Speiche, Speiche, wir wollen deine Leiche

aus telegraph #3 _ 1999
von Matthias Bernt und Dietmar Wolf

Wo war dein erster Kontakt mit Punk?
Speiche: Ja, wie bin ich dazu gekommen? Schwer zu sagen. Härtere Musik habe ich schon vorher gehört. Heavy Metal und so. Und irgendwann 1980 bin ich mal mit der Straßenbahn gefahren und da habe ich das erste Mal in meinem Leben Punker gesehen. Das waren ziemlich viele und ziemlich große und auch ziemlich alte Punker. Für mich wenigstens, ich war ja erst 17 und habe in Grünau gewohnt. Und die habe ich dann halt auf dem Weg zum Mecklenburger Dorf getroffen. Da habe ich die ersten Punker getroffen. Und die haben sich über uns lustig gemacht, weil wir Kiss gehört haben und das ganz laut. Und die sind eben auch zum Mecklenburger Dorf gefahren. Irgendwie haben die dann nach einer Weile Stress gekriegt, mit irgendwelchen Leuten. Und da waren die in der Unterzahl. Da haben wir denen dann geholfen, weil sie in der Unterzahl waren und haben uns eingemischt und haben uns dann praktisch mit denen verbrüdert und uns da rumgeprügelt. Aber da mussten wir dann bald abhauen, weil dann irgendwie immer mehr andere Kunden kamen und wir waren dann noch mehr in der Unterzahl, weil die sich alle bei den anderen eingeklinkt haben. Da sind wir dann alle abgehauen, in die Straßenbahn und sind wieder zurückgefahren. Da mußten wir uns einfach mal verpissen. Mecki-Dorf war eben immer umstrittenes Gebiet. Mal so, mal so. Das wusste ich aber zu dem Zeitpunkt noch gar nicht.

Und auf dem Rückweg, habe ich dann von einem ein Tape gekriegt. Und da habe ich dann Punk gehört. Ein, zwei von denen hatte es ein bisschen schlimmer erwischt und da sind wir dann erst mal zu mir gefahren und haben den verarztet. Einer hatte da ein gebrochenen Finger, vom Zuhauen – und dem haben wir einen Verband gemacht und uns gekümmert. Die Leute waren alle aus Friedrichsfelde, Königs Wusterhausen, Umland und so. Einer war sogar aus Bohnsdorf, das war ja praktisch um die Ecke von mir. Mit dem habe ich mich dann wiedergetroffen und dadurch habe ich dann die ganzen Bohnsdorfer Leute kennengelernt, die so punkmäßig rumgelaufen sind. Und dann hatte ich auch bald ein Jackett, was bemalt wurde und habe mir die Haare geschnitten und gefärbt und hochgestellt. Und dann sind wir zusammen rumgelaufen.

Gab es damals schon Punkkonzerte?
Ja, ja Keks hat da schon ab du zu gespielt. Das war so ´83. Und Keks war ja eine eingestufte Band, und hat aber Punksachen gespielt. Wo dann jeder Pogo getanzt hat. Na ja, und draußen in Bohnsdorf waren Punker auch nicht immer gerne gesehen und dann gab´s immer mal Prügeleien zwischen den normalen Jugendlichen und den Punkern. Aber mit der Zeit haben die dann unsere Clique akzeptiert. Also die Leute, die aus Bohnsdorf kamen, oder aus Grünau, oder Altglienicke, die hatten dann ihre Ruhe und konnten auch immer ein paar Leute mitbringen. Und hatten immer ihren eigenen Tisch. War o.k. Und mit der Zeit bin ich auch immer mehr in die Innenstadt gefahren und habe immer mehr Punks kennengelernt. Und immer musste ich mich durchsetzen. Und dann gab es auch immer mehr Konzerte. In der Samariterkirche, bei Pfarrer Eppelmann. Und 1981 – im Kultursaal von der jugoslawischen Botschaft. Da haben die Cocks gespielt. Das war eine jugoslawische Punkband, die hier in Berlin gewohnt haben. Alles Botschaftskinder. Und dazu gab es dann schon irgendwelche Support-Bands aus dem Ostberliner Underground. Wie Planlos oder Unerwünscht oder Tapetenwechsel oder was es damals alles so gab. Oder irgendwelche Bands, wo ich den Namen gar nicht erfahren habe. Die haben ein- oder zweimal gespielt und dann haben die sich schon wieder umbesetzt und wieder eine neue Band gegründet. Und dann gab es eben immer mehr Stress auf der Straße. 1981 haben mich dann auch die Bullen mal hops genommen und mir den Iro abgeschnitten. Und dadurch fing ich dann auch langsam an, den politischen Hintergrund zu raffen. Da haben sie mich direkt aus der Straßenbahn geholt. Da bin ich von Grünau in meine Bäckerei nach Köpenick gefahren. Und da haben sie mir meinen Iro abgeschnitten und mich auf die Fresse gehauen. Meine Kollegen haben mich aber unterstützt und eine Beschwerde gemacht und dann mussten sie sich sogar entschuldigen. Das war also meine erste Begegnung mit den Bullen. Die war schon ziemlich strange. Das ging mit denen irgendwie immer ab. Ausweiskontrollen, egal wo du hin willst. Manchmal sogar in deinem eigenen Ort, wo sie dich kennen drei bis viermal am Tag. Jeder Bulle hatte anscheinend den Auftrag deinen Ausweis zu kontrollieren. So kam es mir wenigstens vor. Das zog sich bis in die Innenstadt hin. Egal wo du aufgetaucht bist, in Plänterwald, am Bahnhof oder am Alex. Kaum hast du irgendwo gesessen und mit ein paar Leuten Bier getrunken, kamen sie an: „Mal die Ausweise bitte!“ Das war schon massiv.

