Zensur im Internet

Eine weltweite Bewegung besorgter Konservativer möchte die Online-Dienste reinigen

aus telegraph 2/3 1996
von Wolfgang Rüddenklau

In Erinnerung sind vielleicht noch die Vorgänge nach einer Durchsuchung der Geschäftsräume des US-Computernetzbetreibers Compuserve in Unterhaching am 16. November vorigen Jahres im Auftrag des Landgerichtes München. Die Firma Compuserve, hieß es seitens der Staatsanwaltschaft, trage eine Mitverantwortung für die Daten, die sie transportiere. Schon am 8. Dezember wurden – erstaunliches Tempo für ein deutsches Gericht – der Firma eine Liste von 200 sogenannten Newsgroups zur Überprüfung übergeben. Die Entscheidung, ob und in welchem Umfang in der Liste enthaltene Gruppen aus dem Angebot gestrichen werden, wurde Compuserve überlassen.

Newsgroups sind thematisch gegliederte Fächer, über die Privatpersonen weltweit Informationen austauschen oder auch nur schwatzen. Der Sprecher des Bundesjustizminister Böhm hatte darauf verwiesen, daß in den Newsgroups sowohl Kinderpornographie als auch Nazipropaganda zu finden sei. In Deutschland sei selbst der Besitz von Kinderpornographie verboten. Die deutschen Behörden könnten eine Sperre des Zugangs zu solchen Texten oder Darstellungen aber nur für die Bundesrepublik verlangen und durchsetzen. In den USA sei etwa die Leugnung des Holocaust durch die verfassungsmässig garantierte Meinungsfreiheit erlaubt. Der Sprecher des Justizministeriums räumte ein, daß bei der elektronischen Kommunikation, wo „die gesamten rechtlichen Regelungen erst am Anfang stehen“. fraglich sei, ob, wie beim Internet mit seinen Millionen Nutzern und Anbietern, eine Kontrolle strafbarer Handlungen überhaupt durchgesetzt werden könne.

Die Firma Compuserve hatte darauf verwiesen, daß ihr eigenes Netz rein sei und nur Verbindungen zum Internet zur Verfügung stelle, sperrte aber dann ohne weitere Prüfung wenigstens zeitweilig alle 200 inkriminierten Newsgrops, darunter auch das Fach, in dem das Christnet Fragen der Sexualiät erörtert, Bretter internationalen Schwulen- und Lesbenkommunikation und Bretter für Aids-Selbsthilfe.

Wenigstens die Schwulenverbände machten in Deutschland und in den USA Protest. Der Deutsche Journalistenverband aber warnte betulich davor, mit dem Hinweis auf Zensur jeden Internet-Inhalt zu rechtfertigen. Auch die liberale „Frankfurter Rundschau“ meinte mit greisenhaftem Kopfschütteln, die Nutzerszene habe eine Entwicklung verschlafen, „die die alte Internet-Kultur mit ihren oft abstrusen Diskussionsforen an den Rand drängen wird… nur wer über Möglichkeiten nachdenkt, die Netiquette auch durchzusetzen – notfalls mit dem Staatsanwalt -, hat die Legitimation, die noch herrschende Basisdemokratie im Internet zu verteidigen. ausgekippt.“

Inzwischen hatte sich aber auch in den USA die Front der Zensoren gesammelt. Die Republikaner, die zur Zeit mit dem Abfischen des rechten Wählerteiches bis hin zu den Nazis Konjunktur machen, brachten Februar in Senat und Kongreß mit überwältigender Mehrheit einen Gesetzesentwurf gegen unanständige und obszöne Materialien durch, die über Computer-Netzwerke übertragen werden. Als unzüchtig gelten danach nicht nur pornographische Bilder,

sondern auch einfache Nacktfotos, Aber auch Worte wie „shit“ und „fuck“ fallen unter den Moralkodex der staatlichen Sittenwächter. Einzige, wenn auch charakteristische Änderung gegenüber der ursprünglichen Version: Nur die Anbieter der Inhalte sind haftbar, nicht jedoch die Netzbetreiber. Damit gelten für das Internet ähnliche Einschränkungen wie in vielen US-amerikanischen Bundesstaaten für Fernsehen und Radio.Nazistische Äußerungen sind dagegen in allen Medien nach wie vor erlaubt. Jemand, der unanständiges oder obszönes Material in einem öffentlichen Forum des Internet zur Verfügung stellt, soll von 250,000 Dollar Geldstrafe bis zu Gefängnisstrafe von zwei Jahren bestraft werden.

Zahlreiche US-Bürgerrechtsorganisationen haben zum Protest gegen diesen Zensurakt aufgerufen, der die Freiheit im Internet zerstöre, der US-Verfassung entgegenstehe und überdies ein Sondergesetz sei, das für die in Buchhandlungen und Zeitschriftenkiosken erhältlichen Publikationen nicht gelte. Mit absichtlich verbreiteten Schimpfkapaden möchten die Organisationen nun einen Musterprozeß provozieren. Ausländische Organisationen und User, die über eine Internetseite verfügen, wurden aufgerufen, ihren Protest gegen die Maßnahme dadurch zu bekunden, daß sie 48 Stunden nach der Unterschrift Präsident Clintons unter das Gesetz, am 9. Februar, ihre Homepage schwarz machen. Es sollte nicht verschwiegen werden, daß sich unter den Gegnern des Gesetzes auch mächtige Elektronikfirmen wie Microsoft befinden, so daß der Ausgang des Streits durchaus nicht entschieden ist.

