telegraph #3 _1999
von Niko Tenten
Zur Verständigung meiner Position, ist es notwendig einige Anmerkungen voraus zu schicken:
Innerhalb der niederländischen kommunistischen Partei (CPN), dessen Mitglied ich war, existierte eine starke anarchistische Fraktion. Als einer ihrer Vertreter, war ich Freigestellter für die Jugendarbeit im Süden der Niederlande, beunruhigte die konservative Seite mit großangelegten Häuserbesetzungen und anderen Feinheiten. Als Anarchist war es schwierig heraus zu finden, wie viel Bewegungsfreiheit die Partei einem erlaubte. Wir improvisierten lustig drauf los, während die Parteiführung nach Wegen suchte unsere starke Gruppe innerhalb der Partei zu integrieren (zusammen mit den Christdemokraten und allen Parteien der rechten Seite, verurteilten die Kommunisten Häuserbesetzungen bis zu unserer Aktion). Letztendlich unterstützten wir die Politik, waren für die Partei unentbehrlich. Dem Opportunismus war es zu verdanken, dass wir agieren konnten und es uns erlaubt wurde zu verkünden, dass es notwendig sei die Diktatur des Proletariats einzuführen um direkt danach gegen sie zu kämpfen. Nach unserer Meinung, sollte der Arbeiterbewegung Wert und Moral des „Mensch-Seins“ aufgezwungen werden. Den direkten Gang vom Kapitalismus zum Anarchismus betrachteten wir als unmöglich. Dazu fehlte der Respekt anderen gegenüber, -Gruppen wie Baader-Meinhof oder „de Rode Jeugd“ (NL), lehnten wir ab und betonten die Notwendigkeit eines gewaltfreien Weges.
Vor der Auflösung der Kommunistischen Partei, hatte ich gekündigt. Anlass war eine Beobachtung auf dem Parteikongress 1981, als einer der wichtigsten Streikführer der niederländischen Arbeiterbewegungsgeschichte, im Rahmen der Erneuerung der Partei, versuchte einen Pullover zu stricken. Soviel zur Diktatur des Proletariats.
Berlin.
Starkes Entsetzen machte sich breit, als ich verkündete in germanische, sprich deutsche, Gefilde umziehen zu wollen. Die meisten meiner niederländischen Freunde erklärten mich für verrückt oder dachten, mein kurzer Aufenthalt in New York sei mir zum Kopf gestiegen. Meine Anmerkung über die Gleichnisse zwischen New York und Berlin wurde angezweifelt. Richtig böse wurden alle, als ich Berlin favorisierte, weil New York keinen „Osten“ hat.
Eigentlich war mein Eindruck Westberlins geprägt vom folgendem Kreuzberger Bild: Oranienstraße; vier Punks, feierlich und farblich ausgestattet wie Weihnachtsbäume, stehen an der roten Ampel. Weit und breit kein Auto in Sicht. Ich überquere die Strasse und versuche nicht zu reagieren, als die kleine Ordnungswidrigkeit auf Proteste der Punks stößt: die Träger des Logos der Anarchie brauchen eine Erziehung. Westberlin tobte vor Leben und ich mit ihm: aus dem Kabelsender Hör 1 entwickeln wir Radio 100, kleine persönliche künstlerische Aktivitäten blühen auf und, es ist immer noch möglich irgendwie zu überleben. Die kleineren Ausflüge nach Ost – Berlin beruhigen das Auge. Irgendwie betrachte ich die „andere Welt“ als den wahren „Underground“.
Zu meinem Erstaunen, beklagten sich viele Westberliner. Sie fühlten sich eingeschlossen, verhielten sich als wäre die Mauer nur für sie da, um sie für ewig einzusperren und dem Leben vorzuenthalten. Die Vorstellung, im Osten würden die Einwohner sich amüsieren, sexuelle Freuden kennen oder sich anderweitig fröhlich austoben, kam in der Vision der Westler nicht vor. Überhaupt war der Osten ein Trauerfall, verbunden mit bösen Vopos, Männern in Regenmänteln, Folter und anderen menschlichen Feindlichkeiten. Dann noch der Geruch der Autos, den Krampf beim Schlange stehen, alles zuviel, um sich mit dem Osten auseinanderzusetzen. Überhaupt war Ostberlin die dankbare Ausrede sich zu profilieren. Es dauerte lange, bis ich jemanden kennen lernte, der sich im Osten auskannte und sich ohne Vorurteile und Verfolgungswahn im anderen Stadtteil bewegte: ein kleines Wunder.