Dann ging das mit Kirchens los. Pfingstkirche am Kottikowplatz war der erste Punkttreff. Da gab es mal ´81 so einen Winter lang Räume, wo man sich treffen konnte. Da gab es also schon Verbindungen mit der Kirche.

Weil es keine andern Räume gab, wo man hin konnte?
Alles andere war immer unsicher. Ob du jetzt nach Neuzittau oder Gosen gefahren bist oder in den Spreewald. Egal in welche Diskothek – es gab einfach total oft Ärger. Entweder mit der Ordnungsgruppe. Oder mit den Leuten, die sich in dem entsprechenden Clubs als die Kings aufgespielt haben. Zum Beispiel in so einem Dorfclub wie Schöneiche, wo sich eigentlich nur Kunden getroffen haben. Solche Dorfkunden. Und wo es sowieso immer Prügeleien gab. Wenn du da mit 15 Punkern gekommen bist, warst du verloren. Wenn du mit 50 da warst, ging es einigermaßen.

Wie waren denn sonst die Reaktionen?
Total unterschiedlich. Da gab es wirklich unterschiedliche Reaktionen. Das gab Leute, die mich trotzdem noch gegrüßt haben. Oder das sogar ganz lustig fanden. Vor allem mit dem politischen Hintergrund, wenn sie mitgekriegt haben, was da dahinter steckt. Aber es gab auch Leute, die haben die Straßenseite gewechselt und dich nicht mehr gekannt. Oder ihre Kinder weggezogen, wenn du da lang kamst. Meine Mutter fand das irgendwie auch nicht schön. Sie hat aber dann einen Haufen meiner Punkkumpels kennengelernt und mitgekriegt, dass die alle ganz in Ordnung sind. Auch bei der Hausdurchsuchung hat sie sich echt cool verhalten.

Hausdurchsuchung?
Ja, ich hab mal eine Hausdurchsuchung gehabt, weil ich wegen einer Sprühaktion verdächtigt wurde. Die wir auch gemacht haben.

Was habt ihr gesprüht?
Unterschiedliche Sachen. In Grünau so Anarchie-Parolen. Sex Pistols und Nina Hagen. Einer hat gesprüht „Revolution gegen die Bullengesellschaft“ – und zwar direkt gegenüber vom Bullenrevier. Die haben natürlich gleich die üblichen Verdächtigen mitgenommen, aber irgendwie haben sie es nicht geschafft, uns zu überführen, und da haben sie uns dann wieder laufen lassen. Drei, vier Monate später haben sie uns dann ganz unerwartet nochmal eingesackt und haben uns in die Keibelstraße gefahren. Da mussten wir dann alle was schreiben und dann haben sie einen Schriftvergleich gemacht. Und dann haben sie gesagt: „Paß mal auf, wir haben hier eine Schriftprobe. Ihr wart das und zwei von Deinen Kumpels haben schon gestanden“. Am Ende haben dann drei ein Ordnungsstrafverfahren gekriegt und der vierte hat eine Bewährungsstrafe und angedrohte Haft bekommen. Mir fällt da gerade noch eine Geschichte ein, wo mich die Bullen mal verhaftet haben. In Stralsund. Da sind wir zum Fußball gefahren, zu Union. Und da habe ich mir vorher mit Latexfarben die Haare Rot-Weiß gemacht und hochgestellt. Am Einlass hatte ich noch eine Mütze auf. Im Stadion habe ich die dann abgenommen. Und kaum hatte ich die ab, kamen sofort vier Hilfsbullen und drei richtige Bullen am Arsch, die mich dafür erst mal abgeführt haben. „Störung sozialistischen Zusammenlebens“ und „Herabwürdigung“ habe ich dafür gekriegt. So eine Geschichte gab es immer.

Oder man ist bei Partys rausgeholt worden, aus der Wohnung. Einmal mit 60 Punkern, haben wir eine Wohnungsparty gefeiert. Da sind dann die Bullen reingestürmt mit 30 richtigen Bullen und 30 FDJlern mit Armbinden, mit Knüppeln bewaffnet. Die haben dann auf alle Leute eingeschlagen. Dann wurden alle an die Wand gestellt und haben gleich die goldene Acht gekriegt. Auf dem Revier wurden wir dann stundenlang drangsaliert

Was hat Dich eigentlich an der ganzen Szene gereizt?
Was mich an Punk immer fasziniert hat, war, dass die Leute schockiert waren. Die konnten damit immer nichts anfangen und haben das dann hinterfragt. Und dadurch ist es dann zu ganz tiefen Gesprächen gekommen. Gerade mit älteren Leuten, die den Krieg noch miterlebt haben. Die haben Dich gesehen, waren schockiert und haben dann aber nach einer Weile angefangen, mit Dir zu reden.

