Europäisches Treffen für eine menschliche Gesellschaft und gegen den Neoliberalismus vom 30. Mai bis 2. Juni 1996 in Berlin

aus telegraph 2/3 1996

„Es ist nicht notwendig, die Welt zu erobern.
Es reicht, sie neu zu schaffen.
Durch uns heute.
(Subcomandante Marcos)

Im Januar 1999 gab die Zapatistische Befreiungsarmee EZLN in Mexiko ihren Vorschlag zur Durchführung eines Interkontinentalen Treffens für die Menschheit und gegen den Neoliberalismus vom 27.7.-3.8.97 in Chiapas bekannt. Dieser wird unter weltweiter Beteiligung in den zapatistischen Gebieten stattfinden. Zur Vorbereitung schlug die EZLN kontinentale Treffen – auf denen über die politischen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Folgen des Neoliberalismus in unseren jeweiligen Ländern diskutiert werden soll – in Amerika (La Realidad), Afrika (Ort ungewiß), Ozeanien (Sidney), Asien (Tokio) und Europa (Berlin) vor.

Wie alles anfing:

Am 1. Januar 1994 wurde Mexiko in die gemeinsame Freihandelszone mit den USA und Kanada, mit 370 Mio. VerbraucherInnen der größte zwischenstaatliche Binnenmarkt der Welt, integriert. Als ebenfalls am 1. Januar 94 indianische Aufständische im südöstlichen Bundesstaat Chiapas mehrere Städte besetzten und der mexikanischen Regierung den Krieg erklärten, ahnte noch niemand die Erschütterungen, die diese Rebellion auslösen würde.

Zwei Jahre später hat sich die Situation in Mexiko grundlegend verändert. Während die seit Dezember 94 von Präsident Zedillo geführte Regierung aufgrund wirtschaftlicher Rezession und interner Machtkämpfe in eine ernsthafte Krise geraten ist, hat die EZLN an politischem Einfluß gewonnen. Militärisch unterlegen und in den lacandonischen Urwald zurückgedrängt, haben die Zapatistas einen gesellschaftlichen Wandel eingeleitet, der die über 60 Jahre Herrschaft der Staatspartei PRI ins Wanken bringt.

Der Aufstand der EZLN zielt nicht auf eine militärische Machtübernahme, sondern auf die Zerstörung der Machtzentren. Vielmehr stellen die Zapatistas ein politisches Gewissen dar, das auf der Suche nach einer neuen politischen Kultur ist. In der jetzigen Situation gehen von der EZLN Impulse zum Aufbau einer breiten und zivilen Oppositionsbewegung gegen die Einparteien-Diktatur aus. Das verbindende Element dieses neuen Bündnisses besteht in der gemeinsamen Ablehnung des auf alle Lebensbereiche wirkenden neoliberalen Modernisierungsprogramms der Herrschenden, das die bestehende Ungleichheit – nach Angaben der UNO leben 40 Mio. MexikanerInnen in Armut – zementiert und verschärft.

Was geht uns das eigentlich an?

DAS YA BASTA! der Zapatistas ist eine Kriegserklärung gegen das weltweite neoliberale Projekt, dessen Auswirkungen nicht überall einheitlich sind, jedoch einer Grundlage folgen: Menschen dienen ausschließlich den Verwertungsinteressen einiger weniger Konzerne – wer als Arbeitskraft oder Konsument/in nicht in den Vermarktungsprozeß integriert werden kann, wird ausgegrenzt. Ob in der Europäischen Union (EU) oder der Noramerikanischen Freihandelszone (NAFTA), die neoliberalen Programme hinterlassen weltweit – wenn auch unterschiedlich brutal – schmerzhafte Spuren. Durch Privatisierungen, Rationalisierungen, steigende Lebenshaltungskosten, Lohnsenkungen, Sozialabbau und Einschränkungen im Gesundheits- und Bildungsbereich … werden immer mehr Menschen – durch patriarchalische Herrschaft insbesondere Frauen – an den Rand der Gesellschaft gedrängt. Während transnationale Firmen „grenzenlos“ agieren, wird die „Festung EU“ hermetisch gegen alle Flüchtlinge abgeschottet.

Die Aufforderung der Zapatistas an alle Kontinente, sich über neue Projekte emanzipatorischer Politik zu verständigen, sehen wir als Chance an, internationale Solidarität mit der Suche nach neuen Perspektiven hier bei uns zu verbinden. Das 1. Europäische Treffen für eine menschliche Gesellschaft und gegen den Neoliberalismus ist nicht nur als Unterstützungsveranstaltung für die EZLN in Mexiko gedacht. Vielmehr soll auf dem Forum eine Bestandsaufnahme der Auswirkungen neoliberalen Politik geleistet, Erfahrungen über unsere jeweiligen Widerstandsformen ausgetauscht und sich über koordinierte politische Aktionen gegen die Neue Weltordnung verständigt werden.

Und so geht es weiter:

Die inhaltliche Vorbereitung des 1. Europäischen Treffens soll von den verschiedensten Gruppen, Initiativen und Einzelpersonen verantwortlich getragen werden. Dabei sollen die verschiedenen Themen unter den drei Aspekten Analyse, Widerstandsformen und Perspektiven diskutiert werden.

Organisatorisch ist es folgendermaßen gedacht:

Eine kurze Darstellung der eigenen politischen Arbeit und /oder ein konkreter Vorschlag zu einer Arbeitsgruppe auf dem Treffen wird zu einem Sammelpunkt in der Schweiz geschickt, da diese fünfsprachig arbeiten kann (spanisch, französisch, italienisch, englisch und deutsch). Dort werden die Inhalte sortiert und Kontakt zwischen den Gruppen hergestellt, die zu einem gleichen Thema arbeiten, sodaß ein Austausch und die inhaltliche Koordination der AG schon im Vorfeld des Treffens möglich ist; z.B. eine Gruppe in Dänemark und eine in Spanien, die zur Migration arbeiten. Wichtig ist, daß die Teilnehmenden nicht nur politische Stellungnahmen konsumieren, sondern ihre eigenen Ideen für das Treffen vorbereiten und einbringen. Die drei Aspekte Analyse, Widerstand und Perspektiven sollen wie ein roter Faden jede AG begleiten.

Selbstverständlich sind auch alle Frauen und Männer, die nicht politisch aktiv sind, herzlich zur Mitarbeit eingeladen.

Für Kinderbetreuung ist auch gesorgt.

Als Ergebnis des Treffens wünschen wir uns, daß sich aus den Arbeitsgruppen und Diskussionen heraus erste Ansätze einer dauerhaften europaweiten Vernetzung der derzeit noch vielfach isolierten Gruppen und Initiativen ergibt und so eine Basis für die weitere Zusammenarbeit in den Ländern Europas geschaffen wird.

Der Funke hat gezündet. Wir haben ihn aufgenommen. Lassen wir ihn nicht verlöschen.
YA BASTA!

Solidaridad Directa und Sammelpunkt der Themen:
Mexiko-Gruppe im FDCL Solidaridad Directa
Gneisenaustr. 2a Postfach 8616
10961 Berlin CH-8036 Schweiz
Tel. 6946101 (Mo 20 Uhr) Fax 00-41-1-2719012

Wir benötigen dringen Spenden für das 1. Europäische Treffen:
Mexiko-Gruppe, B. Mulfinger, Berliner Volksbank, Kto. 12017200, BLZ 10090000

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