Bis zum Inkrafttreten des Gesetzes zensierten die besorgten Online-Dienste schon mal per Hand. In der Netzgemeinde ist die Meldung „Sorry. This article is no longer available.“ inzwischen verhaßt. Aber auch der Kommerz ist nicht untätig. Für einmalige 10 Dollar verspricht Alternative Access Help Service den Interessenten „lebenslang“ Hilfe für den Zugang zu unterdrückten Newsgroups, das Verfassen von anonymen Nachrichten „and a ton of other goodies“. Wenn der Server die Information gesperrt hat, will Alternative Access Help Service Wege zeigen, sie aus einer anderen Internet-Quelle zu beziehen.. Wer dem Dienst Glauben schenken will, mag selbst die Homepage unter „http://165.247.202.103/index.html“ anwählen und 10 Dollar in den Wilden Westen schicken.

Inzwischen ist man auch in Europa nicht müßig. Eine Konsultativkommission der (west-) europäischen Staaten berät in Permanenz Maßnahmen gegen die Eingriffe der Online-Dienste in ihre Gesetze – natürlich werden nur die Themen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit genannt. Nach den Worten des Sprechers der Kommission, Ford, ist dabei die deutsche Regierung besonders kooperativ, vielleicht angesichts des furchtbaren Erscheinens ihres Lieblingsgegners, der kleinen Zeitschrift „Radikal“, im Internet (http://www.xs4all.nl/~tank/radikal/index.htm). Die Deutschen, so Ford, hätten eine Summe von möglichen Maßnahmen gegen den Rassenhaß in Online-Diensten vorgeschlagen. Die volle Kraft des Apparats der europäischen Bürokratie, trumpfte Mister Ford auf, sowie der Gesetzesapparate der Einzelländer werde genutzt werden, um das Internet zu zensieren.

Mindestens die deutschen Schwulen haben schon einen Vorgeschmack künftiger Zensurzeiten gehabt. Am 8. Februar war der größte deutsche schwule Infoservice vom Web getrennt worden. Der verdutzte Internet-Surfer konnte nur die Meldung lesen, die MacMan-Seiten seien auf Betreiben der Kölner Universität ab sofort nicht mehr verfügbar. Nach Informationen des Schwulenverbandes Deutschlands (SVD) hatte das Kölner Rechenzentrum RRZK dem Betreiberverein Cologne Net angedroht, seine Leitung ins Internet zu kappen, falls über Cologne Net weiterhin schwule Informationen angeboten würden. Daraufhin hatte Cologne Net die MacMan-Seiten gesperrt. „Nach Einschaltung der Presse“, heißt es in der Presserklärung des SVD, „erhielt der Leiter des RRZK am Montagmorgen vom SVD die ultimative Aufforderung, seine Maßnahme wieder zurückzunehmen. Vier Stunden später war der Spuk dann vorbei: MacMan war wieder am Netz.“ Vorerst

Natürlich ist ihr angeblicher Widerwille gegen Rassenhaß oder Pornographie für die Regierungen nur ein Vorwand für die Zensur eines der wenigen basisdemokratischen und freien Medien der Welt. Und es war schon ein wenig peinlich, als sich die chinesische Regierung gleich der Bewegung anschloß, um mit allzu deutlichen Worten den Zugang zu unsensierten Informationen aus dem Ausland abzuschneiden. Im übrigen las ich in `alt.censorship´ folgende treffende Bemerkung: „In der Geschichte unseres Planeten wurde bisher niemand , kein Erwachsener oder Kind, kein Heide oder Heiliger, durch das Beobachten von Nacktheit oder durch Nacktsein verletzt (ausgenommen Sonnenbrand und Erfrierungen).“

Das kann man im Großen und Ganzen bekräftigen. Jeder von uns hat sicher diese oder jene bizarre Vorlieben und wenn er damit niemand verletzt oder zur Last fällt, sollte er das Recht haben, sich mit seinesgleichen auszutauschen. Daß hin und wieder dieses oder jenes Schwein einen Dreckhaufen hinterläßt, ist nicht zu verhindern. Und die Erregung von Rassenhaß in einem weltweiten Netz hat an sich schon etwas Lächerliches. Etwas anderes ist es, glaube ich, wenn kommerzielle Dienste unsere schwachen Stellen zu erraten suchen und die Belieferung mit allerlei Schweinereien organisieren. Je mehr Geld dabei lockt, desto größer ist die Gefahr, daß dabei Menschen organisiert unterdrückt und verletzt werden. Wenn es also meiner Meinung nach eine Zensur im Internet geben sollte, dann die für kommerzielle Dienste. Aber genau für die soll ja auch nach Meinung der konservativen Zensoren das Netz sauber gemacht werden. Und das ist rein technisch wahrscheinlich nur dann möglich, wenn nicht die Zulieferer, sondern die Benutzer des Internets in Zukunft kontrolliert werden.
Soweit das noch nicht geschieht.

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