Das war ein Prozess, der mir selbst auch erst später richtig klar geworden ist. 1988 habe ich mal ein Jahr auf der Pflegestation im Altersheim gearbeitet. Am Anfang konnte mich da gar keiner knacken. Aber mit der Zeit habe ich dann mitgekriegt, dass die Leute sich genähert haben. Und darum geht es eigentlich bei Punk. Du bist als Punk einfach auch ein Stück weit Dreck. Und wenn irgendjemand was von dir will, muß er an Dich herantreten und den Abstand überwinden und einen Weg zu Dir finden. Sie müssen einfach beginnen, zu hinterfragen, wo denn der Haß und der Frust herkommt. Und wo die Gegenposition, die Du zu dieser Gesellschaft und diesem Staat einnimmst, herkommt. Warum hast Du ein Anarchie-Zeichen auf dem Rücken? Was denkst Du über Anarchie? Was willst Du damit erreichen?

Du warst doch eine Zeit lang regelmäßig bei Union Berlin?
Ja, mit dem Fußball ist es einfach so. Also Fußball ist für mich eine viel ältere Geschichte als Punk gewesen. Ich bin als Kind schon zu Union gefahren und habe da alles kennengelernt. Ich war dort immer der Jüngste, der auch mit auswärts gefahren ist. Dort war ich mit den ganzen Großen zusammen, die alle 10-15 Jahre älter waren als ich und alle schon mehrere Vorstrafen wegen Körperverletzung hatten. Die immer zum Fußball gegangen sind und viel Spaß hatten und dabei eigentlich eine Anti-Haltung ausgedrückt haben. Die hat sich zwar oft ziemlich einseitig gegen die DDR gerichtet, aber nicht nur. Darunter gab es immer auch eine ganze Menge Freaks, die mit der Friedensbewegung im Westen geliebäugelt haben. Mitte der 80er gab es dann auch vereinzelt schon Nazis beim Fußball – aber eben kaum bei Union. Die Mehrheit im Stadion waren da ganz klar irgendwelche Langhaarigen, Assis und Punker. Vielleicht ähnlich, wie heute bei St.Pauli. Union, das hatte irgendwie eine dreckige Aussage früher. Unioner zu sein, dass war nicht nur Fußballfan, sondern irgendwie mehr. Dass die Rechten bei Union eine Rolle gespielt haben, das gab es erst so seit 1987. Und das war dann die zeit, wo ich auch ausgestiegen bin. Als mir dann beim Überfall in der Zionskirche plötzlich Leute gegenüberstanden, mit denen ich vorher Sachen zusammen gemacht habe, beim Fußball.

Als Punk bei Union – das müssen die Langhaarigen dort doch abartig gefunden haben. Wie haben die reagiert?
Klar, am Anfang haben sie drüber gelacht. Aber mit der Zeit haben sie mitgekriegt, dass ich irgendwie immer noch der Alte bin. Viele kannten mich ja schon vorher. Und die wussten, dass ich immer mit dabei bin und Sachen mache und auch Sprüche gegen den Osten anzettele. „Frieden schaffen, ohne Waffen“ – mitten im Spiel. Und mit der Zeit haben sie es dann akzeptiert. Aber sonst waren die meisten Union-Kunden nicht unbedingt punkerfreundlich. Aber das hing auch mit den unterschiedlichsten Sachen zusammen. Einmal einfach, dass es damals bei BFC schon mehr Punker gab und dass die dann schon öfter Langhaarige von Union verprügelt haben. Vor dem HdJT gab es da mehrfach Schlachten. Der BFC-Mob fing langsam an, der harte Mob in Berlin zu werden. Und ab Mitte der 80er hatten sie dann einfach die Vormachtstellung. Da sind dann viele Ex-Unioner rüber, die einen leicht rechten Touch hatten oder eben extrem gewalttätig waren. Und Union hat dann immer mehr abgebaut. Und das hat sich bis jetzt gehalten.

Und dann solle es ja bei BFC noch so einen Sprechchor gegeben haben: „Speiche, Speiche, wir wollen Deine Leiche“
Den gab es nicht nur bei BFC. Ich bin seit meinen 13.Lebensjahr bei Union mitgefahren und hatte da ziemlichen Durchblick und kannte alle Fanclubs. Und wenn dann mal irgendwo wieder irgendjemand einen Punk verhauen hat, bin ich halt im Stadion hingegangen und habe mir die gegriffen.
Im Stadion. Ich konnte mir das leisten. Ich bin da ran, habe denen auf die Fresse gehauen und niemand hat sich eingemischt.

Vielleicht ist das jetzt etwas übertrieben. Aber das klingt so, als wäre Deine Freizeit einen einzige Ansammlung von Schlägereien gewesen.
Auf jeden Fall. Auf jeden Fall ging es oft ab. Ständig. Es ging z.B. so, dass wir uns bis Mitte der 80er praktisch Duelle geliefert haben. BFCer und Unioner. Wir haben immer nach einem BFC Spiel an der Greifswalder Straße gewartet, weil dort viele BFCer wohnten, und die dann verprügelt. Die sind Greifswalder raus aus der Straßenbahn und haben gleich auf die Fresse gekriegt.

