aus telegraph 4/1989 (#04)
Folgender Bericht erreichte uns erst jetzt, da das Berliner Kontakttelefon gewisse Mängel hat:
Für den 9. Oktober war auf dem Markt in Halle ein „Schweigesitzen“ von 17.00 bis 18.00 Uhr geplant:
„Schweigen für Leipzig, Schweigen für Reformen, Schweigen für das Hierbleiben“.
Es war keine kirchliche Veranstaltung, jedoch wurden die Türen der Marktkirche offengehalten. Schon gegen 14.00 Uhr war ein massives Aufgebot von Sicherheitskräften auf und um den Markt versammelt. gegen 17.00 Uhr versammelten sich über 1 300 Menschen vor der Marktkirche mit Blumen und Kerzen, es wurden Transparente entrollt: „Gewaltfrei widerstehen!“, „Schweigen für Leipzig, Schweigen für Reformen, Schweigen für das Hierbleiben“. Nach der Aufforderung der Polizei, den Platz zu räumen, gingen die Demonstranten in die Kirche. Hinter einer Polizeikette hatten sich inzwischen weitere 2.000 Bürger versammelt, und solidarisierten sich mit den Demonstranten in der Kirche. Evangelische und katholische Pfarrer im Talar versuchten, eine Eskalation zu verhindern. Dabei wurde Pfarrer Körner von Polizisten zu Boden gerissen. Gleichzeitig fand in der Marktkirche eine spontane Andacht mit Zeugnissen der Betroffenheit statt. Die auf dem Markt versammelten Bürger wurden von der Polizei eingekesselt und nach Ende der Veranstaltung in der Kirche, die die Besucher durch den Hinterausgang verlassen konnten, brutal zusammengeknüppelt. Es kam zu zahlreichen Festnahmen auch völlig unbeteiligter Passanten und Straßenbahnfahrgäste. Über dieser Szenerie läuteten die Glocken der Marktkirche.
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