aus telegraph 4/1990
von Georg Jatzwauk
Durch unsere Medien gingen die Ereignisse vom 2. Januar in Beelitz, der schlagartig den Zustand der Volksarmee beleuchtete. Weniger bekannt ist, daß damals die Soldaten fast in allen Einheiten ihrem Frust in der einen oder anderen Form Luft machten. Hier in Auszügen der Bericht eines Panzer-Soldaten aus Dresden:
„Am 1. Januar gegen 19 Uhr kam plötzlich ein Anruf von den Soldaten der 8. VP-Bereitschaft bei uns in Dresden, in welchem sie ihre Empörung über die nur schleppende Reform bei der Armee ausdrückten. ‚Alles hat vor dem Kasernentor haltgemacht, nun ist das Maß voll! Jetzt sollten auch wir endlich auf die Straße gehen.‘ Binnen einer viertel Stunde war der größte Teil unserer Kaserne wie leergefegt; alle liefen mit Kerzen durchs KDL, als ob es das Normalste von der Welt sei.
Draußen trafen wir Alle mit Plakaten, auf denen zu lesen war: 12 Monate – die Wirtschaft ruft!
Bei aller Liebe, wir wollen zurück in die Betriebe!
Wir gingen in Richtung Stadtzentrum, bis sich der Kommandeur der 7. Panzerdivision, Oberst Bednara, uns plötzlich in den Weg stellte. Es folgten gellende Befehle; wir sollten sofort zurück in die Kaserne, auch sollten wir uns nach Einheiten getrennt aufstellen. …
Uns allen erstarrte das Herz, und keiner wußte so richtig, was jetzt zu machen sei. Bis dann ein Soldat einfach „BUH“ rief. Wie ein Kampf unserer Stimmen, so kam es mir vor: Der Kommandeur ständig Befehle schreiend und wir darauf einstimmend mit unseren Buh-Rufen. Mit der Zeit wurde er immer ruhiger und gesprächsbereiter, sodaß wir unsere Forderungen gleich dort auf der Straße stellen konnten. Als wir jedoch merkten, daß der Kommandeur trotzdem nur auf seinem Standpunkt beharrte, liefen wir einfach weiter.
Kritisch wurde es erst, als die Spitze unseres Demonstrationszuges wendete und alles wieder in Richtung Kaserne lief. Ich bekam einfach Angst, denn es war weder die Presse noch irgendeine der basisdemokratischen Gruppen auf unser Rufen und Demonstrieren hin gekommen. Doch einen Rückhalt brauchten wir einfach, sonst hätte man uns fertig gemacht. Deshalb riefen wir den Pfarrer Seibt aus der Gemeinde Dresden-Neustadt an und kurze Zeit später war er auch schon da. Freundlich begrüßte ihn unser Kommandeur und erklärte ihm, daß er über alle unsere Probleme Bescheid wüßte und die meisten davon schon geklärt werden konnten. Der Pfarrer entgegnete einfach, wenn dem wirklich so wäre, würden all diese Soldaten nicht immer noch auf der Straße stehen. Nach einer längeren Zeit des Gesprächs löste sich der Zug gegen 23 Uhr auf. Wir hatten die Zusicherung bekommen, daß am nächsten Tag Gespräche geführt würden mit dem Pfarrer Seibt als Vermittler. Außerdem hatten wir die Garantie erhalten, daß keiner der Demo wegen belangt würde.
Die nächsten vier Wochen waren für mich als Soldatensprecher die intensivsten, aber zugleich auch schönsten meiner gesamten Armeezeit. Für mich war besonders überraschend, wie man mir plötzlich zuhörte, wie alle die hohen Vorgesetzten meine Worte auch akzeptierten und wie sogar Vorschläge von mir sofort mit der Befehlsgewalt dieser Stabschefs durchgesetzt wurden. Neben den vielen auch öffentlich bekannten Dingen wie die Senkung des Wehrdienstes für Soldaten auf 12 Monate und für Unteroffiziere auf 24 Monate sowie die Einführung des Zivildienstes haben wir noch eine Menge anderer Dinge erfüllt bekommen, z.B. beim Ausgang und beim Urlaub sowie mit den Dienst- und Wachzeiten. Besonders wichtig war eine klare Regelung der Rechte eines Soldatensprechers bzw. Soldatenrates. (…)