Hat man sich da vorbereitet?
Unbewaffnet. Aber es waren schon ein paar dabei, die gut boxen konnten. Und überhaupt: Die Leute die da hin gefahren sind, hatten alle schon irgendwelche Erfahrung in Prügeleien oder waren aggressiv drauf. Das ging jahrelang immer hin und her. So ein bisschen nach dem Racheprinzip. Ich hab mich da jahrelang rausgehalten. Aber irgendwann hat es eben einen von meinen Leuten erwischt. Eine Zeit lang war das so, dass wir im Stadion der Weltjugend spielen mussten, weil die Alte Försterei renoviert wurde. Und da haben sich auf dem Alex immer die BFCer getroffen, die SB-Clique und die haben ein paar mal die Unioner, die da umsteigen mussten, so richtig im größeren Stil überfallen. Da hat es echt viele Leute erwischt, die man so kannte. Und ab da hat es sich immer mehr hochgeschraubt. Und dann waren auch die Bullen immer mehr mit von der Partie. Da gab es ein paar mal Festnahmen und zwei mal haben sie mich auch von zu Hause abgeholt, vor dem Spiel. Wo denen klar war, es gibt einen Plan, wie die Schlacht nach dem Spiel ablaufen soll und ich bin da irgendwie beteiligt. Das ging immer hin und her. Ein paar mal haben die BFCer gewonnen. Aber einmal haben sie auf dem Alex auch richtig Dresche gekriegt. Da mussten sie auch laufen, obwohl sie mit 200 Leuten da waren. Da sind mit der ersten S-Bahn von uns nur ein paar Leute angekommen und wollten runter. Die haben aber gleich gesehen, da sind zuviel und haben auf Verstärkung gewartet. Dann kam die nächste S-Bahn. In der waren nur die harten Kunden von Union drin. Der gesamte harte Kern. Alle, die irgendwie prügeln konnten, sind da ausgestiegen und runter. Da ging es dann unten ab und die BFCer mussten laufen und haben ganz gut Prügel bezogen. Na ja, die BFCer haben mich einfach gehasst. Deshalb haben sie auch „Speiche, Speiche, wir wollen Deine Leiche“ gerufen. Die haben mich einfach gehasst. Weil ich Ihnen auch immer entkommen bin und auch an vielen Aktionen beteiligt war, wo sie auf die Fresse gekriegt haben. Und weil ich bei den Punks einen guten Ruf hatte. Die Größen bei BFC, Vogt und so, die kamen auch aus der Ost-Punkszene. Und die konnten das überhaupt nicht haben, dass bei Union auch Punker sind. Für die war Punk Protest und BFC war Protest. Und Union war irgendwie kein Protest, das war für die so ein Hippie-Mob. Die wollten härtere Sachen. Ich weiß nicht, ob die damals schon straight rechts waren, aber irgendwie ging das schon in die Richtung

Kannst Du mal ein typisches Wochenende beschreiben?
Das war nicht so, dass man sich verabredet hat. Man hat sich halt getroffen. Und dann hat man den Konzerttermin erfahren. Oder du hast einen Tag vorher erfahren, es wird ein Konzert geben. Und alle waren dann an ihren Treffpunkten und einzelne Personen sind dann zu den einzelnen Treffpunkten hin und haben Bescheid gesagt. Die waren am Alex, ein paar haben sich am Wasserturm getroffen, ein paar haben sich im Mecki-Dorf getroffen, ein paar waren am Plänterwald – und so gab es lauter Treffpunkte und da hat man alles erfahren. Ja, ein typisches Wochenende? Ich erzähl mal ein bestimmtes. Wir sind zum Alex gefahren. Abchecken, wer da so da ist. Aus Grünau sind die Zwillinge gefahren. Dann noch Skala, Abwärts und Icke und Katrin Kreisel und noch zwei andere Punkfrauen aus der Ecke. Also wir sind von Grünau losgefahren. Am Bahnhof hatten wir dann erst mal eine Ausweiskontrolle. War aber o.k. Und Adlershof sind dann noch Putzi und Iro dazugestiegen, in die gleiche S-Bahn wie wir. Da waren wir also schon neun. Dann sind wir zum Alex gefahren. Und als wir die Treppen runterkamen, kamen uns vier jugoslawische Punks entgegen, die wir kannten. Die meinten: „Eh, Vorsicht. Da unten sind Bullen, die machen Ausweiskontrolle.“ Da haben wir gleich die Richtung gewechselt und sind hinten raus und in Richtung Posthorn gelaufen. Vor dem Posthorn standen dann auch schon 30 Punks, ein paar kannten wir, ein paar kannten wir nicht. Da haben wir uns erst mal hingestellt und kurz mal Tag gesagt und ein paar Flaschen Wein rumgereicht. Und da gab es auch einen Bierstand, das war o.k.. Und dann kamen die Bullen mal gucken. Aber das waren nur acht und da war klar, dass die nichts machen, weil wir zu viele waren. Dann kamen noch aus dem Tutti-Frutti Leute, die meinten „eh wir fahren in den Spreewald raus, da ist Party“. Da sind wir eben alle in den Spreewald raus gefahren. Also alle rein in die S-Bahn. Alle haben Punklieder gesungen. Alle waren leicht angeheitert. Alle gut drauf. Wir also Friedrichshagen raus und – unten vor dem Bahnhof stehen zwei LKWs mit Bullen. Wir sehen die und sind gleich über die Gleise weg. Die Bullen haben das gar nicht gerafft. Die waren einfach zu blöd. Und im Spreewald haben wir dann weiter gefeiert. Da gab es auch ein, zwei Prügeleien mit der Security. Die waren echt dickköpfig. Das waren schon die alten Bekannten, die immer eingesetzt wurden, wenn irgendwo Punker waren. Das waren Typen wie Rolf Weber, und Peter Hensel. Das waren DDR-Kraftsportmeister. Dann gab es noch so einen Typ aus Eichwalde, Lothar Nimz. Also mit der Zeit kannten wir die alle. Weil die immer irgendwo aufgelaufen sind. Die haben uns ein paar mal auf die Fresse gehauen. Aber ein paar mal haben die auch von uns auf die Fresse gekriegt. Aber irgendwie hat sich das schon immer eingerichtet. Denn die wollten auch keinen Krieg mit uns. Die wussten, irgendwann können wir auch mit hundert oder zweihundert Leuten ankommen. Im FAS gab es eine krasse Aktion, wo das richtig auseinandergenommen worden ist. Da sind mal ein paar Leute von uns richtig krankenhausreif geschlagen worden und eine Woche später sind wir da mit 120 Leuten aufgetaucht und haben das klar gemacht. So was hat ein paar mal funktioniert, ein paar mal ist es auch schief gegangen. Weil die Bullen dann schon an dem S-Bahnhof standen, wo wir uns getroffen haben und alle eingeladen haben. Auf jeden Fall haben wir aber auch im Langhans-Club mal Bescheid gesagt, im FAS mal Bescheid gesagt. Auch im Spreewald öfter mal. Und im Plänterwald-Club, der war auch hart umkämpft. Also jetzt nicht der Kulturpark, sondern die Kneipe. Im Kult haben die Ordner 1984/85 mal versucht, die Order durchzusetzen, dass wir da nicht raufkommen. Da gab es dicke Schlägereien. Aber das war einfach klar, wir kommen wieder. Wir geben die Location nicht frei. Und es wird immer wieder Stress geben, wenn die uns da nicht rauf lassen, bis sich das irgendwann auf das Geschäft auswirkt. Kult war bis Ende der 80er so ein wichtiger Punkt. Das hat erst ein bisschen nachgelassen, als es dann auch schon KvU und Erlöser gab.

