Runder Tisch im Prenzlauer Berg: SPD als Sachwalter des Eigentums

Wird der Straßenübergang Eberswalder Straße gebaut?

aus telegraph 3/1990
von Wolfgang Rüddenklau

Wir haben in diesen Blättern wiederholt die Behauptung aufgestellt, daß Alt- und Neuparteien auf Zentralstaatsebene schillernde Sprechblasen steigen lassen können, ohne daß dies überprüfbar ist, während sich auf lokaler und Landesebene wesentlich rascher die Realitäten zeigen.

So auch im Stadtbezirk Prenzlauer Berg der Zentralspinne Berlin. Am Runden Tisch des „traditionsreichen Berliner Stadtbezirks“ zeigt sich je länger je mehr ein anheimelndes Klima von legitimationseifriger Bußfertigkeit der Altparteien einerseits und Zukunftsfreudigkeit bis hin zu ungebrochener Machtgier der Neuparteien andererseits. Da bietet sich beispielsweise die FDJ mit ihrem Personal für eine stadtbezirksweite Postwurfaktion an, die SED-PDS protestiert gegen das Abziehen von Baukapazitäten aus dem Stadtbezirk und die Bauernpartei fordert die Begrünung des Mauerstreifens.

Letzteres ruft bereits das Stirnrunzeln der SPD hervor, die besonders engagiert den Schutz des Eigentums östlicher und westlicher Prominenz betreibt – bekanntlich planen einige westliche Firmen, den Mauerstreifen als Lagerfläche zu nutzen. Auch die gutgemeinten Vorschläge eines Ausschusses der Stadtbezirksversammlung, lädierte Häuser Wohnungsgenossenschaften zum Ausbau zu übergeben, werden von den Sozialdemokraten nur soweit toleriert, als Hausbesitzern im Osten und Westen damit kein Härchen gekrümmt wird. Ja, noch weiter geht die Sorge: „Haben Sie die ehemaligen Hausbesitzer bedacht“, wird der Stadtrat für Wohnungsangelegenheiten angefahren, „die auf Grund von Überschuldung ihre Häuser an die KWV abgeben mußten?“ Und eilfertig versichert der Stadtrat, daß diese Vorgänge sorgfältig geprüft werden und solche Häuser nicht zur Vergabe stehen. Der Umgang mit anderen Oppositionsgruppen ist von der Sensibilität eines Nashorns geprägt. Da beantragte beispielsweise die Frauengruppe, in einem Aufruf an die Bürger die Berufsbezeichnungen jeweils männlich und weiblich auszu¬drücken. „Wozu soll das gut sein“, empörte sich der SPD-Vertreter, „Kindergärtnerinnen bekommen eben so wenig Geld, daß sich kaum Frauen finden und natürlich erst recht keine Männer!“

Während das Neue Forum um Aufnahme der Anliegen der Bürger bemüht ist, war vom Engagement der SPD-Vertreter für eine „solidarische Gesellschaft“ (wie es auf dem Parteitag hieß) bis dato nichts zu sehen. Dafür werden umso eifriger die Interessen der westlichen Schwesterpartei, der autogerechten Stadt, der privaten Gewerberäume, des Handwerks und nicht zuletzt die eigenen Interessen vertreten.

Das zeigt sich auch am Fall des Grenzübergangs Eberswalder Straße, der mitten im Berliner Stadtbezirk Prenzlauer Berg, neben Wohnvierteln und Altersheimen liegt. Seit dem Mauerdurchbruch haben sich Stadtplaner in Ost und West in den Kopf gesetzt, hier den größten Straßenübergang Berlins zu bauen. Nachdem die Anwohner, vom Neuen Forum aufgerufen, gegen diese Art von Zerstörung ihres Viertels demonstriert hatten, gab es einen Ministerratsbeschluß, daß der Straßenübergang nicht gebaut wird. Das scheint aber nicht das letzte Wort gewesen zu sein. Der Stadtbezirksbürgermeister von Prenzlauer Berg erhielt nach eigenen Angaben bereits zwei neue Vorlagen zum Straßenübergang Eberswalder Straße, die er allerdings nicht unter¬schrieb. Im anliegenden Westberliner Stadtbezirk Wedding lehnten SPD und CDU eine Vorlage der AL zum Stop des auf westlicher Seite bereits begonnenen Ausbaus ab. Dabei war zu erfahren, daß der Baubetrieb, der vom Bezirksamt Wedding mit dem Ausbau im Westen beauftragt wurde, auch bereits für die Ostberliner Seite einen Auftrag erhalten hat.

Am Runden Tisch des Stadtbezirks Prenzlauer Berg weckte dieser Übergriff westlicher und östlicher Bürokraten bei den meisten Parteien und Organisationen ungeheuchelte Empörung. Der Runde Tisch forderte in einem dringenden Antrag an Magistrat und Regierung Auskunft über die vorliegenden Konzeptionen und Einstellung der Maßnahmen zur Umwand¬lung in einen Straßenübergang – gegen die Stimme der SPD.

Antrag des Neuen Forums Berlin-Prenzlauer Berg vom Runden Tisch des Stadtbezirks verabschiedet am 25.1.89
Die am Runden Tisch vertretenen Parteien und Gruppierungen fordern die Einhaltung des Ministerratsbeschlusses, wonach der Grenzübergang Eberswalder Straße nicht für Kraftfahrzeuge frei gegeben wird. Sie fordern vom Magistrat und von der Regierung Modrow dringend Auskunft über die vorliegende Konzeption zur Gestaltung der Grenzübergangsstellen sowie die Einstellung aller Maßnahmen, die auf eine Umwandlung des Übergangs Eberswalder Straße in einen Kraftfahrzeugübergang gerichtet sind.