„Wir verstehen uns als der verlängerte Arm des Runden Tisches“

aus telegraph 3/1990

Interview mit Gerd Poppe
(Initiative Frieden und Menschenrechte), neugebackener Minister ohne Geschäftsbereich in der Regierung Modrow

telegraph: Es wächst der Mensch mit seinen höhern Zwecken – gab Schiller uns Nachgeborenen auf den Weg. Herr Poppe, was sind die höheren Zwecke der Regierungsbeteiligung der früheren Opposition?

Poppe: Der eine Zweck ist die Aufrechterhaltung der Regierungsfähig¬keit. Zunächst bestand Konsens unter den Oppositionsgruppierungen, daß die Regierungsbeteiligung gebunden ist an inhaltliche Zusammen¬hänge. Also z.B. bei der Wirtschaftsreform die soziale Absicherung und die Frage der Gewerkschaften. Außerdem gibt es ja die bekannten Auflösungserscheinungen im kommunalen Bereich. Auflösungserscheinungen gibt es auch bei der Polizei, die streckenweise nicht mehr fähig ist, den Verkehr zu regeln. Auflösung auch bei der Armee. Eine andere Aufgabe der Regierungsbeteiligung ist die Vorbereitung der Wahlen. Es bestand ursprünglich Übereinstimmung in der Opposition, daß es eine Möglichkeit wäre, Vertrauen in die Regierung herzustellen durch Eintritt von Oppositionsvertretern in die Regierung. In Vorgesprächen einigte sich die Opposition auch darauf, bestimmte Ressorts zu verlangen, wie z.B. Inneres, die Generalstaatsanwaltschaft oder das Finanzministerium. Diese Vorhaben waren natürlich gebunden an den Wahltermin 6. Mai, denn ein bißchen Zeit braucht man schon, um sich einzuarbeiten. Die SPD war es dann, die davon abrückte. Ihre Antwort auf die Situationsschilderung von Modrow war nun die Vorverlegung des Wahltermins auf den 18. März. Davon machte sie jetzt ihre Regierungsbeteiligung abhängig. Das war richtiger Druck und ein Ultimatum. Die CDU erklärte daraufhin, daß sie auch nicht in die Regierung gehe, wenn die SPD nicht darin vertreten sei. Die Vertreter der IFM haben sich bis zuletzt dagegen gewehrt, mußten aber schließlich doch auf die Forderungen der SPD eingehen. Gerlach machte dann den Kompromißvorschlag, daß der Runde Tisch drei Minister in die Regierung entsendet. Wir fanden aber, daß neun Minister besser sind als drei. Da machte Gysi den Vorschlag, daß die Opposition doch mit Ministern ohne Geschäftsbereich in die Regierung eintreten solle, weil keiner der alten Blockparteien so richtig bereit gewesen ist, Funktionen aufzugeben. Verbal haben sie das zwar erklärt, aber in der Praxis dann abgeblockt. So wurde der Gysi-Vorschlag schließlich akzeptiert.

telegraph: Ist denn ein konkretes Regierungsprogramm verabredet worden für die Zeit bis zu den Wahlen?

Poppe: Es gibt das ursprüngliche Arbeitsprogramm der Regierung, das ca. 40 Gesetze oder Gesetzesänderungen vorsah. Das wurde jetzt radikal eingeschränkt …

telegraph: Entschuldigung, gibt es denn irgendeine schriftliche Vereinbarung?
Poppe: Nein, es gibt nur Forderungen des Runden Tisches. Vor allem dürfen keine weitreichenden Beschlüsse gefaßt werden, über den Wahlter¬min hinaus.

telegraph: Was ist denn nun aber der Inhalt der Regierung? Was soll positiv gemacht werden?

Poppe: Da ist natürlich zuerst das Wahlgesetz, das Parteien- und Vereinigungsgesetz sowie das Mediengesetz. Außerdem muß natürlich an einigen Stellen die Verfassung geändert werden, damit freie Wahlen überhaupt eine Rechtsgrundlage haben. Dabei geht es aber nur um die entsprechenden Artikel der Verfassung.

telegraph: Wie soll denn nun durch die Beteiligung der bisherigen Opposition an der Regierung die Stabilität im Lande erreicht werden?