Damit sind wir ja dann auch bei der KvU und Erlöser angelangt. Das war ja nun schon etwas politisch. Wie ist denn das entstanden und wie bist Du da hingekommen?
Ich habe spätestens seit meinem 17./18.Lebensjahr immer nach Wegen gesucht, mich zu artikulieren. Bei Union hatte ich meinen Fanclub. Wir waren18 Leute, aber von den 18 Leuten haben es vielleicht vier oder fünf richtig ernst gemeint. Das war mit einfach zu wenig. Und auch wenn Du Dich mit den anderen Fanclubs getroffen hast, hast Du Dich gut verstanden und was gemacht. Aber wenn es über Fußball hinaus ging, da wurde es dann immer weniger. Und da war dann auch nie so ein Zusammenhalt da, wie unter den Punks.

Erlöser war praktisch ein Nachfolger von der Pfingstgeschichte. Da standen teilweise die selben Leute dahinter und es gab praktisch auch ein paar Sozialdiakone, die zu uns Freundschaft geschlossen hatten. Ich bin auch immer nach Rummelsburg zu dem Mittwochstreff. Der hatte aber nicht viel mit Politik zu tun. Aus der Mittwochsgruppe hat sich dann die Montagsgruppe abgespalten, die hat versucht, politisch-inhaltliche Themen zu bearbeiten. Wie Rassismus. Da gab es verschiedene Vorträge. Es gab auch Leute, die sich mit Literatur beschäftigt haben – da gab es Vorträge über Erich Mühsam und Tolstoi. Das wurde dann schon politischer. Und dann gab es auch die Mühsam-Ehrung, die jedes Jahr stattfand. Es gab Leute die sind am Todestag nach Oranienburg zum Gedenkstein gepilgert und haben dort Kränze niedergelegt und Gedichte vorgelesen. Es war immer komplett überwacht – ein Klassiker war zum Beispiel der Mann mit der Aktentasche, der stundenlang am Bahnhof rumgestanden hat und aus der Aktentasche filmte. Oder das große Richtmikrofon, was direkt aus dem Polizeirevier kam und da war dann so ein Objektiv dran, dass du dachtest, dort oben wird der Mond erforscht.

KvU war ein Versuch, ein breiteres Bündnis zu finden zwischen den unterschiedlichen Leuten. Das war so eine Art Vernetzung zwischen Punks und Künstlern und Schwulengruppen und Ausreiswilligen und Nicht-Ausreisewilligen und Köpfen, die meinten, sie wollen in unserem Land was verändern. Ich bin zur KvU gekommen, weil die politische Gruppe in Erlöser für mich geschlossen war. Die Punks aus Erlöser haben mir nicht vertraut. Teilweise bis zum Ende der DDR.

