Sprechblasen?

Dialog auf Stadtebene in Leipzig
Interview mit Thomas Rudolph, Mitglied des AK Gerechtigkeit und der Initiative Frieden und Menschenrechte Leipzig
aus telegraph 3/1989 (#03)

telegraph: In Leipzig gingen in letzter Zeit Zehntausende auf die Straßen, um für gesellschaftliche Veränderun­gen in der DDR zu demonstrieren. Die Regierung reagierte mit Gesprächsangeboten auf Stadtebene. Hat es dabei Fortschritte gegeben?

Thomas: Also vermutlich auf Grund der Demonstrationen , hat sich der Staat nun doch gedacht, daß er mit einigen mal reden müsse. Inwieweit das wirklich ernst gemeint ist, oder das Ganze sich letztendlich (und das wird man erst in Wochen entscheiden können) als leere Sprechblasen herausstellt, wird die Zeit zeigen. Auf jeden Fall haben wir gestern zusammen mit anderen Gruppen der Stadt zusammen ein Gespräch im Neuen Rathaus gehabt, zu dem auf der staatlichen Seite der Chef des Inneren, Dr. Hartmut Reitmann, eingeladen hat.

Er und eine Delegation haben mit verschiedenen Vertretern von Basisgruppen unter der Leitung von Superintendent Magirius und Oberlandeskirchenrat Auerbach gesprochen.

telegraph: Was ist dabei herausgekommen?

Thomas:Also ich denke, so gut wie nichts. Herausgekommen ist eine gegenseitige Anhörung, kein Dialog. Manche werden es nicht so sehen, die werden sich freuen, daß der Herr D. Reitmann einige „Angebote“ mitge­bracht hat, z.B. das Angebot, daß jetzt die Gespräche über Radwege intensiviert werden und inwieweit die Umweltgruppe beim Bäumepflanzen Unterstützung bekommt. Der stellvertretende Planungs­ökonom Werner hat themenorientierte Gespräche angeboten, – aber das war letzlich alles. Über die zentralen Fragen, wie die Presse-, Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit hat es im Prinzip keinen Dialog gegeben, sondern es wurden nur die gegensätzlichen Standpunkte einander gesagt. Und dabei fand nicht einmal über kleine Schritte in Richtung Pressearbeit ein Gespräch statt. Wir hatten z.B. angeboten, daß an Außenwänden von Kirchengebäuden jetzt die Kirchengruppen Info-Tafeln anbringen. Wir hatten auch gehofft, daß wir wenigstens darüber sprechen können, ob es uns möglich ist, Gegendarstel­lungen gegen die teilweise verleumderische Hetzkampagne in den Medien der DDR in Bezug auf die Friedensgebe­te und Demonstration in Leipzig öffentlich zu machen, damit wir unsere eigene Sicht in den einzigen großen Medien des Landes vorstellen können.

telegraph: In Dresden erfolgte ja nach solchen Gesprächen eine Richtigstellung der Ereignisse vom Sonntag, den 8.10. in der CDU-Zeitung „Union“ durch einen von Demonstranten geschriebenen Artikel, der größten­teils unzensiert veröffentlicht werden konnte. Es scheint ganz klare qualitative Unterschiede zwischen den Gesprächsergebnissen in z.B. Leipzig und Dresden zu geben. Wie beurteilst Du aus Deiner Sicht die Situation in Dresden?

Thomas: Es ist schwierig für mich. Ich weiß über Dresden nicht so viel. Der Unterschied zu den Gesprächen in Dresden, die auch auf einer niedrigeren Ebene stattfgefunden haben (sie haben ja dort nur mit dem Oberbürgermeister der Stadt, Berghofer, verhandelt) sind zum einen die, daß sich in Dresden spontan aus den Demonstranten heraus eine Delegation gebildet hat, was in Leipzig auf Grund der Situation gar nicht möglich war. Das sind prinzipielle Unterschiede, die sicher auch, gerade in Bezug auf Gegendar­stellungen, unterschiedliche Ansatzpunkte darstellen, weil wir als Basisgruppen natürlich keine Verantwortung übernehmen können für Demonstrationen, die ein Ergebnis von 40 Jahren Politik genauso sind, wie die große Ausreisewelle.

 

telegraph: Wieviel Menschen sind nach Euren Informationen noch in Haft?

Thomas: In Leipzig ist es so, daß nur alle die freigelassen werden sollen, die nach dem º 217 Abs.1 verur­teilt oder in U-Haft sitzen. Wir haben in Leipzig auch einige, gegen die nach º 214 und 215 ermittelt wird. Diese sind in Leipzig nach Aussagen des Rates des Bezirkes, auch des Dr. Reitmann von gestern, nicht von dieser Regelung betroffen.

telegraph: Das heißt, daß es sich noch eine ganze Anzahl Menschen in Haft befinden, wir hörten von mindestens 23, für deren Freilassung wir uns unter anderem einsetzen müssen.

Thomas: Ich denke, unsere Solidarität darf auf keinen Fall nachlassen. Es ist sicher jetzt auch an der Zeit, nicht nur an die zu denken, die in den letzten vier oder fünf Wochen bei Demonstrationen und an­schließenden brutalen Polizeieinsätzen inhaftiert worden sind, sondern es muß jetzt auch darum gehen, alle die noch aus politischen Gründen oder nur aus Gründen, ihr Menschenrecht wahrzunehmen, inhaf­tiert sind, entlassen werden. Das betrifft in Leipzig z.B. zwei Personen, die versucht haben, eine Demonstration zum 13. August anzumelden und die, weil sie Plakate in der Innenstadt verteilt haben, noch immer in Haft sitzen. Das betrifft z.B. auch Sven Kuhlow von einer Demonstration aus dem Frühjahr und das betrifft natürlich die vielen, vielen, die jetzt nach º 213, wegen sogenannter Republikflucht, inhaftiert und verurteilt worden sind. Sie haben versucht, über Ungarn, die CSSR oder Polen in die Bundesrepublik zu kommen, während andere von der Regierung der DDR die Reisemöglichkeit bekommen haben, denen es gelungen ist (auch illegal), die Grenze zur CSSR und nach Ungarn zu über­schreiten. Ich denke, hier ist der Grundsatz der Gleichheit der Bürger vor dem Gesetz außer Kraft gesetzt und da muß die SED und die Regierung schleunigst etwas ändern.

telegraph: Du meinst also, daß wir unsere Solidarität im Spektrum der Möglichkeiten, die uns zur Verfügung stehen, aufrecht erhalten müssen?

Thomas: Ja, ich denke Kontakttelefone, Fürbittandachten, Mahnwachen, wie auch immer. Diese Formen der Solidarität und des Protestes müssen im einzelnen genau überlegt und geprüft werden, was möglich ist, was sinnvoll ist im jeweiligen Moment. Aber ich denke, sie müssen so lange aufrecht erhalten bleiben, wie noch irgend einer wegen eines politischen Deliktes sitzt.

(Das Gespräch führte t.b.)

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