Interview von Geert Lovink mit Edi Muka
aus telegraph 2/99
Edi Muka aus Tirana wurde im Mai zum Direktor des nationalen Kulturzentrums ernannt – der „Pyramide“. Die „Pyramide“ wurde 1986 für E. Hodcha, nach seinem Tod, errichtet. Das Gebäude ist eine Art Glas-Pyramide entlang des Hauptboulevard in Tirana. Es wurde als Messe-Gebäude genutzt und ist in den letzten Jahren ziemlich heruntergekommen. Edi Muka ist Künstler, Kritiker und unterrichtet an der Kunstakademie, er lebt in Tirana.
Geert Lovink ist Medientheoretiker, er arbeitet bei Hybrid Medie Lounge, Agentur Bilwet, den Zeitschriften Mediamatic, Arcade und beim Piratensender Radio Patapoe, er lebt in Amsterdam.
GL: Zunächst meine Glückwünsche zu deinem neuen Job. Kannst du mir beschreiben, was die Pyramide ist? Ich vermute, es ist dort noch nicht viel passiert. Inwieweit wird die Pyramide ein Kulturzentrum und soll daraus auch ein Medienlabor werden? Und wie sieht es mit den bildenden Künsten aus? Wie werden sich die Aktivitäten in den zeitgenössischen Kunstbetrieb eingliedern? Ist all dies eine Frage des Geldes? Auf welche Weise können Aussenstehende sich in die Pyramide einklinken? Wie sehen deine Vorstellungen einer Zusammenarbeit aus?
EM: Danke, Geert, für deine Glückwünsche. Natürlich stehe ich vor einer nicht leichten Aufgabe, denn es ist ein schwieriger Moment für die Kultur in Albanien, und das Pyramide-Gebäude selbst, seine Bausubstanz und Infrastruktur sind in einem beklagenswerten Zustand. Auch die Bauvorschriften sind seltsam, beinhalten für eine reine Kulturinstitution sehr viele Restriktionen. Ja, Geld ist – wie überall – das Hauptproblem. In unserem Fall heisst das: Das Gebäude muss dringend instandgesetzt und erhalten werden. Dafür benötigen wir schon mal ein Minimum an Geld. Ich möchte es in ein TCCA (Tirana Center for Contemporary Arts) verwandeln. Das Problem ist, dass es viele hervorragende Räume gibt, die aber für eine spezifische Nutzung erst hergerichtet werden müssen. Ich möchte bildende und darstellende Kunst sowie Musik (also Sound) integrieren und nehme daher zu unterschiedlichen Leuten Kontakt auf, um Ideen zu sammeln, wie die Räume entsprechend umgewandelt werden könnten. Ich denke auch an eine permanente Galerie für zeitgenössische Kunst und versuche, einen geeigneten Raum dafür zu finden und umzugestalten – doch im Moment verfüge ich über keine Finanzierungsmöglichkeit. Einen nicht-konventionellen Theaterraum möchte ich ebenfalls schaffen. Es ist gut, dass wir über eine Rundhalle mit einer Fläche von 1000 Quadratmetern verfügen, die von einem doppelt so grossen Ring umgeben ist.
Wir wollen in unserem Zentrum bald ein Cyber-Café eröffnen. Das wird unter privatem Managemant stehen, doch sollen dort unseren Programmen – Workshops und andere Projekte sowie die Internet-Nutzung – jeweils einige Stunden vorbehalten sein. Ich möchte auch eine Mediathek schaffen und dafür mit Soros in Tirana kooperieren. Die Einrichtung Soros finanziert viele Ost-Europa Projekte.
Neben Geld benötige ich Projektvorschläge. Das können Kooperationsprojekte mit Individuen sowie Institutionen sein. Ich habe deswegen schon die Botschaften in Tirana kontaktiert, um von dort zukünftig Unterstützung für Projekte zu bekommen. Wir können natürlich einen kleinen Teil etwaiger Projekte finanzieren, die Räume und die Infrastruktur zur Verfügung stellen. Derzeit ist das aber noch ein Utopia. Doch ich hoffe, dass ich etwas erreichen kann, solange ich hier tätig bin.