Da gab es das Gerücht, daß Du IM bist.
Genau. Es gab lange Zeit Gerüchte, ich wäre bei der Stasi. Heute weiß man aus den Akten, dass das teilweise vom IM K.S. Schwarz, also Imad Abdull aus Leipzig gestreut worden ist. Und von IM S. Erich, also von Bernd Hennig – damals als Boris bekannt, der später bei Wartburgs für Walter spielte. Dass also Leute einen Auftrag hatten, mich in der Szene zu „outen“ und meinen Ruf zu schädigen. Weil ich eben die unterschiedlichsten Leute kannte und immer wieder Sachen auf die Beine gestellt habe und eben DDR-weit Connections hatte. Zumal ich aufgrund meines Outfits und aufgrund der Sachen, die ich gemacht habe, sowieso auf die DDR eingegrenzt war. Ich konnte nicht in die Tschechoslowakei, ich konnte nicht nach Polen…

Heißt das, dass Du einen Sonderausweis hattest?
Nein, ich hatte noch keinen PM12 – zum Glück – wie viele sonst. Das war fast üblich. Viele Punks hatten einen PM12. Und manche hatten sogar einen 48er, sie hatten Berlin-Verbot oder sie durften nur in bestimmte Bezirke. Manchmal ging das sogar so weit, dass Leute einen 48er hatten mit Einteilung des Taschengeldes und Schlüsselrecht durch den ABV und Besuch musste angemeldet werden. Subs, eine Punkfrau, ist ins Gefängnis gekommen für eine Prügelei, wegen Körperverletzung. Und dann haben sie ihr noch ´n Assi rangehangen und auch Diebstahl – und als sie rausgekommen ist, haben sie sie nach Watzendorf bei Leipzig verfrachtet und da hatte sie jahrelang „Kalte“. „Kalte“, das heißt kalt von Berlin. Wie im Westen kalter Entzug von Heroin – so hieß das bei uns „Kalte“. Wenn du Berlinverbot hattest, hattest du „Kalte“. Dann durftest du nur in irgendwelchen Mischpoken-Dörfern wohnen, durftest nirgendwo mehr hinfahren, musstest dich immer ab- und anmelden und warst von den Spießern aus der Nachbarschaft kontrolliert.

Also nochmal KvU. Die Nachttopf-Veranstaltungen, das waren ein Gemisch aus Leuten, die nicht unbedingt Punks waren. Irgendwelche Ökos, Kleinkünstler und andere. Die haben den Nachttopf gestaltet. Und dabei habe ich immer mitgeholfen. Und dann habe ich auch Veranstaltungen mit vorbereitet. Zur Friedenswerkstatt gab es eine Veranstaltung, die nannte sich Schwarz-Rotes Sofa. Ein Happening mit Konzerten, Ausstellungen und Lesungen von Leuten, die alle keinen öffentlichen Raum zur Verfügung hatten. Und zu denen gehörten wir auch. Wir hatten keinen Raum, in dem wir selbstbestimmt etwas machen konnten. Wir wollten einen Raum, in dem wir selbst bestimmen. Und das war im Prinzip die Intention von der KvU. Im Zusammenhang mit dem Kirchentag 1987, haben wir das erste Mal als „Kirche von Unten“ eine Besetzung angekündigt. Wir haben den ganzen Kirchentag über gestört, mit kleineren Aktionen. Wir sind irgendwo aufgetaucht, haben Flugblätter von der Empore geworfen, um darauf hin zu weisen, dass es uns auch gibt. Darauf hin haben die einen Schreck gekriegt und uns die Schlüssel gegeben für die Pfingstkirche. Und da hatten wir dann in den zwei Tagen einen Durchlauf von 15.000 Menschen. In zwei Tagen. Das war unser feedback!

Und dann habt Ihr die Räume gekriegt. Was ist denn da dann so passiert?
Das hat ja ne Weile gedauert. Im November 1988 haben wir Räume in der Berliner Elisabethkirchgemeinde endlich gekriegt. Es war eigentlich nur eine Öffnung geplant am Sonnabend und ein Frühstück am Sonntag. Und ich habe gesagt, o.k. ich mache den Freitag. Ich kümmere mich darum, dass hier eine Bar steht und dass hier Musik ist. Und da haben dann noch ein paar Leute mitgemacht, von denen war niemand direkt aus der Punkszene. Und das war einer der einzigen Alternativpunkte in Berlin, der freitags die ganze Nacht auf hatte. Und das uferte sehr schnell aus, so dass regelmäßig 200 Leute da waren. Das war o.k. Das gab kaum Probleme. Alle Leute wurden eingewiesen, wie sie sich zu benehmen hatten. Wenn Leute mal ausgeflippt sind oder Scheiße gebaut haben, haben wir die auch mal rausgeschmissen. Da haben sie eine Woche Verbot gekriegt. Aber das haben sie meistens akzeptiert.

Kannst Du dich noch an die Aubi-Phase erinnern, wo eine Zeit lang nur alkoholfreies Bier verkauft wurde?
Da gab es so eine Truppe Grufties, die immer am Alex rumgehangen haben und auf Kleber waren. Die sind praktisch immer freitags um neune angekommen und waren schon völlig fertig. Die haben regelmäßig Stress gemacht, bis dann irgendwann keine Sau mehr gekommen ist. Die waren alle genervt. Da mussten wir dann ein paar Monate alkoholfreies Bier ausschenken, um die wieder los zu werden. Aber bis Leute sich das bei uns verdorben haben, mussten sie sich schon wirklich was leisten. Denn letztendlich war die Idee: so offen wie möglich – und so frei wie möglich. Du musst das auch in dem Zusammenhang sehen, dass es seit 1987 so etwas wie eine Öffnung der FDJ gegenüber Mode-Punkern gab.

