Fünf Jahre danach und fast vergessen

Über die Hausbesetzungsbewegung in Ostberlin, Letzter Teil

aus telegraph 2/3 1996
von Dietmar Wolf

In diesem letzen Teil soll es nun hauptsächlich um einen Teil der Kunst-, Kultur- und Kneipenscene gehen, die durch die Besetzerbewegung in Ostberlin völlig neuen Antrieb bekam, aber sehr schnell in Dekadenz, Geldgier und Arroganz verfiel.

Kunst, Kultur und Suff! Eine Neue Szene entsteht aus dem (fast) nichts.

Wollte man zu DDR-Zeiten außerhalb der staatlich kontrollierten Klubs und Einrichtungen Kultur genießen, mußte man sich mit sehr faden Angeboten begnügen. Im Prinzip gab es, wenn man Berlin außer acht läßt, praktisch nichts. Hier und da versuchten zwar immer wieder Leute in Kellern, Hinterhöfen oder privaten Wohnungen Projekte zu starten, doch war die Ordnungsmacht sehr schnell dabei und unterband dies. Die Akteure wurden nicht selten bedroht und Hartnäckige kurzerhand eingesperrt oder in die BRD abgeschoben. Einziger sicherer Ort war auch hier die evangelische Kirche. Allerdings griff auch sie verstärkt in die Aktivitäten ein und versuchte zu reglementieren oder zumindestens gewisse, die Beziehungen der Kirche mit dem Staat zu schädigende Entwicklungen zum bremsen. Dies war von vornherein für viele Künstler Abschreckung genug um diese vermeintlich sichere Variante auszuschließen.

In Berlin war dies immer etwas anders. So boten hier verschiedene evangelische Kirchgemeinden vorbehaltlos Raum für Auftrittsmöglichkeiten, zum Proben usw. So wurden zum Beispiel die Bluesmessen in der Samariterkirche, zu denen die Menschen aus allen Teilen des Landes kamen, zum Symbol für alternative Musik außerhalb der Staatsräson. Ein anderes Beispiel waren die Punk-Festivals Ende der Achtziger auf dem Gelände der Ostberliner Erlöserkirche zu denen auch Punkbands aus anderen osteuropäischen Ländern kamen. 1988 entstand dann das einzige unabhängige, selbstorganisierte und -verwaltete Jugendzentrum in der DDR, die Kirche von Unten (KvU). Hier konnten regelmäßig Künstler unzensiert auftreten. Außerdem gab es einen regelmäßigen Treffpunkt, der so auch in Ostberlin kaum exististierte.

Eine ganz andere Szene entwickelte sich besonders im Prenzlauer Berg. Ein Kreis von jungen Literaten traf sich hauptsächlich in privaten Wohnungen. Jedoch war ein öffentliches Auftreten praktisch nicht möglich. Leider blieb dadurch die öffentliche Resonanz sehr gering.

Die Wende bracht dann für die Untergrund-Kultur-Szene in Ostberlin einen völlig neuen Aufbruch. Die Künstler verließen mit viel Elan ihren Hinterzimmer und Kellerräume, gründeten Verlage, eröffneten Galerien, Theater, Konzertstätten.

Künstler werden Hausbesetzer

Für ihre Projekte benötigte die Künstlerszene geeigneter Räumlichkeiten. Die standen zu Hauf leer. Also ergriff ein Teil der Szene die Chance und besetzte. Zwei repräsentative Beispiele spiegeln hierbei das ganze Dilemma exemplarisch wieder.

Am 17. Januar 1990 besetzten die drei Rockbands „Ich-Funktion“, „Firma“ und „Freygang“ zusammen mit Freunden das Haus Rosenthaler Str. 68. In einer Selbstdarstellung schrieb die „Kulturoperative `Eimer´“: „…Anliegen ist, eine eigenständige Kunst-, Kultur- u. Kommunikationszentrum zu errichten, das es ermöglicht, einen selbstbestimmten Austausch mit in- und ausländischen Gruppen und verschiedenen Kunstformen zu ermöglichen…“. Weiter erklärt man, daß man das vom Abriß bedrohte Haus retten und schützen will. Als Zielstellung wird die Schaffung von eines Konzert- und Aufführungsraumes, eines Cafes, von Aufnahmestudios, Proberäumen, Büros und Übernachtungsmöglichkeiten für Künstler genannt. Weiter heißt es dann sehr pathetisch: „…unser Lebensmodell ist es, in einer gefährdeten Welt die vorgefundene Zerstörung anzunehmen und uns im Prozeß unseres Lebens und Arbeitens unseren eigenen Kulturraum zu schaffen. (…) In der vom Regen in die Jauche gekommenen Gesellschaft bitten wir alle politischen Kräfte, unsere Kulturoperative und ähnliche Unternehmungen zu unterstützen. Wir fordern eine freie Jugendpolitik…“.