Die erste Begegnung war von der gleichen „Unvorsichtigkeit“ geprägt, wie ich sie mir automatisch angeeignet hatte. In einem Hinterhof der Oderberger Straße lernte ich als erstes Wolfgang Krause kennen, der sich von seiner unbändigen Neugier und positiver Energie durch das Leben treiben ließ. Die Bekanntheit mit dem Underground materialisierte sich in einer Unmenge an Wurstwaren, Bier, Einladungen zu Parties und Rundgänge entlang des „Inneren“ der Ostberliner Szene. Alleine der Blick auf die westlichen Besucher im Operncafe aus der Sicht des westlichen Besuchers, der sich nicht über den billigen Einkauf ins östliche Vergnügen kümmern brauchte, ergab den Eindruck, Teil einer undefinierten Gesamtkomposition zu sein.
Die Komposition entpuppte sich als Ouvertüre zu einem aktiven mehrjährigen Gang durch die künstlerische Szene. Als Radiomann interessierte ich mich für die klanglichen Qualitäten, als bildender Künstler für das feine Bild und als Schreibender für die literarische Szene. Die aus der Notwendigkeit heraus betriebene Kombination dieser Disziplinen kam mir sehr entgegen. Obwohl ich nicht in der Lage war dieses Phänomen aus der Sicht eines Künstlers aus dem Osten zu betrachten (als Notwendigkeit sich mitzuteilen), erfüllte sich meine Seele mit erfreulichen Gefühlen. Vielleicht war es die Sentimentalität, die Sehnsüchte nach Situationen in den dreißiger Jahren, wo die Kombination der Disziplinen, der Kenntnisse und Aufmerksamkeiten für zeitgleiche Phänomene noch gegeben und selbstverständlich war. Ein neugieriges und zufriedenes Gefühl machte sich breit, sobald ich in der Galerie Wilfriede Maaß Platz nehmen konnte und die Künste über mich hinein planschten. Mit dem Bekanntheitsgrad meiner Radioarbeiten, wuchsen die Kontakte und Freundschaften zu Ostberliner Künstlerkollegen, die sich wiederum über mein Interesse freuten. Anders als bei den westlichen Kollegen, war die Eigennützigkeit beider Seiten klar definiert. Grundsätzlich gab es keine Verpflichtung, den einen oder anderen im Radio zu präsentieren. In erster Instanz ergab sich durch meine Reisen die einzigartige Gelegenheit über die künstlerischen Arbeiten zu reden, bzw. zu kommunizieren. Grundsätzlich ging es um den Austausch, der im Normalfall nur einspurig ablief. Die Hinterfragung der Arbeit, die Hintergründe des Schaffens waren in West – Berlin weniger Thema. Die Entschuldigung notwendiger Geldbeschaffungsmaßnahmen durfte zurecht sein, dennoch reichte oftmals der bloße Fakt Ausstellungsräume zu füllen.
Von Seiten der Grenzposten aus, geriet ich immer mehr in eine Art von familiärer Beziehung. Ich kannte die meisten vom Gesicht her, die Funktionäre nannten mich bei meinem Vornamen und ignorierten die Überschreitung meines Aufenthaltspensums, dass ich selber ausgemogelt hatte, indem ich einmal als Berliner, das nächste mal als Ausländer zur Grenzüberschreitung antrat. Die üblichen Durchsuchungen fanden in Räumen statt, wo merkwürdige Geräte den Durchblick der Bediensteten unterstützte. Bei Nachfrage demonstrierte man mir die Objekte. So diente ein überdimensionaler Sandläufer als Zigaretten – Durchleuchte, entpuppte sich ein Metallkasten als Geigerzähler, usw. Die Demonstrationen täuschten über das Gefühl der Erniedrigung hinweg.
