsonst nach einfachen Gleichungen suchen, wie SED=STASI=böse/Opposition=Bürgerbewegung=gut .
Rainer Land und Ralf Possekel haben schon in ihren letzten Veröffentlichungen sechs politische Diskurse der vierzigjährigen DDR-Geschichte ausgemacht, die auch in ihrem neuem Buch den Ausgangspunkt markieren.
Ihrer Meinung nach waren das im Umfeld der SED:
„1. Der Diskurs der Altkommunisten, der mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges und der Rückkehr aus dem Exil oder den Gefängnissen begann…Drei Debatten bestimmten diesen Diskurs. Erstens die Debatte um einen nichtsowjetischen Weg zum Sozialismus, zweitens die Diskussion um den Neuen Kurs im Zusammenhang mit dem 17. Juni 1953 und drittens die Diskussion des XX. KPdSU-Parteitages um die Überwindung des Stalinismus…
2. Der Diskurs der Aufbaugeneration begann Ende der fünfziger Jahre und drehte sich um die Art und Weise der Umgestaltung der Gesellschaft… Das erklärte Ziel bestand darin, die Vorzüge des Sozialismus durch kompetentes Handeln und funktionierende sozialismusadäquateAbläufe in Wirtschaft, Staat, Kultur und Gesellschaft gegenüber der Bundesrepublik zur Geltung zu bringen… Dieser Diskurs scheiterte Ende der sechziger Jahre – parallel zum Prager Frühling – weil die Furcht vor Destabilisierung die Parteiführung der KPdSU und SED vor der Umsetzung der Reformkonzepte zurückschrecken ließ…
3. Der dritte Reformdiskurs…begann Mitte der siebziger Jahre und drehte sich um die Deutung des immer offensichtlicher werdenden Scheiterns der realsozialistischen Entwicklung. Mit einem avantgardistischen Selbstverständnis ausgestattet, sahen sich seine Vertreter als diejenigen, die die Entwicklung des Sozialismus in eine neue Richtung zu wenden hätten. Parallel dazu gab es drei verschiedene Diskurse im Umfeld der evangelischen Kirche:
4. Der Überwinterungskurs, der mit der Besetzung Ostdeutschlands durch die Sowjetarmee und der anschließenden Gründung der DDR begann…dieser Diskurs verlor in den fünfziger Jahren allmählich seine Integrationskraft für die nachfolgende Generation, weil er keine Antwort darauf geben konnte, wie man sich praktisch zur DDR-Wirklichkeit verhalten sollte.
5. Der Diskurs Kirche im Sozialismus war ein Versuch, eine kritische und zugleich konstruktive Art des Umgangs mit der DDR zu
finden. Er begann nach dem Mauerbau und hatte seinen Höhepunkt Anfang der siebziger Jahre. Dieser Diskurs bestimmte die offizielle Kirchenpolitik noch bis 1989…
6. Das Scheitern des Engagement für einen Verbesserten Sozialismus war dann auch der Ansatzpunkt für den dritten Diskurs, der vor allem von den politisch-alternativen Gruppen im Umfeld der Kirche entwickelt wurde, die Anpassung und den Kompromiß mit dem System ablehnten und eine auf Verweigerung setzende Gegenstrategie ausbildeten. Durch diesen Diskurs wurden die Bürgerbewegungen des Jahres 1989 vorbereitet…“
In dem neuem Buch geht es um eine Analyse der „zentralen Codes“ der jeweils letzten Diskursgenerationen, um den „konspirativen Avantgardismus“ der SED-Reformer und die „symbolhafte Verweigerung“ der Oppositionsgruppen. Dafür wurden von Rainer Land und Ralf Possekel die Form des Interviews gewählt.
Für den SED-Reformdiskurs wurden Wolfram Wallraf und Frank Havemann ausgesucht, für den Diskurs der Bürgerbewegung sind es Gisela Kallenbach, Jochen Läßig und Christoph Singelnstein. Dazu kommen sekundär ausgewertete Interviews mit Martin Gutzeit, Stefan Hilsberg, Marcus Meckel, Steffen Reiche, Richard Schröder, Wolfgang Hidzin, Andre Brie, Rosemarie Will und Jürgen Tatzkow und anderen.