Doch bereits ihre ökonomischen Überlegungen lassen deutlich werden, daß von Anfang an ein wesentlicher Aspekt des Unternehmens „Eimer“ die Erwirtschaftung von „Gewinnen“ war und es um die schnellstmögliche Erlangung eines „legalen“ Status durch Nutzungsrecht, Pacht oder Kauf ging: „… das Haus, (…) wird sich nach Fertigstellung selbst finanzieren. die erwirtschafteten Gewinne fließen in die Finanzierung der Kulturoperative…“.

Sowie es möglich war, begann man im Eimer mit der Erwirtschaftung von Gewinnen. Hierbei wurde danach gestrebt, durch Einlasser/Rausschmeißer, sowie für damalige Verhältnisse überteuerte Einlaß- und Getränkepreise die Kundschaft zu regulieren, ganz nach Nachtclubmanier.

Dieses Juppi-Gebahren führte unter den meisten anderen Ostberliner Hausbesetzern zu Unmut. Zwei Besetzer aus dem Haus Köpenicker Str. 137 schilderten einen Konzertabend im Eimer am Abend der Volkskammerwahl am 18. März 1990: „…Die Lederstrotzenden Einlaßbullen verlangten doch glatt 10 DM Eintritt pro Person. Auf den Hinweis, daß wir auch Besetzer und nicht Besitzer sind, wurde nicht eingegangen. Im Gegenteil, von den Westberlinern verlangte man/frau das Ganze in harter Währung. Dem wohl verständlichen Zorn (ein solcher Abend, ein besetztes Haus und dann diese Leute…) setzte einer der Herren das Angebot entgegen, daß wir mal kurz reingehen könnten und uns die Lichtshow ansehen dürften… Und schließlich hätte man/frau vier Bands (welche Band spielt an einem solchen Abend in einem besetzten Haus für Gage?).

Es grenzt an Verarschung , wenn mir ein Typ im „Szene“-Look mit dem Hinweis auf die Lichtshow die Knete aus der Tasche ziehen will. Anders Sein, das nur anders aussieht, können wir getrost vergessen. Wenn die Leute aus dem Eimer eine kommerzielle Bude betreiben wollen, dann sollten sie doch lieber eine schicke Diskothek aufmachen…“

Ähnliche mündliche Bericht gibt es etliche. Da ist zum Beispiel davon die Rede, daß die Einlasser des Eimers Leute wegen ihrer jeweiligen Nase nicht hineinließen, oder sexistische Beleidigungen gegenüber weibliche Gäste äußerten, um nur einiges zu nennen. Die Bitte seitens anderer Besetzer, daß Vertreter des Eimers zum Besetzerrat kommen sollten um mal darüber zu diskutieren, entsprangen natürlich naiver Gutgläubigkeit. Die Eimer-Betreiber interessierten sich nur dann für die anderen Häuser, wenn es für sie von Nutzen war, so zum Beispiel um den 20. April 1990, als zu befürchten war, daß der Eimer von Nazis angegriffen wird, was dank rechtzeitig zusammengekommener Leute, auch aus anderen besetzten Häusern, verhindert werden konnte. Und natürlich war es für die Eimerleute anfänglich von Interesse, in Hinblick auf schnelle Verträge um jeden Preis, sich zumindestens pro forma im Verbund der besetzten Häuser zu bewegen. Als diese schnellen Verträge mit den anderen Häusern nicht zu machen waren, verlegte man sich sehr schnell auf separate Verhandlungen. Was sonst in den anderen Häusern und um sie herum passierte, politisch, sozial usw. interessierte die Eimer-Leute nie sonderlich.

