aus telegraph 4/1990
von Dirk Teschner
Das BRD-Kapital handelt der DDR-Regierung eine Beschränkung nach der anderen für joint ventures herunter, die Verfassung wird dazu ohne Zustimmung des Volkes geändert. In der EG wird schon über die Aufnahme der DDR in den westlichen Wirtschaftsbund diskutiert. Schöne Worte wie „Gemeinsames Haus Europa“ werden gebraucht – übrigens auch von großen Teilen der neuen Gruppen und Parteien in der DDR. Wer meint, mit Europa wäre das gesamte Europa gemeint, ist närrisch. Klar ist, neben der DDR werden höchstens die CSSR und Ungarn einen Platz im Kellergeschoß finden, aber dann ist Schluß. Kein Interesse an Polen, Rumänien, geschweige denn an der UdSSR. „Europa muß grenzenlos werden“, – so tönt es aus den Mündern der Deutschlandpolitiker und Interessenvertreter der Mächtigen. Die grenzüberschreitende Koalition für den EG-Binnenmarkt müßte mißtrauisch machen.
Europa wird grenzenlos für die EG-mbHs, das Binnenmarktprojekt mit beschränkter Haftung für Demokratie, ArbeiterInneninteressen, Frieden und Ökologie. Ziel ist die Schaffung einer Art großer westeuropäischer Aktiengesellschaft und die Verwandlung Westeuropas in einen großen Supermarkt.
Die Expansion westeuropäischen Kapitals in der sogenannten Dritten Welt stößt an ihre Grenzen:
– Konkurrenz mit den USA und Japan,
– Krisengebiete, Streiks, Revolten, Plünderungen
– kaum neue Absatzmärkte in der Dritten Welt und somit zu langer Transportweg zu anderen Märkten
Damit verstärkt sich der Drang der EG, Kapital zu zentralisieren und zu konzentrieren.
Weniger Leute sollen schneller arbeiten und mehr erwirtschaften, die sozialen Ausgaben sollen gesenkt werden, die Arbeitszeiten der Beschäftigten, die Lebensarbeitszeit verlängert werden, usw.. Wenn diesen Zielen zuviel Druck der ArbeiterInnen z.B. in der BRD entgegengebracht wird, dann wird die Produktion nach Portugal, Ungarn, Griechenland oder in die DDR verlagert. Nicht nur Konzerne arbeiten emsig an der Vollendung des EG-Binnenmarktes 92, auch die Polizei bereitet sich auf das neue Europa vor. Helmut Kohl wünscht sich eine EG-Bundespolizei (1). Es soll eine Art „Europäisches „Kriminalpolizeiamt“ (EKA) unter Leitung des „Bundeskriminalamts“ (BKA) aufgebaut werden (2).
Erste Schritte dahin wären
– eine Fahndungsunion, um europaweit Jagd auf Verdächtige machen zu können und ein günstiges Auslieferungsverfahren zwischen den Staaten
– einheitliche EG-Ausweise
– intensiver Daten- und Informationsaustausch (also Euro-Stasi)
– Angleichung des Ausländer- und Asylrechts
Ziel soll sein, eine Auslieferung dann durchzusetzen, wenn der andere Staat dafür keine Strafbarkeit kennt 3, wenn es sich um poli¬tisch motivierte Straftaten handelt.
Als „Ausgleichmaßnahmen“ für den Verzicht auf die Grenzkontrollen sollen realisiert werden
– Austausch von Polizisten bei Einsätzen
– eine gemeinsame verdeckte Registrierung und gezielte Kontrolle einzelner Personen (4)
– Präventivverhaftung wegen vermutlicher Störung der öffentlichen Sicherheit
– ein Datenverbund
– die Tätigkeit von V-Leuten in anderen Ländern (die jetzige Arbeit von ehemaligen Stasi-MitarbeiterInnen beim Bundesnach¬richtendienst (BND) könnte da als Vorbild dienen)
– die Zusammenarbeit von Geheimdiensten
– ein EG-Ausländer-Zentralregister (5)
Europa soll zur Festung werden, ImmigrantInnen sollen europaweit diskriminiert und ausgewiesen werden. Das wird natürlich nicht gelingen, es wird riesige Ballungsgebiete geben.
Berlin soll ausgebaut und zur Supermetropole und Hauptstadt von Europa umstrukturiert werden. Damit steht auch für uns konkret das Problem EG-92 auf der Tagesordnung. Es tagen schon West-Berlin/Ost Berlin-Regionalausschüsse, es werden schon neue Konzepte entwickelt für neue Stadtautobahnen, Wohn-Ghettos, Luftkreuze, Riesenflughafen im Süden von Berlin – Umschlagplatz von Ost- und Westeuropa. In diese Umstrukturierungsstragie paßt auch (beängstigenderweise) der Plan für die Olympiastadt Berlin – also Errichtung von Super-Sport-Anlagen, Hotels, Vergnügungsstätten, verbunden mit der Herausdrängung von „normalen“ und „alternativen“ Wohnstrukturen aus der City an die Stadtränder und Erhöhung der Mieten.
Dringend notwendig ist es, die Diskussion in der DDR über die Perspektiven der wirtschaftlichen Einbindung in ein europäisches Wirtschaftssystem aufzunehmen und vor allem die Auswirkungen auf die Menschen in diesem Land. Es lohnt, über die Reformierung des RGW nachzudenken oder andere Strukturen zur Zusammenarbeit aller Menschen weltweit, im wirtschaftlichen und kulturellen Bereich aufzubauen.
1 „Badische Zeitung“, 20.10.1988
2 dpa/sw 24.6.87
3 Schreiber, BMI, Kriminalistik, 1985, S.97
4 Schengener Abkommen, 1985
5 TREVI (Terrorisme, Radicalisme, Extremise, et Vionlence Informatio¬nel)