Ich habe den Castor gesehen

(ein ganz und gar subjektiver Bericht)

aus telegraph 2/3 1996
von Catrin

Gerüchte gingen um, daß ein Castor aus Greifswald genau am 13. Februar auf dem Weg nach Ungarn durch Dresden rollen sollte. Ein etwas makabrer Termin für einen solchen Transport. (Red.: Am 13. Februar 1945 wurde Dresden vollständig zerstört. Seit 1982 wurde gegen den Widerstand der DDR-Behörden unter Beteiligung von tausenden von jungen Leuten aus der unabhängigen DDR-Friedensbewegung jährlich ein Gedenktag begangen).

Die Anti-AKW-Gruppe der Grünen Liga* hatte wohl einiges geplant anläßlich dieses Ereignisses und ein paar andere, die so nichts mit der Grünen Liga zu tun haben, setzten sich zusammen und überlegten, was zu tun sei. Unsere Erfahrungen mit Castortransporten belief sich bei Null und wir faßten erst mal die Informationen zusammen, die wir hatten. Es war ja auch nicht klar, ob der Termin 13.2.96 tatsächlich stand. Allerdings bietet sich der 13. Februar für Aktionen geradezu an.

Wir trafen uns also an diesem Tag auf dem Bahnhof – inszwischen war auch klar, daß an diesem Tag keine radioaktiven Güter per Zug durch Dresden rollen sollten. Die Grüne Liga hatte Transparente dabei, „Kein Castor durch Dresden“, ihre weißen Strahlenanzügen und es wurden Flugblätter verteilt. Es war viel Presse anwesend und ein bißchen Polizei.

Als die Presseaktion beendet war, setzte sich ein kleiner Demonstrationszug in Richtung Frauenkirche in Bewegung zu der alljährlichen Trauerfeierlichkeit. An der Frauenkirche sollte ein Kreuz für bisherige und künftige Strahlenopfer abgelegt werden. Allerdings wollten das Polizisten verhindern und so mußten einige noch ihre Personalien preisgeben… Es lagen ja auch schon andere Kränze da, nämlich von den Repubilkanern und einer Landsmannschaft, die dem deutschen Heldenmut huldigten. Damit freilich hatte unser Kranz wenig zu tun. Aber er wurde dennoch hinterlegt.

Am 19.2. war dann der tatsächliche Termin für den Castor aus Greifswald. Darüber wurden wir rechtzeitig durch die Greifswalder informiert. Es trafen sich ca. 100 Menschen am Hauptbahnhof und standen ein bißchen hilflos rum. Diesmal waren Unmassen von Ordnungskräften mit uns da.

Irgendwie wußte niemand so richtig, was nun passieren sollte. Die Grüne Liga entrollte wieder das Transparent und zog ihre weißen Anzüge an. Einige schauten sich auf den Gleisen um und stellten fest, daß überall viel Polizei war. Der Vorschlag, sich auf die Gleise zu setzen, fand wenig Anklang und so rannten wir ein bißchen rum. Es war übrigens herrliches Wetter.

Inzwischen wurden von den anwesenden Ordnungshütern die Eingänge in die Bahnhofshalle verstellt. Wir zogen mit Transparent von Eingang zu Eingang und wurden nicht eingelassen. Mit uns war immer die Presse.

Einzeln gab es noch die Chance, ins Bahnhofsgelände zu gelangen. Da entstand die Idee, sich einzeln an den Wachen vorbeizuschmuggeln und so vielleicht „Kein Castor“ durch Dresden“ im Bahnhof aufzuhängen. Diese Idee stieß ebenfalls auf taube Ohren und das Transparent wurde auch nicht herausgerückt.

Bei einer weiteren Runde der Kernkraftgegner um das Bahnhofsgebäude herum, wurde ein unbewachter Seiteneingang entdeckt und gestürmt. Das war lustig! Wir waren dann also drin, hängten kurz das Transparent auf und zogen nach einer Belehrung durch die Polizei friedlich wieder ab.

Danach wurde sich hinter dem Bahnhof, aber in Sichtweise des Gleises, über das der Castor rollten sollte, postiert, das Transparent endgültig aufgehangen und gepfiffen. Im Übrigen filmten nicht nur anwesende Fernsehstationen; auch die Polizei war fleißig dabei. Ja und der Zeitpunkt der Durchfahrt rückte immer näher.

Einige beschlossen, sich in Richtung Süden zur nächsten Bahnhofsstation zu begeben. Dort standen wir nun und überlegten erneut, was zu tun sei: selbst auf die Gleise setzen, irgenwas raufwerfen oder wie? Dann kamen immer mehr Einsatzwagen mit entsprechendem Inhalt, welcher sich ebenfalls auf dem Bahnsteig verteilte. Dabei kam es zu Rangeleien und einigen Beschimpfungen und was noch kam, war Castor und niemand von uns hatte Winkelemente** in der Hand. Ich schaffte es noch, voller Wut eine zusammengerollte Sächsische Zeitung gegen den gelben Waggon zu werfen, was mehr als traurig war.

Wenigstens konnte das Begleitpersonal des Transportes im Vorbeifahren noch nette Erinnerungsfotos von uns machen, allerdings blieb mir das Lächeln im Halse stecken. Uns wurde per Handy mitgeteilt, daß entweder SAt1 oder RTL auf dem Weg zu uns waren, um ein Interview zu machen. Was das noch sollte, blieb mir verschlossen. Aber, so ist das Geschäft, wurde mir erklärt.

Ich hatte nur noch die leise Hoffnung, daß sich auf der Bahnstrecke Richtung Tschechien konspirative Säger betätigt hatten. Aber diese ausnahmsweise gute bayerische Tradition wurde nicht übernommen.

Ich denke, wir haben uns mit dieser Aktion insgeheim beworben, zu einer beliebten Hauptstrecke für Castortransporte zu werden. Und wenn sich diese symbolhaften Proteste durchsetzen, sollten wir ernsthaft erwägen, in Zukunft auch nur symbolisch zu leben.

Catrin

* Red: Die Grüne Liga ist ein in der DDR zur Wendezeit gegründeter Bund von lokalen Umweltgruppen

** „Winkelemente“ war in der DDR die offizielle Bezeichnung für die kleinen Papierfähnchen, die Schulkinder und andere zu offiziellen Feiern Herbeibefohlene zu schwenken hatten. Im Volksmund wurde das Wort grundsätzlich im ironischen Sinn verwendet

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