Statt eines Editorial: Ein Rechtsanwaltmärchen

aus telegraph 4/1990
von Wolfgang Rüddenklau

Es war einmal ein kleines Land, das hatte eine sehr eitle Regierung. Jeder, der auch nur einen dummen Witz wagte, wurde unnachsichtig verhaftet und eingesperrt. Die Richter standen im Solde der Regierung und die Gefängnisse hatten Hochkonjunktur. Und weil es sehr gefährlich war und ohnehin keinen Zweck hatte, der Regierung zu widersprechen, gab es in jenem Land auch nur drei Rechtsanwälte.

Der erste hieß Strick und verstand es meisterhaft, immer wieder ebenso beredte wie aussichtslose Appelle an die Richter zu verfassen. Der zweite, Rechtsanwalt Gieskübel, baute weniger auf die Tränendrüse als auf geniale juristische Tricks und hatte damit ebenso großen Erfolg wie Rechtsanwalt Strick, nämlich gar keinen. Der dritte, Rechtsanwalt Maiskolben, unterschied sich dadurch von seinen Kollegen, daß er Westgeld nahm.

Eines Tages gab es in jenem Land eine Revolution und die eitle Regierung stürzte unter Schrecklichem Gebrüll in einen Abgrund. Ob nun unsere drei Rechtsanwälte das ständige erfolglose Verteidigen satt hatten, ob sie glaubten, daß in Zukunft keine Rechtsanwälte gebraucht werden oder ob sie die Konkurrenz von neuen Kollegen fürchteten, weiß niemand. Sie wurden jedenfalls alle drei Parteivorsitzende.

Rechtsanwalt Maiskolben blieb seiner Profession treu und übernahm die Führung einer Partei, die besonders viel Westgeld erhielt. Auch Rechtsanwalt Gieskübel wahrte den Charakter und wurde Vorsitzende einer Partei, die zum Untergang verurteilt war. Und wirklich führt er sie unter allerlei kühnen Tricks immer näher diesem Ziel entgegen. Rechtsanwalt Strick aber führte den demokratischen Ausbruch und verteilte vor der Berliner Markthalle Coca Cola an das Publikum.

Im Lande aber herrschte Rechtsunsicherheit und für die kleinen Leute gab keinen Rechtsanwalt mehr, aber dafür viele schöne fette Parteien zum Auswählen, eine fetter als die andere. Und ist das nicht zum Heulen?

(Wird fortgesetzt mit einem Pfarrermärchen)
r.l.