Du meinst, dass plötzlich auch in Jugendclubs Punkgeschichten laufen konnten?
Das ging auf einmal ab. Im Schmenkelclub, auf der Insel der Jugend, Tierparkclub, HdJT, das ging ab im Knaack, manchmal im Franz, im Duncker oft. Und das waren irgendwie zwei Szenen, die so nebeneinander existierten.

Die meisten Leute, die in der KvU gelandet sind, waren eben Leute, die nicht überall reingekommen sind und die auch einen bestimmten politischen Hintergrund hinter der ganzen Musik gesehen haben. Das gehörte in der KvU schon fast zum Konsens, dass bestimmte eingestufte Bands hier nicht spielen dürfen. Da gab es auch Ausnahmen, die spielen durften. Wie Die Firma, die spielen durften, weil sie den Geschmack aller getroffen haben. Obwohl wir heute auch wissen, dass von denen zwei bei der Stasi waren. Aber es gab auch Bands, mit denen wollte keiner was zu tun haben, gerade von den „Anderen Bands“.

Machen wir das doch mal an einem Beispiel fest. Um die Skeptiker gab es doch viele Kontroversen, weil die einen Fördervertrag von der FDJ gekriegt haben.
Da gibt es natürlich eine ganze Vorgeschichte. Ich kann ja mal erzählen, wie meine Erfahrung mit den Skeptikern ist: Ich habe die Skeptiker kennengelernt im Zusammenhang mit Aufnahmen von Kein Talent, von Lord. Also haben wir Aufnahmen gemacht. Dem Schlagzeuger von Skeptikern hat das Grundstück gehört. Also erst mal hatten die wirklich zwei Studios dort auf ihrem Grundstück. Und haben uns das schlechtere gegeben. Da waren wirklich zwei Studios auf dem Grundstück und ein Riesen-Haus, wo niemand drin gewohnt hat. Was praktisch nur ein Partyhaus war. Und dann haben wir nach den Aufnahmen hinterher Party gemacht mit denen. Und wir hatten uns ziemlich einen angetrunken. Da kamen dann so Diskussionen auf, bei denen ging es genau um das eine Thema: Einstufung oder Nicht-Einstufung. Und da haben die gesagt zu Kein Talent: „Eh macht doch mal Eure Texte ein bisschen netter. Macht das ein bisschen staatsfreundlicher. Dann kommt ihr auch bestimmt damit raus.“ Und wir: „Bist Du bescheuert, eh. Wir machen die Musik, weil wir Spaß haben und weil wir in Bewegung sind und nicht, um uns zu arrangieren.“ Ganz klare Aussage.
So war damals die Auseinandersetzung. Damals haben die Skeptiker noch Südstaatenrock gemacht. Südstaatenrock! Nichts anderes! Ein halbes Jahr später haben die ihre Band gegründet. Da habe ich die gesehen und da hatten die doch zwei, drei Riffs echt geklaut, von den Aufnahmen. Und da waren natürlich alle sauer.

Na klar gab es von diesen ganzen „Anderen Bands“ auch Sachen die o.k. waren, auch wenn FDJ draufstand. Ich weiß doch selber, wie das alles damals gelaufen ist mit Billy Bragg, und mit den Neurotics und mit Attlilla and the Stockbrokers. Und da waren wir auch immer präsent. Aber trotzdem war das nicht das, was wir wollten. Und deswegen haben wir weiter unser Ding gemacht. Und wir haben deshalb als Gegensatz dazu das Frühlingsfest in der Erlöserkirche veranstaltet.

Aber gerade Erlöser! Du kannst mir doch nicht erzählen, dass das für den Großteil der Punks, die dahin gekommen sind, politisch war. Denen ist doch die Politik voll am Arsch vorbei gegangen.
Aber da bin ich jetzt mal ganz streng. Das, was von der Bühne kam, war politisch. Und ich sage immer noch: die uneingestufte Geschichte, die da gelaufen ist, war die echte Geschichte! Da gab es immer einen Konsens und der hieß Freiheit. Dass niemand das Recht hat, Dich zu zensieren. Da ging es um Widerstand! Und das kannst Du auch an den Bands sehen, die da gespielt haben. Active Minds z.B: die kamen aus der englischen Anarcho-Veganer-Szene und haben immer in anarchistischen Projekten gespielt, mit wenig Geld. Oder SM70 aus Westberlin. Das sind Leute, die schon 1981 in Kreuzberg in der Besetzerszene aktiv waren. Die haben gesagt: warum soll ich denn auf irgendwelchen Riesen-Bühnen rumhopsen? Nee, wir wollen am Volk spielen und Kommunikation mit den Leuten haben. Und das ist eben ein Unterschied: Ob ich Musik für Geld mache oder ob ich Musik für eine Sache mache.