Ein andres Beispiel für Hausbesetzung von Künstlern ist das Haus Schönhauser Allee 5. Diese Besetzung begann erst einmal mit einer Art hinterlistigem Ideenklau. Schon Wochen vor dem ursprünglichen Besetzungstermin, dem 13. 01. 1990, trafen sich in der Umwelt, Bibliothek, damals noch in den Räumen der Zionsgemeinde in der Griebenowstraße, Vertreter der UB, der grünen Liga, einer Gruppe Lesben und der Autonomen Antifa, bis dahin noch Teil der Kirche von Unten. Diese Gruppen planten die Besetzung des sehr großen mit Seitenflügeln und Quergebäuden versehenen Hauses Schönhauser Allee Nr. 5, um dort ein Politischen Zentrum für Ostberlin zu schaffen, ähnlich dem Mehringhof in Kreuzberg.

Alles war vorbereitet, Transparente gemalt, sogar eine Videokamera wurde aufgetrieben. Nun kam es zu dem unglücklichen Zufall, daß der damalige Sänger und Chef der Rockband Feeling B, Aljoscha, durch eine Indiskretion eines UB-Mitglieds von diesem Vorhaben erfuhr. Daraufhin ging dieser Aljoscha zu damaligen Kommunalen Wohnungsverwaltung Prenzlauer Berg und erklärte er hätte das Haus Schönhauser Allee 5 besetzt und erwirkte, wie auch immer, ein vorübergehendes Nutzungsrecht für sich und weitere vier Personen. Als sich nun am 13. Januar etwa 50 Menschen der oben genannten Gruppen vor dem Haus Schönhauser 5 einfanden, war das Erstaunen groß, als Herr Aljoscha Feeling B mit seinem Schriftstück wedelnd vor dem Eingang stand und erklärte, er werde die Polizei holen wenn die Leute versuchen würden, an ihm vorbei die Räume der Schönhauser 5 neu zu besetzen. Während nun das Zentrum-Projekt aus Ermangelung eines ähnlich geeigneten Hauses auseinander fiel, verwalteten Aljoscha und Co. eifersüchtig ihren erworbenen leerstehenden Wohnraum. In der Folgezeit gründeten sie den Verein Widox, mit dem sie dann auch zu verschiedenen wahlen teilnahmen. Heute ist das Haus zu einer Art Stätte des alternativen Musik-Kommerz mit Probenräumen, Tonstudios, Musikanlagenverleih, Kneipe etc.

Ein drittes, für meine Begriffe negatives Beispiel, stellt das Tacheles dar, das besetzte ehemalige Studio-Kino Camera in der Oranienburger Straße in Berlin Mitte. Zwar entstanden auch hier ungeahnte Möglichkeiten für Künstler, doch war man auch hier sehr darauf bedacht gegenüber den sogenannten politischen Häusern Distanz zu wahren und das auch in der Öffentlichkeit. So distanzierten sich Tacheles-Bewohner in der SAT1-Talk-Show „Talk im Turm“ vom militanten Widerstand in der Mainzer Straße. Schon im Sommer 1990 fiel das Tacheles negativ auf, als einige der Aktivisten des Künstlerhauses versuchten, eine Podiumsdiskusion mit Kadern der Faschistischen Nationalen Alternative zu initiieren die in der Akademie der Küste stattfinden sollte. Allerdings wurde dies durch eine Blockade von Hausbesetzern und Antifas, verhindert. Als dann im Herbst 1990 auch dem Tacheles ein Naziüberfall drohte, faßten die feige Künstlerschar vorübergehend den Entschluß, das Haus zu verlassen und aufs Land zu ziehen. In der Folge schlug auch das Tacheles sehr schnell in Richtung Kommerz ein und avancierte zu Hauptattraktion auf der Juppi-Touri-Meile Oranienburger Straße.

Parallel dazu entstanden in anderen besetzten Häuser ebenfalls Kunstprojekte, Gallerien, Probe- und Konzerträume. Der Unterschied war, daß diese sich auch politisch und aktiv in die Häuserbewegung einbrachten.