GL: Du warst an der Vorbereitung der albanische nTeilnahme an der diesjährigen Biennale von Venedig beteiligt. In welchem Kontext steht diese Beteiligung, was ist ihre Geschichte? Hat Albanien einen eigenen Pavillon? Und in welchem Ausmass ist sie durch die (post-/neo-)kolonialen Beziehungen zwischen Italien und Albanien geprägt? Kannst du uns etwas über deine Arbeit als Kurator sagen? Welche Themen und Kunstwerke sind in dieser schwierigen Periode von Bedeutung?
EM: Das Ganze entwickelt sich ein wenig auf albanische Weise. Natürlich hat Albanien keinen Pavillon in Venedig, wir hatten nie
einen. Es hat im vergangenen Jahr mehrere internationale Events und Treffen in Sachen Kunst gegeben. Das wichtigste Ereignis war die Ausstellung `Onufri‘ im Dezember, die ich kuratiert habe. Unter den vielen Gästen und Jury-Mitgliedern befand sich auch Giancarlo Politi, der Herausgeber des italienischen Kunstmagazins FlashArt. Nach einigen Treffen in Tirana mit Mitgliedern der Kunstszene unterbreitete er den Vorschlag, eine Ausstellung im Rahmen der Biennale zu organisieren. Natürlich gibt es dieses (post-/neo-)koloniale Feeling, aber im Moment funktioniert das eben so, und wir haben in gewisser Weise die Regeln zu befolgen. Es gibt jedoch einen Unterschied, der mir wichtig ist: Politi führte sich nicht wie die meisten Kuratoren aus dem Westen auf, die über Nacht kommen und am nächsten Tag mit einer Vorauswahl im Kopf wieder verschwinden. Diese Vorauswahl hat gewöhnlich nichts mit den Künstlerinnen und Künstlern zu tun hat, die in Albanien leben und arbeiten. Politi schlug lediglich vor, die Ausstellung zu organisieren, und ich, der ich die Situation vor Ort besser kenne, wurde gebeten die Ausstellung zu kuratieren. Ich weiss noch nicht, wie das Ganze in Venedig ausgehen wird, aber auf jeden Fall ist es ein grosser Schritt für uns, denn wir alle wissen, wie schwierig das Reisen und eine Präsentation im Ausland für uns ist.
Als Kurator konzentriere ich mich auf die sogenannte „sozial engagierte Kunst“. Dieses Territorium birgt ein erhebliches Potential in sich, das Kunstschaffende nicht ignorieren können. Es mag seltsam anmuten, doch ist jüngst die ästhetische Problematik, das Nachdenken über Kunst mehr in den Vordergrund getreten. Das mag daran liegen, dass die Situation sehr extrem und direkt geworden ist und über Kunst nicht mehr reflektiert wurde. Es gibt nun neue Vorschläge in der Akademie. Man wendet sich Video zu, wenn auch nicht als Trend, so doch als Tendenz mit interessanten und manchmal überraschenden Ergebnissen.
GL: Lass uns auch über Politik reden. Es scheint eine Spaltung zu geben zwischen einer national ausgerichteten Fraktion, die Nato-kritisch ist, und der derzeitigen Regierung, die den Westen unterstützt. Einige Bereiche der Mafia-Wirtschaft könnten durch die Zunahme von Nato-geführten Militär- und Polizeiaktivitäten bedroht sein. Andererseits könnte die Zivilbevölkerung von westlicher Hilfe und einer gewissen Grundsicherheit profitieren. Einige skeptische Beobachter haben allerdings bereits festgestellt, dass es keine umfangreiche finanzielle Unterstützung für Albanien geben wird. Denkst du, dass der Krieg im Kosova einen Wendepunkt für Albanien bedeutet oder wird sich die permanente Krise fortsetzen? Wird das Land in einen post-apokalyptischen Zustand noch weiteren Niedergangs geraten?
EM: Das sind schwierige Fragen. Zunächst einmal versuchen alle politischen Fraktionen in Albanien von der Situation zu profitieren, aber eine Kritik an der Nato gibt es nicht. Wenn die Nato aber doch kritisiert wird, dann nicht wegen der Bombardierungen, sondern wegen des Zögerns, eine Lösung herbeizuführen. Die Mafia fühlt sich derzeit nicht wirklich bedroht, ihre Aktivitäten blühen und sie macht eine Menge Geld. Doch gibt es auch die Auffassung, dass es für sie aus sein wird, wenn es zu Änderungen durch Nato-Kontrolle, „Marshall-Plan“ und so weiter kommen sollte. Daher vielleicht die Hektik, schnellstmöglich möglichst viel Geld zu machen.