Die 5 interessanten Interviews mit den Einzelpersonen beginnen erst auf Seite 213, auf den Seiten vorher wurden Interviews auseinandergerissen und jeweils zu bestimmten Themen auszugsweise zusammengestellt. Das erschwert erheblich die Lesbarkeit des Buches.
Inhaltlich fällt die Handhabung des Begriffs der politisch-alternativen Gruppen auf, sowie die Auswahl der Interviewpartner, die doch mehr für die Bürgerbewegung ab 1989 stehen. Nicht richtig klar wird, ob es nun, wie im Titel stehend, um die Vertreter der späteren Bürgerbewegung in den 80er Jahren geht oder aber wie im Buch behauptet um die politisch-alternativen Gruppen. Eine Gleichsetzung dieser beiden Formen der oppositionellen Gruppen ist irreführend und bedient letztendlich nur das Klischee der veröffentlichten Meinung zu diesem Thema, die darin gipfelt, die Oppositionsgruppen in der DDR wären antisozialistisch und hätten im Endergebnis den Sturz der SED und den Anschluß an die Bundesrepublik als Ziel gehabt.
Unter der Überschrift- „Das Problem mit der Macht“ schreiben sie: „Die Machtfrage mußte gestellt werden.“ Aber hier gingen die Po
sitionen nun auseinander. Die in dem Diskurs entstandenen Codes konnten dazu nur eine negative Antwort geben: „der SED-Diktatur das Lichtlein ausblasen…“.
Oder bei „SED-Reformer – angepaßt und machtfixiert“ lesen wir: „Lediglich der links und marxistisch denkende Teil der DDR-Opposition nahm die SED-Reformer wahr, um sich von den kapitalistischen und bürgerlichen Gedanken abzugrenzen…“
Die Machtfrage wurde von oppositionellen Gruppen niemals gestellt, nicht einmal im Herbst 1989. Die SED stürzen wollte nur eine Minderheit innerhalb der Gruppen. Wenn Jochen Läßig im Buch allen Ernstes behauptet, die von ihm mitgegründete Leipziger Gruppe AK Gerechtigkeit hatte zum Ziel, dieses System zu beseitigen, kann das nur als opportune Wichtigtuerei gewertet werden.
SED-Reformer wurden von der Opposition kaum wahr genommen. Der Grund war nicht eine Ablehnung der Reformer, sondern die Nichtexistenz dieser im Alltag der Gruppen. Die Kontakte von Mitgliedern der Gruppen zu Reformern blieben leider immer eine Ausnahme und tauchten dann nur im konspirativen, theoretischem Kontext auf. Reformen, vor allem unter Gorbatschow in der SU wurden von den Gruppen begierig aufgesogen. Bis in den Spätherbst 1989 forderten selbst solche Gruppen wie der Demokratische Aufbruch noch einen demokratischen Sozialismus. Verhaltende Kritik an den Reformmodellen von oben kam wiederrum nur vom linken Rand der Opposition.
Von einer allgemeinen Verweigerungsmentalität in den Gruppen, wie im Buch geschehen, kann nicht generell gesprochen werden, das trifft höchstens für die Ausreiser zu. Es gab immer eine kontrovers geführte Diskussion über die Art der Einmischung in die Gesellschaft. Wenn als Beispiel, die Verweigerung des Wehrdienstes in den 80er Jahren zunahm, so wurde das mit einer politischen Vorstellung einer alternativen osteuropäischen Verteidigungspolitik und der Entmilitarisierung der Gesellschaft verbunden.
Die Autoren vertreten die These , daß es „der einen Gruppe 1989 nicht gelang, die Macht zu ergreifen, und die andere die Macht nicht ernsthaft anstrebte“. Die Frage bleibt, ob ein wesentliches Element des Scheiterns der „friedlichen Revolution“ darin bestand, daß es zu keinem Austausch zwischen den Gruppen und den Reformern kam und somit auch niemals die Chance einer notwendigen Zusammenarbeit bestand.
Rainer Land/Ralf Possekel – Fremde Welten Ch. Links Verlag, Berlin
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