Keine Kneipen in der Zone

Auch die Kneipenstruktur in der DDR war mehr als dürftig. In den sogenannten gastronomischen Einrichtungen von HO und KONSUM, die bis auf wenige Ausnahmen bereits um 22 Uhr schlossen, waren alternative Formen von Zusammensein so gut wie nicht möglich. Kaum entwickelte sich etwas Derartiges, schon schritt die Staatsmacht ein.

In Ostberlin gab es so zum Beispiel die Kneipe Franken in Berlin Mitte, die sich etwa um 1987/88 zum beliebten Treff von Punks, Oppositionellen, Ausreisern und Künstlern entwickelte. Die Staatsmacht, der dies ein Dorn im Auge war, reagierte prompt. So wurde die Kneipe mehrmals für mehrere Wochen geschlossen oder das Personal ausgetauscht.. Man versuchte auch die Zahl der Gäste einzuschränken, indem angewiesen wurde, daß nur soviel Leute in der Kneipe sein dürfen, wie Sitzplätze vorhanden waren. Als dies alles nichts half, wurde der Franken 1988 unter dem Vorwand hygienischer Fragen endgültig geschlossen. Eine andere Kneipe die zum sogenannten „Szene-Treff“ avancierte, war der „Spreewald“. Die Kneipe im Prenzlauer Berg Duncker/Ecke Stargarder Straße, besaß die Sonderkonzession, Samstags bis 01.00 Uhr geöffnet zu haben. Samstag zwischen 20.00 und 01.00 Uhr tummelte sich ein buntes Gemisch von Leuten in der Kneipe und oftmals schmiß das Personal den letzten Kunden erst gegen zwei Uhr raus. Erstaunlicherweise griff hier die Staatsmacht nie ein.

Auf besetzte Häuser folgten besetzte Kneipen

Als die ersten Häuser besetzt wurden, entstand in einigen sogenannte Besetzer- und Info-Cafes Neben dem Versuch, politische Informationen zu transportieren und über die Hausbesetzerbewegung zu informieren, fungierten sie als Treffpunkt und als Anlaufangebot für die umliegenden Bewohner. Nebenbei wurden diverse Getränke mit einem kleinen Aufpreis verkauft. der Gewinn floß in die Bau-Kasse für die Häuser oder ging an Soli-Konten für diverse Projekte.

Neben diesen Info-Cafes entstanden vor allem im Prenzlauer Berg Szene-Kneipen in besetzten Ladenräumen. So zum Beispiel das Cafe „Westphal“ am Kollwitzplatz, das „Seifen und Kosmetik“ in der Schliemannstraße, oder die „Kommandantur“ am Wasserturm. Diese Kneipen, anfangs auch kollektiv geführt, unterschieden sich in einen Punkt sehr wesentlich von den Info-Cafes. Sie waren von vornherein kommerziell ausgerichtet. Bei einem Minimum an Investition (Möbel vom Sperrmüll, nur notdürftige oder gar keine Klos) wurde versucht, ein Maximum an Gewinn herauszubekommen. So wurden die Preise für ein 0,33-Liter-Bier allgemein auf 1, 50 M festgelegt später schnell auf 2, 00 DM und kurz vor der Währungsunion noch einmal auf 3,00 M angehoben. Hierbei konnte man schnell eine gewisse Kartellbildung beobachten., aus der jedoch auch kein Hehl gemacht wurde. In einer „Presserklärung einiger Ostberliner Cafes“ wurde über ein gemeinsames Treffen dieser Cafes vom 15.5.90 informiert, auf dem es unter anderem im Tagesordnungspunkt vier um „Verständigung über Preispolitik“ ging. Diese Preispolitik führte vorübergehend zu Verstimmungen unter der geschätzten Kundschaft. Doch hatten die Wirte ihre Rechnung sehr wohl mit ihren Gästen gemacht, den die Verstimmung machte schnell dem Bedürfnis nach den lang vermißten Alternativen zu den Styropurtisch-Trinkhallen der HO Platz., für die man auch gern etwas drauf zahlt.