Kontakte zur Diplomatie gehörten zum Alltag. Sie unterstützten die kleine Rebellion. Limousinen schmuggelten Kunst hin und her. Über ihre Immunität geschützte Mittelsmänner, transportierten die Ware bis an ihren Bestimmungsort. Im Grunde war das alles so wenig spektakulär wie der tägliche Gang zum Einkaufen. Auch die Diplomaten bewegten sich ganz selbstverständlich. Als ich die westdeutsche Ständige Vertretung anrief, um mir behilflich sein zu lassen, den verschollenen Reisepass von Bert Papenfuß aufzuspüren, erklärte mir ein hoher Beamter, er würde Bert herüber schmuggeln und ihn an dem Veranstaltungsort einen falschen Pass ausstellen. So gäbe es für Papenfuß keine Probleme aufzutreten, um danach in das vertraute Ost – Berlin zurückzukehren. Diese telefonische Unbekümmertheit kostete den Beamten die Versetzung nach Bonn. Vielleicht hatte er die Verfahren absichtlich erzählt, wollte er sich lieber am Rhein aufhalten, wer weiß, die Interessen überschneiden sich öfter als man denkt. Jedenfalls wurden alle diplomatische Wege eingeleitet, dass heißt zwei feine Diners auf höchster Ebene organisiert, die dazu führten, dass der Reisepass noch am gleichen Abend abgeliefert wurde und ich Bert rechtzeitig vor seinem Auftritt am Bahnhof Friedrichstraße abholen konnte.
Unterdessen wussten ziemlich viele Leute darüber Bescheid, was ich so trieb und es störte mich nicht. Als ich ein Geburtstagsgeschenk dabei hatte, dass als solches nicht gekennzeichnet war, gratulierten mir die Grenzer und wünschten viel Spaß. Irgendwo bewegte ich mich zwischen einer Figur in einem abenteuerlichen Kinderbuch und der des gepflegten Anarchisten.
Das Telefon war ein wichtiges Instrumentarium, um Grenzen zu ignorieren. In meinem Radioprogramm „die Audionauten“ erklangen regelmäßig Töne und Sätze, die die Anwesenheit irgendwelcher Einschränkungen vergessen ließen, da sie diese nicht thematisierte. Überhaupt war das Radio die wichtigste Grundlage um mich bewegen zu können. Jede illegale Veranstaltung konnte einen Grund sein, mir den Zutritt zu verweigern und so schränkte ich mich ein, besuchte immer seltener irgendwelche Feten. Die Mokkabar unter dem Fernsehturm, das Wiener Café oder das Keglerheim waren, neben einigen Wohnzimmern, Orte, wo man sich traf und austauschte. Überhaupt beruhte alles auf freundschaftlicher Basis in Kombination mit künstlerischen Diskussionen, die die damalige Offenheit der Ostberliner (und Dresdner) Kunstszene unterstrichen.
Als ich gefragt wurde, über meine Erfahrungen als einer der wenigen Westler mit dem damaligen Ostberliner „Underground“ zu schreiben, entdeckte ich bald, dass der Beitrag nur auf kleineren Anekdoten beruhen kann. Es macht keinen Sinn einen politischen Diskurs zu führen, wenn die Grundlage nicht geklärt ist. Als die Diskussionen um die Stasi- Vergangenheit der literarischen Szene ausbrachen, durfte ich mich nicht äußern, da ich aus dem Westen kam und dementsprechend keine Ahnung haben konnte. Als ich dann im Westen darauf hin angesprochen wurde, dass ich wegen meiner Kontakte anrüchig sei, entzog man mir die Grundlage als Teilnehmer in der westlichen Diskussion zu diesem Thema. Das Scheitern des Runden Tisches muss irgendwo hiermit zu tun gehabt haben. Nicht, dass ich darüber noch sehr traurig bin. Es war schon phänomenal, die Änderungen und Funktionalitäten bestimmter gesellschaftlicher Mechanismen hautnah mit zu erleben. Dennoch sitzen die Meisten jetzt vor ihrem Scheiterhaufen und üben sich in Sentimentalitäten, um die Traurigkeit ihrer Existenz gewollt locker zu überspielen.
Ein leichtes Grauen gleitet das Rückgrat entlang.
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