Die Menschen haben bereits ein paar Beispiele erleben dürfen, was Nato-Kontrolle bedeutet – am Flughafen von Tirana, am Hafen von Durres, an bestimmten Infrastrukturpunkten des Landes. Alle fanden die Erfahrung hervorragend, nicht nur wegen des geordneten Ablaufs, sondern auch weil dafür viel Geld gezahlt wurde. Die Menschen würden wohl eine Nato-Initiative gegen die Mafia unterstützen, da ansonsten die albanische Politik völlig ins Abseits geriete.
Es ist aber völlig unklar, wie sich der Konflikt entwickeln wird. Ich glaube aber, er wird zu einem Wendepunkt für Albanien werden. Sollten die Hunderttausende Flüchtlinge nicht in ihre Häuser und ihr Land zurückkehren, wird Albanien die schwierige Situation, in der sich das Land befindet, nicht meistern können. Es wird dann mit Sicherheit in ein post-apokalyptisches Stadium geraten, mit Auswirkungen nicht nur auf die gesamte Region, sondern auch auf Italien. Italien ist das erste Land des WESTENS, das bereits seine Erfahrungen mit der grossen Flüchtlingswelle gesammelt hat. Besteht die Nato allerdings auf der Durchsetzung ihrer Forderungen, wird dies ein wirklicher Wendepunkt sein, nicht nur für Albanien und Kosova, sondern wohl auch für Serbien. Vielleicht ist es das, was viele nicht mögen, denn angesichts der geostrategischen Position Albaniens bedeutete dies einen Verlust für sie in vielerlei Hinsicht.
GL: Von der albanischen Seite hören wir nicht sehr viel, ausser von einigen Bemerkungen Kadares. Wie hast du diese Fragen in den letzten beiden Monaten diskutiert? Was sagt Fatos Lubonja von Perpjekja ( Perpjekja ist eine der wenigen intellektuellen Zeitschriften in Tirana)? Oder Edi Rama, euer Minister für Kultur?
EM: Ja, von der albanischen Seite ist nicht viel zu hören. Das liegt zum einen daran, dass wir – im Gegensatz zu Serbien – nicht besonders gut darauf vorbereitet sind, einen Medienkrieg zu führen. Zum zweiten kommt zu dem Krieg noch die explosive Situation aufgrund der weitverbreiteten Armut in Albanien hinzu. Es muss soviel getan werden, dass nicht viel Zeit für Propaganda bleibt. Das heisst natürlich nicht, dass nichts getan worden wäre. Edi Rama hat sich engagiert an einigen Live-Debatten in und ausserhalb Albanien(s) beteiligt. In einer Diskussion hat er zum Beispiel lebhaft mit dem makedonischen Botschafter über die Schliessung der Grenzen für die aus Kosova Vertriebenen gestritten. In einer anderen Diskussion, die live von dem italienischen Fernsehsender RAI Uno ausgestrahlt wurde, stritt er sich gar noch heftiger mit dem Kommunistenführer Cosuta, der Milosevic verteidigte, die Tragödie der Kosovaren ignorierte und statt dessen von einem „ungerechten Krieg“ der Nato sprach. Die unabhängigen Medien in Albanien berichten zudem ständig über die Krise, mit abendlichen Sondersendungen, Debatten, Diskussionen und mit Nachrichten aus dem Internet usw.
GL: In Albanien gibt es derzeit 800 (wilde) Flüchtlingslager. Wie würdest du den Einfluss dieser grossen Zahl an Flüchtlingen auf die albanische Gesellschaft beschreiben? Siehst du schon kulturelle Auswirkungen?
EM: Am Anfang war es wirklich eine Notstandssituation: Wie sollten mehr als eine halbe Million Menschen untergebracht und ernährt werden. Aber man lernt mit der Situation umzugehen, das Leben geht immer irgendwie weiter. Natürlich wirkt sich die Situation auch kulturell aus, nicht zuletzt deshalb, weil so viele Kosovaren auf den Strassen Tiranas zu sehen sind.
Ich hoffe, dass eine Lösung für die Probleme gefunden wird, und wir im Herbst eine andere Situation haben werden. Ich arbeite mit Blick auf diese nahe Zukunft, ich möchte bis dahin einige Dinge geschaffen haben. Diese Situation bietet allerdings auch an, Austausch- und Gemeinschaftsprojekte in Angriff zu nehmen.
Aus dem Englischen von Jürgen Schneider
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