Zu den Ereignissen in Jena

aus telegraph 2/3 1996

Aus Kreisen der Offen Arbeit erhielten wir folgenden Kommentar:

Welcher Floh hat die Herren Polizisten wohl gezwickt, als sie am 27.2. den ahnungslosen Besuchern der JG Stadtmitte/Jena so eindringlich Staatsmacht und Polizeistaat vor Augen führten?

Der brave Bürger kommt nicht umhin, sichwieder einmal zu bewundern, wie genialisch – einfach die Gesetzgebung dieses Staates zu handhaben ist, erlaubt sie doch, jeden Vorwand zu ergreifen, um unliebsame Personen und Gruppen zu schikanieren und zu terrorisieren. Was sich heute mit dem Mäntelchen „Verdacht auf eine Straftat“ oder „Verstoß gegen das Betäubungsmittelgesetz“ umgibt, kennen geschulte DDR-Bürger unter dem Namen „Hygiene“ und „Brandschutz“. Aber immerhin, jeder noch so kleinste Verstoß gegen jedes noch so bescheuerte Gesetz muß strengstens geahndet werden, sonst drohen Anarchie, Chaos und Drogentaumel im Staat. Und die Straftat ist mit dem Auffinden von 50 g Haschisch (das sind 0,42 g pro Person, andere Quellen sprechen von 10 g) und einem Schlagstock eindeutig belegt, das massive Vorgehen der Beamten somit gerechtfertigt und die Polizei (die Polizei) die hat immer recht und Genoss… äh.

Ein nur scheinbarer Widerspruch löst sich nach längerem Nachdenken von selbst: warum die geballte Polizeimacht gegen Einrichtungen vorgehen, die Aufgaben übernehmen, deren Ursachen 1. in den gesellschaftlichen Bedingungen selbst liegen und deren Konsequenzen 2. der Staat als Verursacher bitteschön selbst tragen sollte? Ich erkläre mir das so: Menschen, die sich nicht einpassen lassen oder wollen (Alte, Behinderte, Jugendliche und andere „Outsider“) werden isoliert oder isolieren sich selbst. Deshalb fühlen sich staatliche oder kirchliche Sozialarbeiter berufen, den so Isolierten zu helfen, mit ihrer Isolation umzugehen („Laß uns drüber reden!“). Werden jedoch diese Gruppen zu groß oder öffnen sich, stellen sie eine Bedrohung dar. Dann gibt es plötzlich keine „demokratischen Spielregeln“ mehr, Integration ist nicht möglich, denn diese Menschen würden vielleicht das bestehende gesellschaftliche System verändern.

Anderswo reagiert man nicht mit blanker Gewalt, sondern sehr viel subtiler. In solchen Fällen reicht es aus – je nach Bedarf – den Geldhahn auf- und zuzudrehen.

Fazit: die alte Binsenweisheit trifft immer noch zu: Mit diesem Staat ist einfach kein Staat zu machen.

Bekennerschreiben der Berliner Gruppe Kirche von Unten: (An den Polizeipräsidenten)

Wir, die Kirche von Unten Berlin, geben hiermit öffentlich bekannt, daß sich in unserer Einrichtung Utensilien befinden, die potentiell auf ständigen Drogenmißbrauch deuten. Dabei handelt es sich um.

– div. Plastikeimer (sog. „Abfalleimer“)

– unzählige Plastikflaschen

– Silberfolie u.a.

und jede Menge gewaltig breite Jugendliche

(Wir erwarten also demnächst den Besuch Ihrer freundlichen Beamten in der Zeit von 0.30 Uhr bis 3.30 Uhr.)

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