aus telegraph 5/1990
vom 15. März 1990
Der Wahlkampf in der DDR ist auf weite Strecken gleichfalls ein Vorwahlkampf für die Bundestagswahlen in der BRD.
Die „Schwesternparteien“ in der BRD pumpen westdeutsche Steuergelder in die aufgeblähten Apparate der Neuparteien in der DDR. Ohne solche Unterstützungen bleiben die Vereinigungen und Bürgerbewegungen. Bewegungen wie z.B. die Initiative Frieden und Menschenrechte, das Aktionsbündnis Vereinigte Linke oder der unabhängige Frauenverband versuchen über ihre alten und jetzt wieder aktuellen Inhalte aus den Oppositionsjahren die WählerInnen zu erreichen, haben aber kein Geld, keine Technik und kein Personal für einen aufwendigen und landesweiten Wahlkampf. Ob das von den WählerInnen berücksichtigt wird, bleibt abzuwarten.
Daß die drei Parteien der Deutschen Allianz vom Mercedes-Wagen bis zum Gummiknüppel (2. März, Kohlbesuch in K.-M.-Stadt) voll vom Westen ausgestattet wurden, verwundert nicht, wenn man ihr Programm betrachtet. Umso schlimmer ist, daß das Scheitern eines großen linken Alternativbündnisses zwischen Grüner Partei, unabhängigem Frauenverband und den Vereinigten Linken den Wunschträumen der bundesdeutschen RealpolitikerInnen der Partei „Die Grünen“ entspricht.
Die Gründe sind in einem bisher unveröffentlichten Bericht vom 12.2. an die grüne Bundestagsfraktion von den grünen „Realpolitikern“ D. Wetzel und J. Schnappertz aufgeführt. Folgend einige Auszüge aus dem Papier, die keiner Erläuterung bedürfen:
„Durch ein schlechtes Abschneiden der ökologisch-demokratischen Kräfte in der DDR würde unsere eigene Existenz unmittelbar bedroht. …
Unter diesen Bedingungen sollte uns kein Aufwand zu hoch sein, zum Erfolg der ökologisch-demokratischen Kräfte in der DDR beizutragen. Es geht um unsere eigene Existenz und um eine lebenswerte Perspektive in dem künftigen Deutschland. …Es besteht die Gefahr, daß sich neben dem „Bündnis 90“ ein zweites, linkssozialistisches Bündnis herausbildet, das bei dem teilweise marxistischen Profil seiner Mitgliedsorganisationen in der DDR mit Schimpf und Schande scheitern würde. Das wäre vielleicht nicht weiter schlimm, wenn es nicht stark danach aussähe, daß sich die Grüne Partei daran beteiligte. Das würde uns in eine tiefe Zerreißprobe führen, denn es ließe sich kaum rechtfertigen, wenn die Grünen in der SED-verwüsteten DDR ein marxistisch-sozialistisches Wahlbündnis unterstützten. Den daraus folgenden politischen Ruin der Grünen Partei der DDR könnten wir nur dadurch einigermaßen überstehen, indem wir uns ostentativ von diesem Wahlbündnis und damit auch von der Grünen Partei distanzierten und ausschließlich das „Bündnis 90“ unterrstützten.
Die Unterstützung der sich selbst qua Ideologie marginalisierenden Randgruppen in der DDR würde uns in der Folge ihres katastrophalen Wahlergebnisses und ihres in Verruf geratenen Politikverständnisses selbst marginalisieren. … Angesichts einer solchen,möglicherweise dramatischen Zuspitzung in der Frage unserer Wahlunterstützung, deren Antwort unsere eigene Perspektive nicht unwesentlich präjudizieren wird, ist nur zu hoffen, daß sich die Grüne Partei der DDR gegen das zweite Wahlbündnis ausgesprochen hat…
Es wird durch die Wahleinmischung von Teilen der BRD-Grünen deutlich, daß auch diese Partei die DDR für eigene Machtinteressen benutzt und nicht auf die eigenständige Situation und Entwicklung in unserem Land eingeht.
Welchen Einfluß dieses Papier auf den Parteitag der DDR-Grünen in Halle hatte, kann nur vermutet werden. Es wurde jedenfalls einer Reihe von Delegierten zur Kenntnis gegeben. Tatsächlich gab es eine Absage der Grünen an das linke Wahlbündnis und aus dem Parteiprogramm wurden die noch vorhandenen linken Inhalte völlig getilgt.
Das Scheitern des Links-Alternativen Wahlbündnisses in der DDR ist eine bedauerliche Entwicklung. Es zeichnet sich aus kurzfristigen wahltaktischen ßberlegungen eine Spaltung von Bürgerinitiativen, Basisgruppen und Aktionsgruppen ab. Dies wäre eine Belastungsprobe für entstehende Zusammenhänge wie Anti-AKW‑ Bewegung, InstandbesetzerInnen, Mauerstreifenbesetzungen und ähnliches.
Bleibt die Hoffnung auf die Basis, auf die realen Menschen, die sich nicht um machtpolitischen Parteiclinch schren und selbstbestimmte Aktivitäten entwickeln.
d.t.
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