Was hast Du denn eigentlich in der Woche gemacht? Wovon hast Du denn gelebt?
Ich habe in einer Bäckerei gearbeitet, sieben Jahre lang. Dann habe ich eine kurze Pause gemacht und habe mich beworben um einen Job, wo klar war, da suchen sie Leute. Das war 1986/87 in einem Altersheim als Pflegekraft. Am Wahltag hatte ich dann immer frei und durfte das Heim nicht betreten, weil sie Schiss hatten, dass ich die Leute agitiere. Dann habe ich nochmal aufgehört und ein bisschen Urlaub gemacht, ein bisschen länger, als man durfte und mich nochmal um einen anderen Job beworben. Ich habe mich umgehört und habe zum Beispiel mal Fensterputzen bei Bärbel Bohley gemacht, wofür sie mir eine Quittung gegeben hat. Weil ich ja nachweisen musste, wovon ich lebe.
Die Bullen haben mich ab und zu vorgeladen, „Zur Klärung eines Sachverhaltes“, und da haben sie dann immer genau wissen wollen, wovon ich meinen Lebensunterhalt bestreite. Das musstest du immer sofort nachweisen können. Ansonsten war Hausdurchsuchung angesagt. Aber ich war fit, und habe denen das immer gleich vorher geschickt und dann nochmal angerufen. Da konnten sie mir auf der Schiene nichts mehr. Und dann habe ich noch so eine 10 Mark -Versicherung abgeschlossen und dann ging das auch klar. Und irgendwann habe ich dann einen Job auf dem Bau von der Zionskirche bekommen. Da habe ich dann unter der Leitung von Carlo Jordan und Reinhard Schult gearbeitet. Da auf dem Bau waren zwei Langhaarige und der Rest waren alles Punker. Dann haben sie versucht, mir mit der Steuer zu kommen. Aber das habe ich auch abgelockt und habe genau aufgepasst, dass ich da nicht mehr als 600 Mark verdiene. Da habe ich dann nebenbei irgendwelche Jobs gemacht. Mal beim Umzug geholfen. Oder später habe ich Siebdruck gemacht.

Alf-T-Shirts haben wir da gedruckt, allein in der Lychener gab es 11 Leute, die Alf gedruckt haben. Das erste mal bin ich mit 200 T-Shirts zum Verkaufen gefahren. Da dachte ich, o.k. 200 T-Shirts – das dauert sechs Wochen, bis ich die los bin. Sieben Stunden hat´s gedauert! In Warnemünde an der Mole. Ich habe nur noch das Geld in alle Taschen gestopft! Die letzten T-Shirts konnte ich gar nicht mehr verkaufen, weil ich nicht wusste, wo ich das Geld hinstecken soll.

Kannst Du einen Vergleich ziehen, was Szene damals war und was Szene heute ist? Wo sind die Unterschiede? Und spielt Ost – West eine Rolle?
Bei den Projekten, die ich mitgemacht habe und die ich noch mitmache, spielt nicht nur Ost und West eine Rolle, sondern auch international. Der Eimer ist sowieso international und Stubnitz zum Teil.
Zum jetzigen Zeitpunkt ist der Eimer das letzte besetzte Haus in Ostberlin. Die Idee, das Haus zu besetzen, kam von Künstlern, Musikern. Beteiligt waren die Bands Die Firma, Freygang, Ich-Funktion, Teutonic Death Fun Core. Teile der ersten Besetzung wurden dann als IM geoutet und hatten dadurch ihr Hausrecht verloren.

Die Idee des Eimer ist es, ein Haus zu haben, in dem sich Leute treffen, die aus den verschiedensten Szenen und den unterschiedlichsten Musikrichtungen kommen. Also Leute, die mehr aus der Drum´n´Bass – Ecke kommen und Leute, die aus ganz anderen Richtungen kommen. Wir wollen den Laden für die unterschiedlichsten Leute öffnen, um den unterschiedlichsten Kräften die Möglichkeit zu geben voneinander zu lernen. So ist die Idee. Zu Beginn waren das erst einmal viele Punkkonzerte, Performance und Kunstgeschichten. Die elektronische Musik kam erst etwas später hinzu, etwa ab 1992. Aber die Sachen, die immer noch am besten besucht sind, sind gute Rock’n’Roll-Konzerte, gute Punkkonzerte. Da gibt es die besten Partys, die beste Stimmung. Und das ist der Ursprung. Obwohl auch bei guten Drum´n´Bass Geschichten viele Leute kommen, die Stimmung gut ist und viel Geld rein kommt. Das wir nötig brauchen, da wir keinerlei Staatskohle bekommen.

Stubnitz ist eine ganz andere Sache. Das ist ein Schiff in Rostock, ein Projekt, das sich mit Kulturaustausch beschäftigt, das überall hinfährt und sich aber mit ähnlichen Gedanken trägt wie der Eimer. Nämlich, dass sich verschiedene Musikkulturen kennenlernen und untereinander austauschen.

Fühlst Du dich heute noch als Punk?
Ooh, die Frage ist schwer. Die kann ich so eigentlich gar nicht beantworten, denn es stellt sich die Gegenfrage: was ist Punk? Wo will man das festmachen, ich spiele Punkmusik und ich gehe zu Punkkonzerten. Wenn ich zu einem guten Konzert gehe und die Stimmung ist gut, dann ist alles cool. Dann ist das Punk.

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