Dieser Zustand, veranlaßte damals einen Mitarbeiter des „telegraph“ zu einem Kommentar:

Alternativer Kapitalismus (aus „telegraph“ Nr.10 vom 31. Mai 1990)

In letzter zeit mehrt sich der Unmut über einige Erscheinungsformen innerhalb der Haus- und ObjektbesetzerInnenbewegung in Ost-Berlin (und ebenso zumindestens auch in Dresden). Es geht um Geld. genauer darum, daß ein kleiner Teil den Anderen, „das Geld aus den Taschen zieht „

Besetzungen sollten nicht nur Wohnraum, Lebensraum vor Abriß, Verfall und Spekulationen schützen, sondern sie sind Ausdruck von autonomen, selbstverwalteten Lebens. Und dazu gehören auch Kommunikationsräume, Kneipen, Cafes.

Aber immer mehr scheint es, daß es den Betreiberinnen von einigen Cafes, Kneipen um etwas völlig anderes geht.

Szene bleibt Szene, aus! Dies geht aber an der Realität vorbei. Denn es gab und gibt nicht die Szene. Der politische Teil ist der kleinste. Es klingt platt, ist aber doch wahr. der fehlende politische Idealismus bringt einige Leute dazu, im Besetzungsflair ein Exquisit-Cafe zu betreiben. Auf der einen Seite PDS-Fähnchen, Bündnis 90-Aufkleber bis „Heroin-Dealer raus“-Plakate am Tresen und auf der anderen Seite Flaschenbier (im Laden -,61 M) für 1,50 bis 2,00 M (Camera Kino[Tacheles, d.Aut]), Käse-Toast für 3,00 M… .

Es kristallisiert sich genauer heraus, welches Cafe für die Leute da sein will, oder wo vielmehr die Leute für die Geldkassetten der Cafes da sind. Und wo bei drohenden Faschisten-Aktionen freundlich weiter Alk ausgeschenkt wird. Ohne Kommentar!

Natürlich ist diese Entwicklung nichts DDR-Originelles. Im Kapitalismus wird eben, dort wo ein Engpass ist, entsprechend mehr Geld verlangt. Marktwirtschaft pur!

Schon vor Monaten und Jahren zeigte sich wer politisch solidarisch war und wer nicht.

Schon damals war zum Kotzen, wenn z.B. ein sogenannter oppositioneller Fotograf Harald Hauswald 100,00 M Miete pro Abend für „seinen“ Videorekorder von politischen Gruppen nahm. Oder einige Musikanlagen-Vermieter ihre Hand bei Soli-Konzerten aufhielten.

Angewiesen auf die Deli-Cafes ist mensch so lange, bis andere Räume geschaffen werden. Ansätze gibt es ja, z.B. in der ollen KvU halten sich die Preise auch konstant.

Verständlich wäre es, wenn die Cafes West-Touries (auch Szenetouries) ausnehmen und das erbeutete Geld an selbstverwaltete Projekte, für die Antifa-Kasse oder an „Waffen für El Salvador“ geben würden… .

Aus radikalen BesetzerInnen-Bewegungen Westeuropas sind Entwickluingen bekannt, die für uns nachvollziehbar sind und die Aspekte der dargestelllten Probleme im gesamtgesellschaftlichen Kontext setzen, wie in Halim 1975.

Die Bewegung „Autonomia creativa“ z.B. propagierte die Politik der unmittelbaren Wiederaneignung des eigenen Lebens. In der Praxis wurden Supermärkte geplündert, Jugendclubs als kollektive Treffpunkte besetzt, die Zerstörung der eigenen sozialen Struktur durch Heroinkonsum bekämpft, indem Heroindealer überfallen und verprügelt wurden. Sie verschafften sich kostenlos Eintritt zu Musikveranstaltungen, fuhren schwarz und überrannten das Kinoeinlaßpersonal.

Aber auch in Ost-Berlin gilt, daß es einen Teil der BesetzerInnen darauf ankommt, ihr Leben anders zu organisieren, nicht aber gegen daß CDU-SPD regierende System und das zu befürchtende Großdeutschland zu kämpfen. Sie richten sich in ihren Nischen ein, wie schon in der Honecker-Ära und kriegen den Arsch nur hoch, wenn sie direkt bedroht werden.

Die Formen von Selbstorganisation sollten zum Selbstverständnis und zum politischen Ziel erklärt werden.