Poppe: Offenbar erhofft man sich von der Autorität des Runden Tischs eine beruhigende Wirkung auf die Öffentlichkeit …

telegraph: Wer ist „man“ und was heißt „offenbar“? Sie gehören jetzt doch selbst der Regierung an …
Poppe: Wichtig ist das Aussenden von Appellen, z.B. der von letzter Woche an die Polizei, ihres Amtes zu walten, v.a. im Zusammenhang mit dem Rechtsradikalismus. Ich hoffe, daß es nicht mehr möglich ist, am Runden Tisch vorbei zu entscheiden. Alle Vorlagen, die der Minister¬rat beschließen will, müssen uns mindestens drei Tage vorher zugeleitet werden. Wir können in die verschiedenen Ministerien gehen, dort bei Sitzungen hospitieren und uns aufblättern lassen, was dort in Vorbereitung ist. Wir haben uns mit Modrow geeinigt, daß alle Beschlüsse nur im Konsens fallen können, d.h. es gibt keine Mehrheitsbeschlüsse. Ausnahmen soll es höchstens bei einer oder zwei abweichenden Stimmen geben, aber dann können die Minister ja vor die Volkskammer treten und ihre abweichende Meinung vertreten. Wir haben natürlich als Minister auch die Möglichkeit, eigene Beschlußvorlagen einzubringen. telegraph: Die Regierungserklärung von Modrow am 29. Januar war ja ziemlich dramatisch, insbesondere was die Schilderung der Streiks und der Lohnforderungen angeht, die die DDR nicht bezahlen kann. Ist es Inhalt der Regierung, diese Forderungen ruhigzustellen?

Poppe: Ich sehe das nicht als unsere Aufgabe an, aber offenbar wollen sie sich die Streiks vom Halse halten. Ich persönlich schließe Streiks als Mittel nicht aus, aber ich bin da gespalten. Ich akzeptiere Streiks auch als politisches Mittel, aber im Augenblick läuft das sehr spontan und ungeordnet, wie z.B. bei den Milchfahrern. Die streiken, und dann ist es wieder zu Ende. Unsere Haltung ist, daß es schleunigst zu einer Demokratisierung auch in der Wirtschaft kommen muß durch Gewerkschaften und Betriebsräte, möglichst noch vor den Wahlen. Leider existiert dazu bisher nichts.

telegraph: Besteht nicht die Gefahr, daß nach dem Eintritt der bisherigen Opposition in die Regierung diese Forderungen auf der politischen Ebene nicht mehr vertreten werden?

Poppe: Das kann man so pauschal nicht sagen. Wir müssen die Entscheidungen von Modrow oder der Fachminister ja nicht mittragen. Wir verstehen uns v.a. als verlängerter Arm des Runden Tisches. So gering die Chance auch ist – es besteht die Möglichkeit, korrigierend einzugreifen und zu verhindern, daß Pflöcke eingeschlagen werden. Wir werden keine Forderungen unterstützen, die nicht vom Runden Tisch getragen werden.
telegraph: Hat Modrow eigentlich seinen Deutschlandplan vorher seinen zukünftigen Ministerkollegen mitgeteilt?
Poppe: Nein, er hat ihn offenbar niemandem vorher mitgeteilt. Ich halte ihn auch für problematisch, v.a. was die Neutralitätsforderung angeht, wenn auch aus anderen Gründen als der Westen. Wir plädieren für die Auflösung der Blöcke und eine Entmilitarisierung und sind nicht für eine separate deutsche Lösung. Durch die Demonstrationen ist der Druck zur Vereinigung derzeit so stark, daß sich die Situation ergeben kann, daß der Warschauer Pakt aufgelöst wird und die Bundesrepublik in der NATO verbleibt. Das ist doch eine untragbare Position. Wegen des Punktes mit der Währungsunion hat z.B. die Vereinigte Linke die Konsequenz gezogen, ihren Ministerkandidaten zurückzuziehen.

telegraph: Abschließende Frage – was verdient ein Minister?

Poppe: Komisch, das werde ich jetzt immer gefragt. Wir bekommen 2500 Mark brutto plus 1700 Mark Aufwandsentschädigung, da sind dann aber auch alle Spesen mit drin, z.B. für Hotelkosten oder Bewirtung. Ich habe eine Sekretärin und einen Chauffeur, und als Dienstwagen einen Lada.

telegraph: Herr Poppe, wir danken für das Gespräch.

Das Interview führte Rupert Schröter