Freiräume sind nicht das Ziel, sondern Ausgangspunkte im „Kampf“.

Freiräume, Häuser, Cafes erobern, absichern – das ist klassischer Reformismus! Das bringt kein System ins Wanken, auch keins, das erst Wochen alt ist.

Der Staat, die Räte der Stadtbezirke, KWVs werden sehr flexibel darauf reagieren:

Freiräume können integriert, Widerstand kanalisiert werden, Ghettos ohne Sprengkraft – Spielwiesen! d.t.

Besetzerbewegung als Hort für neues kulturelles Leben in Ostberlin

So kann man sagen, daß man den Ursprung eines Teils der jetzigen kulturellen Struktur als auch der Kneipenlandschaft in der Ostberliner Besetzerbewegung von 1990 sehen muß. Das allerdings ist schon alles, was heute davon geblieben ist, denn die Inhalte konnten sich, bis vielleicht auf einige wenige Ausnahmen, nicht verpflanzen.

Die Kneipenszene gerät mittlerweile zu Katastrophe. In bestimmten Gebieten wie zum Beispiel rings um den Wasserturm im Prenzlauer Berg, oder der Oranienburger Straße in Mitte entstanden regelrechte Juppi/Touri-Kneipen-Ghettos, in denen sich immer mehr abgedrehte Gestalten selbst darstellen, sich immer mehr Juppis und Sonntagnachmittag-Revoluzzer ein Stelldichein geben. Hinter den Tresen stehen geldgeile Kneipenbesitzer, die noch immer untereinander Preisabsprachen machen und ihre mittlerweile vollkommen maßlos überteuerten Getränken und Speisen an den gut betuchten Szene-Konsumenten vertreiben. Für Normalsterbliche bleibt da wieder nur die Prolo-Pinte um die Ecke, wo der halbe Liter Schultheiß immerhin nur cirka 2,90 DM kostet.

Schlußakkord

An dieser Stelle nun ein abschließender Versuch zu resümieren und zu schauen, was nach fünf Jahren geblieben ist von alledem, was da mit viel Elan und großem Tamm-tamm begann.

Natürlich ist alles relativ . Was ich negativ sehe, würden andere vielleicht positiv herausstreichen und umgekehrt. Und natürlich ist auch diese Einschätzung subjektiv und besteht nicht darauf die absolute Wahrheit zu verkünden. Doch wurde ich durch einige Gespräche mit Lesern meiner Artikelserie darin bestärkt, daß ich nicht falsch liege mit meinen Einschätzungen.

Eins ist sicher. Die Hausbesetzerbewegung 1990 in Ostberlin verlieh der Hausbesetzerscene allgemein neue Impulse. Und zwar nicht nur in Westdeutschland. Was seit dem Niedergang der Hausbesetzungswelle 1980/81 nicht mehr möglich schien (in Westberlin beispielsweise waren Anfang 1990 gerade zwei Häuser und ein Dachboden besetzt), wurde im Osten plötzlich wieder möglich, schien ungehinderte, unbegrenzte Möglichkeiten zu haben. Man konnte auswählen zwischen unzähligen leerstehenden Häusern. Fast ein ganzes Jahr sah die verunsicherte, ihre Vorstellung von westlicher Demokratie übende Staatsmacht zu, wie ganze Häuserzeilen von bunten Gestalten okkupiert wurden. Die Welle schwappte in alle Teile des Ostens. Vor allem junge Leute, inspiriert durch die Vorgänge in Ostberlin, besetzten auch in anderen Städten Häuser. Jena, Weimar Dresden, Leipzig, Halle, Magdeburg, Potsdam, Frankfurt/Oder, Rathenow, Greifswald, Rostock um nur einige zu nennen. Zwar hatte dies lange nicht die Dimension wie in Berlin doch waren die Besetzungen dem Umfang der jeweiligen Szene angemessen.

War dies in den ersten Wochen und Monaten in Ostberlin ebenfalls so, bis etwa Februar/März 1990 waren die Ostbesetzer mit etwa fünfzehn besetzten Häusern unter sich, explodierte die Szene durch den Massenhaften „Ansturm“ aus dem Westen der im März einsetzte und sich ab Mai voll entfaltete, sodaß im Sommer 1990 in Ostberlin 120 Häuser offiziell als besetzt galten. Was bis auf einige Ausnahmen im Westen seit Jahren nicht mehr möglich war, ein Haus zu besetzen und länger als einige Stunden durchzuhalten, ohne geräumt zu werden, war im Osten plötzlich kein Problem mehr.

Das änderte sich allerdings mit dem Anschluß der DDR an die BRD. Die bundesdeutsche Maschinerie griff nun auch im Osten und die repressive Politik des Rot/Grünen Senats unter Walter Momper rückte den Besetzern zu Leibe. Die Eskalation gipfelte in der gewaltsamen Räumung der Mainzer Straße. Dieses Ereignis hatte schockartige Auswirkungen auf die Häuserszene. Die Staatsmacht diktierte die Spielregeln. Die Häuserfront brach auseinander. Die zentrale Forderung „Verträge für alle“ wurde über Bord geworfen und an ihre Stelle rückte „Verhandlungen auf Stadtbezirksebene, um herausholen was rauszuholen war. Und nur unter großen Anstrengungen und mit viel Glück gelang es bis März 1991 Verträge für die besetzten Häuser in Berlin-Mitte und Prenzlauer Berg zu erreichen. In Friedrichshain kam es zum völligen Zerfall. Einige Häuser unterschrieben diskussionslos alles, was sie von der Wohnungsbaugesellschaft vorgelegt bekamen. Das Gros jedoch lehnte Verträge kategorisch ab. Zu guter Letzt kam es zu Streitereien, Schuldzuweisungen und Verratsvorwürfen zwischen den Stadtbezirken. Die Bewegung versank in kleinkariertem Egoismus und Konsumdenken.

Das berlinweite Plenum hörte auf zu existieren. Die Bezirksplenen von Mitte und Prenzlauer Berg wurden nach dem Abschluß der Vertragsverhandlungen ebenfalls sehr schnell beerdigt, da es kein Bedarf seitens der meisten Besetzter gab. Es stellte sich Grabesruhe ein. Ein halbes Jahr nach der Räumung der Mainzer Straße war die Szene „befriedet“. Erstaunlich schnell setzte eine umfassende Entpolitisierung ein. Viele Leute die noch November 1990 hinter den Barrikaden der Mainzer Straßen standen, waren November 1991 schon nicht mal mehr für Demonstrationen zu mobilisieren. Bewegungen wie die Mieterkampagne „Wir bleiben alle“ oder die Anti-Olympia-Kampagne waren nur kurze Strohfeuer, die auch nur einen geringen Teil der ehemaligen Besetzer mobilisieren konnten.

In den folgenden Jahren wurde verschiedentlich Versuche gemacht, neue Besetzer-/Häuser-Räte zu installieren . Das Ergebnis war niederschmetternd. Weder auf berlinweiter noch auf Bezirksebene zeigten mehr als eine Handvoll Leute Interesse. In der Regel überstanden die Ansätze nicht mehr als zwei Treffen. Bei Besetzungsversuchen im Sommer 1995 erschienen gerade fünfzig Unterstützer, die jedoch fast alle nicht aus ehemalig besetzten Häusern kamen. Zur Demo zum fünften Jahrestag der Räumung der Mainzer Straße am 12. November 1995, erschienen gerade mal 300 Leute, mehrheitlich Kids, die die Hausbesetzerbewegung vor nun schon sechs Jahren bestenfalls als Zaungäste erlebt haben. In Ihren Augen war ein verklärtes Leuchten zu entdecken und in ihren Reden ein undifferenziertes Jonglieren mit einem vermeintlichem Mythos zu entdecken. Die Besetzer von damals bewegt man allenfalls noch zu einem verträumten „weißt du, noch damals…“.

Hausbesetzungen sind Heute wieder scheinbar unmöglich geworden. Von einer Bewegung zu reden wäre ein Hohn. Doch man soll bekanntlich niemals nie sagen. Denn vertraut man der Kontinuität und den immer wiederkehrenden Wellen, so ist die nächste Hausbesetzerbewegung im Jahr 2000 fällig. Vielleicht sollte man es ja mal vorerst mit einer Ostseeinsel probieren. In diesem Sinne….

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